23. August 1935

Brief an Dora Pferdmenges aus Maria Laach

 

Liebe Frau Pferdmenges!

Seit einiger Zeit habe ich nichts von Ihnen gehört. Ich hoffe aber, daß das kein schlechtes Zeichen ist, sondern daß es Ihnen gut geht, wenngleich Sie sehr in Anspruch genommen sein werden - hoffentlich nicht zu sehr. Heute sind Sie schon drei Wochen dort, und Sie werden schon an den Aufbruch denken, da Sie sicher vor Schulanfang in Köln sein wollen.

Ich schrieb Ihnen am 15.8., hoffentlich haben Sie den Brief erhalten, ich würde wohl am 20. für einige Zeit hierhin gehen. Ich bin seit dem 20.8. hier, aber leider nicht ganz freiwillig. Am 14.8. wurde mir eine Verfügung der Regierung in Köln zugestellt, daß ich „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit den Regierungsbezirk Köln bis zum 20.8. zu verlassen habe und fürderhin nicht mehr betreten dürfe“. Der Polizei ist aufgetragen worden, zu sorgen, daß meine Abreise „unauffällig“ erfolge. Ein Grund zu der Maßnahme ist mir nicht angegeben worden, ich bin auf Mutmaßungen angewiesen. Ich nehme an, daß der äußere Anlaß das „Fähndelschwenken“ gewesen ist, das vor Wochen bei der Rhöndorfer Kirmes vor meinem Hause stattgefunden hat. Der Junggesellen-Verein macht das jedes Jahr vor 10-14 Häusern, er bekommt dort einen Beitrag und ein Glas Wein. So auch bei mir. Wochenlang hat zunächst eine Untersuchung gegen die Vereinsmitglieder geschwebt, sie ist aber dann eingestellt worden, und nun bin ich das Opfer.

Die Maßnahme hat mich schwer getroffen, und ich war Tage lang sehr verbittert - deswegen schrieb ich Ihnen auch nicht früher. So gerne ich hier bin, unter diesen Umständen war es mir sehr hart, nach hier zu gehen. Ich hatte gerade angefangen, in Rhöndorf etwas Wurzel zu schlagen und etwas Heimatgefühl zu empfinden - nun werde ich wieder vertrieben. Und so sinnlos! Ich versuche festzustellen, woher es kommt, was der Grund ist, was man machen kann. Mit einigen Monaten Verbannung will ich mich ja schon abfinden, aber auf ungewisse Zeit! - Was ich des weitern machen werde, weiß ich noch nicht. Einige Wochen bleibe ich hier, auf längere Zeit geht es aber nicht. - Es ist alles sehr schwer, und nur langsam bringt die Atmosphäre dieses Ortes etwas Frieden.

Herzlichste Grüße wie immer
Ihr

Konrad A.

[P.S.] Es tut mir sehr leid, daß ich Ihnen diese Mitteilung machen muß. - Werden Sie mich hier besuchen können?

 

Quelle: Freundschaft in schwerer Zeit. Die Briefe Konrad Adenauers an Dora Pferdmenges 1933-1949. Bearb. von Hans Peter Mensing und Ursula Raths. Bonn 2007, S. 111f.