Jakob Kaiser (1888-1961), ab 1918 Geschäftsführer des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften Deutschlands, 1933 MdR (Zentrum), 1945-1947 Mitbegründer und Vorsitzender der CDU in Berlin und in der SBZ, im Dezember 1947 von der sowjetischen Militäradministration abgesetzt, 1949-1957 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, 1949-1958 Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).
Sehr geehrter Herr Kaiser!
Ihre Briefe vom 1. und 5. Mai 1946 habe ich gelegentlich einer Tagung in Düsseldorf erhalten. Ich nehme an, dass eine Anzahl von Herren sowohl aus der britischen wie aus der amerikanischen Zone Ihrer Einladung Folge leisten wird. Was von hier aus möglich war zur schnellen Erledigung der Vorbedingungen der Abreise, ist geschehen.
Ich darf dann auf Ihren Brief vom 5. d.Mts. etwas ausführlicher eingehen. Es ist mir nicht verständlich, warum Sie erstaunt waren, in meinem Schreiben eine Wiederholung meiner negativen Stellungnahme gegen Berlin zu finden. Ich stimmte bei der Aussprache mit Ihnen darin überein, dass im Augenblick nicht der Zeitpunkt gegeben ist, über die Frage der künftigen Reichshauptstadt in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Das schließt aber selbstverständlich nicht aus, dass man sich im engen Kreise mit der Frage der zukünftigen Reichshauptstadt weiter beschäftigt. Ich glaube, ich habe Ihnen in unserer Aussprache keinen Zweifel darüber gelassen, dass m. E. dafür unter keinen Umständen Berlin, gleichgültig ob besetzt oder nicht besetzt, in Frage kommt. Ich weiß mich darin mit [der weitaus größten Zahl der Rheinländer und mit] den süddeutschen maßgebenden Herren der CDU völlig einig. Ich glaube, es war richtig und in Ihrem Interesse, wenn ich in meinem Schreiben darauf einging. Ich glaube nicht, dass es sonst möglich gewesen wäre, die Bedenken, die gegen eine Beschickung Ihres Parteitages in Süddeutschland mit großer Entschiedenheit ausgesprochen worden sind, zu zerstreuen. Ich darf aber bei dieser Gelegenheit Ihre Aufmerksamkeit richten auf einen Artikel „Berlin? - Berlin!" in Nr. 102 der „Neue Zeit" vom 3. Mai 1946. Ich bin der Auffassung, dass ein derartiger Artikel wenig angebracht ist, und zwar sowohl gegenüber dem Inland wie gegenüber dem Ausland, und dass er bestimmt wieder dazu beitragen wird, auch gewisse Ressentiments gegenüber der CDU in Berlin neu zu beleben.
Lassen Sie mich ein Wort noch hinzufügen zu Ihren Bemerkungen über meine Ausführungen in dem Schreiben an die süddeutschen Herren, die sich auf einige Äußerungen von Ihnen und anderen Stellen der CDU Berlin beziehen. Im allgemeinen glaube ich, dass es wohl für jeden von uns unter Umständen durchaus richtig und angebracht ist, seine Überzeugung zu „rechtfertigen"; in einer Rechtfertigung erblicke ich nichts, was dem Ansehen desjenigen, der sich rechtfertigt, abträglich sein könnte. Ich erinnere mich genau aus unserem Gespräch, dass zuerst Herr Geheimrat Katzenberger und dann Sie das Wort von der Synthese des Ostens und des Westens als unrichtig bezeichneten, und ich weiß ebenso genau, dass Sie, und ich glaube auch Herr Geheimrat Katzenberger, erklärt haben, dass man, wenn man Ausführungen der CDU Berlin oder der russischen Zone lese, immer sich vor Augen halten müsse, unter welchen Einflüssen man dort stehe. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie noch davon gesprochen haben, dass die Reise in die nicht von Russen besetzten Zonen für Sie außerordentlich aufschlussreich und belehrend gewesen sei.
Ich bitte Sie mir zu glauben, sehr geehrter Herr Kaiser, dass sowohl im Westen wie im Süden gegen Berlin und auch teilweise gegen die Richtung der CDU in Berlin erhebliche Bedenken bestehen. Die durchaus verständliche Begeisterung, mit der Ihre Person hier in weiten Kreisen aufgenommen worden ist, darf darüber nicht hinwegtäuschen. Ich glaube, Sie werden aus unserer langen Besprechung den Eindruck gewonnen haben, dass ich mich sehr bemühe, keine Missverständnisse aufkommen zu lassen und Einigkeit unter den verschiedenen Zonenparteien in vollem Maße herzustellen. Ich bitte Sie, auch diesen Brief unter dem Gesichtspunkt betrachten zu wollen. Ich denke, Sie werden damit einverstanden sein, dass ich Abschrift Ihres Briefes an mich vom 5. Mai und Abschrift meiner Antwort den Herren, an die mein damaliges Schreiben gerichtet war, übersende.
So sehr ich die Bedeutung Ihrer Tagung anerkenne, so glaube ich doch nicht in der Lage zu sein, mich hierfür eine Reihe von Tagen äußerst wichtigen Aufgaben entziehen zu dürfen. Im übrigen geht der Umfang Ihrer Einladungen zu der Berliner Tagung weit über das Maß hinaus, was wir gelegentlich unserer letzten Unterredung besprochen hatten. Damals sprachen Sie davon, dass aus jeder Zone etwa neun Gäste erscheinen sollten; hoffentlich erwachsen keine technischen Schwierigkeiten aus der großen Zahl der nunmehr Eingeladenen.
Ich wünsche einen guten Verlauf und bin mit vielen Grüßen für Sie und in der Hoffnung, dass die Ihrigen sich in Berlin gut eingelebt haben,
Ihr ergebener
(Adenauer)
Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 48-50.