25. Dezember 1956

Weihnachtsansprache über die "Deutsche Welle" an die Deutschen im Ausland

Liebe deutsche Landsleute in aller Welt!

Zum zwölften Male seit dem Ende des grausamen Weltkrieges feiern wir das Weihnachtsfest. Kaum jemals in diesen zwölf Jahren ist die Sehnsucht nach Frieden auf Erden so stark gewesen wie gerade diesmal. Das Weihnachtsfest des Jahres 1956 fällt in eine ernste, unfriedliche Zeit. Wir alle hatten in den letzten Wochen oft das Gefühl, als ständen wir am Rande eines Abgrundes. Die Nachrichten aus dem Nahen Osten und besonders aus Ungarn versetzten uns in eine fast unerträgliche Spannung. Wir bangten um den Frieden.

Wir müssen noch immer um den Frieden bangen. Mehr als ein Volk fürchtet um seinen Lebensraum und um seine Grenzen. Millionen Menschen leben dazu unter einer unerträglichen Knechtschaft. Lächelnde Gesichter schläferten in den letzten beiden Jahren hier und da die Wachsamkeit ein, lächelnde Gesichter warben um Sympathie für ein System der Gewalt. Das Rasseln der Panzerketten und die Schüsse der Exekutionskommandos in Ungarn haben den wahren Hintergrund des Lächelns gezeigt.

Auch 18 Millionen Deutsche leben noch unter einer fremden Herrschaft. Immer noch ist unser Volk getrennt durch einen Vorhang, der zwei Welten voneinander scheidet. Diese unnatürliche Trennung unseres Vaterlandes kommt uns am Weihnachtsfest, dem schönsten Fest unseres Volkes, immer wieder besonders schmerzlich zum Bewußtsein. Zwar brennen am Eisernen Vorhang in diesen Tagen hunderte von Christbäumen und grüßen in die Zone hinüber, wo die Menschen nur einen trüben Glanz des weihnachtlichen Lichtes kennen.

Ein Strom von Päckchen und Paketen ist in den letzten Wochen in den unfreien Teil Deutschlands geflossen. Aber die Wunde der Zerrissenheit brennt weiter, und die Zeit bis zur Wiedervereinigung will uns zu lang und zu hart erscheinen.

Sie, meine lieben Landsleute, werden sicherlich heute auch in Gedanken in Ihrer alten Heimat weilen. Wenn Sie mich jetzt zur deutschen Weihnacht sprechen hören, brennt auch in Ihrem Heim der Lichterbaum, selbst wenn eine heiße Sonne am Himmel steht und der Baum keine Tanne aus dem deutschen Walde ist. Und viele von Ihnen gedenken noch jener Zeit, in der die deutsche Weihnacht in wirklichem Frieden gefeiert wurde und in der das deutsche Vaterland nicht zerrissen war.

Aber so trostlos auch die Lage in der Welt uns stimmen möchte - wir wollen gerade am Weihnachtsfeste die Hoffnung nicht verlieren. So sehr auch hier und da Gewalt und Terror den Frieden zu gefährden drohen, Gewalt und Terror sind nicht von Bestand. Am christlichen Fest des Friedens wollen wir daran denken, daß am Ende doch das Recht siegt. Immer war das Recht auf die Dauer stärker als die Gewalt. Und so wird es auch in Zukunft sein.

Lassen Sie mich, meine lieben Landsleute, Ihnen heute diese Macht des Rechts ins Gedächtnis rufen, jene Macht des Rechts, die allein einen wahren Frieden in Freiheit geben und erhalten kann. Hier liegt unsere Hoffnung. In dieser Hoffnung wollen wir einiger denn je gemeinsam Weihnachten feiern, wir hier in der Bundesrepublik, die deutschen Menschen in der Zone und Sie, meine Zuhörer in aller Welt. Ich wünsche Ihnen allen, zugleich im Namen der Bundesregierung, aus der alten Heimat ein glückliches und gesegnetes Weihnachtsfest.

 

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 1 vom 3. Januar 1957, S. 8.