25. Dezember 1962

Weihnachtsansprache über die "Deutsche Welle" an die Deutschen im Ausland

Meine lieben Landsleute in aller Welt!

Es ist heute das zehnte Mal, daß ich über die "Deutsche Welle" am Heiligen Abend zu Ihnen aus der alten Heimat sprechen kann. Wie immer tue ich das mit großer Freude, denn ich weiß, wie sehr auch Sie sich darüber freuen, das schönste deutsche Fest, das Christfest, mit uns zu begehen. Nicht nur hier in der Heimat brennen die Weihnachtskerzen. Auch Sie draußen in aller Welt, in Afrika und Asien, in Nord- und Südamerika, im Nahen und Fernen Osten, in Australien und Neuseeland und wo immer es auch sein möge - Sie alle haben in dieser Stunde die Lichter entzündet. Die Klänge unserer Weihnachtslieder bringen Ihnen durch den Äther das heimatliche Christfest ins Haus. Sie lauschen den Glocken deutscher Dome und Kirchen, und Sie sind im Herzen bei uns, wie wir bei Ihnen sind. Wir feiern gemeinsam Weihnachten.

Weihnachten ist das Fest des Friedens. Niemand wäre glücklicher als ich, wenn ich Ihnen, meine lieben Landsleute, heute vom Frieden in der ganzen Welt sprechen könnte. Gewiß, das vergangene Jahr hat vieles nicht gebracht, was wir befürchteten oder was wir auch erhofften. Es hat uns aber doch ein wenig von dem beschert, was wir erhofft hatten. Noch immer zieht sich mitten durch Berlin und das deutsche Vaterland eine trennende Mauer und der Stacheldraht. Während heute, am Heiligen Abend, auf unserer Seite die Weihnachtslichter hinüberstrahlen zu unseren Landsleuten, die in Knechtschaft leben müssen, drohen von der anderen Seite zu uns herüber auf Wachttürmen die Grenzwächter mit ihren Waffen und hindern deutsche Menschen daran, Weihnachten gemeinsam zu feiern. Noch immer sind deutsche Familien im Osten und Westen des Vaterlandes voneinander getrennt, unsere Landsleute im Osten müssen leiden, weil sie nichts anderes wollen, als in Freiheit zu leben. Aber Symbole des Unfriedens gibt es nicht nur bei uns, es gibt sie in fast allen Erdteilen.

Wir würden ein trauriges Christfest feiern, würde nicht in unseren Herzen die Gewißheit sein, daß es in dieser Zeit auch Kräfte gibt, die guten Willens sind, wie es in der Weihnachtsbotschaft heißt. Diese Kräfte haben es erreicht, daß die gespaltene Welt nicht ganz zerrissen ist. Wir hier in der Bundesrepublik Deutschland sind fest entschlossen, mit diesen Kräften des guten Willens zusammen zu arbeiten und ihnen bei ihren Bemühungen um den Frieden auch unter Opfern zur Seite zu stehen.

Aber das Weihnachtsfest ist Anlaß, daß wir Menschen, jeder einzelne für sich, uns an die Aufgabe erinnern, die wir für den Frieden zu erfüllen haben. Frieden gründet sich auf Recht. Jeder von uns sollte daher nach seinen Kräften helfen, Unrecht zu verhindern und das Recht zu schützen. Die Kraft des Rechts allein sichert den Frieden, und dieser Friede aus dem Recht allein sichert uns die Freiheit.

Es lag mir daran, meine lieben Landsleute, Ihnen den Wert des Friedens und die Notwendigkeit der Kraft des Rechts ins Gedächtnis zurückzurufen. Das Weihnachtsfest möge in Ihnen die Überzeugung und den Glauben daran stärken, daß am Ende immer das Recht stärker sein wird als Unrecht und Gewalt.

Diesen Glauben, meine lieben Landsleute, dürfen und müssen Sie bewahren. Ich darf diese Mahnung auch richten an unsere Landsleute, die durch den eisernen Vorhang von uns getrennt sind. Wenn wir alle diesen Glauben an die Kraft des Rechts haben, Sie draußen in der Welt, die Sie in Freiheit leben dürfen, Sie, meine lieben Landsleute jenseits des eisernen Vorhangs, und wir hier in der alten Heimat, im freien Teil unseres Vaterlandes, dann begehen wir das Weihnachtsfest in einem guten Geiste. Wir wollen inniger denn je das Christfest gemeinsam feiern, wir wollen in uns das Bewußtsein erneuern und bewahren, daß wir alle zueinander gehören.

In diesem Gedanken der unverbrüchlichen Zusammengehörigkeit aller deutschen Menschen und in dem sehnlichen Wunsch nach Frieden und Freiheit grüße ich Sie im Namen der Bundesregierung und des ganzen deutschen Volkes und wünsche Ihnen allen aus der alten Heimat ein frohes, glückliches und gesegnetes Weihnachtsfest.

 

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 237 vom 28. Dezember 1962, S. 2014.