28. August 1948

„Eine Hoffnung für Europa". Eröffnungsrede zum 2. Parteitag der CDU der Britischen Zone in Recklinghausen

Als wir uns entschlossen, diesen Parteitag einzuberufen, hatten wir eine gewisse Besorgnis wegen des Besuches. Der Entschluss musste ja wegen der notwendigen Vorbereitungen schon getroffen werden, noch ehe die Währungsreform kam. Wir konnten nicht voraussehen, wie sich die Dinge danach gestalten würden, ob insbesondere genügend Barmittel für die einzelnen Teilnehmer zur Verfügung stehen wurden, um hierhin zu kommen. Zu unserer großen Freude kann ich feststellen, dass unsere kühnsten Erwartungen - zunächst wenigstens, was die Zahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen an diesem Parteitag angeht - bei weitem übertroffen sind. Zweifellos ist die Währungsreform in mancher Beziehung also doch nicht so schlimm gewesen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Vor allem aber zeigt dieser unerwartet große Besuch, dass wir in einer Zeit der politischen Hochspannungen leben, in der naturgemäß jeder, der irgendwie an politisch verantwortlicher Stelle steht, das Bedürfnis hat, sich zu orientieren und sich auszusprechen. Diejenigen von Ihnen, die an dem ersten Parteitag in Recklinghausen teilgenommen und vielleicht das Programm und den Ablauf noch etwas im Gedächtnis haben, werden mit mir darin übereinstimmen, dass wahrscheinlich die Reden und der Ablauf jetzt ganz anders sein werden als damals. Es ist wohl verständlich, dass zwei Dinge auf dieser Tagung hauptsächlich behandelt werden müssen; die wirtschaftlichen Fragen und auch die Frage des Staatsrechts. Dass bei der Umstellung der Wirtschaft, die vor zwei Monaten vorgenommen worden ist, bei der Preisentwicklung, die auf manchen Gebieten seit der Zeit eingesetzt hat, und andererseits kurz vor Zusammentritt des Parlamentarischen Rates, der auf den 1. September nach Bonn einberufen worden ist, die wirtschaftlichen und staatspolitischen Fragen eine große Rolle auf diesem Parteitag spielen müssen, ist verständlich. Aber, verehrte Anwesende, ich glaube, wir müssen uns doch immer wieder auf jedem Parteitag in erster Linie zurückbesinnen auf die weltanschauliche Grundlage unserer Partei und unserer Politik. Es darf nicht so werden, dass wir über der stürmischen Fortentwicklung, über der Gesetzesmacherei, die notwendig ist, die aber überhastet erfolgen muss, dass wir über all diesen Sorgen des Alltags das Wesentliche, was uns zu einer Partei - zur CDU und zur CSU - zusammengeführt hat, vergessen.

Mir scheint, dass wir die einzige weltanschaulich fundierte Partei in Deutschland sind. Ich glaube nicht, dass man dies von der Sozialdemokratischen Partei sagen kann; ich glaube auch nicht, dass sie von sich behauptet, dass sie eine weltanschaulich fundierte Partei sei. Denn einmal ist die Weltanschauung des Marxismus selbst von denjenigen, die sich heute noch zu Karl Marx bekennen, doch zum Teil aufgegeben, und innerhalb der Sozialdemokratischen Partei gibt es sicher einen Prozentsatz, dessen Größe uns nicht bekannt ist, der überhaupt erklärt, dass der Marxismus für sie nur noch historische Bedeutung habe. Die Kommunistische Partei ist eigentlich diejenige Partei, die sich noch am entschiedensten und klarsten zum Marxismus, wenigstens mit den Lippen, bekennt; tatsächlich ist sie aber doch nichts anderes als ein Stoßtrupp des russischen Imperialismus. Das Zentrum erklärt ja ausdrücklich, dass es keine weltanschauliche Partei sein will - es betont das. Das Zentrum betont auch, dass es nicht richtig findet, wenn man die politische Arbeit auf christlichem Fundament beginne. Also, warum sollen wir ihm gegen seinen Willen den Charakter einer weltanschaulichen Partei beilegen! Was die FDP angeht, so glaube ich auch nicht, dass sie von sich behauptet, eine auf weltanschaulichem Boden stehende Partei zu sein. Am ehesten kann man das noch von der Deutschen Partei in Niedersachsen sagen, aber sie ist eine Partei, die auf Niedersachsen beschränkt ist und die ich im Rahmen dieser Betrachtung wohl nicht weiter zu erwähnen brauche.

Es wird auch in Kreisen, die zwar nicht zu uns gehören, die uns aber doch nicht unsympathisch gegenüberstehen, die Frage nach der Berechtigung einer Partei auf weltanschaulicher Basis aufgeworfen, insbesondere, ob es berechtigt sei, dass eine Partei „christlich" in ihren Namen aufnehme, um dadurch vor aller Welt hervorzuheben, dass sie eine politische Partei sei, die auf dem Boden der christlichen Weltanschauung stehe. Es müsste eigentlich überflüssig sein, dass man noch einmal ausführt, was denn „Christlich-Demokratische Union" oder „Christlich-Soziale Union" heißt. Aber wenn man an Versammlungen teilnimmt, in denen auch Vertreter anderer Parteien zu Wort kommen, hört man immer wieder irrige Auffassungen. Lassen Sie mich mit einem Satz vor Ihnen - Ihnen sind es ja keine unbekannten Dinge - wiederholen, was das Wesen unserer Partei ausmacht.

Wir wollen von den geistigen Grundlagen aus, die das abendländische Christentum im Laufe vieler Jahrhunderte geschaffen hat, in Deutschland das politische Leben neu gestalten - und nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und in der Welt. Deswegen nennen wir uns Christlich-Demokratische Union, nicht etwa, um damit zu sagen, dass in anderen Parteien keine Christen seien; das liegt uns völlig fern. Es war mir sehr interessant, als ich neulich hörte, dass zwei Engländer in führender Stellung - und zwar Männer, die uns, wie ich glaube, bestimmt annehmen zu können, auch weltanschaulich nahestehen -, die Frage diskutierten, ob eine christliche Partei überhauptnötig sei und dabei zu dem Ergebnis kamen: nein, sie sei nicht nötig. Ich muss sagen, dass man dann die Dinge nicht so sieht, wie sie sind. Man darf die Dinge nicht so sehen, wie man sie gerne sehen möchte, sondern man muss sie so sehen, wie sie wirklich sind. Wenn ich die Lage so betrachte, wie sie ist, dann finde ich, dass in Deutschland nicht nur in Deutschland, ich komme noch darauf zurück - doch buchstäblich alles von Grund auf neu aufgebaut werden muss. Wir finden, dass in Deutschland nicht erst etwa der Nationalsozialismus geistig so verheerend gewirkt hat. Die Thesen, dass Macht vor Recht geht, dass die Person nichts und der Staat alles ist, sind nicht etwa erst durch den Nationalsozialismus im deutschen Volke verbreitet worden. Diese Auffassungen waren schon viel früher verbreitet, sie stammen aus der Zeit der Herrschaft der materialistischen Weltanschauung. Wir finden ferner, dass man mit dem Aufkommen des Sozialismus zu einer neuen Irrlehre kam, der Irrlehre des Kollektivs. Das ist eine Irrlehre, die noch außerordentlich viel in den kommenden Jahrzehnten der Menschheit zu schaffen machen wird. Diese Lehre ist deshalb so verderblich, weil sie ganz ähnlich wie früher der übersteigerte Nationalismus in dem einzelnen Menschen das Streben nach Eigenpersönlichkeit verdorren lässt, so dass er sich fast glücklich fühlt, ein Massenteilchen zu sein. Machen wir uns klar, dass diese Auffassungen diametral entgegengesetzt sind der christlichen Auffassung von dem Wert und der Würde des einzelnen Menschen, von der christlichen Auffassung des Persönlichkeitsbegriffes, und dass diese Auffassung von der Vermassung, dem Kollektiv, auch in diametralem Gegensatz steht zu jeder persönlichen Freiheit.

Die persönliche Freiheit ist und bleibt das höchste Gut des Menschen!

(Zurufe: sehr gut)

Wenn wir uns wenden gegen die Diktatur als den Feind der Freiheit, wenn wir dagegen sind, dass das Kapital die Freiheit des Einzelnen in der Wirtschaft und damit auch in der Politik erdrückt, wenn wir uns dagegen wenden, dass der Staat eine zu große Macht bekommt und damit ein Feind des Einzelnen wird, so wenden wir uns und werden uns auch in Zukunft wenden gegen den Kollektivismus in irgendwelcher Form, weil er genau so ein Feind der persönlichen Freiheit ist wie jene. Dieser wesentliche Satz des abendländischen Christentums vom Wert und der Würde eines jeden einzelnen Menschen, von der Freiheit der Person, ist eine der Hauptthesen unserer politischen Arbeit. Die Anbetung der Macht, dieser moderne Götzendienst, bedeutet ebenfalls Untergang der persönlichen Freiheit. Dem Götzen der Macht wird in unserer Zeit in vielen Ländern geopfert. Der kollektivistische Gedanke führt immer in seiner Steigerung zu einer Anbetung der Macht. Kranke geistige Auffassungen wirken wie ansteckende Krankheiten, sie greifen über und stecken an. Vom Boden unserer christlichen Weltanschauung aus müssen wir betonen, dass das Recht vor der Macht gilt, dass die Macht an sich nichts Böses ist, aber dass die Macht den Menschen sehr leicht dazu verführt, Missbrauch mit ihr zu treiben und dass sie dann böse wird. Weil wir für die Freiheit des Einzelnen eintreten, müssen wir auch auf sozialem Gebiet alles tun, was in unserer Macht steht, um eine menschenwürdige Existenz jedem zu ermöglichen. Eine menschenwürdige Existenz auch in materieller Hinsicht, auch was die Arbeit und die Wohnungsfrage angeht, ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die wahre Freiheit der Person.

Wenn wir bei der Prüfung der Frage, ob wir berechtigt, ja, ob wir verpflichtet sind, Politik zu treiben vom Boden der christlichen Weltanschauung aus, unsere Blicke über die deutschen Grenzen hinausgehen lassen und sehen, wie es in der Welt aussieht, dann finden wir, dass in großen Teilen ein antichristlicher Geist herrscht, der im Wesentlichen die jetzigen Zustände verschuldet. Ein ganz großer Teil der Welt wird heute beherrscht durch Sowjetrußland, die Hälfte Deutschlands, die Balkanstaaten, Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei. In diesem ungeheuren Gebiet mit mehreren hundert Millionen Menschen herrscht ein durchaus antichristlicher Geist - aber nicht nur das, sondern der Kampf gegen das Christentum wird dort gewollt und systematisch durchgeführt. Von derselben Macht aus, von Sowjetrußland, die diesen Kampf organisiert und durchführt, werden politisch gespeist die Kommunistischen Parteien in Deutschland, Frankreich, Italien und überall in der Welt. In dem übrigen Teil der Welt ist es vielleicht auch mit dem christlichen Geist nicht so bestellt, wie es damit sein sollte. Der Nationalsozialismus hat schreckliche Verbrechen begangen, Verbrechen, von denen der Geschichtsschreiber noch in späteren Zeiten schaudernd schreiben wird, aber der Morgenthau-Plan, der ja Gott sei Dank nicht zur Ausführung gekommen ist, aber immerhin bis in seine Einzelheiten vorbereitet und durchdacht gewesen ist, stellt ein Vergehen gegen die Menschheit dar, das sich dem nationalsozialistischen Verbrechen mindestens würdig an die Seite stellt. (Lebhafte Zurufe: sehr richtig!) Wenn man bis in die Durchführungsverordnungen hinein plante, 30, 40 Millionen Deutscher sterben zu lassen

(Pfui-Rufe)

dadurch, dass man sie wirtschaftlich abdrosselt, dann verrät die Fassung und Durchdenkung eines solchen Planes einen solchen Abgrund von Grausamkeit und Unmenschlichkeit, dass bei Gott niemand mehr von christlichem Geist sprechen kann.

(Zurufe: Sehr richtig!)

Dieser Morgenthau-Plan ist erledigt. Es wird die Zeit kommen, wo diejenigen, die ihn gefasst haben, sich schämen werden, davon zu sprechen. Aber ich habe das Empfinden, als wenn noch gewisse Ausläufer dieses Morgenthau-Planes bei uns wirksam wären. Es ist Zeit, dass damit aufgeräumt wird. Ich meine damit vor allem diese wahnsinnige Demontage-Politik.

(Zurufe: sehr richtig!)

Keiner von uns Deutschen ist der Auffassung, dass reine Kriegsindustrien erhalten werden sollten. Sie sollen und müssen verschwinden. Aber warum demontiert man immer und immer wieder - und neuerdings sogar mit erhöhtem Eifer - Betriebe, die keine Kriegsbetriebe sind? Im englischen Unterhaus ist von Vertretern der beiden großen Parteien dort sehr klar und deutlich gesagt worden, dass es sich dabei um nichts anderes handele als darum, die deutsche Konkurrenz auf dem Weltmarkt unmöglich zu machen. Die britische Regierung hat dem mit Entschiedenheit widersprochen, ich glaube auch, Minister Bevin selbst hat das mit Entschiedenheit in Abrede gestellt. Nun, wir nehmen Kenntnis davon, trotzdem doch jeder von uns Fälle kennt, in denen ganz bestimmt Konkurrenzabsichten vorliegen, aber wir nehmen von dieser offiziellen Erklärung der britischen Regierung Kenntnis, dass die Demontagen nicht durchgeführt würden aus Konkurrenzgründen. Wenn man sich nun in Abkehr von dem Morgenthau-Plan zu der Anschauung durchgerungen hat, dass der Wiederaufbau Europas nur möglich ist unter vollem Einsatz der deutschen Wirtschaftskapazität und wenn man nicht demontier: aus Konkurrenzgründen, dann ist es doch ein heller Wahnsinn, dass man die deutsche Wirtschaftskapazität durch diese Demontagen in der empfindlichsten Weise herabdrückt und schädigt. Dann sollten doch alle diejenigen, denen es ernst ist mit der Wiederherstellung Europas, Einhalt gebieten. Wir richten diese Forderung und Bitte namentlich auch an die Amerikaner, die mit ihren Dollars den Wiederaufbau Europas finanzieren und die sich nicht bieten lassen sollten, dass auf der einen Seite sie Lieferungen durchführen und auf der anderen Seite der Wiederaufbau Europas derart empfindlich geschädigt wird.

(Zurufe: sehr richtig!)

In vielen europäischen Ländern sind Parteien tätig, die auf christlichem Boden stehen, vom christlichen Boden aus ihre Politik treiben. Das gilt von Holland, Belgien, Luxemburg, der Schweiz, Frankreich, Italien. Auch in den Vereinigten Staaten werden sehr wichtige Stimmen laut - so jetzt die von Foster Dulles, der voraussichtlich in der amerikanischen Außenpolitik schon bald eine entscheidende Rolle spielen wird, auf der Amsterdamer Weltkirchenkonferenz - dass nur die Wahrung der christlichen Grundsätze in der Politik einen Wiederaufbau der Welt ermöglicht. Ich glaube, dass die Verbindungen, die wir mit den christlichen Parteien dieser Länder haben und von denen wir mit Freuden als Gleichberechtigte bei den Zusammenkünften, die stattgefunden haben, aufgenommen worden sind, nicht intensiv genug gestaltet werden können; denn nur, wenn alle Kräfte, die auf dem gleichen Boden stehen wie wir, wenn alle politischen Kräfte in ganz Europa sich zusammentun, wird es möglich sein, nicht nur Deutschland, sondern Europa überhaupt zu retten.

Man muss in dieser Zeit die Politik - die Innen- und Außenpolitik - in ihren großen Zusammenhängen sehen. Dann sehen wir, was ich schon angedeutet habe, dass auf der einen Seite die ungeheure Mache Asiens steht, repräsentiert durch Rußland und seine Satellitenstaaten, gestärkt durch die Vorhuten der kommunistischen Parteien, in den verschiedenen Ländern der Welt, diese ungeheure Macht, die von ganz anderem Geiste und von ganz anderer Denkungsart ist als wir abendländischen Europäer. In dem Sinne gehört ja auch Süd- und Nordamerika zum europäischen, abendländischen Geist, so dass sich in Wahrheit über die ganze Erde herüber zwei große Fronten gebildet haben oder noch in der Bildung begriffen sind. Europa spiele trotz seiner Kleinheit, trotz seiner militärischen Schwäche eine ganz große Rolle in diesem Kampf, weil gerade in Europa der Hort und die Quelle des christlich-abendländischen Geistes ist, denn letzten Endes handelt es sich um geistige Auseinandersetzungen größten Ausmaßes.

Wie sieht es jetzt in Europa aus? Wenn Sie einmal zurückdenken an die Zeit vor 45 Jahren und sich klar machen, was damals Europa war, als Deutschland die mächtigste Landmacht in Europa war, als Frankreich und Italien eine Großmacht waren, als England die größte Seemacht war, deren Flotte größer war als die beiden nächstgrößten Flotten zusammengenommen, aus die Vereinigten Staaten noch ein Schuldnerland waren, als mit Oesterreich-Ungarn der ganze Balkan, die Balkanstaaten mit Westeuropa verbunden waren, als in Rußland selbst noch nicht ausschließlich der asiatische Teil herrschte, sondern der westrussische Teil Einfluss hatte - und wenn Sie dann das heutige Europa sehen, dann erkennen Sie den erschütternden Abstieg. Eine Hoffnung ist uns neu gekommen für Europa, und das ist der Gedanke an die Europäische Union, an das Vereinigte Europa. Der Gedanke ist nicht neu, er ist schon ausgesprochen worden vor 100 Jahren, und schon nach dem Weltkrieg 1914/18 hat die Paneuropäische Bewegung unter Coudenhove-Kalerghi auch versucht, Anhänger zu werben. Aber damals galt dieser Gedanke noch mehr oder weniger als eine Utopie. Dann hat Churchill in der bekannten Rede in Zürich den Gedanken vor die Weltöffentlichkeit gebracht; im Mai dieses Jahres war der Haager Kongress für das Vereinigte Europa, auf dem sehr namhafte Politiker der meisten europäischen Länder anwesend waren, die aber damals doch noch nicht von den Regierungen selbst geschickt waren. Insbesondere hatte die britische Regierung damals Abstand genommen von diesem Kongress und sogar vor seinem Besuch gewarnt. Immerhin, dieser Kongress hat stattgefunden, er hat Beschlüsse gefasst. Diese Beschlüsse sind auch, ich glaube, von 200 Abgeordneten des britischen Unterhauses der britischen Regierung unterbreitet worden, und diese hat sich dann zustimmend dazu geäußert.

Jetzt scheint die Angelegenheit einen ganz mächtigen Sprung in ihrer Entwicklung vorwärts zu machen dadurch, dass die französische Regierung offiziell an eine Reihe von europäischen Staaten, insbesondere auch an Großbritannien, das Ersuchen gerichtet hat, eine Kommission zu beschicken, um ein Europäisches Parlament vorzubereiten. Dieser Beschluss der französischen Regierung scheint in Wahrheit eines der wesentlichsten historischen Ereignisse der Jahre nach Kriegsende zu sein.

(Zurufe: sehr richtig!)

Dieser Beschluss ist zurückzuführen oder steht im Einklang mit einem Beschluss des Ausschusses der französischen Kammer für auswärtige Angelegenheiten. Es handelt sich also bei diesem Akt der französischen Regierung um einen Akt, der mehr ist als ein Akt der jetzigen französischen Regierung. Sie wissen, dass man in Großbritannien diesem Antrag gegenüber eine etwas abwartende Stellung eingenommen hat. Man hat dort erklärt, dass man zunächst mit den Regierungen der übrigen Teile des britischen Empires Fühlung nehmen müsse. Das ist durchaus verständlich. Um so erfreulicher ist es, dass die australische Regierung ohne vorherige Fühlungnahme der Weltöffentlichkeit mitgeteilt hat, dass sie den Gedanken außerordentlich begrüßt. Nicht so recht verständlich ist es meines Erachtens, wenn in London, ich weiß nicht von wem, aber immerhin von beachtlichen Stellen, erklärt wird, es schwebten jetzt so viel wichtige Dinge, dass man keine Zeit habe für diese Frage. Das würde meines Erachtens eine völlige Verkennung der weltpolitischen Lage bedeuten.

(Zurufe: sehr richtig!)

Nach meiner Auffassung ist das Schicksal Englands mit dem Schicksal Westeuropas absolut verbunden. Die Zeiten, in denen England eine außereuropäische Macht war, sind meines Erachtens vorüber. Wenn Westeuropa sich nicht zusammenschließt und sich nicht wirtschaftlich und politisch erholt, dann wird auch England darunter leiden. Daher glaube ich, dass die Frage der Förderung des Gedankens des Zusammenschlusses Europas auch eine eminent englische Angelegenheit ist und hoffentlich von der englischen Öffentlichkeit auch als solche erkannt und gefördert wird.

Gestern hat die Regierung der Vereinigten Staaten zu der Frage Stellung genommen und in der nachdrücklichsten Weise verlangt, dass Europa auf diesem Wege fortschreite. Diese Stellungnahme der amerikanischen Regierung ist außerordentlich zu begrüßen, denn bei dem großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss, den die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben, dürfen wir wohl hoffen, dass dieser Appell der amerikanischen Regierung auch bei denjenigen europäischen Ländern, die sich anscheinend noch etwas zögernd verhalten, antreibend und fördernd wirkt. Wir dürfen also hoffen, dass der Gedanke des Zusammenschlusses Europas in einer Weise marschiert, wie es vor Jahresfrist niemand für möglich gehalten hätte. Damit haben wir wieder eine Hoffnung für Europa und auch für Deutschland, für unser eigenes Vaterland, denn ein Zusammenschluss Europas ohne Deutschland, jedenfalls ohne die drei westlichen Zonen Deutschlands, würde nichts bedeuten. Ohne Deutschland ist ein solcher Zusammenschluss nichts. Deswegen liegt vielleicht in dieser Manifestation der französischen Regierung - ich wiederhole „vielleicht", man muss sich da mit allem Vorbehalt ausdrücken - ein Wechsel in der Auffassung über die Sicherheit Frankreichs. Es gab und es gibt weite Kreise in Frankreich, die glauben, Frankreichs Sicherheit liege darin, dass der Zustand, wie er jetzt in Deutschland herrscht, oder wie er bis vor kurzem herrschte - nämlich Zerstückelung und Lethargie - möglichst lange konserviert werde. Das ist eine absolut falsche Auffassung, eine Auffassung, die übersieht, dass ein solcher Zustand auch letzten Endes den Untergang Frankreichs herbeiführen würde. Es hat den Anschein, als ob Frankreich jetzt die Gewährleistung seiner Sicherheit in diesem Zusammenschluss Europas sieht. Wenn das der Fall ist, dann würde das eine grundlegende Änderung in dem Verhältnis von Frankreich zu Deutschland zur Folge haben müssen. Eine Änderung, die wir sowohl als Deutsche wie als Europäer nur von Herzen begrüßen und fördern können. Ich für meine Person - und ich weiß, dass ich mit vielen von Ihnen darin übereinstimme - erblicke in der Herstellung eines dauernden, guten nachbarlichen Verhältnisses zwischen Deutschland und seinen westlichen Nachbarn, den Beneluxstaaten und Frankreich, die erste und vornehmste Aufgabe einer kommenden deutschen Außenpolitik.

(Zurufe: Sehr richtig!)

Das Interesse der Vereinigten Staaten an den europäischen Dingen in seiner jetzigen Stärke und Intensität wird eines Tages nachlassen, wenn der Gegensatz zwischen den Vereinigten Staaten und Sowjetrußland nachlassen wird, und der wird eines Tages so oder so doch nachlassen. Aber Frankreich, die Beneluxstaaten und Deutschland werden Nachbarn bleiben in Europa, solange Menschen hier in Europa leben werden. Die Zukunft Europas und all dieser Länder, unser eigenes Land eingeschlossen, hängt davon ab, dass dieses Verhältnis auf die Dauer beruhigt und geordnet wird. Wenn daher in Frankreich eine solche Änderung des Standpunktes sich vorbereiten und zeigen würde, so würde das im Interesse Europas und des Weltfriedens auf das höchste zu begrüßen sein. Wir Deutsche müssen alles tun, damit dieses Verhältnis wirklich zu einer dauernden und tiefgehenden Verständigung wird.

Ich glaube, wenn wir zu diesem europäischen Parlament kommen mit Deutschland als gleichverpflichtetem und gleichberechtigtem Mitglied, dass dann auch das Londoner Abkommen allmählich abgebaut werden wird und abgebaut werden kann. Dieses Londoner Abkommen, das möchte ich gerade hier im Industriegebiet noch einmal ausdrücklich erklären, ist in seiner jetzigen Form für uns Deutsche einfach unerträglich und unmöglich.

(Lebhafter Beifall und Zustimmung)

Wir hoffen, dass dieses Londoner Abkommen dann doch so gestaltet werden wird, dass wir Deutsche gleichberechtigt und gleichverpflichtet am europäischen Wiederaufbau beteiligt werden.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einige Worte sagen über unser deutsches Vaterland. Sie wissen von den Verhandlungen in Moskau, die jetzt seit einer Reihe von Wochen stattfinden, deren Einzelheiten wir aber nicht kennen. Es scheint ja, als ob sie einen günstigeren Verlauf nähmen, als wir noch vor einer Woche haben hoffen dürfen. Es handelt sich dabei, äußerlich betrachtet, in erster Linie um Berlin. Die Haltung der Berliner Bevölkerung ist bei der ganzen Entwicklung von außerordentlich großer Bedeutung. Wir Nichtberliner, wir Deutsche hier in Westdeutschtand, müssen unseren Berliner Freunden und allen Berlinern von ganzem Herzen danken für die tapfere und mutige Haltung, die sie jetzt schon seit geraumer Zeit gezeigt haben.

(Starker Beifall)

Ich glaube, die Berliner wissen, dass wir alle an ihrer Seite stehen mit unserer vollsten Sympathie sowie mit aller Hilfsbereitschaft, deren wir fähig sind. Die Anstrengungen der Alliierten, Berlin zu halten, verdienen jeden Dank, aber seien wir uns auch darüber klar, dass es sich bei dieser Auseinandersetzung im Grunde genommen um den großen Gegensatz zwischen den beiden Mächtegruppen handelt, deren Gegensatz sich nunmehr gerade in Berlin besonders zugespitzt hat. Die Welt war sicher bis gestern oder vorgestern - vielleicht wird sie es in einem Monat oder später wieder sein - derartig voll von Kriegsangst, Kriegssorge und Kriegsfurcht wie niemals zuvor. Deutschland war sonst immer in den Augen der ganzen Welt der Uebeltäter, der alles verursachte, die Unsicherheit, die Kriege, die Aufrüstung usw. Ich stelle fest, dass bei dieser Kriegsfurcht, die jetzt herrschte und herrscht, bei diesen Aufrüstungen, die in einem Ausmaß vor sich gehen, wie sie niemals erhört worden sind, Deutschland völlig unbeteiligt und völlig unschuldig ist.

(Starker Beifall)

Es scheint also doch, dass Deutschland - vielleicht war es früher auch schon einmal so - nicht der alleinige Übeltäter war, (sehr starker Beifall) sondern es scheint so, als ob der nationalsozialistische Wahlspruch, dass Macht vor Recht geht, auch in anderen Ländern, vielleicht auch schon in der Vergangenheit, stark an der Führung gewesen ist. Ich hoffe, dass auch mancher nachdenkliche Politiker im Ausland aus der Entwicklung in der Welt, seitdem Deutschland aus dem Weltgeschehen aktiv ausgeschieden ist, milder über Deutschlands Rolle in der Welt denkt als bisher.

Trotz aller Hilfe, die uns vom Ausland zuteil wird, seien wir uns über eines klar: Wenn wir nicht alle Kraft daran setzen, wieder geistig, moralisch und wirtschaftlich in die Höhe zu kommen, dann wird Deutschland der Aufstieg nicht gelingen. In unserer Hand liegt unser Geschick. Was uns vom Ausland geboten wird, ist eine hilfreiche Hand, die wir gern und freudig ergreifen, aber wir müssen dann die Hauptsache selber tun. Wir wissen, dass das Geschick unseres Volkes für eine jetzt nicht zu schätzende Zeit sehr ernst und sehr hart ist. Wir alle hier im Saale und alle anderen in Westdeutschland wünschen nichts sehnlicher, als dass der eiserne Vorhang möglichst bald zerrissen und dass die politische und wirtschaftliche Einheit unter dem Stern der Freiheit - nicht unter dem Sowjetstern - wieder hergestellt wird.

(Lebhafter Beifall)

Aber gerade, weil wir das alles wissen und davon überzeugt sind, und weil wir alle Kraft daran setzen wollen, dieses Ziel, ein freies und einiges Deutschland, zu erreichen, deswegen dürfen wir meines Erachtens kerne Gelegenheit vorübergehen lassen, um wenigstens etwas aus dem jetzigen Zustand der politischen Ohnmacht herauszukommen. Gegenüber manchen anderen Meinungen habe ich von Anfang an mit Entschiedenheit den Standpunkt vertreten, dass - solange es uns Rußland durch seine Politik unmöglich macht, eine Organisation ganz Deutschlands herbeizuführen - wir wenigstens den Teil Deutschlands, der nicht unter russischer Herrschaft steht, politisch neu organisieren müssen. Daher begrüße ich das Zusammentreten des Parlamentarischen Rates in Bonn am 1. September. Ich hoffe und wünsche, dass damit der Anfang einer guten politischen Entwicklung für die drei Westzonen gegeben ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur dann den Osten wieder mit dem Westen zu einer Einheit verbinden können und werden, wenn wir wenigstens zunächst den Westen politisch und wirtschaftlich wieder erstarken lassen.

Dass wir den Anspruch auf den Osten Deutschlands niemals aufgeben werden, das können und müssen wir immer und immer wieder mit allem Ernst und allem Nachdruck erklären.

(Starker, lang anhaltender Beifall)

So bitte ich namentlich auch die aus dem Osten Vertriebenen davon Kenntnis zu nehmen, dass wir den Anspruch auf die Rückgabe ihrer Heimat als ein göttliches Recht niemals preisgeben werden.

(Stürmischer Beifall)

Nun wollen wir an die Arbeit gehen. Sie werden Referate hören, die zu manchem Nachdenken Anlass geben, und ich würde mich ganz außerordentlich freuen, wenn die Diskussion anregend sein würde, damit wir alle, die wir uns zu diesem Parteitag versammelt haben, die wir uns losgerissen haben aus der vielfachen Tätigkeit, die uns sonst erfasst, nachdenklich und mit ernsten Anregungen versehen, wieder nach Hause zurückkehren, um dort zu wirken - ein jeder in seinem Kreis, Denn das ist ja die Aufgabe dieses Parteitages: einen gewissen Rückblick und Ausblick zu geben, aber nicht nur für die Anwesenden, sondern für alle. Sie, die Sie hier sind, müssen ein jeder in seinem Kreis Kunde geben von dem, was hier gewesen ist und was Sie gehört haben. Sie müssen arbeiten und wirken unter dem letzten Einsatz ihrer Kraft für die Christlich-Demokratische Union und für unser geliebtes Deutschland!

 

Quelle: Neuaufbau auf christlichen Grundlagen. Zweiter Parteitag der CDU für die Britische Zone, 28.-29. 8. 1948, Opladen 1948. S. 5-12.