28. Juni 1961

Brief an Axel Springer, Hamburg

 

Sehr geehrter Herr Springer!

Ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 23. Mai 1961*, mit dem Sie mir Ihre zunehmende Sorge über die verstärkte Propagandatätigkeit der Sowjetzone mitteilen und Ihrer Enttäuschung über die mangelnde Initiative in der Bundesrepublik Ausdruck geben. Sie wissen, daß ich Ihre Sorgen teile und daß meine Enttäuschung nicht geringer ist als die Ihre. Es ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung sich bereits seit vielen Jahren bemüht hat, Einrichtungen des Rundfunks und Fernsehens zu schaffen, mit denen der östlichen Drohung entgegengetreten werden kann.

Auf dem Gebiete des Rundfunks konstituieren sich zur Zeit die Aufsichtsgremien der beiden Bundesanstalten "Deutsche Welle" und "Deutschlandfunk".** Das Bundesgesetz, mit dem diese beiden Anstalten errichtet worden sind, ist zwar - nach vorhergegangenen langen Verhandlungen mit den Ländern - bereits Anfang Dezember 1960 verkündet worden. Seine Ausführung hat sich jedoch durch die Drohung der SPD mit einer Verfassungsklage gegen den "Deutschlandfunk" verzögert. Der hamburgische Justizsenator, Herr Dr. Drexelius, hat bei der konstituierenden Sitzung der Rundfunkräte der beiden Anstalten noch in diesen Tagen die Erklärung abgegeben, seine Mitwirkung in dem Rundfunkrat bedeute keine Anerkennung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Ich kann das nur so auffassen, daß sich die SPD den Weg nach Karlsruhe offen halten will, wenn die Art und Weise, in der der Sender betrieben wird, nicht ihren Vorstellungen entspricht. Ein allzu großer Optimismus hinsichtlich der Wirksamkeit der nun geschaffenen Bundesrundfunkanstalten ist unter diesen Umständen nicht angebracht.

Wesentlich ernster ist die Lage auf dem Gebiete des Fernsehens. Sie wissen, daß alle meine jahrelangen Bemühungen, zu einer vertraglichen Einigung mit den Ländern zu kommen, zu keinem Ergebnis geführt haben. Meine eigene Initiative, zu der ich mich, um weitere jahrelange und nutzlose Verhandlungen zu vermeiden, entschließen mußte, ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinfällig geworden. Die Zukunft wird lehren, ob das, was die Länder nun als zweites Programm zu schaffen beabsichtigen, ein wirksames Instrument ist, den kommunistischen Propagandamethoden entgegenzutreten.

Dies ist die Lage auf dem Gebiete des Rundfunks und Fernsehens. Die in Ihrem Brief erwähnten Mißstände auf diesem Gebiet sind aber nur ein Symptom eines tiefer sitzenden allgemeinen Übels. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fernsehstreit ist mit aller Deutlichkeit sichtbar geworden, in welch ernster Lage sich der Bund nicht nur hinsichtlich des Rundfunks und Fernsehens, sondern auch in vielen anderen wesentlichen Bereichen befindet. Wenn diese Entscheidung dem Bund ganz allgemein Kompetenzen auch für Angelegenheiten verweigert, die von den einzelnen Ländern gar nicht geregelt werden können, dann bedeutet das, daß unter Umständen lebenswichtige Aufgaben in Deutschland überhaupt nicht oder nicht sachgemäß erfüllt werden können, weil der Bund - nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts - keine Zuständigkeit besitzt, die Länder aber zu keiner Einigung kommen. Die Entwicklung auf dem Gebiete des Fernsehens ist hierfür nur ein Beispiel.

Das alles wiegt um so schwerer angesichts der bei uns immer wieder geübten Praxis, die Verfassungsmäßigkeit aller bedeutsamen Maßnahmen des Bundestages und der Bundesregierung anzuzweifeln und dadurch der Tätigkeit der Bundesorgane Schwung und Initiative zu nehmen. Diese Praxis wird weniger durch die Verfassung als solche, als vielmehr durch die leider vielfach geübte enge Art und Weise ihrer Auslegung gefördert, die nicht auf das Ganze sieht und unter verschiedenen möglichen Lösungen nicht immer die vernünftige, dem Gesamtinteresse der Nation gerecht werdende Lösung wählt.

Ich habe es für notwendig gehalten, Ihnen dies etwas ausführlicher zu sagen, weil mich diese Entwicklung, die in ihrer ganzen Tragweite von der Öffentlichkeit noch gar nicht erkannt ist, mit großer Sorge erfüllt. Ich habe keinen Zweifel, daß Sie im Sinne unserer bisherigen Gespräche hierfür Verständnis haben.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Adenauer

Schenken Sie bitte auch in Zukunft diesen Fragen Ihr besonderes Interesse.

 

* Im Anschreiben, das Springer in Kopie auch Felix von Eckardt und Franz Josef Strauß zugeleitet hatte, einleitend die Sätze: "Während die roten Nachfolger der Braunen im östlichen Teil unseres Vaterlandes systematisch und ohne Rücksicht auf finanzielle Mittel oder bürokratische Überlegungen ihre gegen die Bundesrepublik gerichtete Tätigkeit zielbewußt ausbauen, sieht man bei uns im wesentlichen nur Streit um Kompetenzen, Formalitäten etc. Es geht uns offensichtlich zu gut. Den Pankowern geht es aber nicht nur um eine verstärkte Propagandatätigkeit gegenüber der westdeutschen Bevölkerung. Sie haben auch ihre Aktivität vor allem in den neutralen Ländern, in den Entwicklungsländern etc. während der letzten Monate enorm ausgebaut und arbeiten ständig an einer weiteren Verbesserung."
** Durch Bundesgesetz waren am 29.11.1960 (BGBl. I, S. 862) die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk als gemeinnützige Anstalten des Öffentlichen Rechts errichtet worden. Am 12.6.1961 hatten sich in Bonn die Rundfunkräte beider Anstalten konstituiert; den Vorsitz bei der Deutschen Welle übernahm Pressechef Felix von Eckardt, seine Stellvertretung Wilhelm Drexelius. Vgl. Bulletin, Nr. 107 vom 14.6.1961, S. 1038.

 

Quelle: Original in Unternehmensarchiv Axel Springer AG, NL Axel Springer, auf Kopfbogen "Bundeskanzler K. Adenauer". Abgedruckt in: Adenauer. Briefe 1959-1961 (Rhöndorfer Ausgabe). Hg. von Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz. Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn 2004, S. 288f., Anm. S. 528f.