28. November 1958

Bericht zur politischen Lage vor dem Bundesparteiausschuss der Christlich-Demokratischen Union in Bonn (Bundeshaus)

[...] Sehr ernst beurteile ich, und zwar aus politischen Gesichtspunkten, die Frage der Schaffung einer gewissen Ordnung unter den Energieträgern. Das sind insbesondere Kohle und Öl. Die Atomenergie spielt noch keine Rolle bei uns, aber sie wird eines Tages auch auf uns zukommen. Sie wissen von den großen Haldenbeständen und von den Feierschichten im Ruhrgebiet. Ich freue mich, wenn viel verheizt wird, aber ich finde es in diesem Saal doch etwas übertrieben geheizt.

(Beifall.)

Ich wende mich deshalb an Herrn Krone, der hier der Hausherr ist.

(Dr. Krone: Einverstanden!)

Ich darf überhaupt in diesem Zusammenhang einmal sagen, in der Fraktion muss immer frische Luft sein!

(Heiterkeit.)

Das fördert nur die Beratungen!

(Beifall.)

Nun zur Kohle zurück! Das Problem ist sehr ernst und geht weit hinaus über die anderen Wirtschaftsfragen, die auftauchen, wenn irgendwo eine nachlassende Konjunktur in Erscheinung tritt.

Das Problem der Kohle wird besser „Problem des nordrhein-westfälischen Industriegebiets" genannt.

(Zurufe: Sehr richtig!)

Sie wissen, dass im Industriegebiet eine ungeheuer große Massierung von Menschen stattgefunden hat, aber nicht künstlich herbeigeführt, sondern naturgegeben dadurch, dass die Kohle in dieser Gegend zentral gelagert ist. Es ist Ihnen bekannt, dass in der Folge der Aufschließung dieser Kohlenfelder, die schon vor hundert Jahren angefangen hat, dort eine Agglomeration von Zubringerindustrien stattgefunden hat, wie sie kaum in einem anderen Land der Welt derart massiert vorhanden ist. Die 500.000 Menschen, die im Bergbau dort tätig sind, arbeiten fast alle unter Tage, wodurch der Bergmann sehr früh invalide wird. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass politische Umtriebe im Industriegebiet in ganz besonderer Weise seitens der Kommunisten und auch seitens linksgerichteter Sozialdemokraten sehr begünstigt werden. Unruhen im Industriegebiet - das wissen Sie aus der Vergangenheit -, die von wirtschaftlichen Fragen ausgehen, kommen sehr schnell in das politische Fahrwasser hinein. Von dort her werden auch die politischen Unruhen nur zu schnell nicht nur über Nordrhein-Westfalen, sondern auch über die ganze Bundesrepublik - früher über ganz Deutschland - verbreitet. Deshalb darf man die Frage „Industriegebiet" nicht so betrachten wie eine Flaute in irgendeinem Wirtschaftszweig. Hier ist das politische Moment, das mitspielt, überaus bedeutungsvoll.

Wir alle haben es mit einer großen Freude begrüßt, dass es bei den Landtagswahlen in diesem Sommer in Nordrhein-Westfalen gelungen ist, zum ersten Mal eine CDU-Mehrheit für den Landtag zu erreichen, und zwar vornehmlich auch dank der Abstimmung im Industriegebiet. Bei aller Vorliebe für den Mittelstand - die ich auch habe -, müssen wir uns darüber klar sein, dass wir die Mehrheit bei Bundestagswahlen niemals erringen können, wenn die Arbeiterschaft in ihrer großen Mehrheit nicht für uns stimmt.

(Sehr richtig!)

Auch das bitte ich zu beachten bei einer Erörterung dieser Fragen. Es ist ein großer Erfolg für unsere Politik, dass bei einer Reihe von Befragungen durch das Emnid-Institut - nicht etwa aus Anlass der Wahl, sondern ganz allgemein - von den befragten Arbeitnehmern 57% für die CDU/CSU gestimmt haben. Das ist ein ganz großer Erfolg unserer Arbeit, und den müssen wir festhalten. Leider ist dieses Ergebnis nicht in der Tagespresse veröffentlicht worden, sondern nur in Zeitschriften, wo ich es gelesen habe. Lassen Sie mich noch folgendes hinzufügen. Wir haben nun, wie das auch notwendig war, seit Beginn unserer Arbeit in den Ländern den größten Wert darauf gelegt, die Bergwerke schnell wieder instand zu setzen und möglichst viel Bergarbeiter zu gewinnen. Für die Investitionen in den Bergwerken sind besonders große Summen gegeben worden. Die Bergarbeiter sind auch bei den Wohnungen bevorzugt worden. Man hat Bergarbeiter aus anderen Ländern, und zwar bis hinunter nach Sizilien, angeworben. Wir haben diese Gemeinschaftseinrichtungen für sie geschaffen, und nun können wir doch plötzlich unmöglich sagen: Jetzt ist das Heizöl auf den Plan getreten, und infolgedessen muss man eben rationell oder rational - Sie können beide Worte gebrauchen - denken.

Es ist nun einmal ein neuer Energieträger aufgetaucht, und das muss man eben hinnehmen! - Hier bin ich einer ähnlichen Auffassung, wie ich sie eben äußerte, als ich von der Landwirtschaft gesprochen habe.

Das Heizöl ist ein sehr wichtiger Energieträger, das möchte ich nachdrücklich betonen, und es wäre ganz falsch, wenn wir uns etwa dem verschlössen, dass das Heizöl eine große Zukunft hat. Ich möchte hier einfließen lassen, dass die Bergarbeiter-Gewerkschaft - ich habe Vertreter von ihr unter Führung des Herrn Gutermuth schon seit Jahren wiederholt empfangen - nicht etwa der Auffassung ist, eine Beschränkung des Verbrauchs von Heizöl in den Wohnungen vorzusehen; sie haben gesagt, das spiele gar keine Rolle. Aber es spielt für uns eine große Rolle, ob das Heizöl die Kohle in der Industrie immer mehr verdrängt. Es haben eine Reihe von ungünstigen Umständen mit dazu beigetragen, dass diese Krise im Bergbau so sinnfällig und so stark ist. Ich will sie kurz erwähnen, möchte aber vorausschicken, dass wir uns jetzt nicht in eine Diskussion darüber einlassen wollen, ob diesen oder jenen eine Schuld trifft. Es trifft manchen eine Schuld; vor allem haben sich die Sachverständigen bei ihrer Schätzung des Energiebedarfs verschätzt. Bei der Weltflaute, die zurzeit besteht, ist nun das Angebot von ausländischer Kohle, insbesondere amerikanischer Kohle, erdrückend geworden. Das hat auch mit dazu beigetragen.

Aber wir wollen in die Zukunft sehen. Dass Maßnahmen getroffen werden, so gut das irgendwie möglich ist, um den akuten Druck zu mäßigen, kann ich Ihnen versichern. Ich kann Ihnen auch versichern, dass ich mich persönlich mit ganzer Kraft dafür einsetzen werde, dass diese Maßnahmen so schnell wie möglich getroffen werden. Es ist nicht so, als wenn wir nun die Haldenbestände mit einem Schlag beseitigen könnten, aber der Bergbau soll sehen, dass auch die Bundesregierung dieser akuten Not ihre Aufmerksamkeit in besonderem Maße widmet.

(Lebhafter Beifall.)

Wichtig ist ein Programm für die Zukunft. Das kann ich Ihnen mit wenigen Worten darlegen. Nach einer Berechnung des Wirtschaftsministeriums würde im Jahre 1965, wenn die Förderung der Steinkohle und die Einfuhr von Heizöl weiter so steigen wie bisher, ein Überschuss an Energieträgern vorhanden sein, der etwa 16 Millionen t Steinkohle gleichkäme.

(Abg. Diel: Hört, hört!)

Ich darf noch einmal wiederholen: Es wäre völlig falsch und unsinnig von uns, wenn wir uns dem verschließen wollten, dass das Heizöl auch Vorteile und eine Zukunft hat und dass man sich in gewissem Maße auf Heizöl umstellt, aber ich darf Sie an die Suez-Krise erinnern und daran, dass das ganze Heizöl über See zu uns herangeschafft werden muss. Da wir in politisch sehr unruhigen Zeiten leben, darf unsere Wirtschaft keinesfalls in der Hauptsache auf Heizöl umgestellt werden.

Bei dem Bergbau im Ruhrgebiet, wo die Kohle sehr tief liegt - im Gegensatz zur amerikanischen Kohle und auch zur Braunkohle bei uns -, kann man nicht einen Bergwerksbetrieb schließen und ihn nach drei Monaten wieder eröffnen; denn dann ist die Grube versoffen; außerdem wäre auch das Geld, um die Grube wieder instand zu setzen und gebrauchsfähig zu machen, überhaupt nicht aufzubringen. Gerade der Bergbau erfordert Sicherheit und Stetigkeit wegen der Schwierigkeiten, die die Bergwerke bei solchen Tiefen mit sich bringen.

Nun hat das Heizöl - von seinem Standpunkt aus begreiflich - den Wunsch, den deutschen Markt zu erobern. Es sind auch, soviel ich weiß, nirgendwo so niedrige Heizölpreise wie bei uns. Gerade deswegen wird die Konkurrenz des Heizöls von der Kohle als so schwerwiegend empfunden. Ich möchte noch einmal betonen, wir sind keineswegs der Ansicht, nun das Heizöl irgendwie abzudrosseln, unter keinen Umständen, aber man muss diese ganze Frage doch im Zusammenhang sehen und eine Lösung suchen, die unserem Bergbau ein weiteres Bestehen ermöglicht und die gleichzeitig möglich macht, das Heizöl bei uns zu einem angemessenen Preis einzuführen. Das ist die Frage, um die es sich handelt.

Ich bin hier weder der Ansicht der Herren vom Bergbau, die sagen: Nieder mit dem Heizöl! - noch der Auffassung der Leute vom Heizöl, die ausrufen: Hoch das Heizöl! -, sondern wir müssen an die Lösung dieser für die Zukunft unserer Wirtschaft und für unsere nationale Unabhängigkeit außerordentlich wichtigen Frage herangehen mit kühlem Kopf und ruhiger Gelassenheit, damit jeder dieser Energieträger die Rolle spielen kann, die im deutschen Interesse liegt. Das ist mein Standpunkt in dieser Frage.

(Lebhafter Beifall.)

Ich freue mich, dass auch Sie dem zustimmen.

Lassen Sie mich nun von dieser wirtschaftlichen Frage übergehen zu dem Zusammentreffen zwischen de Gaulle und seiner französischen Abordnung und uns in Kreuznach. Ehe ich auf die wichtigsten Punkte der Gespräche komme, möchte ich vorausschicken, dass das Zusammentreffen mit de Gaulle an einer historischen Stätte stattgefunden hat, nämlich in Kreuznach, wo der Sitz des Großen Hauptquartiers im ersten Weltkriege war. Jeder von Ihnen wird es eigenartig empfinden, dass just an derselben Stelle nun diese sehr freundlich gehaltene Aussprache zwischen der französischen und der deutschen Abordnung stattfand. Ich darf hier einflechten, dass ich im Zug mit Herrn de Gaulle eine Aussprache unter vier Augen geführt habe, die 2 1/4 Stunden in Anspruch genommen hat, wobei wir selbstverständlich nicht in allem der gleichen Meinung gewesen sind, aber doch sehr offen und sehr vertrauensvoll zueinander gesprochen haben; wie überhaupt auch das Zusammentreffen zwischen Ministerpräsident de Gaulle und mir schon in Colombey-les-Deux-Églises - und jetzt wieder - von einer rückhaltlosen Offenheit in der Aussprache, aber auch von einer menschlichen Wärme begleitet war.

Die Zusammenkunft wurde in Kreuznach außerordentlich lebhaft begrüßt. Leider hat man auch versucht, das Zusammentreffen zu stören, und zwar dadurch, dass von sozialdemokratischer Seite - wie Sie wissen - etwas sehr provokatorisch ein Volkswagen eines SPD-Bundestagsabgeordneten rundgeschickt wurde mit einem Transparent „Hoch das freie Algerien". Man hat auch von Seiten der Jungen Falken versucht, Zettel zu verteilen. Französische Journalisten - es waren 60 bis 70 anwesend - haben sich darüber sehr aufgeregt, und es ist fast zu einem Handgemenge auf der Straße gekommen. Ich möchte betonen, dass ich es im höchsten Maße für ungehörig halte, dass ausgerechnet dann, wenn der Ministerpräsident eines befreundeten Landes bei uns zu Gast weilt, derartige Demonstrationen veranstaltet werden, die sich auf französische Angelegenheiten beziehen.

(Zurufe: Sehr richtig!)

Auch das zeigt wieder in evidenter Weise, dass radikale Strömungen in der Sozialdemokratie die Oberhand haben. Man soll sich also durch all das Gerede, was jetzt gemacht worden ist, dass man nämlich zusammengehen wolle usw. - ich komme noch darauf zurück -, nicht darüber täuschen lassen, dass doch die radikalen Strömungen in der Sozialdemokratie, gekennzeichnet durch die Namen Wehner und Brenner, weiter nach vorn gerückt sind.

(Zurufe: Sehr richtig!)

Bei der Zusammenkunft spielte die Frage des Gemeinsamen Marktes eine große Rolle. Von de Gaulle wurde ausdrücklich bekräftigt, dass Frankreich beim Beginn des Gemeinsamen Marktes am 1. Januar von den Schutzklauseln, die im Vertrag zugunsten der französischen Wirtschaft enthalten sind, keinen Gebrauch machen wolle. Die französische Wirtschaft ist seit vielen Jahren protektionistisch; sie wird auf alle mögliche Weise vom Staat unterstützt. Und jetzt soll die französische Wirtschaft in einen freien und offenen Wettbewerb mit den Wirtschaften der übrigen fünf Länder treten. Das ist natürlich sehr unbehaglich. Deswegen kam auch der große Widerstand gegen den Gemeinsamen Markt aus Frankreich, d. h. auch de Gaulle verlangte zuerst nach Schutzklauseln. Ich glaube, wir können nunmehr die Erklärung de Gaulles, dass Frankreich von diesen Schutzklauseln keinen Gebrauch machen wolle, als ein Zeichen dafür auffassen, dass Frankreich unter der Leitung de Gaulles ein wirklich ernsthafter europäischer Partner ist.

(Beifall.)

Was das bedeutet, das können Sie am besten erkennen, wenn Sie einmal daran denken, wie Russland das empfindet, dass Frankreich unter de Gaulle ein ernsthafter europäischer Partner und befreundet mit Deutschland ist. Die Enttäuschung in Sowjetrussland über de Gaulle ist sehr groß. Man dachte zurück an jene Zeit vor elf, zwölf Jahren, als de Gaulle eine antideutsche und eine prorussische Politik gemacht hat, und hatte gehofft, wenn de Gaulle zur Macht komme, werde das alte Spiel wieder beginnen. Was das aber für uns bedeutet hätte, kann man gar nicht genug schwarz ausmalen; denn dann wären unsere ganzen europäischen Bestrebungen erledigt gewesen, und wir, das geteilte Deutschland, hätten in der Zange gesessen zwischen Sowjetrussland auf der einen Seite und einer prorussisch gesinnten französischen Regierung auf der anderen Seite. Das also wäre für uns eine Katastrophe großen Ausmaßes gewesen, und zwar nicht nur für unsere europäische Politik, sondern auch für die Freiheit unseres Landes.

Ich bitte Sie also, unter diesem Gesichtspunkt die Entwicklung zu betrachten, die dazu geführt hat, dass man wirklich von einem befreundeten Frankreich und von einem sehr guten Verhältnis zu de Gaulle sprechen kann. Die Wahlen in Frankreich - der erste Wahlgang - haben mit einem großen Erfolg für de Gaulle geendet. Der zweite Wahlgang - die Stichwahl - findet am kommenden Sonntag statt. Nach dem, was mir Herr de Gaulle sagte - ich habe auch mit Herrn Pinay, der anwesend war, darüber gesprochen -, ist wohl kaum ein Zweifel möglich, dass die kommunistische Partei auf einen Bestand von 15 oder 16 Mandaten heruntersinken wird, dass aber auch das MRP wegen seiner unentschiedenen Haltung - die es schon seit Jahren zeigt -

(Abg. Diel: Leider!)

schwere Schläge bekommen wird. Die Stimmen der sogenannten Gemäßigten - ein sehr schöner Name für eine Partei oder Parteiengruppierung, der jetzt dort für die Reste der Radikalsozialisten und einige andere gebraucht wird - werden verhältnismäßig gering sein. Die Partei Pinays, die den schönen Namen „Unabhängige" hat, wird nach Schätzung der Herren um die hundert Sitze erhalten. Die neue Partei unter Soustelle und Debre wird die stärkste Partei werden; man schätzt, dass sie 150 Mitglieder bekommen wird. Das ist natürlich eine etwas weniger angenehme Nachricht. Wir können nur hoffen, dass es de Gaulle - der ja dieser Partei verboten hat, auch seinen Namen zu führen - gelingen wird, diese Partei, in der sicher auch rechtsradikale Elemente sind, zu einer vernünftigen Partei zu erziehen. Bei dem großen Ansehen, das de Gaulle in Frankreich hat - das durch seinen Erfolg bei der Abstimmung über die Verfassung und jetzt durch diesen Wahlerfolg noch weiter gestiegen ist -, können wir das wohl hoffen.

Es ist wohl auch kein Zweifel daran erlaubt, dass Herr de Gaulle binnen kurzem Staatspräsident von Frankreich wird, und zwar mit all den Machtbefugnissen, die der Staatspräsident Frankreichs nach der neuen Verfassung haben wird. Alles in allem genommen kann man wohl folgendes sagen über die Entwicklung in Frankreich: Bis Herr de Gaulle kam, hat uns die Entwicklung in Frankreich sehr große Sorgen gemacht, weil dort eine stabile Regierung überhaupt nicht möglich war und deswegen echte politische Entschlüsse kaum gefasst werden konnten. Alles war mehr oder weniger dem Zufall anheimgegeben. Insofern ist der stabile Kurs, der jetzt kommen wird, für uns alle ein Gewinn. Es ist auch - und das wird Sie vielleicht im ersten Augenblick befremden, wenn ich das sage - ein Gewinn, dass nunmehr Frankreich ein größeres politisches Gewicht haben wird als bisher. Der eine oder andere wird vielleicht sagen, das geht auf unsere Kosten. Ich sage, nein, das geht nicht auf unsere Kosten; denn letzten Endes werden auch wir einen Vorteil davon haben, dass das französische politische Gewicht stärker wird, als es bisher war, weil wir doch in erster Linie auch Europäer sind und weil dieses größere Gewicht Frankreichs ganz sicher nach der Entwicklung, die wir nun unter de Gaulle gesehen haben, der europäischen Sache zugute kommt.

Es war bei der Zusammenkunft auch viel die Rede von der sogenannten Freihandelszone. Wer dieses Wort erfunden hat, weiß ich nicht. Ich kann mir nichts darunter vorstellen - das muss ich ganz offen sagen -, wenn ich das Wort an sich lese. Ich weiß, was gemeint ist, aber das Wort an sich besagt doch gar nichts. In den offiziellen Dokumenten ist bisher ein anderer Ausdruck dafür gewählt worden, an den wir uns auch gewöhnen sollten; dort spricht man nämlich von einer wirtschaftlichen Assoziation. Darunter kann man sich, auch wenn dieses Wort schwer auszusprechen ist, etwas mehr vorstellen.

Sie kennen die Haltung Großbritanniens und wissen, dass der Maudling-Ausschuss seine Verhandlungen abgebrochen hat; er hat sich aber nicht aufgelöst. Ein an führender Stelle stehender deutscher Wirtschaftler, der die französischen und englischen Verhältnisse sehr gut kennt, sagte mir: Das Unglück bei der ganzen Sache ist, dass fast nur Wirtschaftler dabei waren. Wenn man die Regelung einer Angelegenheit, die in erster Linie eine politische und erst in zweiter Linie eine wirtschaftliche Angelegenheit ist, den Wirtschaftlern allein überlässt, kommt nie etwas Vernünftiges dabei heraus, weil jeder nur an seine Wirtschaft denkt. - Ich meine, der Mann hat recht, auch wenn das mancher Wirtschaftler, vielleicht auch manches Wirtschaftsministerium oder auch mancher Staatssekretär eines Wirtschaftsministeriums - das möchte ich besonders unterstreichen -, wie ich gehört habe, bestreiten.

Nun war von den Franzosen ausgehend zunächst der Vorschlag gemacht worden, man solle unbeschadet dessen, dass der Ministerrat der sechs Länder die Entscheidung hat, zur Vorbereitung der Entscheidung die Kommission des Gemeinsamen Marktes unter Herrn Hallstein einsetzen. Zu diesem Ergebnis sind wir dann auch gekommen. Ich will die Einzelheiten nicht anführen; denn das würde zu lange aufhalten, aber das war das Ergebnis dieser Verhandlungen, dass die Kommission das Terrain sondieren und mit den Regierungen der sechs Länder und Großbritanniens eine lose Fühlung aufnehmen solle. Dann solle der Ministerrat der sechs Länder einen Bericht erstatten. Eventuell soll dann auch die Kommission unter Hallstein beauftragt werden, die ganzen Verhandlungen in die Hand zu nehmen. Ich glaube, dass das ein weiser und guter Beschluss ist und dass er jedenfalls viel mehr Aussicht auf Erfolg hat, zu einer Assoziation mit Großbritannien usw. zu kommen, als wenn man in der Weise wie bisher, nun schon seit zwei Jahren, weiter verhandelt. Dieser Beschluss, den wir gefasst haben, ist natürlich nur ein Beschluss von Frankreich und Deutschland, und er muss nun dem Rat der sechs Länder unterbreitet werden; ob die anderen vier ihm zustimmen, wird sich finden.

Es ist also der Anfang einer Ordnung in den Verhandlungen, die wohl Erfolg bringen werden, gemacht. Sowohl de Gaulle wie auch wir haben bekräftigt, dass wir den europäischen Markt der sechs Länder nicht opfern wollen zuliebe einer Regelung der Freihandelszone; denn dieser Kern, den wir geschaffen haben, diese Gemeinschaft der sechs Länder, muss unter allen Umständen erhalten bleiben.

Herr von Brentano hat die Freundlichkeit, mich noch einmal darauf aufmerksam zu machen, Ihnen nachdrücklich zu sagen, dass alle diese Mitteilungen, die ich mache, absolut vertraulich gehalten werden müssen; sie dürfen unter keinen Umständen in die Presse kommen. Bitte tun Sie das! Ich vertraue darauf, dass Sie bei der Bedeutung dieser ganzen Angelegenheit die Vertraulichkeit wahren. Wir können uns auch unter Parteifreunden nicht offen aussprechen, wenn wir nicht ganz gewiss sind, dass die Vertraulichkeit auch wirklich gewahrt wird.

Nun moöchte ich ein Wort zu Berlin sagen. Die ersten Nachrichten waren ja außerordentlich alarmierend. Ich kann nicht behaupten, dass die Situation jetzt entspannt sei; davon kann keine Rede sein, aber wir haben jetzt etwas mehr Zeit für uns selbst, um die ganze Frage zu durchdenken, und auch, um mit den drei Westalliierten die Frage in Ruhe zu besprechen. Ich habe es eigentlich nicht ganz für gut gehalten, dass jede Äußerung des Herrn Chruschtschow nun sofort einen Barometersturz herbeiführt, wie man ihn selten erlebt. Ich bin der Auffassung, dass man gerade wegen der großen Gefahr umso weniger voreilig sprechen und schreiben soll.

(Lebhafter Beifall.)

Das gilt nicht nur für die deutsche Seite, sondern auch für unsere Verbündeten. Auch da sollte man Ruhe bewahren und nicht zu schnell etwas sagen; denn gewöhnlich ist es doch so, dass man unter dem ersten Eindruck einer Nachricht etwas sagt, was man nach dreimal vierundzwanzig Stunden Überlegung nicht gesagt haben würde. Das gilt in diesem Fall besonders, weil wir ja die Chruschtschow-Note noch gar nicht kannten. Aber Herr Chruschtschow hat es wieder einmal verstanden, kurz vor seinem Parteitag die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zu lenken. Das gilt für die Zeitungen aller Länder. Und Chruschtschow steht wieder da, als wenn von ihm, seinem Stirnrunzeln und seinen Gedanken nun das Schicksal der Welt abhinge. Selbstverständlich ist das von größter Bedeutung, was Russland wirklich will, aber ein Amerikaner hat kurz danach, als die Krise begonnen hat, geschrieben, dass Chruschtschow der größte Schauspieler dieses Jahrhunderts sei. Wir sollten uns also abgewöhnen, nun sofort mit einer gewissen Siedehitze über alle diese Fragen herzustürzen und Kombinationen - ich drücke es deutsch aus - in der Öffentlichkeit auszusprechen, die sich hinterher als verfrüht erweisen. Sie wissen, wie die Sache jetzt steht. Die Note, die Chruschtschow gestern den drei westlichen Botschaftern hat übergeben lassen, umfasst 24 Seiten. Wir haben eine von 18 Seiten, die DDR hat eine von 12 Seiten bekommen. Das ist keine Unterschätzung der DDR, sondern die waren sich schon lange einig. Zur Ausarbeitung einer solchen Menge Papiers gehört Ruhe und Besonnenheit. Erwarten Sie bitte nicht von Herrn von Brentano, dass er nun ausführliche Darstellungen darüber gibt. Dazu ist er nicht in der Lage, weil diese Note erst übersetzt und geprüft werden muss. Es wäre auch nicht richtig, jetzt schon zu prophezeien, was geschehen und was nicht geschehen soll. Nehmen Sie die eine Versicherung entgegen, wir stehen absolut dafür ein, dass Berlin weiter unter dem Schutz der westalliierten Truppen bleibt. Das ist schließlich die Hauptsache!

(Beifall.)

Ich gehe auch nicht zu weit, wenn ich Ihnen sage, dass die drei Westalliierten auf dem gleichen Standpunkt stehen. Das ist wirklich - ich unterstreiche es noch einmal - die Hauptsache: der Schutz der alliierten Truppen. Von einer freien Stadt zu reden und von einem Weihnachtsgeschenk für das deutsche Volk - wie Smirnow gesagt hat -, das ist alles - ich habe den Ausdruck gestern gebraucht und möchte ihn auch heute gebrauchen - fauler Zauber, auf den wir nicht hereinfallen sollten.

Dass diese Note sehr ernst zu nehmen ist, darüber kann man nicht zweifeln, aber die ganze Geschichte hat nach meiner Meinung schlagend bewiesen, dass das ganze Gerede der sozialdemokratischen Seite, um Gottes willen freundlich, freundlich, freundlich sein - einzelne Sozialdemokraten haben sogar gesagt, man solle nicht einmal mehr von der Wiedervereinigung sprechen, damit die Russen nicht verstimmt werden -, sinnlos, zwecklos und schädlich ist. Gerade ein solches Gerede von einer so großen Partei, wie die Sozialdemokratische Partei es ist, ermutigt doch die Russen, immer weiter voranzustoßen, weil sie glauben, hier in der Bundesrepublik doch Zeichen von Aufweichung zu sehen.

(Zurufe: Sehr richtig!)

Wer einmal die Zeit dafür hat, in die Protokolle des Bundestages zu sehen, wie sich nun seit 1949 der Ton und die Forderungen der Sozialdemokraten gegenüber Sowjetrussland immer mehr zu einem melodischen Plätschern gemildert haben, der sieht am besten daraus, dass die Sozialdemokratie auf einem falschen Wege ist, auf dem wir ihr nicht folgen werden.

(Beifall.)

Ich glaube, ich habe Ihnen nun einen genügenden Überblick über die gesamte Entwicklung gegeben, und bitte Sie, wenn Sie irgendwelche Fragen haben, sie nun an mich zu stellen.

 

Quelle: Sitzung des Bundesparteiausschusses der CDU am 28.11.1958 in Bonn (Bundeshaus). Maschinenschriftliches Wortprotokoll (Durchdruck).