29. April 1952

Schreiben an Theodor Heuss, Bonn

Theodor Heuss (1884-1963), Dr. rer. pol., 1920-1933 an der Deutschen Hochschule für Politik, 1924-1928 und 1930-1933 MdR (DDP bzw. DStP), 1945/46 Kultusminister von Württemberg-Baden, 1948/49 FDP-Vorsitzender und Mitglied des Parlamentarischen Rates (Fraktionsvorsitzen­der), 1949-1959 Bundespräsident.

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Die Frage einer „National-Hymne" ist in den vergangenen zwei Jahren wiederholt zwischen uns besprochen worden. Ich achtete, wenn auch mit Zweifel an dem Gelingen, Ihren Versuch, durch einen neuen Text und durch eine neue Melodie über die unliebsamen Zwischenfälle hinwegzukommen, die bei der Wiedergabe oder bei dem Absingen des „Deutschland-Liedes" sich ereignet haben; es sollte vermieden bleiben, hier einen neuen Streit in unser Volk zu tragen.

Sie haben mir selber gelegentlich zum Ausdruck gebracht, dass Sie das Bemühen als gescheitert betrachten müssen. Die Gründe mögen jetzt unerörtert bleiben. Als das Ka­binett Sie vor Monaten durch mich bitten ließ, sich für die dritte Strophe des „Deutschland-Liedes" zu entscheiden, gab ich zu, dass Ihre damalige Gegenargumentation eine innere Berechtigung besaß.

Inzwischen ist nun die Frage dringend geworden, und ich muss den Wunsch der Bundesregierung darum pflicht­gemäß wiederholen. Sie wissen selber um die Lage, in der bei amtlichen Veranstaltungen unsere ausländischen Ver­tretungen sich befinden. Ich will in diesem Augenblick die innerdeutschen Gefühlsmomente, deren Gewicht von uns beiden gleich hoch gewertet wird, gar nicht in Anschlag bringen. Es ist wesentlich der außenpolitische Realismus, der uns, Ihnen wie mir, nahelegen muss, die Entscheidung nicht weiter hinauszuzögern; ich möchte auch hoffen dür­fen und glaube, dazu Grund zu haben, dass die innenpolitischen Vorbehalte, die sich auf den Missbrauch des „Deutschland-Liedes" durch die Vernichter des alten Deutschland beziehen, an Schärfe verloren haben - war es doch der Reichspräsident Friedrich Ebert, der das „Deutschland-Lied" durch eine staatsmännische Entschei­dung zur Nationalhymne erklärte.

Daher die erneute Bitte der Bundesregierung, das Hoffmann-Haydn'sche Lied als Nationalhymne anzuerkennen. Bei staatlichen Veranstaltungen soll die dritte Strophe gesungen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

gez. Adenauer

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 136f.