29. Januar 1946

Schreiben an Hans Schlange-Schöningen, Lütjenburg

Hans Schlange-Schöningen (1886-1960), Dr. h.c., 1924-1930 MdR, 1931/32 Reichskommissar für die Osthilfe und Reichs­minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Brüning, ab 1945 führender Vertreter der norddeutschen CDU, 1947-1949 Direktor für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, 1950-1953 Generalkonsul, 1953-1955 Botschafter in London.

 

Sehr geehrter Herr Schlange-Schöningen!

 

Am 26.1.46 bat ich Sie telegraphisch, die Drucklegung der Broschüre, die Sie mir am 24.1.46 in Herford freund­lichst übergaben, zurückzustellen. Ich darf Ihnen in fol­gendem die Gründe meiner Bitte darlegen.

1. An zwei Stellen, in den Rundschreiben 1 und 2, wird das alte Zentrum „ultramontan" genannt. Von jeher wur­de diese Bezeichnung von den Mitgliedern der früheren Zentrumspartei als beleidigend empfunden. Ich bin über­zeugt davon, dass es Ihnen völlig ferngelegen hat, irgend jemanden durch den Gebrauch dieses Wortes zu kränken, aber es dürfte wohl richtig sein, den Gebrauch dieses Wortes ganz zu vermeiden.

2. Im Rundschreiben Nr. 1 heißt es: „Wir können der So­zialdemokratie nur aufrichtig wünschen, dass es ihr gelin­gen möge, in klarer Frontstellung gegen die Kommunisten die große, bejahende Arbeiterpartei zu werden, etwa wie England sie in der Labourpartei besitzt." Dieser an die SPD gerichtete Wunsch verkennt m. E. völlig, dass die CDU mindestens mit demselben Recht die Handarbeiter zu ihren Mitgliedern zählt und zählen muss wie die SPD. Auch die Gleichstellung der SPD mit der Labourpartei ist nicht zutreffend. Soweit ein Vergleich zwischen Parteien verschiedener Länder möglich ist, glaube ich, dass hin­sichtlich Wählerschaft und Abgeordneten der Labour­partei eine Parallele zwischen ihr und der CDU viel eher gezogen werden kann als zwischen ihr und der SPD. - Die Veröffentlichung und Verbreitung dieser im Rundschrei­ben Nr. 1 ausgesprochenen Ansichten wird - das glaube ich mit Bestimmtheit sagen zu können - in den breitesten Schichten der CDU schärfsten Widerspruch hervorrufen.

3. An mehreren Stellen in allen Rundschreiben ist von der christlich-demokratischen Aufbaupartei, dann von der Union die Rede als von einer „Rechts"partei. Das ist m. E. nicht richtig. Ich fürchte auch hier sehr scharfen Wider­spruch von breitesten Schichten der CDU, wenn von so angesehenen Männern wie Sie eine derartige Anschauung über das Wesen der CDU verbreitet wird. „Rechtspartei" und „Linkspartei" sind relative Begriffe, die man zweck­mäßiger Weise m. E. überhaupt gegenüber jeder Partei vermeidet, bis ein festes Gefüge mehrerer Parteien ent­standen ist. Wir wissen aber gar nicht, welche Parteien sich noch in Deutschland bilden werden, noch, wie sie stehen werden. Die Bezeichnung „Rechts", „Links" oder die Worte „alle Kreise rechts von der Sozialdemokratie" geben m. E. ein unzutreffendes Bild von unserer Partei. Sie verleiten den, der von früher her mit den Worten „Rechts", „Links" eine bestimmte Vorstellung verbindet, sich eine falsche Vorstellung von unserer Partei zu machen, auf sie würde, wenn man frühere Bezeichnungen überhaupt gebrauchen will, noch am ehesten das Wort „Mitte" zutreffen. - Wir werden in der nächsten Sitzung des Zonenausschusses ein Parteiprogramm feststellen. Nach diesem Programm wollen wir arbeiten, nach diesem Programm und nach unserer Arbeit sollen uns die Wähler beurteilen.

[4.] In Ihren Rundschreiben wird der Gedanke, alle rechts von der Sozialdemokratie Stehenden zu sammeln, der Sammlungsgedanke, an verschiedenen Stellen stark unterstrichen. Es könnte daraus der Eindruck entstehen, dass der Sammlungsgedanke unser Leitgedanke sei. Wir dürfen aber m. E. keine Sammelpartei sein, sondern wir müssen eine Partei sein mit eigenem, neuen Programm. Auf „Sammlung" als Fundament lässt sich keine neue Partei aufbauen, weil „Sammlung" nichts in die Zukunft Weisendes ist.

Eine neue Partei wie die unsrige entwickelt erst im Ver­laufe einer gewissen Zeit die ihr zu Grunde liegenden Ideen zu festen und klar umrissenen Programmsätzen. Zu diesem Abschluss unserer Entwicklung kommen wir hof­fentlich auf der Tagung des Zonenausschusses Ende Fe­bruar. Dann werden manche im Stadium der Entstehung der Partei gemachten Ausführungen als nicht zutreffend oder als überholt erscheinen. Bitte prüfen Sie, ob sich unter diesem Gesichtspunkt die neue Verbreitung Ihrer Rundschreiben empfiehlt, ob nicht nach Feststellung des Parteiprogramms ein neues, dies Programm behandelndes Rundschreiben zweckmäßiger ist.

Sollten Sie in wesentlichen Punkten mit meinen vorste­henden Ausführungen nicht einverstanden sein, so haben Sie die Freundlichkeit, mir Ihre Gegenargumente so bald mitzuteilen, dass ich mein heutiges Schreiben und Ihre Antwort den übrigen Mitgliedern des Zonenausschusses zwecks Vorbereitung der Diskussion baldigst mitteilen kann.

Meine vorstehenden Ausführungen habe ich zu meiner Selbstkontrolle mehreren, mir erreichbaren, hervorragen­den Mitgliedern unserer Partei aus beiden Confessionen und den verschiedensten Ständen vorgetragen und bei ihnen uneingeschränkte Zustimmung gefunden.

Mit hochachtungsvollen Grüßen bin ich

 

Ihr sehr ergebener

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 35-38.