29. Januar 1964

Brief an Axel Springer, Hamburg

 

Lieber Herr Springer!

Vielen Dank für Ihren Brief vom 27. Januar nebst Anlage. In der Zwischenzeit ist ja eine gewisse Klärung des Zieles der Reise des französischen Finanzministers nach Moskau eingetreten. Ich habe in der Zwischenzeit auch festgestellt, daß bei dem bisherigen Handelsvertrag die französische Ausfuhr nach Rußland die russische Ausfuhr nach Frankreich jährlich um über 200 Millionen Franken überstieg. Es mußte also eine Änderung des Handelsvertrages von Frankreich herbeigeführt werden. Über langfristige Kredite an Sowjetrußland ist, wie Sie wohl auch aus der UPI-Meldung vom 28. ersehen haben, nichts vereinbart worden. Das Problem werde von Fall zu Fall diskutiert. Ich sehe also die ganze Situation etwas ruhiger an, aber wir werden sehr aufpassen müssen. Vor allem glaube ich wird es notwendig sein, daß die Bundesregierung zweierlei tut:

1. Es muß Klarheit darüber geschaffen werden: War die Bundesrepublik wegen der Absicht Frankreichs, diplomatische Beziehungen zu Rotchina herzustellen, konsultiert worden oder nicht?
Die deutschen und die französischen Erklärungen über diese Frage widersprechen einander völlig. Falls wir konsultiert worden sind, wird die deutsche Behauptung, es sei keine Konsultation erfolgt, die französische Regierung und insbesondere Herrn de Gaulle sehr verstimmen.

2. Die Bundesregierung sollte mit Nachdruck darauf bestehen, daß die Frage der Gewährung von langfristigen Krediten an die Sowjetunion im NATO-Rat geklärt wird.
Lassen Sie mich hier ganz allgemein sagen, die Bundesregierung sollte überhaupt dafür sorgen, daß der NATO-Rat in politischen Fragen aktiver wird.

Man scheint auf der Ministerkonferenz im Dezember 1963 der Erörterung schwieriger Fragen aus dem Wege gegangen zu sein, weil man glaubte, eine einheitliche Stellungnahme sei nicht herbeizuführen. Ich möchte hier darauf hinweisen, daß für die Tagung des Ministerrates drei Tage vorgesehen waren, daß man aber schon nach 1 1/2 Tagen mit einem ziemlich inhaltslosen Kommuniqué auseinandergegangen ist.

Ich wäre glücklich, wenn Ihre Blätter nach wie vor das Thema der Gewährung von langfristigen Krediten an die Sowjetunion immer wieder zur Sprache brächten und wenn sie sich ebenfalls für eine stärkere politische Aktivität von NATO einsetzten. Vielleicht ist es Ihnen möglich, bald einmal hier vorbeizukommen, damit wir über die ganze politische Lage sprechen.

Mit vielen Grüßen
Ihr ergebener

Adenauer

 

Quelle: Original im Unternehmensarchiv Axel Springer Verlag, NL Axel Springer, auf Kopfbogen "Konrad Adenauer"; StBKAH 11/14, Durchschlag. Abgedruckt in: Adenauer. Die letzten Lebensjahre 1965-1967. Briefe und Aufzeichnungen, Gespräche, Interviews und Reden (Rhöndorfer Ausgabe). Bd. I: Oktober 1963 - September 1965. Hg. von Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz. Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn 2009, S. 133f.