André François-Poncet (1887-1978), französischer Botschafter in Berlin (1931-1938), Rom (1938-1940) und Bonn (1953-1955), dort zuvor Hoher Kommissar (1949-1953). - Sir Ivone A. Kirkpatrick (1897-1964), 1948-1950 Leiter der Deutschland-Abteilung im Foreign Office (dort 1953-1957 Unterstaatssekretär), 1950-1953 Hoher Kommissar Großbritanniens in der Bundesrepublik.
Sehr geehrter Herr Botschafter,
Sehr geehrter Sir Ivone,
als Anlage beehre ich mich, die Vorschläge zur Änderung des Entwurfs der Antwort der Westmächte auf die Note der sowjetrussischen Regierung vom 24. Mai 1952 zu überreichen, die ich heute früh angekündigt habe. Zur Begründung und Erläuterung dieser Vorschläge darf ich auf die Ausführungen Bezug nehmen, die ich heute Vormittag mündlich gemacht habe.
Ich bin nach wie vor überzeugt, dass alles getan werden muss, um möglichst bald erfolgversprechende Vier-Mächte-Besprechungen über die Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden zu erreichen. Ich muss aber im gemeinsamen Interesse mit allem Ernst davor warnen, dass Schritte getan werden, die das Gesetz des Handelns in die Hand der sowjetrussischen Regierung legen und die die Gefahr heraufbeschwören, dass infolgedessen die Ratifikation der vor kurzem abgeschlossenen Vertragswerke verzögert und dadurch schließlich vereitelt wird.
Um eine unnötige Verzögerung zu vermeiden, habe ich mich darauf beschränkt, in der Anlage diejenigen Änderungen des Entwurfs mitzuteilen, die mir im gemeinsamen Interesse und im Hinblick auf die besondere Situation Deutschlands unerläßlich erscheinen. Ich bitte Ihre Regierung davon zu unterrichten, dass ich auf die vorgeschlagenen Änderungen das größte Gewicht lege. Ganz besonders gilt das für diejenigen Punkte, die die Gewähr der völligen Freiheit der in der Sowjetzone abzuhaltenden Wahlen betreffen. Um diese zu gewährleisten, genügt es nicht, dass man sich von Seiten der Westmächte und von Seiten Sowjetrusslands desselben Wortes „freie Wahlen" bedient. Man muss sicherstellen, dass unter diesem Wort dasselbe verstanden wird, das heißt, dass in der Sowjetzone Zustände hergestellt werden - und zwar vor, während und nach den Wahlen -, die es den dort lebenden Menschen möglich machen, ihre politische Überzeugung ohne Furcht und in voller Unabhängigkeit zu bekunden. Gerade die Bewohner der Ostzone würden es, wie wir aus vielen Zeugnissen wissen, nicht verstehen, wenn die Westmächte in der Forderung dieser Garantien heute weniger Nachdruck zeigen als in früheren Noten. Dies ist um so notwendiger, als gerade die Willkürakte und Grausamkeiten, durch die in den letzten Wochen die Trennung zwischen der Sowjetzone und der Bundesrepublik verschärft worden ist, das ganze Maß der in der Sowjetzone bestehenden Unfreiheit deutlich zum Bewusstsein der Bevölkerung gebracht haben. Die Hoffnung der Bewohner der Sowjetzone, dass der Westen in der Forderung jener Freiheitsgarantien völlig unnachgiebig ist, darf unter keinen Umständen enttäuscht werden.
Im übrigen erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass eine Anzahl von Formulierungen, gegen die ich Bedenken erhoben habe, in der Besprechung heute morgen gerade mit dem deutschen Interesse begründet worden sind. Es dürfte daher nicht allzu schwer sein, diese Formulierungen fallenzulassen, wenn die Bundesregierung gegen sie Bedenken geltend macht.
Sollte Ihre Regierung in bezug auf die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Änderungen nicht mit mir übereinstimmen, so halte ich einen erneuten Meinungsaustausch vor Abgang der Note für dringend notwendig, da es mir in hohem Maße unerwünscht erscheint, dass in der gegenwärtigen Situation in bezug auf die Behandlung der sowjetischen Note Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen der Westmächte und der Bundesregierung offenkundig werden.
Ich bitte, diesen Brief zusammen mit der Anlage zur Kenntnis Ihrer Regierung zu bringen.
Genehmigen Sie, Herr Botschafter Sir Ivone, den Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.
(Adenauer)
Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 138-143.