3. Juli 1957

Ansprache im Bayerischen Rundfunk zur Abrüstungspolitik

Während man in Deutschland über politische Dinge dieser und jener Art sich verzankt und streitet, geht die weltgeschichtliche Entwicklung ihren Gang weiter. Die weltgeschichtliche Auseinandersetzung, die ohne unser Zutun in Gang gekommen ist, von deren Ausgang aber letzten Endes das Schicksal Deutschlands völlig abhängt, nähert sich sogar in den nächsten Jahren einem entscheidenden Punkt. Deutschland ist durch seine geographische Lage, durch die Kraft und Intelligenz, das Potential seiner Bevölkerung, durch seine wirtschaftliche Macht mitten in dies Weltgeschehen hineingestellt und mit ihm unlöslich verbunden. Seine geographische Lage hat schon seit Jahrhunderten, besonders in den letzten 150 Jahren, Deutschland zu einem bestimmten Faktor geschichtlichen Geschehens gemacht. Diese schicksalhafte Bedeutung ist Deutschland verblieben trotz seiner Niederlage, trotz seines Zusammenbruchs und trotz der Veränderung der ganzen Weltlage. Man mag das begrüßen, man mag es beklagen. An der Tatsache selbst vorbeigehen, die Augen vor ihr zu verschließen, zu glauben, dass es für Deutschland ein politisch und wirtschaftlich isoliertes Dasein gebe, ungestört von den Spannungen und Auseinandersetzungen in der Welt, das ist aus realen Gründen unmöglich, das ist ein Wunschtraum, eine Illusion. Das heißt Deutschland nicht aus dem Weltgeschehen heraushalten, sondern Deutschland als Objekt mitten in dieses Weltgeschehen hineinstoßen. Das würde schließlich bedeuten, Deutschland zum Satelliten eines Europa beherrschenden Russlands zu machen.

Zwei Riesenmächte sind aus dem Krieg hervorgegangen, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion. Alle anderen Mächte, auch die früheren Großmächte, haben diesen beiden gegenüber derartig an Macht verloren, dass keine von ihnen für sich allein den Gefahren der Weltlage die Stirn bieten kann. Die Gefahr der Weltlage aber hat sich entwickelt aus dem Gegensatz zwischen den Vereinigten Staaten, die Freiheit für alle wollen, und Sowjetrussland, das alle Völker seiner Diktatur unterwerfen will. Ich spreche nicht gern in diesen Tagen wirtschaftlicher Blüte so ernst zum deutschen Volke; aber ich fühle mich dazu verpflichtet. Ich fühle mich besonders dazu verpflichtet, wenn ich sehe, wie in der deutschen Öffentlichkeit, auch in den Parlamenten, nur zu leicht und zu gern dieser entsetzliche Ernst der ganzen Lage, auch unserer Lage, vergessen wird. Lassen Sie mich es noch einmal sagen: Wenn es zu scharfen Verwicklungen und Auseinandersetzungen zwischen den Vereinigten Staaten und Sowjetrussland kommt, dann sind wir mitten in einem Brennpunkt dieser Auseinandersetzung, mit allen furchtbaren Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Eine deutsche Bundesregierung mag vorher erklärt haben: „Wir sind neutral, wir haben keine Wehrpflicht, auf unserem Gebiet sind keine atomaren Waffen", - das alles würde uns gar nichts helfen. Ein großer Krieg würde unsere Grenzen nicht beachten, und wir können sie nicht schützen, weil wir dazu zu schwach sind. In einem großen Atomkrieg würden die radioaktiven Wolken, vom Winde, den wir doch wahrhaftig nicht aufhalten können, getrieben, auch über ein neutralisiertes oder sich für neutral erklärendes Deutschland hinweggehen.

Aber der große Krieg, der weite Gebiete der Erde verwüsten, ungezählte Millionen Menschenleben vernichten würde, ist nicht unvermeidbar. Er kann verhütet werden, und er muss verhütet werden. Und zwar durch eine allgemeine kontrollierte Abrüstung. Diese wird kommen, wenn die freien Völker des Westens sich fest zusammenschließen, wenn sie zusammengeschlossen so stark sind, dass Sowjetrussland einsieht: Diese Front steht fest; sie ist so stark, dass ein Angriff gegen sie Selbstmord für Sowjetrussland sein würde. Dann, aber auch nur dann, wird es - daran glaube ich - zu einer allgemeinen kontrollierten Abrüstung kommen. Aber sie wird niemals erreicht werden, wenn Sowjetrussland glaubt, dass diese Abwehrfront der freien Völker schließlich doch sich auflösen wird. Darum muss alles geschehen in der deutschen Politik, um das Band, das uns mit den freien Völkern im NATO-Bündnis vereint, zu stärken und zu festigen. Und alles muss vermieden werden, was geeignet ist, dieses Band, das uns mit den freien Völkern umschließt, zu lösen oder zu schwächen.

Der größte Fehler, den man in der Politik machen kann, den man insbesondere in der Außenpolitik machen kann, weil die in ihr begangenen Fehler sich in der Regel nicht mehr korrigieren lassen, ist, seine Entscheidungen lediglich im Hinblick auf eine augenblickliche Situation zu fällen. Besonders in der Außenpolitik gibt es Entwicklungstendenzen und Entwicklungsreihen, die man niemals ungestraft außer acht lässt. Wenn man sie außer acht lässt, begeht man einen Fehler, der sich bitter rächen wird. Darum müssen wir bei unseren Entschließungen das beachten, was sich seit 1945 ereignet hat, wodurch es denn eigentlich zu dieser das Glück und den Frieden der Menschheit bedrohenden krisenhaften Spannung auf der Welt gekommen ist. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, warum es notwendig war, uns mit den freien Völkern des Westens im NATO-Bündnis zu verbünden, und ob wir nicht alles tun müssen, jede Lockerung dieses Bündnisses zu verhüten.

Die heutige Entwicklung hat einen entscheidenden Anstoß bekommen durch die Vorgänge der Jahre 1946 bis 1951. 1946 waren die Vereinigten Staaten allein von allen Ländern der Welt im Besitz spaltbaren Materials, der Grundlage der Atombombe. Sie haben damals den Vorschlag gemacht, alles spaltbare Material an eine internationale Behörde zu übertragen, die allein über das spaltbare Material zu verfügen hätte. Es war ein Vorschlag von einer eindeutigen Großartigkeit und Selbstlosigkeit. Denn, wie ich sagte, allein Amerika war ja im Besitz dieses Materials. Und es war bereit, einen großen Teil seiner Macht - denn diese Macht beruhte wesentlich auf dem Besitz dieses Materials -freiwillig dahinzugeben. Die Verwirklichung dieses Vorschlages hätte der Menschheit unendlich viel Sorge und Angst erspart. Es wäre niemals zu der gefährlichen Lage von heute gekommen. Die ungeheuren Summen, die seitdem für atomarische Aufrüstung

verbraucht worden sind, hätten für soziale, das Wohl aller Menschen fördernde Zwecke zur Verfügung gestanden. Dieser Vorschlag der Vereinigten Staaten aber ist abgelehnt worden, und zwar ist er abgelehnt worden durch die Sowjetunion. Es gibt für mich keinen schlagenderen und konkreteren Beweis für die wirklichen Tendenzen der beiden Weltmächte. Die Vereinigten Staaten machen einen selbstlosen Vorschlag, sie erklären sich bereit, diesen Teil, den entscheidendsten Teil ihrer Macht, aus den Händen zu geben. Die Sowjetunion aber lehnte diesen Vorschlag ab. Diese aggressive Tendenz, der Wille, andere Völker zu unterjochen, hat sich dann in den folgenden Jahren durch die Unterjochung der Satellitenstaaten gezeigt, bis die Vereinigten Staaten, die nach 1945 abgerüstet hatten, durch die Tatsache einer neuen Aufrüstung dem weiteren russischen Vordringen in Europa Einhalt geboten haben.

Diejenigen, die später den russischen Versicherungen Glauben geschenkt haben, Stalin habe diese Politik der Aggression und Unterdrückung anderer Völker gewollt, mit seinem Tode sei es anders geworden, kann man nur auf das verweisen, was im letzten Jahr und was zur Zeit in Ungarn geschieht. Sie wissen, dass die UNO eine Untersuchungskommission über die Vorgänge in Ungarn eingesetzt hat. Diese Kommission hat ihren Bericht erstattet. Sie hat einstimmig festgestellt, dass das Eingreifen der Sowjets in Ungarn am 4. November 1956 eine offenbare Aggression gegenüber einem freien Volke und seiner von ihm gewollten Regierung gewesen ist. Sowjetrussland hat mit Gewalt und Terror dieses freie Ungarn zertrümmert und eine neue kommunistische Herrschaft dort eingesetzt, die unter dem Schutz der in Ungarn stehenden sowjetischen Divisionen die freiheitsliebende ungarische Bevölkerung weiter peinigt und terrorisiert. Nicht Reden, nicht Drohungen, nicht Reisen, nicht schöne Worte der Staatsmänner der Sowjetunion können an diesen Tatsachen etwas ändern.

Trotz dieses Verhaltens der Sowjetunion begrüßen wir es, dass die Verhandlungen der Unterkommission der Abrüstungskommission der UNO, die im März dieses Jahres in London begonnen haben, nach einer kurzen Unterbrechung nunmehr wieder in Gang gekommen sind. Die Vorschläge der Vereinigten Staaten, die im Einvernehmen mit ihren Verbündeten gemacht werden und die uns bekannt sind, sind sehr weitgehend und geeignet, durch eine allgemeine kontrollierte Abrüstung, und zwar sowohl auf dem Gebiete der Atomwaffen wie auf dem Gebiete der konventionellen Waffen, endlich der Welt wieder Ruhe zu geben.

Es ist später behauptet worden, dass die Bundesrepublik, dass speziell ich ein Hindernis sei für den Fortgang der Verhandlungen. Eine blanke Erfindung. Wir waren auch kein Hindernis in der Frage der Inspektion europäischer Gebiete. Ich habe schon früher öffentlich erklärt, dass wir nichts gegen eine Inspektion unseres Landes hätten. Im übrigen glaube ich, dass man sich daran erinnern sollte, dass wir schon einer Inspektion durch die Westeuropäische Union unterliegen. Man sollte sich auch daran erinnern, dass in der Bundesrepublik sich aus der Zeit des Viermächteabkommens eine russische Militärmission befindet - ihr Sitz ist Baden-Baden -, die genau sich darüber unterrichtet, was bei uns auf militärischem Gebiete vorgeht. Ich bin auch überzeugt, dass die Russen das Gebiet der Bundesrepublik aus irgendwelchen Flugzeugen heraus ständig kontrollieren und fotografieren.

Für den Entschluss der Vereinigten Staaten, zuerst eine Inspektion in der Arktis vorzuschlagen, nicht zuerst eine Inspektion der europäischen Länder, war maßgebend allein der Gedanke, dass man schneller vorankommen müsse, wenn man - wenigstens zunächst - die europäischen Gebiete zurückstellte, weil zu deren Kontrolle der Beschluss zahlreicher Parlamente notwendig ist. Ich erkläre ausdrücklich, dass wir zu jeder möglichen Unterstützung einer kontrollierten Abrüstung auf dem Gebiete der atomaren und konventionellen Waffen bereit sind. Wir gehen dabei von der Voraussetzung aus, dass gleichzeitig auch die Ursachen der verschiedenen Spannungen beseitigt werden. Dazu rechnen wir in erster Linie die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Hierfür haben wir von unseren Partnern, insbesondere von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, den drei früheren westlichen Besatzungsmächten, bindende Zusagen erhalten.

Die Abrüstungsverhandlungen werden sehr lange dauern. Herr Dulles schätzt ihre Dauer auf ein bis zwei Jahre. Man wird dem beipflichten müssen, wenn man die Vielfalt und Schwierigkeit der zu regelnden Tatbestände und die Verhandlungstaktik Sowjetrusslands berücksichtigt. Wir dürfen da aber nicht die Geduld verlieren, und wir werden sie nicht verlieren. Dafür ist das Ziel, das es zu erreichen gilt, zu groß. Ich bin der festen und unerschütterten Überzeugung, dass Sowjetrussland zu einer solchen Abrüstung dann bereit sein wird, wenn es sich einer geschlossenen, festen und unerschütterlichen Front der westlichen freien Völker, in der NATO zusammengeschlossen, gegenübersieht.

 

Quelle: StBKAH, maschinenschriftlicher Text des BPA (hektographiert).