30. Dezember 1950

1951 entscheidungsvolles Jahr - Freiheit - Gerechtigkeit

Von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer

 

Zu Beginn des neuen Jahres steht die außenpolitische Lage der Bundesrepublik im Vordergrund des allgemeinen Interesses. In der Tat kennzeichnet der Umstand, daß in den ersten Januartagen zwischen deutschen und westalliierten Vertretern Besprechungen über die Möglichkeiten eines deutschen Verteidigungsbeitrages stattfinden, das Ausmaß und die Tragweite der Entscheidungen, die im Jahre 1951 unserer warten.

Bisher konnten sich die Anstrengungen der Bundesregierung und der Bevölkerung der Bundesrepublik auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau, die Festigung der staatlichen Ordnung und die harmonische Einrichtung des sozialen Gefüges konzentrieren. Wir dürfen darauf hinweisen, daß die Arbeit, die nach dem Zusammenbruch geleistet wurde, auch außerhalb Deutschlands Bewunderung und Anerkennung gefunden hat. Tatsächlich haben sich die allgemeinen Lebensverhältnisse dank der Leistungen und Anstrengungen der Deutschen aller Schichten und Stände in erstaunlichem Maße gebessert. Aber wir haben vor allem in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres erfahren müssen, wie sehr wir von den Entwicklungen und Schwankungen der Weltpolitik und der Weltwirtschaft abhängig sind. Es wird dem Einsichtigen klar sein, daß wir nicht auf uns allein gestellt planen und handeln können. Das Ziel unserer außenpolitischen Bemühungen wird deshalb die Festigung der Stellung der Bundesrepublik in ihrer Umwelt und die sinnvolle Einordnung der deutschen Aktivität in den großen Rahmen des Wirkens der freien Völker sein müssen. Nur dann wird sichergestellt werden, daß unser eigener Weg nicht in einer Sackgasse endet oder wir des Ertrages unserer Arbeit durch eine katastrophale Entwicklung, der wir uns allein gegenüberstehen könnten, verlustig gehen.

Die besonderen Gegebenheiten der deutschen Lage, wie sie uns in der Besetzung durch unter sich uneinige Großmächte und die Teilung des Landes vor Augen treten, legen der Bundesregierung und überhaupt jedem deutschen Politiker eine besondere Verantwortung im Hinblick auf die Erhaltung und Festigung des Friedens auf. Ich hoffe, daß man nirgendwo in der Welt einen Zweifel darüber hegt, daß die Bundesrepublik keine aggressive Politik treiben wird und den Krieg nicht als ein geeignetes Mittel zur Bereinigung zwischenstaatlicher Streitfragen ansieht. Daraus ergibt sich auch, daß wir jede Aggression verurteilen. Der gegenwärtige Zustand der militärischen Schwäche in der westlichen Welt stellt in sich eine Gefährdung des Weltfriedens dar, und je schneller sich die Kräfteverhältnisse in Ost und West angleichen, umso ruhiger dürfen wir der zukünftigen Entwicklung entgegensehen.

In diesem Zusammenhang ist es gut, darauf hinzuweisen, daß gerade die deutschen Menschen in der Sowjetzone von uns erwarten, daß wir keine Politik betreiben, die ihrer Unfreiheit Dauer und Bestand geben würde. Daher scheint mir für die Wiederherstellung der deutschen Einheit ebenso wie für eine Entspannung des bedrohlichen Konflikts zwischen Ost und West Voraussetzung zu sein, daß der Westen und die Bundesrepublik auch in den Augen der Sowjetunion vollwertige Gesprächspartner werden.

Schwierige Hindernisse auf dem Wege zu diesen Zielen sind bereits beseitigt worden, und wir dürfen sicher sein, daß unsere Arbeit und unsere Politik uns im kommenden Jahre zu echter Partnerschaft im Kreise der demokratischen Völker verhelfen werden. Dann darf man auch von uns erwarten, daß wir bereit sind, entsprechende Pflichten zu übernehmen. Wenn wir so in der Gemeinschaft der freien Völker Sicherheit finden, dann können wir unsere Arbeit, für die politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit mit Erfolg weiter führen. Das, so meine ich, ist ein Programm, auf das sich, abgesehen vom Kampf des Tages und der Parteien, alle Deutschen, die guten Willens sind, einigen können.

 

Quelle: General-Anzeiger für Bonn und Umgebung, 30. Dezember 1950.