30. Januar 1955

Schreiben an John Foster Dulles, Washington D.C.

John Foster Dulles (1888-1959), 1946-1950 Delegierter der USA bei den Vereinten Nationen, 1953-1959 Außenminister.

 

Sehr verehrter Herr Foster Dulles,

ich danke Ihnen aufrichtig für Ihr ausführliches Schreiben vom 13. ds. Mts., von dem ich mit großem Interesse Kenntnis genommen habe.

Wenn die Parteien des Bundestags - ich darf sagen sehr zu meinem Bedauern - den Termin der zweiten Lesung der Verträge auf den 24. und 25. Februar verschoben haben, so liegt das ausschließlich an dem technischen Grunde, dass die gründliche Durcharbeitung des Vertragsstoffes und die Fertigstellung der notwendigen Ausschussberichte längere Zeit in Anspruch nehmen, als das ursprünglich vorgesehen war. Wir werden also am 24. und 25. Februar die zweite Lesung haben, an die sich die dritte Lesung sofort anschließen soll; die Behandlung im Bundesrat wird unmittelbar folgen.

Ich habe keine Zweifel, dass in den Abstimmungen hin­sichtlich der Frage der Souveränität, des Eintritts in die Westeuropäische Union und des Beitritts zu NATO gute Mehrheiten erzielt werden. Die Dinge liegen etwas anders beim Saarabkommen. Hier bestehen noch manche Schwierigkeiten. Die Sozialdemokratie ist selbstverständ­lich dagegen, aber auch innerhalb der Koalition gibt es noch starke Gruppen, die dem Saarstatut ablehnend gegenüberstehen. Ich hoffe, dass es in der Zwischenzeit gelingt, noch manche Abgeordnete der Koalition von der Notwendigkeit dieses Abkommens zu überzeugen, glaube aber, dass es nur mit geringer Mehrheit den Bundestag und Bundesrat passieren wird.

Sie waren so freundlich, mir zu sagen, dass Sie in diesen schwierigen Zeiten immer wieder daran denken, wie Sie der Bundesregierung den Weg für die Annahme der Verträge erleichtern könnten. Ich darf Ihnen hierfür herz­lich danken. Zweifellos würde es eine günstige Wirkung haben, wenn die Verhandlungen über das deutsche Eigen­tum in den Vereinigten Staaten, die in den nächsten Tagen beginnen, einen raschen und positiven Abschluss finden würden. In dieser Hinsicht wäre es mir besonders wertvoll, wenn Präsident Abs, der Leiter der deutschen Dele­gation, bei den zuständigen amerikanischen Stellen Ent­gegenkommen finden würde.

Ein entscheidendes Problem bleibt aber die Frage des Ver­hältnisses zu Sowjetrussland, und hier bin ich besonders dankbar, mich mit Ihnen in Übereinstimmung zu wissen, wenn Sie in Ihrem Brief schreiben, dass neue Bemühungen zugunsten der deutschen Wiedervereinigung und einer dauerhaften friedlichen Regelung der deutschen und österreichischen Frage unternommen werden können und müssen. Ich bin der Auffassung, dass eine Viererkonferenz unter keinen Umständen vor dem Inkrafttreten der Ver­träge angestrebt werden sollte. Ich verspreche mir wie Sie von Verhandlungen mit den Sowjets erst dann eine gewis­se Erfolgschance, wenn das westliche Bündnissystem Tat­sache geworden ist. Auf der anderen Seite erscheint es mir aber notwendig, dass wir rechtzeitig, das heißt unmittelbar nach Inkrafttreten der Verträge, eine Studiengruppe nach London berufen, in der Vertreter der Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs und der Bundesrepublik in einen gründlichen Gedankenaustausch über die Lösung der großen Probleme, insbesondere der Wiedervereinigung und eines Systems der kollektiven Sicherheit, eintreten. Nur eine sorgfältige Vorarbeit gibt uns die Möglichkeit, nach Inkrafttreten der Verträge mit der sowjetischen Regierung zunächst einen diplomati­schen Meinungsaustausch in die Wege zu leiten, der schließlich zu einer Viererkonferenz führen kann.

Mir liegt auch im Hinblick auf die deutsche öffentliche Meinung sehr an der Aufnahme derartiger vorbereitender Arbeiten, die zu gegebener Zeit öffentlich angekündigt wer­den sollten. Die russischen Initiativen der letzten Wochen haben nicht vermocht, die deutsche öffentliche Meinung in ihrer Stellung zum Pariser Vertragswerk wankend zu machen. Es liegt mir aber daran, gegenüber den bisherigen und noch zu erwartenden Aktionen der sowjetischen Regierung der deutschen öffentlichen Meinung eindringlich vor Augen zu führen, dass die Westmächte entsprechend den in den Pariser Verträgen niedergelegten Vereinbarun­gen mit allem Ernst und großer Energie die Lösung dieser für uns alle so dringenden Frage vorbereiten.

Ich möchte diese Zeilen nicht schließen, ohne Ihnen, sehr verehrter Herr Foster Dulles, erneut für die enge, vertrau­ensvolle und freundschaftliche Zusammenarbeit zu dan­ken, die ich als einen der wertvollsten Faktoren unserer außenpolitischen Situation betrachte. Seien Sie versichert, dass ich alle Kräfte daran setzen werde, dieser Politik, die allein den Frieden erhalten und die ersehnte Entspannung zwischen Ost und West herbeiführen kann, die erforder­liche Stabilität zu sichern.

Mit freundschaftlichen Grüßen und besten Wünschen stets

Ihr sehr ergebener

gez. Adenauer

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 189-192.