30. Mai 1947

Brief an Paul Silverberg, Lugano

Paul Silverberg (1876-1959), Dr. jur., rheinischer Braun­kohlen-Industrieller, 1908-1926 Vorstandsvorsitzender der Rheinischen AG für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation, 1919-1933 Präsidiumsmitglied des Reichs­verbandes der Deutschen Industrie, 1934 in die Schweiz emi­griert.

 

Lieber Herr Silverberg!

 

Eben erhalte ich Ihren Brief vom 14.5.47. Ich weiß also jetzt, von wem ich die „Neue Zürcher" bekomme. Aus einer Mitteilung des Herrn von Weiss hatte ich entnehmen müssen, dass sie von einer ihm nahestehenden Firma her­rührt. Entschuldigen Sie daher, dass ich Ihnen noch nicht gedankt habe. Die „Neue Zürcher" unterrichtet uns Deut­sche in wirklich vortrefflicher Weise über das Geschehen draußen. Sie ist für mich in meiner politischen Arbeit ganz unentbehrlich. Haben Sie herzlichsten Dank!

Die Pakete „Colis Suisse" sind angekommen, auch ein Kaffeepäckchen. Da, abgesehen von dem Kaffeepäckchen, nie der Absender aus der Sendung zu ersehen war und wir erwartet hatten, dass unsere langjährigen Hotelfreunde, die Inhaber des Hotels in Chandolin, etwas gesandt hät­ten, haben meine Frau und ich vielleicht nicht für jede Sendung Ihnen gedankt. Ich hole es auf alle Fälle hiermit nach. Sie dürfen versichert sein, dass diese Sendungen für uns so wertvoll sind, dass es sich ein Nicht-Deutscher kaum vorstellen kann.

Nicht eingetroffen ist die Büchersendung. Ich würde Ihnen sonst schon lange gedankt haben. Vielleicht reklamieren Sie mal.

Ich hoffe, dass Sie doch jetzt von Ihrer Lungenentzündung ganz wieder hergestellt sind. Ich schrieb Ihnen seinerzeit, dass meine Frau im Oktober v. Js. so schwer an Lungen­entzündung erkrankt war, dass der Arzt sie, trotz Peni­cillin, das reichlich zur Verfügung gestellt worden war von Herrn von Weiss, für verloren gehalten hat. In der Zwischenzeit hat sie sich zwar etwas erholt, aber sie hat Anfang Mai wieder eine Lungenentzündung gehabt, die allerdings bald kupiert werden konnte. Infolge ihrer Knochenmarkserkrankung hat sie ja so wenige weiße Blutkörperchen, so dass sie keine Abwehrstoffe gegen Infektionen bilden kann.

Sie haben mir gar nichts geschrieben wegen Ihrer Be­teiligung an unserer Schweizer Reise. Nur Herr von Weiss hatte mir davon gesprochen. Nun, ich hoffe, wenn es uns gelingt, in die Schweiz zu kommen, dass wir uns dann sehen und dass meine Frau und ich Ihnen mündlich dan­ken können. Wir sollen zwar am 7. Juni abreisen, aber bis­her ist die Ausreiseerlaubnis, die über die Kontrollkom­mission in Berlin gehen muss, noch nicht da, so dass es mir sehr zweifelhaft erscheint, ob wir an diesem Tage werden abreisen können.

Über die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Lage hier in Deutschland, wie sie sich in den letzten 2 Jahren, d. h. nach dem Zusammenbruch, entwickelt hat, zu schreiben, ist fast unmöglich. Man muss darüber sich einmal aussprechen. Ich hoffe, dass das demnächst mög­lich sein wird.

Ein sehr gefährliches Symptom der Entwicklung ist der sich immer stärker entwickelnde Herrschaftsanspruch der Gewerkschaften über die ganze Wirtschaft. Dieser An­spruch wird von in der britischen Zone maßgebenden Stellen sehr stark unterstützt, wie ja überhaupt in der bri­tischen Zone die Gewerkschaften von diesen Stellen den Parlamenten gleichgestellt, wenn nicht sogar darüber hin­ausgehoben werden. Diese Totalitätsansprüche der Ge­werkschaften finden von Unternehmerseite leider kaum Widerstand, weil viele maßgebende Leute auf Unter­nehmerseite, wenn auch leichte, braune Flecken haben, und deswegen zu bang sind, sich zu wehren. Gerade diese Entwicklung halte ich für ungemein gefährlich für die Zukunft.

Überhaupt scheint der Totalitätsgedanke den Deutschen im Blute zu liegen. KPD und SPD sind totalitär ausgerich­tete Parteien. Über die CDU werden wir sprechen müssen. Sie ist noch keine homogene Partei, aber ich glaube, dass ihr die Zukunft gehört, wenn man sie nur arbeiten lässt und wenn ihr nicht von stärkeren Kräften entgegengear­beitet wird.

Sie wissen ja doch, dass letzten Endes nur 2 große Fronten in Europa und der Welt noch vorhanden sind: die christ­lich-abendländische Front, deren stärkste Stütze hier in Deutschland die CDU und die CSU ist, und die asiatische Front.

Haben Sie nochmals recht herzlichen Dank für alles und seien Sie überzeugt, dass jedes Lebenszeichen von Ihnen die Erinnerung an die zusammen verbrachten Jahre [wach­ruft und] große Freude auslöst. Hoffentlich auf baldiges Wiedersehen in der Schweiz mit recht herzlichen Grüßen, auch von meiner Frau,

 

stets Ihr

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 64-68.