Elise Goldschmidt-Gromeier, 1933 mit ihrem Mann Hermann Goldschmidt in die Niederlande emigriert, dort am Aufbau von Hilfsorganisationen für NS-Verfolgte beteiligt, versorgte nach 1945 Adenauer mit Nahrungsmitteln und Informationsmaterial.
Sehr verehrte Frau Goldschmidt!
Ihr Brief vom 18.1. hat mich sehr gefreut. Es war mir sehr interessant, von Beobachtern, wie Sie und Ihr Mann es sind, ein Urteil über die Verhältnisse in Deutschland zu hören.
Ich glaube, Sie haben gut beobachtet. In der Zwischenzeit haben sich die Dinge nun wiederum verändert und, wie ich annehme, doch zum Besseren. Was uns am bittersten nottut, das ist eine westdeutsche Regierung. Bei den Zuständen, wie sie in der Ostzone herrschen, völlige Sowjetisierung, schrankenlose Herrschaft der SED und der Russen, Aufstellung einer stark bewaffneten Polizeimacht mit sowjetrussischer und SED-Tendenz, ist an eine Wiedervereinigung aller Zonen ja leider einstweilen nicht zu denken. Eine westdeutsche Bundesregierung ist aber absolut notwendig, damit die drei Westzonen bei der europäischen Entwicklung sowie beim Ruhrstatut mitsprechen können. Wir stehen im Parlamentarischen Rat kurz vor der Beendigung der Schaffung eines Grundgesetzes, der ersten Voraussetzung für das Inslebenrufen einer westdeutschen Bundesregierung. Ob das Interview, das Stalin mit einem amerikanischen Journalisten gehabt hat und in dem er sich bereit erklärt hat, falls USA, England und Frankreich auf die Schaffung eines westdeutschen Bundes verzichten, die Blockade aufzuheben, weitere Folgen haben wird und ob dadurch unsere Arbeit lahmgelegt wird, lässt sich noch nicht überschauen. Ich fürchte, dass ein Stillstand dieser Arbeit nur im Interesse Sowjetrusslands liegen würde.
Für das Paket sage ich Ihnen auch namens meiner Kinder recht herzlichen Dank. Wir haben uns sehr darüber gefreut, und es war sehr willkommen.
Mit herzlichen Grüßen an Sie und Ihren Mann
Ihr sehr ergebener
(Dr. Adenauer)
Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 86f.