4. August 1946

Rede auf der Zonentagung der Jungen Generation der CDU in Recklinghausen

 

Meine lieben Freunde!

Den Tag der „Jungen Union" habe ich vom ersten Augenblick, von der ersten Stunde an, als ich den Vorsitz der CDU in der britischen Zone übernahm, heiß herbeigesehnt. Heiß herbeigesehnt einmal, weil die Jugend ja heute oder morgen doch die Gewalt in die Hand nehmen muß und weil nur auf einer Zusammenarbeit der Generationen die Überzeugung gewonnen werden kann, daß wirklich das Richtige geschieht. Jede Generation sieht mit gutem Recht die Dinge anders an. Keine Generation darf für sich in Anspruch nehmen, daß sie allein die Dinge richtig sähe. Nur aus dem gegenseitigen Austausch, aus der Vereinigung der Ansichten der verschiedenen Generationen kommt dasjenige, was wir wollen, die richtige Erkenntnis.

Die Lage der jungen Generation

Unsere jüngere Generation ist ganz anders, als jemals eine junge Generation in Deutschland gewesen ist, und wenn wir jahrhundertelang zurückdenken. Sie wurde herausgerissen durch den Militärdienst oder durch den Arbeitsdienst oder durch irgend einen anderen „Einsatz" aus ihrer berufsmäßigen Ausbildung, aus der Familie, aus der gewohnten Ebene. Sie hat lange Kriegsjahre oder lange Jahre einer solchen Arbeit hinter sich; sie blickt zum großen Teil mit Sorge, mit berechtigter Sorge in die Zukunft, wenn sie an ihren Beruf denkt, wenn sie daran denkt, daß sie doch einmal eine Familie gründen soll. Sie hat einen doppelten Zusammenbruch erlebt; zuerst den Zusammenbruch des Nationalsozialismus, den Zusammenbruch eines Systems, das nach außen auftrat mit Kraft und mit Macht und das zuerst - wer wollte es leugnen - nach außen hin große Erfolge gezeitigt hat. Sie hat dann aber erlebt, wie dieser Nationalsozialismus zusammenbrach wie ein Koloß, der auf tönernen Füßen stand. Sie hat gleichzeitig erleben müssen, wie noch mehr zusammenbrach als der Nationalsozialismus. Sie hat erleben müssen, daß unser ganzes Deutsches Reich zusammengebrochen ist. Das alles hat sie erleben müssen, und das ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Und noch mehr erlebt sie: sie erlebt, daß das deutsche Volk in keiner Weise mehr Herr seiner Geschicke ist, daß das deutsche Land in vier Zonen geteilt ist, die fast durch Mauern gegeneinander abgesperrt sind. Sie erlebt, daß die wichtigsten Verordnungen erlassen werden, Verordnungen, die für das Geschick des deutschen Volkes für viele Jahre hinaus bestimmend sein werden, ohne daß das deutsche Volk irgendwie selbst dazu Stellung nehmen kann. Sie erlebt, daß gleichzeitig die Rede ist von Demokratie. Alles das erlebt sie, alles stürmt auf sie ein; und diese junge Generation hat zum großen Teil nicht mehr mit Bewußtsein erlebt die Jahre vor 1933. Sie hat nicht mit Bewußtsein erlebt, daß das deutsche Volk damals, ehe der Nationalsozialismus ans Ruder kam, doch eine verhältnismäßig gute Periode durchlebt hat, eine Periode, in der auch in Deutschland demokratisch gedacht und demokratisch regiert worden ist. Das alles hat sie nicht erlebt. Nun sieht sie alles das vor sich, dieses ungeheure Durcheinander. Wenn sie ihre Blicke weiter schweifen läßt über Deutschland hinaus nach Osten oder nach Westen oder auf die andere Halbkugel, dann sieht sie auch da überall ein Brodeln und Gären und Durcheinandergehen, daß kaum jemand noch irgendwie den Faden hindurchfindet durch all das ungeheure Geschehen, das jetzt über unseren Erdball dahingeht.

Ich bitte Sie, meine Freunde, lassen Sie sich durch alles das nicht entmutigen. Worin besteht das Glück des Menschen? Das Glück des Menschen besteht nicht in Geborgensein und Wohlstand, das Glück des Menschen besteht in getreuer Pflichterfüllung, besteht darin, daß man klar und entschlossen zu dem steht, was man als richtig erkannt hat. Das Glück des Menschen besteht letzten Endes darin, daß er kraft seines Verstandes und kraft seines Willens schließlich doch alles überwindet und zum Ziele kommt. Das ist Ihre Aufgabe, meine lieben Freunde, eine ungeheure, aber eine große Aufgabe, die, wenn Sie sie wirklich gut meistern, Sie auch später, wenn Sie auf diese Jahre zurückblicken, mit tiefer innerer Befriedigung erfüllen wird. Darum seien Sie nicht mutlos, haben Sie Mut, haben Sie Geduld, Geduld und nochmals Geduld!

Geduld ist die stärkste Waffe eines zu Boden geschlagenen, unterlegenen Volkes.

Politik als nationale Pflicht

Meine lieben Freunde! Ich stehe durch meine Kinder und durch deren Freunde und Freundinnen mit der Jugend in engem Kontakt, und ich weiß, wie schwer es ist, die Jugend, insbesondere auch die weibliche Jugend, für das politische Leben zu interessieren. Nach dem, was ich eben voranschickte, ist das nur zu verstehen, und wenn ich die Sorgen um das wenige tägliche Brot, die auch Sie drücken, wenn ich diesen entsetzlichen Kampf ums Dasein sehe, dann ist es doch wirklich ganz verständlich, daß die Menschen sagen: laßt mich mit allem anderen in Ruhe.

Und doch, meine lieben Freunde, diese Einstellung, so verständlich sie ist, ist die falscheste Einstellung, die einer einnehmen kann. Wir wollen doch wieder emporsteigen, wir wollen doch wieder ein Volk werden, wir wollen doch wieder ein freies Volk werden. Und das können wir nur, das ist nicht anders möglich, wenn wir in das politische Leben hineingehen. In diesen Tagen, in denen in Europa und insbesondere bei uns in Deutschland das Höchste und Letzte an Menschengut auf dem Spiele steht, da ist jeder verpflichtet, er mag eine natürliche Anlage dazu haben oder nicht, politisch sich zu schulen und zu den Fragen der Politik Stellung zu nehmen. Er mag schließlich einer Partei angehören, welcher er will; er soll wählen, er soll unterscheiden lernen, und dann soll er seine Entscheidung treffen. Aber seine Pflicht ist, politisch tätig zu sein. Darum bitte ich Sie alle, werben Sie bei Ihren Freunden und Bekannten dafür, überreden Sie sie, zwingen Sie sie, sich mit der Politik zu beschäftigen. Nur wenn wir ein politisch geschultes Volk werden, werden wir auch eines Tages wieder ein freies Volk.

Warnung vor dem Schlagwort

Vor einem warne ich Sie, wenn Sie sich mit Politik beschäftigen, ich warne Sie vor Schlagwörtern. Der Deutsche hat vielleicht noch mehr als manche anderen Völker eine verhängnisvolle Neigung dazu, Schlagwörtern zum Opfer zu fallen. Wenn man heute die Zeitungen liest oder wenn man die Reden hört, dann stößt man überall auf eine Flut von neuen Schlagwörtern, die, auf den ersten Blick betrachtet, etwas zu bedeuten scheinen, die aber bei näherem Zusehen gar nichts sind. Darum bitte ich Sie, prüfen Sie diese Schlagwörter, untersuchen Sie, was dahinter steht, achten Sie auf die Menschen, die diese Schlagwörter aussprechen. Seien Sie kritisch, meine lieben Freunde, Sie haben ein Recht darauf, kritisch zu sein. Nehmen Sie nicht alles gläubig hin, gleichgültig, wer Ihnen das sagt, seien Sie kritisch! Lassen Sie sich niemals blenden durch Rednergabe oder durch Schlagwörter, die immer wieder wiederholt werden und die so allmählich den Gehirnen eingehämmert werden sollen. Ich will Ihnen ein neues Schlagwort sagen, das Sie näher interessiert. Sie werden wissen, daß der Hauptvertreter des Neu-Zentrums, Herr Spiecker, als er darauf aufmerksam gemacht worden ist, daß nun in der Politik auch die christlichen Grundsätze maßgebend sein müßten, weil eben das politische Gebiet alles umfasse, namentlich in einem derartigen Staatswesen, wie wir es besitzen, in dem alles von unten her neu aufgebaut werden muß, die These des Neu-Zentrums aufstellte, das Christentum dürfe mit der Politik nichts zu tun haben, und deswegen sei er gegen die Christlich Demokratische Union, weil sie sich eine christliche Partei nenne. Als Herr Spiecker nun darauf hingewiesen wurde und man ihm vorhielt, daß es gar nicht anders gehe, als in der Politik auch die christlichen Grundsätze zur Anwendung zu bringen - ich weise Sie hin auf die Schulfrage, auf die Frage der Ehe, auf die Frage der unverheirateten Frau - alles weltanschauliche Fragen -, da sagte er: Diese Fragen müssen im vorpolitischen Raum gelöst werden. Nun denken Sie einen Augenblick über dieses Wort, das jetzt von der Neu-Zentrums-Presse immer wiederholt wird, nach: vorpolitischer Raum! Wenn Sie einen Augenblick darüber nachdenken, werden Sie ganz bestimmt ans Lachen kommen. Vorpolitischer Raum, was ist das denn? Wo ist er? Was tut sich da? Was soll da entschieden werden und wer soll denn da entscheiden? Ich meine, wir wollen doch einen demokratischen Staat aufbauen, in dem der Wille des Volkes zur Geltung kommt, und jetzt sollen die allerwesentlichsten Fragen in einem vorpolitischen Raum entschieden werden. Das ist ja doch heller - ich will das Wort nicht aussprechen, aber, meine Freunde, daß auf ein solches Wort Leute hereinfallen, ist anzunehmen. Sie werden sagen: dann kommen eben diese sehr schwierigen Fragen, die zwischen Christen und Nicht-Christen vielleicht doch die politische Situation sehr verschärfen können, aus der Politik heraus. Aber ich frage Sie, wo bleiben sie denn? Man kann sie doch nicht wegzaubern!

Ich habe Ihnen das etwas ausführlich gesagt, weil es uns interessiert, weil manche Leute im Neu-Zentrum sind, die zu uns gehören und eben nur aus einem gewissen Trägheitsgesetz heraus oder aus einem mißverstandenen Treuegefühl dem Neu-Zentrum beigetreten sind, und weil gerade dieses Wort vom vorpolitischen Raum so außerordentlich geeignet ist, Ihnen zu zeigen, was ein Schlagwort ist, und daß man diese Schlagwörter genau auf ihren wirklichen Inhalt immer untersuchen muß.

Ähnliche Schlagwörter sind Demokratie und Sozialismus, d. h. sie sind dazu geworden. Das Wort Demokratie und demokratisch wird heute so oft im Munde geführt von Parteien, die sogar dieses Wort in ihrem Namen tragen, die aber alles andere als demokratisch fühlen und handeln; denn wer demokratisch fühlt und handelt, der muß auch dem politischen Gegner Rechte zugestehen. Der muß auch sagen, der politische Gegner hat auch ein Recht darauf, mitzuarbeiten. Vergleichen Sie damit, was jetzt in Frankfurt am Main passiert ist, wo eine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung von 32 SPD-Vertretern gegen 28 CDU-Vertreter besteht, und wo diese ganz kleine sozialdemokratische Mehrheit diese Macht der Ziffer dazu benutzt hat, um gegen alle Regeln der Demokratie und namentlich in einer Zeit wie der heutigen, wo jede aufbauwillige Kraft mit herangezogen werden muß, nicht nur den Oberbürgermeister gewählt hat aus ihren Reihen, sondern auch sämtliche Stadträte und Beigeordneten, so daß die 28 Stadtverordneten der CDU keinen einzigen Mann in diesem Kollegium bekommen haben.

(Zwischenruf: Diktatur!)

Der Zwischenruf ist richtig, das ist keine Demokratie, das ist Parteidiktatur, wie sie der Nationalsozialismus auch gemacht hat.

(Sehr richtig! und starker Beifall.)

Aber die Partei spricht immer von Demokratie, Demokratie ist richtig, sie kann allein in unserer Zeit und überhaupt in der Zukunft das Fundament unserer staatlichen und gemeindlichen Arbeit werden, aber auch sie darf nicht zum Schlagwort werden. Deswegen muß man auch den Mann immer sich ansehen, der dieses Wort ständig im Munde führt, man muß zusehen, ob nicht auch bei ihm dieses Wort zu einem Schlagwort geworden ist.

Unser Verhältnis zum Staat

Sie, die Sie unbeschwert und unbelastet durch die vergangene politische Geschichte nunmehr in das politische Leben eintreten, Sie dürfen niemals die geschichtlichen Zusammenhänge vergessen. Glauben Sie mir, auch im Ablauf des Lebens des Volkes folgt das eine aus dem anderen, das Heute aus dem Gestern und das Morgen aus dem Heute. Und so ist es sehr wertvoll, die Fäden zu verfolgen, wie sie durch das ganze Geschehen hindurchlaufen; dann erst bekommt man die richtige Einstellung auch zu dem Heute. Erst dann erkennt man, ob dieses Heute vielleicht doch unendlich viel gefährlicher ist, als es auf den ersten Blick scheint. Der preußische Staatsbegriff, wie er durch Hegel entwickelt wurde und wie er jahrzehntelang in allen Tonarten in Preußen und in dem verpreußten Deutschland gepriesen wurde, der gipfelte darin, daß er sagt: der Staat steht über allem. An sich auf den ersten Blick ein schönes Wort. Aber was wird aus einer solchen Maxime, wenn langsam, aber ständig, die moralischen Begriffe schwinden. Es entwickelte sich daraus der Nationalsozialismus; denn der Nationalsozialismus ist nichts anderes gewesen als eine Fortsetzung dieses Gedankens, ein Fortdenken bis in die letzten Konsequenzen hinein, daß der einzelne kein Recht hat gegenüber dem Staat, daß der Staat das Höchste ist auf Erden, und daß alles andere, daß der einzelne Mensch sich dem unterzuordnen hat.

Wir von der Christlich Demokratischen Union nehmen einen prinzipiell anderen Standpunkt ein. Wir gehen davon aus, von dem eminent christlichen Gedanken, daß die Person das Höchste auf der Welt ist und nicht der Staat. Staaten kommen, Staaten vergehen, Staaten werden künstlich gemacht, sie wachsen und brechen wieder auseinander, aber der Mensch, dem sein Schöpfer eine unsterbliche Seele gegeben hat, der ist das Wesentliche, das Beste und Kostbarste auf der Erde. Darin unterscheiden wir uns von den marxistischen Parteien bis tief ins Innerste hinein. Darum gehen wir davon aus, daß die Person das Höchste ist und daß an den unveräußerlichen Rechten der Person die Rechte des Staates ihre Schranken finden. Das gilt nicht nur vom Staat, das gilt auch von der Wirtschaft. Auch die Wirtschaft ist nicht das Höchste. Sie hat dem Menschen zu dienen, nicht der Mensch der Wirtschaft. Das gilt auch von der Kultur. Die Kultur ist nicht um ihrer selbst willen da, sie ist da, um dem Menschen und der Person zu dienen.

Wenn Sie unser Programm aufmerksam durchlesen, dann werden Sie sehen, daß dieser Gedanke als fundamentaler Satz durch das ganze Programm hindurchgeht: die Person ist das Höchste und das Wertvollste, und nicht der Staat und nicht die Wirtschaft.

In diesem Zusammenhang muß ich doch das eine feststellen: bei den marxistischen Parteien ist das Kollektiv, mag das nun Staat oder etwas anderes sein, das Höchste und nicht der einzelne Mensch, nicht die Person. Auch wenn wir in der praktischen Politik mit der Sozialdemokratie ein weites Stück des Weges zusammengehen können und zusammengehen müssen, dann sehen Sie doch immer, daß bis in die tiefste Tiefe hinein wir eine vollkommen andere Weltanschauung haben.

Man gebe uns unsere Kriegsgefangenen zurück

Lassen Sie mich nun auf einige Einzelfragen zurückkommen: Die Kriegsgefangenen. Über sechs Millionen deutscher Männer schmachten noch in der Kriegsgefangenschaft, nachdem sie bedingungslos kapituliert haben im Vertrauen auf die Versprechen, die von alliierter Seite gegeben worden sind. Ich habe vorgestern ein Flugblatt in den Händen gehabt, das von der Royal Air Force in Afrika in Millionen von Exemplaren über unseren Truppen abgeworfen worden ist. Auf diesem Flugblatt steht in lapidarer Deutlichkeit: „Wenn Ihr Euch ergebt, werdet Ihr so schnell wie möglich Eurer Heimat zurückgegeben werden.“ Das, meine verehrten Freunde, ist ein Versprechen, das von der britischen Regierung und von den Alliierten eingelöst werden muß. Wir hoffen und erwarten und können es verlangen, daß die Alliierten zu ihrem Wort stehen, daß das deutsche Volk zu der Überzeugung kommt, die alliierten Mächte sind, wie sie damals gesagt haben, ausgezogen zum Kampf gegen Tyrannei und Lüge. Wo sind jetzt ihre Taten? Wenn die Alliierten glauben, auf die Arbeitskraft unserer Kriegsgefangenen zum Wiederaufbau nicht verzichten zu können, so verweise ich auf Tausende von schuldigen SS-Leuten in den Lagern, die von morgens bis abends nichts zu tun haben. Es ist mir völlig unverständlich, warum man diese Leute nicht in Frankreich, oder wo es denn nun sonst ist, arbeiten läßt. Das wäre auch politisch viel vernünftiger; denn wenn die da zusammenhocken in ihren Lagern und haben von morgens bis abends nichts zu tun, glaubt man denn, daß man sie dadurch bekehrt zu vernünftigen Menschen? Genau das Gegenteil tritt ein. Aber dafür gebe man uns unsere Kriegsgefangenen zurück!

Die Kriegsversehrten

Die Kriegsversehrten hat ein hartes Los getroffen, sie und ihre Angehörigen und erst recht diejenigen, denen der Vater oder der Sohn nicht zurückgekehrt ist. Mit tiefstem Bedauern müssen wir feststellen, daß diese Kriegsversehrten und Kriegshinterbliebenen nicht besser behandelt werden dürfen als die Angehörigen der Sozialversicherung. Es ist etwas ganz anderes, ob ein junger Mann von 23, 24 oder 25 Jahren nun verstümmelt da sitzt allein und mit einer kleinen Rente, mit der er nicht leben kann, versorgt wird, oder ob ein Invalide, der doch in den meisten Fällen Angehörige und auch Kinder hat, die ihm helfen können, eine solche Rente bekommt. Die Anträge der CDU, die wir im Zonenbeirat gestellt haben, das nicht zu tun, sind abgelehnt worden unter Berufung auf die Potsdamer Beschlüsse, und zwar mit der Begründung, daß man den Militarismus mit Stumpf und Stiel ausrotten wolle und deswegen eine Besserstellung der Kriegsversehrten und der Kriegshinterbliebenen nicht zulassen könne.

(Pfui-Rufe.)

Man kann nicht Pfui dazu sagen, man kann nur das mangelnde Verständnis bedauern; denn man treibt die Leute ja geradezu dadurch dem Radikalismus, sei es dem nationalen Radikalismus, sei es dem bolschewistischen Kommunismus, in die Arme hinein. Deswegen glaube ich, daß wir auch diese Forderung immer wieder erheben müssen, daß das geändert wird.

(Starker Beifall.)

Ich hoffe inständig, daß das letzte Wort in dieser Angelegenheit trotz der Potsdamer Beschlüsse noch nicht gesprochen ist.

Eine weitere Frage, die uns sehr drückt, ist die Frage des Schicksals unserer Sozialversicherung. Diese Sozialversicherung war etwas, auf das das deutsche Volk stolz sein konnte. Es stand darin allen Völkern der Erde voran, und wir wünschen nicht, daß jetzt hier eine Änderung vorgenommen wird, die diese Sozialversicherung ihres wahren Charakter absolut entkleidet.

Die Flüchtlinge müssen zurück in ihre Heimat!

Die Flüchtlingsfrage ist von größter Bedeutung und Tragik, eine Frage, die noch nach Hunderten von Jahren bei den Historikern ein Kopfschütteln hervorrufen wird.

(Beifall.)

Daß man 13 bis 14 Millionen Menschen herausreißt aus ihrer Umgebung, wo ihre Väter und Vorväter seit Hunderten von Jahren gewohnt und gearbeitet haben, daß man sie hineinpreßt in die übervölkerten anderen Zonen, ohne daß sie auch nur einen Bruchteil ihrer Habe mitnehmen können, und daß man dadurch erreicht, daß mitten in Europa eine Wüste entsteht, eine Wüste mit versteppten und verunkrauteten Feldern, mit verödeten Dörfern und Städten, in denen kein Mensch sich mehr befindet - das ist nicht nur eine Grausamkeit sondergleichen, es ist ein Wahnsinn sondergleichen.

(Starker Beifall.)

Wir müssen tun, was wir können, um den Flüchtlingen ihr so hartes und schweres Los zu erleichtern. Wir können nur sagen, erleichtern, wir können nicht sagen, daß wir in der Lage sind, diese Frage zu lösen. Ich meine, es müßte doch einmal der Augenblick kommen, wo das Gewissen der gesamten kultivierten Menschheit wieder erwacht und sagt: nein, diese Flüchtlingsfrage muß eine andere Lösung finden, die Leute müssen zurück in ihre Heimat. Daß Verschiebungen der staatlichen Grenzen Deutschlands eintreten werden, wenn einmal ein Friedensvertrag geschlossen oder ein Friede diktiert werden sollte, damit werden wir uns abfinden müssen. Das werden wir ertragen müssen. Aber was wir nicht ertragen können und was falsch ist, das ist, daß diese Menschen nun heimatlos, haltlos in der Welt umherirren sollen. Sie müssen zurück. Sie müssen zurück in ihre Heimat!

Die Ausgebombten und Verdrängten

Der Ausgebombten und Evakuierten müssen wir uns auch viel mehr annehmen, als das jetzt geschieht. Es ist doch etwas Furchtbares, wenn man bedenkt, daß damals die Menschen mit Gewalt hier aus dem Westen gebracht worden sind nach dem Osten und daß sie jetzt nicht mehr zurückkommen können, daß sie nichts mehr haben, wovon sie leben können. Ihr Schicksal ist in gewisser Hinsicht genau so traurig wie das der Flüchtlinge. Ich meine, alle Gemeinden, namentlich hier im Westen, von denen so viele evakuiert worden sind, sollten dem Beispiel einer Stadt, deren Namen ich nicht mehr gegenwärtig habe, folgen und sollten Ausschüsse einrichten, die die Verbindung mit den Ausgebombten und Evakuierten aufnehmen, die für sie sorgen, ihnen helfen, wieder zurückzukommen in ihren Westen.

Die christliche Gesellschaftsordnung

Das Sozialprogramm der CDU haben wir auf einer Tagung des Zonenausschusses, von der ich eben komme, festgelegt. Es bedarf noch einer letzten redaktionellen Überprüfung; der Inhalt liegt fest. Es ist festgelegt worden in monatelanger gewissenhafter Arbeit von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Ich glaube, wir haben etwas Gutes zustande gebracht. Sie werden in kurzer Zeit, wenn dieses unser soziales Programm, das Programm einer christlichen Gesellschaftsordnung, veröffentlicht wird, sich auch damit einverstanden erklären können. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhange noch einiges zur Wirtschaft sagen. Weil die Person das Wertvollste ist, weil das Wertvollste der Person die Freiheit ist, deswegen verurteilen wir die Zusammenballung so großer wirtschaftlicher Kräfte in einer Hand, daß dadurch die Freiheit des einzelnen bedroht wird. Aber wir verurteilen diese Zusammenballung nicht nur in der Hand von Privatpersonen oder anonymen Kapitalgesellschaften, wir verurteilen diese Zusammenballung auch in der Hand des Staates; denn wenn der Staat die politische Macht und die wirtschaftliche Macht in einer Hand hält, dann ist es aus mit der persönlichen Freiheit des einzelnen. Das haben wir nun doch in den vergangenen 12 Jahren gelernt, dann ist es aus. Und das Schicksal des Staates kommt dann in die Hand einer verhältnismäßig kleinen Gruppe, mögen das nun ein paar hundert Abgeordnete sein oder deren Ausschüsse. Beides verträgt sich nicht mit unseren Anschauungen von der Freiheit der Person. Und weil wir diese Freiheit der Person auch in der Wirtschaft wollen, unterstützen wir jede Bestrebung des einzelnen zur Selbstständigkeit in der Wirtschaft. Wir unterstützen das Bestreben der Handwerker, des Mittelstandes, der kleinen Unternehmer, des Bauern, alles das unterstützen wir. Wir wollen, daß möglichst vielen, evtl. im Wege des genossenschaftlichen Zusammenschlusses, die Möglichkeit gegeben wird zum freien Wirken auch in der Wirtschaft.

Nun hat es die technische Entwicklung mit sich gebracht - Sie selbst im Industriegebiet wissen es am allerbesten -, daß gewisse technische Prozesse, die notwendig sind für das Volk, sich nur vollziehen können in großen Unternehmungen, in den sogenannten Hallenunternehmungen. Die Menschen, die dort arbeiten müssen, die müssen mitbeteiligt werden an der Führung der Wirtschaft und an dem Ertrag ihrer Arbeit. Das ist eine der Hauptforderungen unseres sozialen Programms.

Wir und die Sozialdemokratie

Ich darf jetzt übergehen zu den anderen Parteien, zu unserem Verhältnis zu ihnen. Ich möchte die Unterschiede Ihnen kurz klarlegen, damit Sie sich entscheiden können, wenn Sie sich noch nicht entschieden haben. Die größte Partei nach uns, glaube ich - Sie müssen sorgen, daß die Prophezeiung wahr wird - ist die Sozialdemokratische Partei. Wir wissen, daß, wenn wir auch einmal die Mehrheit erringen sollten, wir mit der Sozialdemokratischen Partei zusammenarbeiten müssen. Ich habe schon eingangs gesagt, daß wir in vielen Dingen mit aller Ruhe mit ihr zusammenarbeiten können. Aber auch, wenn ich diesen Willen habe, dann darf mich das nicht hindern, den Wahlkampf so hart und so klar zu führen, wie nur eben denkbar. Wir wollen ihn nicht persönlich führen, sondern wir wollen ihn prinzipiell führen vom Boden unserer Überzeugung aus. Persönlich wollen wir nur werden, wenn unsere Leute persönlich angegriffen werden. Dann allerdings werden wir doppelt antworten.

Meine Freunde, die Sozialdemokratische Partei und insbesondere ihr Leiter, Herr Dr. Schumacher, hat mir übelgenommen, daß ich in verschiedenen Reden, die ich gehalten habe, gesagt habe, die Sozialdemokratische Partei sei in der britischen Zone Regierungspartei. Ich verstehe zunächst nicht, inwiefern das eine Beschimpfung sein soll - das aber nur nebenbei. Es ist richtig vor allem, sie ist die Regierungspartei, sie ist doch die maßgebende Partei in der britischen Zone. Sie wissen doch, wie es mit den Stellenbesetzungen geht. Sie wissen doch, daß der Leiter des Zentralwirtschaftsamtes ein Sozialdemokrat ist, und Sie wissen ferner, daß die britische Militärregierung in all den Ländern und Provinzen, die zur britischen Zone gehören, entscheidenden Wert darauf legt, daß die Wirtschaftsministerien in die Hände von Sozialdemokraten kommen. Sie haben sicher noch nicht gelesen, daß eine Versammlung der britischen Gewerkschaften, deren Einfluß auf die Labourregierung man wirklich nicht unterschätzen darf, auf einem Kongreß oder einer Sitzung, die sie in diesen Tagen gehabt haben, die Sozialisierung Deutschlands verlangte. Ich weiß nun bei Gott nicht, warum das ausgerechnet die englischen Gewerkschaften tun. Sie sollen doch besser sich sozialisieren. Aber Sozialisierungsexperimente in anderen Ländern machen, das ist billiger. Das ist politisch billiger insofern, als man dann, wenn man sieht, daß die Sache schiefgeht, im eigenen Lande das nicht macht und so möglichst seine Mehrheit behält. Es ist auch finanziell billiger, als wenn es im eigenen Lande gemacht wird. Ich denke mich jetzt einmal in die Seele eines konservativen englischen Politikers hinein - wie überhaupt alles das, was ich hierzu sage, natürlich nur theoretisch zu nehmen ist -, und dann würde ich sagen: es ist mir viel lieber, die Labourregierung macht mal ihre sozialistischen Experimente und Erfahrungen in Deutschland und nicht bei uns; denn das geht schief - so sagt der Konservative -, und es wird viel Porzellan zerbrochen werden, aber lieber deutsches Porzellan als englisches Porzellan. Und so kommt es dann, daß namentlich auf dem Gebiete der Wirtschaft bei uns der Sozialismus absolut maßgebend ist; ich glaube, nicht zum Segen des deutschen Volkes. Bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber einer sehr fortgeschrittenen Sozialpolitik, von der ich eben gesprochen habe, glaube ich, daß der wirtschaftliche Sozialismus, wenn er in dieser weit ausholenden Weise betrieben wird, zur Vermassung des Volkes führen wird. Der Nationalsozialismus war auch eine Art Sozialismus. Und Herr Schumacher erkennt an, daß in Rußland der Marxismus herrscht, wenn er auch sagt, es sei ein entarteter Marxismus. Aber immerhin, es ist ein Marxismus. Sie alle wissen, was das für den einzelnen Menschen bedeutet.

Die KPD

Die KPD ist ja nun Vertreter des Marxismus in Reinkultur, aber die Kommunisten von heute geben sich ganz anders als die Kommunisten von 1918/19. Die älteren von Ihnen werden sich dessen noch erinnern, wie es damals z. B. in den Stadtverordnetenversammlungen und den Gemeindeversammlungen zuging. Sie werden sich erinnern an den Aufstand damals im Industriegebiet. Das ist ganz anders geworden. Der Kommunist von heute ist ein sehr umgänglicher Mann, und er schätzt und achtet vor allem die Religion, und darum steht er bei der Bodenreform auf dem Standpunkt - und das haben sie in der russischen Zone öffentlich gemacht -, daß das Kircheneigentum nicht angetastet werden dürfe. Nun ist die KPD bei uns noch KPD, in Berlin und in der Ostzone ist sie SED geworden. Und es sind nicht unerhebliche Teile der Sozialdemokratie zu ihr gestoßen. Wie es hier bei uns werden wird, weiß ich nicht. Einstweilen ist ja bei uns die SED gar nicht als Partei zugelassen; wer dafür gesorgt hat, weiß ich nicht. Es ist sehr bezeichnend, daß sie jetzt in Bayern, wo die amerikanische Regierung ihnen das öffentliche Reden verboten hat, erklärt haben, sie würden dann eben reden in Versammlungen der KPD. Nun, daraus können Sie sich alle Ihre Schlüsse ziehen. Ich glaube, daß alle diese Parteien, mag es die Sozialdemokratische Partei sein, die sich auf ihrem Hannoverschen Parteitag wieder zum Marxismus ausdrücklich bekannt hat, mag es die Kommunistische Partei sein oder die Sozialistische Einheitspartei, die auf dem Boden des Marxismus stehen, die verknöchertsten und reaktionärsten Parteien sind, die es überhaupt gibt. Sie schwören auf die Schlüsse, die Karl Marx vor Jahrzehnten beim Studium der Verhältnisse in der englischen Baumwollindustrie gezogen hat, die damals vielleicht richtig gewesen sein mögen und durch deren Veröffentlichung er sicher auf Mißstände aufmerksam gemacht hat, die damals bestanden haben, aber seit jener Zeit hat sich die Welt nun doch so vollkommen geändert, daß man nun wirklich, wenn man nun darauf stehen bleibt, sich den Vorwurf gefallen lassen muß, absolut konservativ oder absolut reaktionär zu sein.

Das Neu-Zentrum

Ich habe eben schon, als ich von dem vorpolitischen Raume sprach, das Neu-Zentrum gestreift. Lassen Sie mich ihm noch einige Worte widmen. Das Zentrum oder richtiger das Neu-Zentrum hat wirklich mit dem alten Zentrum gar nichts gemein; denn das hat das Ergebnis der Wahlen in Süddeutschland gezeigt. Es hat dort überhaupt nichts zu bedeuten. In der ganzen russischen Zone kennt man es nicht; man kennt es nicht von Hannover bis Schleswig-Holstein, man kennt es in einzelnen Teilen des Rheinlandes und in gewissen Teilen Westfalens. Es wird also keine Partei sein von überörtlicher Bedeutung, Aber es ist traurig, daß in der heutigen Zeit, in der doch in Wirklichkeit der Kampf darum geht, ob in Deutschland, ob in Europa, in der Welt die christlichen Grundsätze oder die marxistischen Grundsätze maßgebend sein sollen, Leute, die sich Christ nennen, glauben, eine eigene neue Partei aufbauen zu müssen. Ich hoffe, daß viele von ihnen zu uns herüberkommen. Und wenn sie das tun, dann wollen wir sie mit offenen Armen aufnehmen bei uns. Aber mein tiefes Bedauern, daß diese Kreise das in einer solchen Notzeit tun, in dieser Stunde hier auszusprechen, dazu fühle ich mich doch verpflichtet.

Nordrhein-Westfalen, die Süd-Rheinprovinz

Lassen Sie mich einige Ausführungen machen über die Gliederung der Länder in der britischen Zone und über die Schaffung des neuen Landes Nordrhein-Westfalen. Die Schaffung dieses Landes habe ich absolut begrüßt; es entspricht meiner politischen Überzeugung seit langer Zeit aus zwei Gründen: Das Industriegebiet liegt in beiden Provinzen; es muß einheitlich verwaltet und einheitlich kontrolliert werden. Das Industriegebiet aber aus dem Verbande der Provinzen herauszunehmen und so gewissermaßen für sich allein auf den Präsentierteller dahinzusetzen als Kostbarkeit, das wäre eine Dummheit ersten Ranges. Was wäre denn aus dem Rest der beiden Provinzen geworden, der übrig geblieben wäre? Es ist schon gut, daß die britische Militärregierung sofort nach der Pariser Konferenz diesen Entschluß gefaßt und bekanntgegeben hat. Aber wenn wir die Schaffung dieses Landes Nordrhein-Westfalen bejahen - ich glaube übrigens, wir können sie auch deswegen bejahen, weil wir zueinander passen und zueinander gehören -, dann müssen wir doch den Ruf erheben nach der Süd-Rheinprovinz. Die Süd-Rheinprovinz ist seit weit über 1000 Jahren mit uns kulturell und wirtschaftlich verbunden. Jetzt ist sie wie mit dem Messer abgeschnitten. Das ist unmöglich. Die ganzen Zonengrenzen sollen überhaupt fallen.

(Bravo und Beifall.)

Ganz Deutschland soll von den Zonengrenzen befreit werden und unter einer interalliierten Kontrollkommission stehen, solange das nötig ist. Das ist unsere Forderung. Dieser Teil der Potsdamer Beschlüsse darf unter keinen Umständen bestehen bleiben. Gott sei Dank haben ja die britische und die amerikanische Regierung kurz entschlossen sich davon abgekehrt. Hoffen wir, daß die anderen Unterzeichner der Potsdamer Beschlüsse dem möglichst bald folgen. Es scheint ja nach Zeitungsnachrichten, es scheint, wiederhole ich, als wenn jetzt endlich überhaupt ein schnelleres Tempo in die Verwaltung der britischen und amerikanischen Zone hineinkäme. Es scheint nach Zeitungsnachrichten, als wenn man jetzt wirklich das deutsche Volk endlich einmal an die Arbeit heranlassen will. Es scheint - und wir würden uns von Herzen darüber freuen -, als wenn der Satz der öffentlichen Meinung in diesen Ländern, daß das deutsche Volk lernen müsse, daß es den Krieg verloren habe, jetzt endlich überwunden ist.

Die Denazisierung

In diesem Zusammenhang noch ein Satz zur Entnazifizierung. Mein Vorredner hat gesprochen von der Generalamnestie. Darum handelt es sich nicht, es handelt sich um keine Generalamnestie, sondern darum, daß der Zonenbeirat beschlossen hat, die britische Kontrollkommission zu ersuchen, daß alle diejenigen, die 1915 und später geboren sind, gleichgültig in welcher Formation sie waren, wenn sie nicht belastet sind, aus dieser Zugehörigkeit zur Partei oder einer anderen Formation keinen Schaden haben sollen. Dieser Beschluß ist vom Zonenbeirat einstimmig gefaßt worden, und wir dürfen erwarten und hoffen, daß die britische Kontrollkommission diesem Beschluß folgen wird. Wenn damit auch ein großer Teil aus dieser grässlichen Entnazifizierungsmaschine heraus ist, so bleibt doch auf dem Gebiete noch allerhand zu tun. Wir stehen durchaus auf dem Standpunkte, daß derjenige, der den Krieg verschuldet hat, der seine Verlängerung verschuldet hat, der sich mit Hilfe der Partei, ob er ihr angehört hat oder nicht, bereichert hat, der andere geschädigt hat, andere unterdrückt hat, andere gequält hat, daß der bestraft werden muß, und zwar mit schwersten und mit schärfsten Strafen bestraft werden muß, wenn möglich, von deutschen Gerichten. Aber wir stehen weiter auf dem Standpunkt, daß alle, die unter Druck, in Sorge, in Not in die Partei hineingegangen sind - selbst wenn sie mal für die NSV gesammelt haben, aber sonst nichts begangen haben -, daß man diese Menschen endlich einmal in Ruhe und Frieden ihrer Arbeit nachgehen läßt.

Die außenpolitische Lage, Vereinigte Staaten von Europa

Die außenpolitische Lage hat in den letzten Wochen ein völlig anderes Gesicht bekommen. Obgleich wir Deutsche ja außenpolitisch nicht zählen, nicht mitzusprechen haben, ist doch Deutschland und die deutsche Frage der Mittelpunkt aller außenpolitischen Verhandlungen der großen Mächte geworden. Sie kennen den Verlauf der Pariser Verhandlungen der Großen, welche Überraschungen die Verhandlung der deutschen Frage dort gebracht hat. Vor noch verhältnismäßig nicht langer Zeit hat Stalin erklärt, das Industriegebiet müsse internationalisiert werden. Und auf der Pariser Konferenz hat Molotow erklärt, an den westlichen Grenzen Deutschlands dürfe nichts geändert werden, Deutschland müsse ein Einheitsstaat werden mit Berlin als Hauptstadt. Zugleich als Molotow das erklärt hat, hat Rußland mit Polen einen Vertrag geschlossen, in dem es mit Polen vereinbart hat, daß sie beide sich gegenseitig unterstützen bei den von ihnen verlangten Westgrenzen; das sind unsere Ostgrenzen. Und die Herren Pieck und Grotewohl, die neulich bei uns im Westen waren und die die nationale Flagge schwenkten, die haben gleichzeitig erklärt: nein, im Osten, das sei eine erledigte Sache, darüber sei nicht zu sprechen. Die Haltung Rußlands und die Haltung der SED ist doch höchst einseitig deutschnational. Durch die Haltung Rußlands auf der Pariser Konferenz in der deutschen Frage ist die französische Außenpolitik völlig überrascht worden, soviel wie der außenstehende Beobachter beurteilen kann. Sie wissen, daß Frankreich verlangt hatte die Internationalisierung der Ruhr und die Abtrennung des Rheinlandes und daß es sich dabei verlassen hatte auf die russische Unterstützung. Nun plötzlich macht Rußland einen Dekorationswechsel um 180 Grad, wie auf einer Drehbühne. Was wird Frankreich tun? Das Sicherheitsverlangen Frankreichs, und auch das Sicherheitsverlangen Hollands, Belgiens und Luxemburgs gegenüber Deutschland - wir müssen es ehrlich zugestehen - müssen wir als berechtigt anerkennen. Wir können uns bei diesem Sicherheitsverlangen nicht darauf berufen, daß Deutschland zerschmettert wäre, daß der Militarismus niemals wiederkommen würde usw. Nein, alles ändert sich unter der Sonne und alles fließt. Es könnten auch wieder ganz andere Situationen eines Tages kommen. Deswegen müssen wir dieses Sicherheitsverlangen als berechtigt anerkennen. Aber der Weg, auf dem Frankreich diese Sicherheit erreichen will, ist falsch. Dieser Weg ist deswegen falsch, weil er auf der Gewalt beruht und weil er gegen die natürlichen Gesetze geht. Frankreich will eine ewige Besetzung. Eine ewige Besetzung ist ja unmöglich. Die besetzende Macht wird das schnell leid werden. Und eine Abtrennung deutschen Gebietes im Westen, das würde ein Unglück sein nicht nur für uns, ein Unglück auch für ganz Westeuropa; denn eines Tages, mögen das nun 40 oder 50 Jahre sein, wer kann das wissen, würde dann wieder Gewalt mit Gewalt beantwortet. Wir wollen aber keinen Krieg mehr, weder für unsere Kinder noch für unsere Kindeskinder.

(Bravo und Beifall.)

Jeder Krieg ist in meinen Augen eine Barbarei, und jeder Krieg stürzt die Menschheit hinunter. Europa hat eine Aufgabe in der Geschichte gehabt für die ganze Welt. Und dieses Europa ist in Gefahr, für immer unterzugehen. Wenn noch einmal Krieg kommen sollte, oder wenn die Verelendung so weitergehen sollte, dann wird Europa, dessen wesentlichster Teil Westeuropa ist, untergehen, und dann hat die gesamte Menschheit etwas ganz Wesentliches verloren. Das darf nicht sein, und das braucht auch nicht zu sein. Es gibt Lösungen des Sicherheitsverlangens, die konstruktiver Natur sind und die wir mitmachen können und mitmachen dürfen und die trotzdem den westlichen Nachbarn Deutschlands und auch England die Sicherheit geben, auf die sie ihren berechtigten Anspruch haben. In erster Linie sehe ich eine solche Sicherheit in einer Verflechtung der wirtschaftlichen Interessen dieser ganzen Länder. Ich betone allerdings, in einer Verflechtung - Verflechtung bedeutet geben und nehmen - nicht so, daß der eine Partner, das sind wir, lediglich gibt und lediglich arbeitet, nein, es muß ein gegenseitiges Geben und ein gegenseitiges Nehmen sein. Eine solch wirtschaftliche Verflechtung gibt persönliche Annäherung, gibt kulturelle Annäherung, gibt politische Annäherung. Deswegen sollte man diesen Schritt tun. Belgien und Holland sind mit gutem Beispiel vorangegangen; sie haben die Zollgrenzen aufgehoben zwischen ihren Ländern. Jeder, der das vor zehn Jahren gesagt hätte, daß das so kommen würde, wäre verlacht worden. Aber es geht doch.

Wenn dieser Krieg, den die Welt über sich hat ergehen lassen müssen, irgendeinen Sinn haben soll, wenn er etwas Vernünftiges schließlich doch zustande bringen soll, dann kann er doch nichts anderes sein als der Wegbereiter für eine Vereinigung der Staaten der ganzen Welt. Und in dieser Vereinigung ist - nach dem Statut dieser Vereinigung - auch Raum für Vereinigungen von Staaten innerhalb bestimmter Gebietsteile. Daher müssen wir das Wort immer wieder sagen: Wir wollen eines Tages Mitglied werden, ein freies und gleichberechtigtes Mitglied der Vereinigten Staaten von Europa.

(Starker Beifall.)

 

Quelle: Reden des Ersten Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Union für die britische Zone, Oberbürgermeister a.D. Dr. Konrad Adenauer und Frl. Maria Sevenich auf der Zonentagung der Jungen Generation der CDU in Recklinghausen (4.-7. August 1946). Schriftenreihe der Jungen Union, Heft 1. Bergisch Gladbach 1946, S. 2-12.