4. Januar 1967

Interview mit dem "Hamburger Abendblatt"

Adenauer: Zwei-Parteien-System wäre nicht gut

Von Herbert G. Haake

 

Bonn, 5. Januar. Der ehemalige Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer hat sich am Vorabend seines 91. Geburtstages in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt unmissverständlich gegen ein Zwei-Parteien-System in der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen. Er ließ keinen Zweifel daran, dass durch Ausschöpfung des geltenden Grundgesetzes das Entstehen von Splitterparteien ohne weiteres verhindert werden könne.

Mit diesen Feststellungen hat der CDU-Ehrenvorsitzende die Diskussion um das Wahlrecht neu entfacht. Aus dem Interview geht klar hervor, dass Adenauer jede Wahlrechtsänderung, die auf ein reines relatives Mehrheitswahlrecht nach britischem Muster hinausläuft, ablehnt. Adenauer: "Ein Wahlrecht nach britischem Muster halte ich für nicht gut."

Bei den Freien Demokraten sind die Äußerungen des ehemaligen Bundeskanzlers mit Genugtuung aufgenommen worden. Für sie könnte eine Änderung des Wahlrechts, die ihr den Einzug in den Bundestag verbaut, das Ableben der Partei bedeuten.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Mischnick erklärte heute Mittag dem Hamburger Abendblatt auf Anfrage zu den Feststellungen Adenauers: "Mit Sicherheit kann festgestellt werden, dass diese Äußerung Dr. Adenauers den deutschen Gegebenheiten mehr entspricht als die Forderung in der Regierungserklärung, das Wahlrecht zu ändern."

Zur Außenpolitik sagte Adenauer, dass er die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Ostblockstaaten unter bestimmten Voraussetzungen für wünschenswert halte. Er hoffe auch, dass die Bestrebungen zur Förderung des europäischen Einigungswerkes einen starken Impuls bekommen. Eine politische europäische Union sei dringend nötig. Mit großem Nachdruck sprach Adenauer die Hoffnung aus, dass der deutsch-französische Vertrag endlich mit Kraft durchgeführt werde.

Mit einem klaren Ja bekannte sich Konrad Adenauer zu der jetzigen Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Auf die Frage, ob auch er unter den gegebenen Umständen das Zusammengehen von CDU/CSU und SPD für unausweichlich gehalten habe, sagte Adenauer wörtlich:

"Die Ordnung unserer Wirtschaft und Finanzen wird ziemlich sicher verfassungsändernde Gesetze erfordern. Die dazu nötige Zweidrittelmehrheit der Stimmen war nur durch ein Zusammengehen der CDU/CSU und der SPD möglich."

Hamburger Abendblatt: In der Großen Koalition regieren beide großen Parteien miteinander. Diese Gemeinsamkeit macht es vielen Wählern gewiß schwer, sich am Wahltag zu entscheiden. Wie kann die CDU ihr eigenes Profil wahren und sich bei der Bundestagswahl 1969 weiterhin als Alternative zur SPD anbieten?

Adenauer: Ich habe keine Zweifel daran, dass die beiden großen Parteien Entscheidungen von besonderer Prägung, in der sie verschiedener Meinung sind, vermeiden werden. Alle demokratischen Parteien in Deutschland haben ja in vieler Hinsicht übereinstimmende Ansichten. Auf diesem Boden werden sich die beiden Koalitions-Parteien - wie ich hoffe - einigen.

Hamburger Abendblatt: Die Bundesregierung will das Wahlrecht ändern. Halten auch Sie ein reines relatives Mehrheitswahlrecht nach britischem Muster für die beste Lösung zur Schaffung klarer Mehrheiten im Bundestag? Ist ein Zwei-Parteien-System erstrebenswert?

Adenauer: Das Entstehen von Splitterparteien sollte nach meiner Meinung durch Verschärfung der Maßnahmen, die zu diesem Zwecke schon im Grundgesetz enthalten sind, verhindert werden, ähnlich wie das die bayerische Verfassung tut. Ein Wahlrecht nach britischem Muster halte ich für nicht gut, ein Zwei-Parteien-System erscheint mir nicht ohne weiteres erstrebenswert.

Hamburger Abendblatt: Eines der wichtigsten außenpolitischen Ziele der neuen Bundesregierung ist die Verbesserung des deutsch-französischen Verhältnisses. Gibt es für dieses Bemühen - nach der bereits erfolgten Regelung der Truppenstationierung - weitere konkrete Ansatzpunkte?

Adenauer: Ich hoffe sehr, dass der deutsch-französische Vertrag endlich mit Kraft durchgeführt wird. Seit meinem Ausscheiden im Jahre 1963 aus dem Amte des Bundeskanzlers ist er - gelinde gesagt - vernachlässigt worden.

Hamburger Abendblatt: Die Hoffnungen auf ein engeres politisches Zusammenrücken der EWG-Staaten sind zusehends verblasst. Sehen Sie einen Weg, dem europäischen Einigungswerk neue Impulse zu geben?

Adenauer: Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist aus wirtschaftspolitischen Gründen geschaffen worden. Wir haben aber dringend nötig eine politische europäische Union, um die besonderen Interessen Europas vertreten zu können. Ich hoffe, dass die Bestrebungen zur Förderung des europäischen Einigungswerkes einen starken Impuls bekommen. Ich halte dieses Einigungswerk für absolut notwendig im Interesse der Beruhigung in der Welt und insbesondere zum Schutze Europas.

Hamburger Abendblatt: Sind auch Sie der Meinung, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Ostblockstaaten der Bundesregierung größeren Spielraum für ihre Deutschland-Politik geben würde?

Adenauer: Ich halte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Ostblockstaaten unter bestimmten Voraussetzungen für wünschenswert.

Hamburger Abendblatt: Die neue Bundesregierung hat drastische Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschafts- und Finanzlage angekündigt. Glauben Sie, dass das deutsche Volk einsichtig genug ist, der Regierung auf diesem Weg zu folgen? Oder sehen Sie eine Gefahr, dass radikale politische Kräfte aus dieser Entwicklung Kapital schlagen könnten?

Adenauer: Ich hoffe sehr, dass das deutsche Volk einsichtig genug ist, um zu verstehen, dass nicht immer die Sonne scheinen kann am politischen und wirtschaftlichen Himmel, sondern dass es auch Wolken gibt. Wenn die Arbeitslosen sehen, dass ihnen geholfen wird, fürchte ich nicht, dass radikale politische Kräfte Kapital schlagen können aus dieser Entwicklung.

 

Quelle: Hamburger Abendblatt vom 5. Januar 1967.