4. März 1950

Pressekonferenz des Bundeskanzlers Adenauer zu den Saarkonventionen

Meine Damen und Herren! Ich habe Sie zu einer etwas ungewöhnlichen Stunde hierher bitten müssen, weil außergewöhnliche Ereignisse eingetreten sind. Und ich habe dann meine Bitte, mich zu hören, noch um eine Stunde verschieben müssen, weil wir um 11 Uhr noch nicht im Besitze des Textes der in Paris zwischen dem Saargebiet und Frankreich abgeschlossenen Konventionen waren. In der Zwischenzeit haben wir den Text erhalten. Der Text dieser Konventionen ist sehr umfangreich. Übersetzt werden hat er noch nicht können. Aber wir konnten in die wesentlichsten Punkte Einsicht nehmen. Ich bitte Sie daher auch, das, was ich Ihnen heute sagen möchte, als eine vorläufige Stellungnahme anzusehen, vorläufig allerdings nicht in dem Sinne, als wenn sich an dieser Stellungnahme noch etwas ändern würde, sondern vorläufig in dem Sinne, daß eine Ergänzung noch erfolgen wird. Es erschien mir aber notwendig, eine vorläufige Stellungnahme Ihnen mitzuteilen, weil doch offenbar die Verwirrung wenigstens in der deutschen Presse außerordentlich groß ist. Ich habe gerade nur zur Hand genommen drei Blätter, nota bene erscheinen sie alle drei in Frankfurt. Ich möchte Ihnen nur die Überschriften verlesen: "Frankfurter Rundschau": Frankreich pachtet Saargruben. "Frankfurter Neue Presse": Frankreich läßt seine Eigentumsansprüche fallen. "Frankfurter Allgemeine": Die Entscheidung über die Saar: Gegen Europa.

Aus diesen drei Überschriften sehen sie schon, wie schwer die Materie ist und wie wichtig es daher sowohl für die deutsche Öffentlichkeit, aber auch für die ausländische Öffentlichkeit ist, den Standpunkt der Bundesregierung zu der Angelegenheit so bald wie möglich zu hören.

Eines möchte ich vorausschicken, meine Damen und Herren: Die Überschrift der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": Die Entscheidung über die Saar: Gegen Europa scheint mir in kurzen und präzisen Worten das zusammenzufassen, was über die ganze Angelegenheit zu sagen ist.

Meine Damen und Herren, die Bedeutung der ganzen Angelegenheit ist außerordentlich groß. Einmal: es handelt sich bei der Saar um rund 1 Mill[ion] Deutscher, und es handelt sich dabei um die Wegnahme von Kohlengruben, deren Besitz für einen wirtschaftlichen Ausgleich innerhalb der Bundesrepublik Deutschland absolut notwendig ist, so daß die Wegnahme dieser Kohlengruben auch die Ziele des Marshallplanes gefährdet. Aber darüber hinaus müssen wir Vertreter der Bundesrepublik Deutschland uns mit dieser Frage beschäftigen, weil wir bisher wenigstens von den Westalliierten als die Verantwortlichen auch für die Deutschen angesprochen worden sind, die nicht zur Bundesrepublik Deutschland gehören. Ich wäre Ihnen dankbar, namentlich den Herren und Damen, die die ausländische Presse vertreten, ihren Blättern mitzuteilen, daß man unmöglich sagen kann: Die Bundesrepublik Deutschland ist verantwortlich für Berlin, muß das Letzte tun, damit Berlin nicht fällt, ist verantwortlich für das Geschick der Deutschen in der Ostzone, muß versuchen, dort dem sowjetrussischen Einfluß entgegenzuarbeiten, wenn man dann nicht gleichzeitig nach dem Westen zu dieselbe Stellung einnimmt.

Dieser ganze Saarkomplex und die Entwicklung, die diese Frage zu nehmen scheint, ist aber auch deswegen von einer außerordentlich großen Bedeutung, weil, wenn diese Sache so bleibt, das Vertrauen in die Erklärungen der Westalliierten innerhalb der deutschen Bevölkerung auf das schwerste geschädigt wird. Was jetzt in Paris paraphiert worden ist, steht in direktem Widerspruch zu einer Reihe von Erklärungen, die sowohl von der Regierung der Vereinigten Staaten wie der englischen und der französischen Regierung bisher abgegeben worden sind. Es ist bisher von den Alliierten immer daran festgehalten worden, daß eine Veränderung der Grenzen Deutschlands nur durch den Friedensvertrag erfolgen dürfe; ich betone ausdrücklich, daß das die westalliierten Regierungen, die ich eben genannt habe, zu wiederholten Malen ausdrücklich erklärt haben. Sie haben das auch noch erklärt im Jahre 1949, als es sich darum handelte, daß an Belgien und Holland Grenzstreifen abgetreten wurden. Damals ist von den Westalliierten ausdrücklich erklärt worden, es handele sich um vorläufige Maßnahmen, die endgültige Regelung der Grenzfragen werde im Friedensvertrag mit Deutschland erfolgen.

Meine Damen und Herren! Im Januar dieses Jahres hat mir der Staatssekretär der USA, Acheson, ausdrücklich mitteilen lassen, daß die USA zwar Frankreich zugesagt hätten, sie würden beim Friedensvertrag die Wünsche Frankreichs bezüglich der Autonomie der Saar und ihrer Wirtschaftseinheit mit Frankreich unterstützen, daß aber dadurch Frankreich bis zum Friedensvertrag nicht carte blanche hat. Im Pariser Abkommen vom Sommer oder Herbst des Jahres 1949, in dem Frankreich den Antrag gestellt hat, daß die Saarregierung in den Europarat eintreten solle, ist dem zunächst von den angelsächsischen Mächten widersprochen worden, weil die Saarregierung kein selbständiges Land sei. Man hat dann dem Drängen Frankreichs nachgegeben, aber mit dem Zusatz - und das ist, soviel ich weiß, bisher in der Öffentlichkeit nicht bekannt gewesen -, mit dem Zusatz, daß der Beitritt der Saar in die Europa-Union erfolgen solle bis zum Friedensvertrage mit Deutschland. Also, meine Damen und Herren, noch auf dieser Konferenz, die dem Petersberger Abkommen unmittelbar vorangegangen ist, haben die drei westalliierten Regierungen durch das, was ich Ihnen eben gesagt habe, erklärt, daß der Status der Saar erst durch den Friedensvertrag mit Deutschland geregelt werden soll.

Meine Damen und Herren! Psychologisch ist für uns Deutsche und für die europäische Frage der Abschluß der Konventionen zwischen Frankreich und der Saar geradezu verheerend. Sie kennen die psychologischen Spannungen in Europa zwischen dem Westen und dem Osten, Spannungen, die sich über den ganzen Erdball hinwegziehen. Sie kennen, meine Damen und Herren, nationalistische Bestrebungen in Deutschland, denen ich bisher - aber ich unterstreiche das Wort "bisher" -, keine große Bedeutung beigemessen habe. Diese Konventionen sind dazu angetan, den nationalistischen Bestrebungen in Deutschland die stärkste Unterstützung zu geben, die ihnen überhaupt gegeben werden könnte. Ich sage dieses Wort, meine Damen und Herren, sehr überlegt und in vollem Bewußtsein meiner Verantwortung. Sie wissen, daß ich alles andere als nationalistisch bin, daß ich es für ein großes Unglück ansehen würde, für Deutschland und für Europa, wenn nationalistische Bestrebungen in Deutschland mehr Fuß fassen würden als bisher. Und darum bin ich erschüttert geradezu über den Mangel an psychologischem Verständnis für die Lage in Deutschland und in Europa, der sich in diesen Konventionen zeigt. Es ist mir, meine Damen und Herren, völlig unbegreiflich - ich wiederhole das, völlig unbegreiflich -, warum man in Frankreich den gegenwärtigen Augenblick gewählt hat, um diesen Zündstoff hier auszuschütten. Ich habe Herrn Außenminister Schuman, als er seinerzeit in Bonn war und wir über diese ganzen Fragen sprachen, auf das dringendste und herzlichste gebeten, doch die ganze Saarfrage ruhig liegenzulassen. Es bestehe, so habe ich ihm gesagt, gar kein zwingender Anlaß, warum man jetzt diese Frage nun so in vermeintlich feste Form bringen sollte, und ich habe ihn hingewiesen auf die außerordentlich großen Schwierigkeiten, die einer gemäßigten, einer nicht-nationalistischen Bundesregierung durch den Abschluß solcher Konventionen entstehen würden. Ich habe ihn ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nach meiner Überzeugung damit den so gut eingeleiteten Verständigungsversuchen zwischen Frankreich und Deutschland ein sehr schwerer Schaden zugefügt würde. Ich habe ihn darauf hingewiesen, daß mir die Frage der Entwicklung des Europarates, der europäischen Union dadurch sehr gefährdet erscheine, und ich habe ihn deswegen gerade als Freund des Friedens, gerade als Freund einer Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland und als Freund des europäischen Gedankens auf das herzlichste gebeten, Frankreich möchte doch diese Materie jetzt nicht in Angriff nehmen, man solle doch warten, bis Deutschland in die europäische Union eingetreten sei. Ich sei fest davon überzeugt, daß sich dann auf dem Boden der europäischen Union eine Regelung herbeiführen lasse, die unseren Interessen, den Interessen Frankreichs und den Interessen der Bewohner des Saargebietes gerecht würde.

Ich bedauere außerordentlich, daß aus mir, ich wiederhole das, völlig unverständlichen Gründen man es für nötig gefunden hat, trotzdem kein zwingender Anlaß erkennbar ist, gerade jetzt diese Frage in einer solchen Weise zu regeln und damit alles das, was wir auf dem Gebiet einer friedlichen Verständigung bisher erreicht haben, gefährdet. Ich bin darüber um so erstaunter, als mir der französische Außenminister Schuman im Oktober des Jahres 1948 erklärt hat, daß nach seiner Auffassung Frankreich nur wirtschaftliche Interessen an der Saar habe und daß das Saargebiet politisch eines Tages zu Deutschland zurückkehren wird. Damals war Herr Schuman schon französischer Außenminister. Welche Gründe ihn dazu bewogen haben, von dieser seiner mir gegenüber freiwillig abgegebenen Erklärung abzugehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich möchte in dieser Stunde an alle Deutschen, die wie wir die Frage der Ordnung an der Saar als eine Frage von eminenter Bedeutung für Deutschland ansehen, bitten, keinen nationalistischen Bestrebungen und Einflüsterungen stattzugeben. Ich möchte alle Deutschen, insbesondere auch die Kriegsgeneration aller Grade, vom untersten Soldaten bis zum obersten General, bitten, vertrauensvoll sich hinter den Bundestag und die Bundesregierung zu stellen. Sie können versichert sein, daß wir, so gut wir das können, die Interessen des deutschen Volkes auch in nationaler Hinsicht vertreten werden.

Und nun muß ich Ihnen einen kurzen Rückblick vortragen historischer Natur. Ich möchte mich beschränken auf einen historischen Rückblick bezüglich des Status des Saargebietes und bezüglich der Saargruben, denn von den ganzen Konventionen sind am wesentlichsten diejenigen, die sich mit dem politischen Status des Saargebietes und den Saargruben beschäftigen. Das Saargebiet, meine Damen und Herren, ist seit dem Jahre 1945 ein Teil der französischen Besatzungszone und nichts anderes. In dem Potsdamer Abkommen und in wiederholten späteren Erklärungen, von denen ich sprach, ist ausdrücklich festgestellt worden, daß eine Änderung der alten deutschen Grenzen erst im Friedensvertrag erfolgen solle. Es ist auch noch, meine Damen und Herren, in einer Denkschrift des amerikanischen State Department vom Oktober 1948 zur Saarfrage ausdrücklich erklärt worden, rechtlich bleibe das Saarland, das seinerzeit als ein Teil der französischen Besatzungszone unter französische Aufsicht gestellt wurde, unter der Jurisdiktion des Alliierten Kontrollrats für Deutschland, solange diese Körperschaft ihre Autorität über das Saarland beibehalte. Das ist eine Erklärung, die völkerrechtlich von der denkbar größten Bedeutung ist. Sie gestatten, sie hier zu wiederholen. Das Saarland ist ein Teil der französischen Besatzungszone. Es untersteht dem Kontrollrat solange, als der Kontrollrat nicht eine andere Maßnahme trifft. Daher können diese Konventionen, die jetzt zwischen der Saarregierung und der französischen Republik geschlossen worden sind, nur dann Gültigkeit bekommen, wenn die übrigen Alliierten zustimmen. Der deutsche Appell richtet sich daher also nicht nur an die französische Regierung, er richtet sich genausogut an die englische Regierung und an die Regierung der Vereinigten Staaten.

Die oben erwähnten Erklärungen des Staatssekretärs Acheson sprechen Frankreich das Recht ab, diese Verträge mit der Saarregierung abzuschließen.

Noch eines darf ich in dem Zusammenhang sagen: Ich habe den französischen Außenminister Schuman bei seiner Anwesenheit in Bonn dringendst gebeten, man möge, wenn er nun von einem Aufschub dieser Saarverhandlungen nichts wissen wolle, die Bundesregierung in irgendeiner Form zuziehen, damit wir doch wenigstens unsere Meinung zu der ganzen Sache sagen können. Auch das, meine Damen und Herren, hat die französische Regierung nicht getan. Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie also festzuhalten, daß das Saargebiet franz[ösisches] Besatzungsgebiet unter der Jurisdiktion und Hoheit der Westalliierten ist und daß alle Zusicherungen, die Frankreich bezüglich Unterstützung seiner Ansprüche beim Friedensvertrag gegeben worden sind, an diesem Zustand nichts ändern, so daß also nach unserer Auffassung Frankreich jetzt gehandelt hat unter Außerbetrachtlassung aller dieser alliierten Bestimmungen.

Meine Damen und Herren! Ich darf dann nochmals darauf zurückkommen, daß, als Frankreich den Eintritt der Saar in die europäische Union gewünscht hat, ausdrücklich von den Angelsachsen verlangt worden ist: "Ja, aber nur bis zum Abschluß des Friedensvertrages". Also auch noch im Herbst dieses Jahres ist von den Westalliierten gegenüber Frankreich der Standpunkt vertreten worden, daß über den völkerrechtlichen Status des Saargebietes erst im Friedensvertrage mit Deutschland entschieden werden könne.

Nun zu den Saargruben, meine Damen und Herren: An die Spitze stelle ich, daß diese Saargruben das einzige Besitztum des Saargebietes sind. Es sind etwa 35% aller arbeitsfähigen Personen des Saargebietes in diesen Gruben beschäftigt. Die saarländische Industrie ist auf die Saarkohle restlos angewiesen. Diese Saargruben waren bis zum Jahre 1918 zum größten Teil preußisches Staatseigentum, zu einem kleinen Teil bayrisches Staatseigentum. Sie sind dann im Versailler Vertrag auf Frankreich übertragen worden. Es ist aber dann, und zwar in den Jahren 1934/35, ein Abkommen, und zwar als letztes ein deutsch-franz[ösisches] Abkommen von Neapel am 19.2.1935, über die Rückführung der Saargruben in das Eigentum des Deutschen Reiches getroffen [worden]. Das Deutsche Reich hatte dafür nach der Saarabstimmung 900 Millionen Goldfranken zu zahlen. Dieser Betrag ist bis auf 46 Millionen [Goldfranken] bezahlt, und diese 46 Millionen [Goldfranken] sind, wenn ich recht unterrichtet bin, darum nicht bezahlt worden, weil ein Teil des Betrages von 900 Millionen [Goldfranken] durch Lieferung von Saarkohlen abgegolten werden sollte und Frankreich diese Kohlen nicht haben wollte. Dann hat das Deutsche Reich die ganzen Gruben eingebracht in eine Aktiengesellschaft, deren sämtliche Aktien dem Deutschen Reiche gehörten. Nach dem Zusammenbruch ist die AG von den Alliierten, die alles Reichseigentum unter das Gesetz 52 gestellt hatten, unter Sequester gestellt worden; und auch jetzt befinden sich diese Saargruben unter Sequester im Auftrage der Alliierten. Sie gehörten dem Deutschen Reich und, da nach dem von den Alliierten genehmigten Grundgesetz die Bundesrepublik Deutschland das Eigentum des Deutschen Reiches für sich in Anspruch nehmen kann, gehören sie der Bundesrepublik Deutschland.

Was ist nun in den Konventionen in der Hauptstadt vereinbart worden? Ich wiederhole: Ich will in dieser ersten Stellungnahme nur sprechen über zwei Konventionen, allerdings über die beiden wichtigsten: über die erste Konvention betreffend den politischen Status des Saargebietes und über die andere Konvention, die sich auf die Saargruben bezieht. Meine Damen und Herren! In dieser ersten Konvention, die sich auf den politischen Status des Saargebietes bezieht, wird das Saargebiet losgetrennt aus den alten Grenzen Deutschlands. Es wird für politisch unabhängig erklärt, und es wird ihm, meine Damen und Herren, eine auswärtige Vertretung zugebilligt. Es wird darüber hinaus auch bestimmt, und das ist für uns Deutsche hier besonders bedeutungsvoll, daß bei den französischen Konsulaten in den Gebieten, in denen die Saar Interessen hat, Saarvertreter attachiert werden können. Das Saargebiet hat seine meisten Interessen in Deutschland und in der Bundesrepublik, und es würde uns also dadurch zugemutet werden, daß wir demnächst bei den französischen Konsulaten saarländische Vertreter sehen sollen. Es wird weiter [nach] diesem Abkommen ein Botschafter Frankreichs für das Saargebiet bestellt, allerdings ein Botschafter mit besonderen Rechten. Dieser Botschafter hat einmal das Recht, gesetzgeberische und verwaltungsmäßige Anordnungen der Saarregierung zu inhibieren, durch die die politische Unabhängigkeit der Saar beeinträchtigt werden könnte, d.h. mit anderen Worten: Wenn ein saarländischer Landtag etwa beschließen sollte, es solle abgestimmt werden, ob sich die Saar nicht der Bundesrepublik Deutschland anschließen solle, dann kann der französische Botschafter das inhibieren. Er kann auch jede andere in diese Richtung gehende Bewegung inhibieren. Und, meine Damen und Herren, er kann sogar, wenn die politische Unabhängigkeit der Saar ihm bedroht erscheint, nach Befragen der Saarregierung an der Saar den Belagerungszustand erklären. Sie sehen daraus, meine Damen und Herren, daß diese politische Unabhängigkeit der Saar doch eigentlich nur gilt, soweit nicht Frankreich in Frage kommt. Es kommt hinzu, daß die hermetische Absperrung des Saargebietes gegenüber Deutschland anscheinend nach den Konventionen nicht gelockert werden wird. Sie alle, die Sie mit dem Saargebiet irgendwelche Fühlung haben, wissen, wie die Saarbevölkerung darunter leidet. Zusammenfassend darf ich feststellen, daß also diese Konventionen den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens und den wiederholten Erklärungen der westalliierten Regierungen völlig widersprechen, daß sie unvereinbar damit sind und daß wir nun abwarten müssen, was die anderen westalliierten Regierungen dazu sagen werden.

Ich möchte dann noch einiges sagen, meine Damen und Herren, zu den Bergwerken an der Saar. Man hat offenbar eingesehen, daß man auf dem ursprünglich beabsichtigten Wege nun wirklich nicht weitergehen konnte. Man wollte nämlich der Saar das Eigentum an den Minen übertragen, und dann sollte die Saar als Dank dafür die Minen an Frankreich verpachten. Man war nämlich in französischen Regierungskreisen davon ausgegangen, daß die Saargruben noch preußisches Eigentum seien und daß, da Preußen nicht mehr bestände und da in den anderen Ländern des Bundesgebietes das preußische Eigentum Eigentum der Länder geworden sei, auch diese vermeintlich früheren preußischen Gruben Eigentum der Saarregierung seien. Nachdem die französische Regierung sich darüber hat belehren lassen müssen, daß die Saargruben Eigentum des Deutschen Reiches gewesen sind, daß sie also durch das Gesetz 52 unter Sequester gestellt worden sind und daß sie der Kontrolle der Alliierten unterliegen, wie alles frühere Reichseigentum, hat man nun einen anderen Weg eingeschlagen. Man hat die Frage des Besitzrechtes der Gruben überhaupt nicht weiter berührt. Man hat der Regie der Saarkohlengruben, die unter französischer Leitung stehen, die Ausbeutung übertragen und hat diese Konvention geschlossen bis zum Abschluß des Friedensvertrages mit Deutschland, hat dann aber hinzugefügt: Wenn dieser Friedensvertrag den Besitz der Kohlengruben dem Saargebiet zuerkennt, so gilt diese Konvention rechtlich weiter für eine Periode von 50 Jahren Totaldauer ihrer Anwendung. Es wird von französischer Seite diese Regelung dargestellt als ein Entgegenkommen gegenüber unseren Bedenken.

Meine Damen und Herren, davon kann gar keine Rede sein. Es handelt sich in gar keiner Weise um ein Entgegenkommen gegenüber unseren Bedenken, sondern es handelt sich darum, daß man sich auf französischer Seite klar darüber geworden ist, daß man von einer völlig unzutreffenden rechtlichen Voraussetzung ausgegangen ist. Man hat einen Weg gewählt, der de facto das Saargebiet seines Besitzes entkleidet und Frankreich die Bergwerke übergibt, zunächst auf die Dauer von 50 Jahren. Was nach 50 Jahren in Europa und an der Saar sein wird, braucht uns, glaube ich, in dieser Stunde nicht weiter zu beschäftigen und zu interessieren. Und nun bekommt die Saarregierung dafür 30 Fr[ancs] pro To[nne] geförderte Kohle. 80 Fr[ancs] sind gleich 1 DM. Also bekommt das Saargebiet geradezu nur eine Anerkennungsgebühr. Und in Wirklichkeit handelt es sich darum, und das ist vielleicht auch der Grund des Ganzen, daß Frankreich dadurch sich einen ganz großen Besitz sichert. Ob es das tut als Kriegsentschädigung, das weiß ich nicht. Aber darüber muß man sich klar sein, meine Damen und Herren, daß die treibende Kraft der ganzen Regelung nichts anderes ist als auri sacra fames, also der Hunger nach Gold.

Meine Damen und Herren! Ich habe eingangs meiner Worte davon gesprochen, daß der wirtschaftliche Ausgleich, den der Marshallplan für uns herbeiführen will, durch die Ausscheidung des Saargebiets aus Deutschland ganz außerordentlich gefährdet und beeinträchtigt wird, so daß also auch unter diesem Gesichtspunkt insbesondere die Vereinigten Staaten alles Interesse daran haben, sich diese ganze Angelegenheit sehr genau zu besehen. Wenn eine Nachricht, die ich heute morgen in der Presse gelesen habe, richtig ist, so hat die britische Regierung schon erklärt, daß sie über diesen ganzen Vorgang nicht unterrichtet worden sei. Es ist natürlich Sache der britischen Regierung, meine Damen und Herren, welche Schlüsse sie daraus zieht. Ich möchte aber annehmen, daß auch die amerikanische Regierung nicht unterrichtet gewesen ist. Und es wird jetzt auch Sache der Regierung der Vereinigten Staaten sein, daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Aber für das Objekt der Behandlung der drei alliierten Regierungen - und das sind wir ja, meine Damen und Herren - ist es doch geradezu in hohem Maße erschreckend, daß eine einzelne dieser Regierungen in dieser für uns unter jedem Gesichtspunkt, unter psychologischen Gesichtspunkten und unter materiellen Gesichtspunkten, lebenswichtigen Frage glaubt, einseitig vorgehen zu können.

Ich möchte zum Schluß kommen. Falls Sie irgendeine besondere Frage haben und ich sie beantworten kann, bin ich dazu bereit, natürlich unter allem Vorbehalt. Aber ich möchte doch nochmals die politischen Aspekte, die sich hier ergeben, betonen. Sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn das im Westen passiert, geduldet oder sanktioniert wird: Wo in aller Welt wird man dann gegenüber Polen noch etwas sagen können wegen der Oder-Neiße-Linie? Und daher ist diese Angelegenheit auch für das Verhältnis der Westalliierten gegenüber Sowjetrußland eine Frage von eminenter politischer Bedeutung. Ich habe schon gesagt, daß mir diese Behandlung der ganzen Angelegenheit als eine schwerste Schädigung des europäischen Zusammenschlusses erscheint. Ich bedauere das so außerordentlich, weil ich nach wie vor der Ansicht bin, daß sich gerade auf dem Wege über den europäischen Zusammenschluß die Saarfrage mit Leichtigkeit hätte lösen lassen können. Bei dieser Lösung der Saarfrage, wie sie jetzt von der französischen Regierung beliebt ist, kann keine Rede mehr davon sein, daß sie durch das Sicherheitsbedürfnis Frankreichs begründet sei. Denn daß im Zeitalter der Wasserstoff-Atombombe das Saargebiet als Sicherheitsfaktor für Frankreich keine Rolle spielt, das ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Aber gerade weil ich mich immer in Deutschland so für eine deutsch-französische Zusammenarbeit eingesetzt habe - ich darf Sie in diesem Zusammenhang noch erinnern an das Interview, das ich seinerzeit Herrn Friedlaender in der "Zeit" gegeben habe -, gerade deswegen, weil ich die Bedeutung dieser Zusammenarbeit so außerordentlich hoch einschätze, bedauere ich aufs tiefste, daß man geglaubt hat, in der Behandlung dieser Frage den Weg gehen zu müssen, den man gegangen ist. Damit möchte ich vorläufig schließen, meine Damen und Herren. Es wird wahrscheinlich, wie Sie schon wissen, der Bundestag sich nächsten Freitag mit der Angelegenheit beschäftigen in einer Sitzung, die besonders zu diesem Zweck entgegen dem ursprünglichen Programm einberufen wird. Und es wird sich auch der Auswärtige Ausschuß des Bundestages ebenfalls mit der Angelegenheit beschäftigen. Ich darf nur wünschen und hoffen, daß man uns richtig versteht und daß man auch meine Worte auffaßt als von tiefster Sorge getragen für den unheilvollen Einfluß, den derartige Vorgänge in psychologischer Hinsicht in Deutschland und in Europa ausüben werden.

Dr. Löwenthal: Herr Bundeskanzler, Sie haben eine amerikanische Denkschrift darüber zitiert, daß das Saargebiet noch unter der Hoheit des Alliierten Kontrollrats ist. Soviel ich weiß, ist das Saargebiet niemals unter die Hoheit der Alliierten Hohen Kommission gestellt worden, und der Kontrollrat ist seit zwei Jahren nicht mehr zusammengetreten. Würden Sie den Wiederzusammentritt des Kontrollrats wünschen?

Dr. Adenauer: Diese Frage hat wohl damit kaum etwas zu tun. Der Viermächtekontrollrat in Deutschland ist nicht mehr zusammengetreten; Sie wissen, warum. Aber diese Denkschrift des amerikanischen State Department spricht davon noch im Oktober 1948, als auch der Viermächtekontrollrat de facto schon nicht mehr zusammengetreten war. Sie wissen aber wohl auch, daß de jure der Viermächtekontrollrat weiterbesteht. Damit besteht auch die Unterstellung des Saargebiets unter diesen Kontrollrat.

Gerst: Ich möchte zusätzlich zu dieser Frage noch folgendes fragen. Sie unterstellen also, daß der Alliierte Kontrollrat de jure weiterbesteht. Sie haben auch in Ihrer Ansprache vorhin festgestellt, daß diese Pariser Konventionen Gültigkeit nur erlangen können, wenn die übrigen Alliierten zustimmen. Sie sind dann fortgefahren, daß Ihr Appell in dieser Frage sich auch an die Regierungen Englands und Amerikas richte, haben aber nicht die zum Alliierten Kontrollrat gehörende Gruppe der Sowjetunion erwähnt.

Dr. Adenauer: Das werden Sie ja tun, Herr Gerst.

(Gerst: Bestimmt!)

Dr. Bahr: Wird die Regierung entsprechend Ihrem schon einmal geäußerten Satz, daß die Saar nicht so wichtig ist wie die Europa-Union, beim Bundestag den Eintritt Deutschlands in die Europa-Union beantragen?

Dr. Adenauer: Ich habe, glaube ich, sehr klar gesagt, daß nach meiner Auffassung diese Vorgänge einen sehr schweren Schlag für die europäische Zusammenarbeit bedeuten. Mehr möchte ich zunächst darüber nicht sagen.

Martin: Herr Bundeskanzler, wird die Regierung einen Protest aufgrund der Atlantik-Charta an die Alliierten richten?

Dr. Adenauer: Aufgrund der Atlantik-Charta? - Ja ...

(Dr. Löwenthal: Ist das die Antwort, Herr Bundeskanzler?)

Nein, das war nur ein Wort, um einen Augenblick nachzudenken, ehe ich die Antwort formuliere. Daß wir in der Angelegenheit etwas tun werden, ist klar. Worauf wir uns stützen werden, das werden wir überlegen. Aber lassen Sie mich Ihnen in diesem Zusammenhang folgendes sagen: Ich glaube, daß die Verhältnisse im Saargebiet mit Demokratie nichts mehr zu tun haben und daß daher diejenigen Mächte, die die besonderen Vertreter des demokratischen Gedankens sind, die ganze Angelegenheit auch unter diesem Gesichtspunkt betrachten sollten.

Dr. Fuchs: Wie erklären Sie es sich, Herr Bundeskanzler, daß der englisch-amerikanische Standpunkt, der ursprünglich der deutschen Auffassung Rechnung zu tragen schien, sich in letzter Zeit offenbar völlig geändert hat?

Dr. Adenauer: Mir ist nichts davon bekannt, daß er sich geändert hat. Ich habe ja eben erwähnt, ich habe heute in einer der Zeitungen gelesen, daß ein Vertreter, ich glaube, des Foreign Office in England, erklärt hat, sie seien nicht unterrichtet worden. Aus einer solchen Erklärung geht wohl kaum hervor, daß man einverstanden ist.

Dr. Seidel: Herr Bundeskanzler, haben Sie nicht den Eindruck, daß diese Konvention, die da in Paris geschlossen worden ist, etwas Ähnlichkeit hat mit dem von Deutschland propagierten Protektoratsgedanken aus dem Jahre 1939?

Dr. Adenauer: Ich habe den Gedanken allerdings auch gehabt, daß das Regime an der Saar sehr viele Rudimente des nationalsozialistischen Regimes noch in sich trägt. Vielleicht ist aber der Name "Protektorat" noch zu gut. Ich will Ihnen das erklären. Sehen Sie einmal, der französische Vertreter an der Saar hat das Recht, alles zu inhibieren, was die politische Unabhängigkeit der Saar beeinträchtigen könnte. Der französische Staat bekommt die Bergwerke und damit die gesamte Industrie in seine Hand. Das Saargebiet bekommt eine lächerliche Abgabe von jeder Tonne geförderter Kohle. Man könnte also auch von Kolonie sprechen -, obgleich ich das nicht tue. Aber man könnte es.

(Heiterkeit.)

Gerst: Sie haben auf die nicht-demokratischen Verhältnisse im Saargebiet hingewiesen. In Ihrer Pressekonferenz damals nach dem Besuch des Herrn Außenministers Schuman haben Sie davon gesprochen, daß zu überlegen sei, einen Appell an die Bevölkerung des Saargebiets zu richten. Besteht diese Absicht noch? Wird die Bundesregierung mit einem Appell an die Saarbevölkerung herantreten?

Zweite Frage: Gewinnt durch diese neuerlichen Vorgänge das Memorandum des Herrn Ministers Kaiser erneut Bedeutung?

Dr. Adenauer: Ich hoffe, daß das Echo sowohl der heutigen Besprechung wie der Bundestagssitzung die Saarbevölkerung erreicht, und darf Ihnen dazu, etwas weiter ausholend, folgendes sagen: Ich stehe auf dem Standpunkt, daß, wenn die Saarbevölkerung sich frei und unbeeinflußt für dies oder jenes entscheidet, jeder das respektieren muß, auch wir Deutschen, aber auch Frankreich. Voraussetzung ist allerdings, daß diese Willenserklärung der Saar frei und unbeeinflußt erfolgt.

Nun das Memorandum des Herrn Kaiser! Herr Gerst, Sie möchten noch ein bißchen mehr Temperatur haben. Ich habe Temperatur genug, ich möchte Ihnen darin nicht folgen.

Dr. Schreiber: Herr Bundeskanzler, Sie haben erwähnt, daß Sie den Außenminister Schuman gebeten hätten, einen Vertreter der Bundesrepublik zuzuziehen. Können Sie uns sagen, ob er eine Antwort darauf erteilt hat und welche?

Dr. Adenauer: Er hat dazu geschwiegen, er hat es nicht getan. Ich habe aber in erster Linie gebeten, die ganze Saarfrage doch ruhenzulassen, bis wir in der Europäischen Union seien, dann würde die Frage sich meiner Meinung nach erledigen lassen.

Dr. Lohmann (?): Läßt sich der beabsichtigte politische Status des Saarlandes etwa mit dem Österreichs nach dem Ersten Weltkrieg vergleichen?

Dr. Adenauer: Weniger.

Raymond: Sind Sie der Ansicht, Herr Bundeskanzler, daß die Bundesregierung mit der Saarregierung durch diese französischen Konsulate verhandeln wird?

Dr. Adenauer: Sie meinen, durch die saarländischen Begleiter der französischen Konsulate. Das wird eine sehr heikle Frage werden. Wir wollen erst einmal abwarten, was Ihre Regierung zu dem ganzen Abkommen sagt.

Dr. Löwenthal: Sind Sie in Anbetracht dessen, was in dem Abkommen über den Protektorats- oder Kolonialcharakter der Saarrepublik gesagt worden ist, und in Anbetracht der Vertretung der Saar im Ausland durch die französischen Konsulate mit saarländischen Begleitern der Meinung, daß die Staaten des Europarates ihre Bereitschaft zur Zulassung der Saar als Mitglied revidieren sollen?

Dr. Adenauer: Wenn ich jetzt ja sagen würde, würde das bedeuten, daß wir, daß die Bundesrepublik Deutschland auf alle Fälle bereit ist, in den Europarat einzutreten. Ich möchte eine solche Erklärung in diesem Augenblick nicht abgeben. Ich meine, wenn Deutschland einen Wunsch bezüglich der Saar und des Europarates äußert, dann heißt das doch mit anderen Worten: Falls ihr das tut, werden wir eintreten. Ich weiß nicht, wie augenblicklich diese ganze Frage sich entwickeln wird.

Raymond: War es nicht die Meinung des Petersberger Abkommens, daß Deutschland in die verschiedenen internationalen Organisationen eintreten soll?

Dr. Adenauer: Das hat sich nicht auf diese Europäische Union bezogen. Aber man nahm damals an - wohl auch auf unserer Seite -, daß der Eintritt Deutschlands in die Europäische Union in Bälde erfolgen würde. Ich würde mich bei dem damaligen Stand nicht daran gestoßen haben, daß gleichzeitig die Saarregierung eingetreten wäre bis zum Abschluß des Friedensvertrages mit Deutschland. Aber jetzt hat die ganze Situation ein völlig anderes Gesicht bekommen, und ich glaube, wir werden zu der ganzen Frage Europäische Union neu Stellung nehmen müssen.

 

Quelle: Mitteilung an die Presse. Nr. 300/50. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Pressearchiv F 1/25.