4. Mai 1933

Brief an Dora Pferdmenges aus Maria Laach

 

Liebe Frau Pferdmenges!

Da ich weiß, wie sehr es Ihrem Charakter entspricht, ganz zu bejahen oder ganz zu verneinen, weiß ich auch, wie schwer es für Sie ist, zu dem, was vorgeht, die richtige Einstellung zu gewinnen. Die Bewegung ist aus so heterogenen Elementen zusammengesetzt, trägt Keim zu so verschiedenartiger Entwicklung in sich, daß man unmöglich in diesem Stadium eine bestimmte Einstellung dazu finden kann, wenn man etwas klar blickt. Wen äußere Umstände zwingen, positiv mitzutun, wenigstens in etwa - und ich könnte mir solche Umstände auch bei Ihnen denken -, der soll es in angemessener Weise tun; derjenige, bei dem solche Umstände nicht vorhanden sind, soll warten, bis klar wird, wohin die Reise geht. - Ich würde mich so gerne mit Ihnen in diesen schwierigen Zeiten über vieles austauschen, man klärt sich selbst dabei und kann auch vielleicht etwas helfen.

Die Rede hat mich sehr enttäuscht. Ich hatte denselben Eindruck wie Sie: war dafür alles das nötig! Ich füge Ihnen einen Ausschnitt aus der Frankfurter Zeitung - halten Sie sie? - bei, man muß allerdings zwischen den Zeilen lesen. Ich bitte Sie auch noch die Artikel über eine Rede Klagges, die französischen Pressestimmen und die angestrichene Stelle aus einer Rede des Dr. Ley zu lesen.

Die Angelegenheit Br[üning] ist ganz schrecklich. Er hat unter dem Deckmantel der Religion in der verwerflichsten Weise betrogen. Auch mich hat er um einen Betrag, den ich jetzt schmerzlich entbehre, unter besonders hässlichen Umständen - anscheinend - betrogen. Seit Monaten hatte ich Verdacht gegen ihn, auch bez. seiner Religiosität aus ganz bestimmten Gründen; ich habe darum auch mehrfach Ihren Mann gebeten, doch ja vorsichtig zu sein, allerdings war ich auf Derartiges nicht gefasst. Ich habe ihn seit längerer Zeit für leichtsinnig und unordentlich und unwahr gehalten, aber nicht für einen kaltblütigen Betrüger. Ich bin überzeugt, daß seine Frau, die ich immer für besser gehalten habe als ihn, nichts davon gewusst hat, und sie und die Kinder tun mir sehr leid. Ihm ist nicht zu helfen, es ist ganz gut, daß Ihr Mann fort bleibt. Ich war erleichtert, als ich in der Zeitung die Notiz über die Lösung der Beziehungen zwischen A. Levy und ihm las. Ich bin so empört über ihn, weil er in einer das hiesige Kloster betreffenden Angelegenheit so verbrecherisch gehandelt hat.

Sie haben mich richtig beurteilt: die Stille und Einsamkeit hier, die ganze geistige Atmosphäre - eine Atmosphäre von Religiosität und Frömmigkeit, Natur, Kunst und Wissenschaft - tut mir sehr gut; ich fühle das deutlich. Ich liebe auch die Einsamkeit und die Stille an sich. Wenn man nicht von dem getrennt wäre, was einem teuer ist, und wenn nicht die Sorge für die Zukunft wäre, könnte man zufrieden sein. Ich bemühe mich redlich, mit der Zeit und mit mir innerlich fertig zu werden. Hilty, den Sie ja auch schätzen, spricht in einem seiner Bücher von den „Stufen des Lebens“. Ich will versuchen, eine weitere Stufe zu ersteigen.

Die Nachricht von Ihrem baldigen Kommen ist wirklich eine frohe Botschaft. Kommen Sie recht bald, recht oft und recht lang! Hier ist alles zu Ihrem Empfang bereit, die Sonne bringen Sie mit. Die Pflaumen und Birnen sind abgeblüht, die Äpfel, die am See in großen Mengen stehen, fangen mit Blühen an, über Nacht ist der ganze Buchenwald grün. Ich habe nie so schöne Vergissmeinnicht gesehen wie hier in den Wäldern, große Stellen sind ganz blau. Auch die weißen Waldblumen, die voriges Jahr in Baden-Baden auf dem Merkur so schön blühten, sind schon da. Ich darf vielleicht zum Dank für die kleine Lilie einen Gruß hier aus den Wäldern beifügen.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Freundlichkeiten gegenüber meiner Familie und bin sehr dankbar für jedes Lebenszeichen, das ich hier - in der Verbannung - bekomme.

Mit vielen herzlichen Grüßen
stets Ihr

Konrad Adenauer

 

Quelle: Freundschaft in schwerer Zeit. Die Briefe Konrad Adenauers an Dora Pferdmenges 1933-1949. Bearb. von Hans Peter Mensing und Ursula Raths. Bonn 2007, S. 51-53.