4. September 1950

Brief an Hedwig Finger, Siegen

Hedwig Finger (1899-1974), ab 1924 Mitglied der internatio­nalen Friedensbewegung, Politikerin des Zentrums bis 1933 und der CDU ab 1945, 1946-1954 MdL in Nordrhein-Westfalen.

 

Sehr geehrte Frau Finger!

Ich möchte auf Ihr Schreiben vom 21. August zurück­kommen. Ich bedaure sehr Ihre Ansicht, die ich aber für völlig falsch halte. Selbstverständlich wollen unsere Män­ner und Söhne, aber auch unsere Frauen und Kinder leben und nicht sterben, und es ist wohl ganz selbstverständlich, dass gerade Deutschland nicht irgendwie zur Vergrößerung der Kriegsgefahr beitragen darf. Aber so wie die Dinge jetzt liegen, reizen wir geradezu und fordern die Sowjetregierung und die Ostzonenregierung auf, unser Land in Besitz zu nehmen. Die Folge davon würde sein, dass unsere Männer in die Armee gepresst oder ebenso wie Frauen und Kinder zur Arbeit abtransportiert werden.

Wenn Sie die Dinge einmal durchdenken, werden Sie mir beipflichten. Neutralität kann nur dann ein Land bewah­ren, wenn es stark genug ist, diese Neutralität gegenüber jedermann zu verteidigen, sonst bleibt die Neutralität auf dem Papier. Das haben wir an Belgien und Holland erlebt. Ich bitte Sie, haben Sie das Vertrauen, dass die Bundes­regierung sicher keinen Krieg will. Ich bitte Sie, diesen Brief vertraulich zu behandeln.

Mit vielen Grüßen

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 109f.