5. August 1949

Schreiben an Goetz Briefs, Chevy Chase/Maryland

Goetz Briefs (1889-1974), Prof. Dr. rer. pol., Wirtschafts­wissenschaftler und Soziologe, lehrte in Würzburg (1922), Freiburg (1923-1926) und Berlin (1926-1934), 1934 in die USA emigriert, dort u.a. an den Universitäten Georgetown (1937-1962) und Columbia (Gastprofessur 1938-1949).

 

Sehr geehrter Herr Professor!

 

Wie Sie wissen, wird die Wahl am 14. August entschei­dend dafür sein, ob wir in Deutschland eine sozialistische Regierung mit allen ihren Konsequenzen erhalten oder ob wir zu einer Regierung kommen, die auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet eine freiheitliche demokratische Ordnung verwirklichen wird. Ich bin der Überzeugung, dass weite amerikanische Kreise daran interessiert sind, dass die Kräfte in Deutschland gefördert werden, die sich für eine freie Wirtschaft einsetzen, die zugleich der Lösung der großen sozialen Fragen dient. Leider müssen wir hier in Deutschland immer wieder feststellen, dass die Ziele und Absichten der Union in der amerikanischen öffentlichen Meinung viel zu wenig bekannt sind. Die amerikanische Presse bringt oft Berichte, die oberflächlich und irreführend sind. In diesen wird die Christlich-Demokratische Union meist als reaktionäre katholische Partei hingestellt. Ich wäre Ihnen für die Beantwortung der Frage dankbar, wie in der amerikanischen Presse eine gründ­lichere, den Tatsachen entsprechende Berichterstattung erreicht werden könnte. Ich füge diesem Schreiben einiges Material bei, aus dem Sie die Programmatik unserer Partei ersehen mögen und das vielleicht publizistisch ausgewer­tet werden kann.

Mich beschäftigt aber noch etwas weiteres. Der Führer der Sozialdemokratie, Dr. Schumacher, soll nach zuver­lässigen Informationen über die mangelhafte Unter­stützung durch die Labour Party in der letzten Zeit so enttäuscht sein, dass er das bisher bestehende enge Verhältnis lösen und durch engere Verbindung zu den amerikani­schen Gewerkschaften ersetzen möchte. Auf diese Weise hofft Herr Schumacher in Amerika für Sozialisierungspläne der sozialistischen Partei rechtzeitig Stimmung zu machen. Dem möchte ich so schnell als möglich entgegenwirken. Könnten Sie mit den führenden Persönlichkeiten der C.I.O. und A.F.L. Fühlung nehmen und ihnen die Sachlage mit Eindringlichkeit darlegen? Ich weiß, dass beide Gewerkschaften den Sozialismus marxistischer Richtung ablehnen und dass sie deshalb in den sozialisti­schen Parteien des Kontinents nicht ihre Verbündeten sehen. Sollten Sie in der Lage sein, mir einige praktische Wege zu zeigen, wie eine engere Beziehung zu den beiden großen Gewerkschaften hergestellt werden kann - etwa durch die Entsendung eines hervorragenden christlichen Gewerkschaftlers nach Amerika -, so wäre ich Ihnen hier­für sehr dankbar.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ihr sehr ergebener

(Dr. Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 93-96.