5. Januar 1933

Schreiben an Alfred Hugenberg, Berlin

Ich bestätige den Empfang Ihres gefl. Schreibens von 13. ds. Mts.

Ich darf zunächst auf Grund dieses Schreibens feststellen, dass die Wieder­gabe Ihrer Ausführungen in der Kölnischen Zeitung nicht richtig gewesen ist. Die Fassung des Berichts in der Kölnischen Zeitung hatte in weiteren, übrigens auch in mir politisch nicht nahestehenden Kreisen der Kölner Bürgerschaft deswegen Unwillen hervorgerufen, weil man glaubte, daraus entnehmen zu können, dass Sie in Ihrer Rede mir den Vorwurf gemacht hätten, es seien öffentliche Mittel für mich als Privatperson verwendet worden. Was nun Ihre weiteren Ausführungen in Ihrem Schreiben vom 13. ds. Mts. angeht, so erlaube ich mir, darauf folgendes zu bemerken:

1.) Bei der Beurteilung der Kreditoperation Klepper wird immer wieder übersehen, dass der Stadt Köln der Gegenwert der von Herrn Klepper zur Diskontierung gegebenen Wechsel gar nicht zugeflossen ist. Die Kölner Filiale der Dedi-Bank hatte der Stadt Köln 12 Millionen RM geliehen. Sie verlangte die Rückzahlung möglichst noch vor dem 31.12. zwecks Bereinigung ihrer Bilanz. Die Stadt Köln hatte nach aller Voraussicht die Möglichkeit, aus ihr zugesagten Geldern im Laufe des Sommers die 12 Millionen RM zurückzuzahlen, sie konnte es aber nicht vor dem 1.1. Ich habe dann Herrn Klepper zwar zunächst gebeten, der Stadt Köln 12 Millionen RM vor dem 31.12. zu leihen. Als ich Herrn Klepper um das Darlehen bat - ich habe ihn übrigens meines Wissens bei dieser Gelegenheit zum ersten Male gesprochen - und ihm sagte, die Kölner Filiale der Dedi-Bank lege großen Wert darauf, die 12 Millionen RM noch vor Jahresschluss zurückgezahlt zu erhal­ten im Hinblick auf ihre Bilanz zum 31.12., hat er mir sofort erwidert, er dürfe nach dem Statut der Preußenkasse keinen Kommunalkredit geben - mir war das unbekannt. Er hat dann den Vorschlag gemacht, der später zur Ausführung gekommen ist, und ausgeführt, dass dadurch die Bilanz der Kölner Filiale eine entsprechende Verbesserung erfahre und es für die Preußenkasse gleichgültig sei, welcher Bank sie ihre Wechsel, die sie in genügender Zahl habe, gebe. Die weiteren Verhandlungen sind dann zwischen einem Direktor der Kölner Filiale und Herrn Klepper direkt ohne mein Zutun geführt worden.

2.) Was Ihre Ausführungen über meine von Ihnen so bezeichnete „kommu­nale Misswirtschaft" im allgemeinen angeht, so ist es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, im Rahmen einer schriftlichen Auseinandersetzung, wenn diese nicht das Maß des Gestatteten bei weitem überschreiten soll, zu antworten. Ich bin aber durchaus bereit, Ihnen oder einem von Ihnen damit zu betrauenden sachver­ständigen Herrn mündlich jede gewünschte Auskunft über die Finanzwirtschaft der Stadt Köln seit der Stabilisierung zu geben.

Ich möchte mich hier, ehe ich zu Ihren speziellen Beanstandungen komme, auf folgende allgemeine Ausführungen beschränken: Die Stadt Köln war bei Ende des Krieges über 100 Jahre Festung. Es harrte noch das ganze alte, zwischen der Stadt und den Vororten liegende Rayongelände, das durch die Entfestigungen von 1906/7 von den Baubeschränkungen frei geworden war, der städtebauli­chen Erschließung. Dazu kam jetzt das außerordentlich große, nunmehr von den Beschränkungen frei werdende Rayongelände jenseits der Vororte. Ferner gab der Fortfall der Festungseigenschaft und der damit Hand in Hand gehen­de Fortfall der Rayonbeschränkungen in der Stadt überhaupt die Möglichkeit, Bahnen zu bauen und Industriegelände zu schaffen - bei Abbruch des Krieges hatte Köln keinen Quadratmeter Gelände zur Verfügung, das gleichzeitig Wasser- und Bahnanschluss hatte. Es hat endlich die Bevölkerung Kölns in der Zeit von 1919-1930 ohne Eingemeindung um rund 100.000 Menschen zugenommen. Aus diesen Tatbeständen ergab sich eine Reihe ganz großer und umfangreicher städtebaulicher Aufgaben, die angefasst und möglichst erfüllt werden mussten. Die Verhältnisse in Köln lagen etwas anders als in den andern Städten.

Ich füge Ihnen in der Anlage bei eine Zusammenstellung der langfristigen und kurzfristigen Schulden der Stadt Köln nach dem Stande vom 31.12.31, geord­net nach dem Verwendungszweck der aufgenommenen Gelder. Sie werden daraus, wie ich hoffe, ohne weiteres ersehen, dass für direkte Luxusausgaben verhältnismäßig wenig ausgegeben worden ist. Die rechtzeitige Konsolidierung des größten Teils unserer schwebenden Schulden ist uns dadurch unmöglich geworden, dass uns die Aufnahme einer uns angebotenen großen langfristigen Anleihe im Jahre 1925 nur zum Teil genehmigt wurde und dass uns im Jahre 1928 die Aufnahme einer langfristigen Auslandsanleihe von mindestens 25 Millionen Dollar, die uns verbindlich angeboten war und auf die uns bereits ein Vorschuss von 41 Millionen RM gegeben worden war, durch die Stellung, die die maßgebenden Stellen gegenüber der Aufnahme langfristiger Auslandsanleihen durch die Kommunen einnahmen, unmöglich gemacht worden ist.

Dass hier und da Fehlinvestitionen vorgekommen sind, ist ohne weiteres zuzugeben. Es ist das bei der Fülle der Aufgaben und bei der Schwierigkeit der ganzen Situation verständlich, ich glaube jedenfalls entschuldbar. Zu diesen Fehlinvestitionen rechne ich auch die Ihnen bekannte Erbauung der Müllver­wertungsanstalt. Ich führe hier zur Entschuldigung des damaligen Dezernenten, dem ich die Angelegenheit in weitem Masse zur selbstständigen Erledigung über­lassen habe, an, dass die Motoren-Fabrik Deutz A.-G. und die Maschinenbauan­stalt Humboldt A.-G. damals glaubten, ein neues Verfahren zur Müllverwertung gefunden zu haben, und dass der Kölner Bau das Probestück sein sollte. Die Motoren-Fabrik Deutz A.-G. und die Maschinenbauanstalt Humboldt A.-G., ein, wie Ihnen bekannt sein wird, sehr großes und für Köln wichtiges industriel­les Unternehmen, hoffte durch den Kölner Bau zahlreiche Aufträge im Inland und Ausland zu bekommen. Derartige Aufträge wären der Stadt Köln indirekt durch Beschäftigung Arbeitsloser, Steuern usw. zugute gekommen. Die Moto­ren-Fabrik Deutz A.-G. und die Maschinenbauanstalt Humboldt sind von ihren Leuten schmählich getäuscht worden und wir mit ihnen; sie sowohl wie die Stadt Köln haben dadurch erhebliche finanzielle Verluste gehabt.

Ob man bei der von der Stadt Köln befolgten Grundstückspolitik von Fehlin­vestitionen sprechen kann, ist mir sehr zweifelhaft. Ich stehe deswegen dieser Angelegenheit verhältnismäßig objektiv gegenüber, weil ich, wenn auch formell, so doch materiell nicht die Verantwortung dafür trage. Ich habe die Grundstücks­politik zur fast restlos selbstständigen Bearbeitung meinem damaligen 1. Bür­germeister Dr. Matzerath, einem sehr klugen Manne, und dem Grundstücks-Ausschuss, in dem unsere besten und zuverlässigsten Stadtverordneten waren, überlassen. Übrigens habe ich, als nach meiner Auffassung schließlich doch zuviel gekauft wurde, ehe die Kapitalknappheit sich merklich fühlbar machte, den Ankauf weiteren Grund und Bodens inhibiert. Man wird aber bei der Beurteilung der Grundstückskäufe nicht übersehen dürfen, dass durch die neue Entfestigung Kölns genau wie bei den vergangenen große Grundstückstransaktionen nötig wurden.

Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass unsere Grundstücke zu hoch in die Bilanz eingesetzt seien. Wir haben in den 11 Monaten des Jahres 1931 für 1,9 Millionen RM Grundstücke verkauft. Darauf sind 1,5 Millionen RM in bar gezahlt worden, ein Zeichen dafür, dass wir in der Bemessung des Kaufpreises nicht zu hoch gegangen sind. Trotzdem liegen die Kaufpreise durchgängig über unseren Bilanzwerten (im Jahre 1926 ist eine Abwertung der Grundstückswerte teilweise bis auf 60% vorgenommen worden). Sie führen an, dass die Schulden­last der Grundstücksverwaltung dem Werte der zweifellos nicht zu niedrig in die Bilanz eingesetzten Grundstücke voll entspräche, und ziehen daraus für unsere Finanzpolitik ungünstige Schlussfolgerungen. Ich darf demgegenüber darauf hinweisen, dass absichtlich bei den Bilanzen unserer Grundstücksverwaltung auch schon vor dem Zusammenbruch der Wert der Grundstücke sogar etwas unter die Schuldsumme der Grundstücksverwaltung gesetzt worden ist, um uns davor zu schützen, dass die Stadtverordneten aus erhofften Gewinnen der Grundstücks­verwaltung Summen in den laufenden Haushaltsplan einstellten. In der Bilanz der Grundstücksverwaltung vom 31.3.19 betrugen die Aktiven 74,3 Millionen, die Passiven 86,1 Millionen M.

Über den Erwerb der Kohlenfelder kann man geteilter Meinung sein. Wir haben sie zu teuer bezahlt, das ist richtig, aber der Besitz der Felder an sich, die von 2 benachbarten Zechen aus ohne Niederbringung neuer Schächte in Abbau genommen werden können, ist für uns bei den Verhandlungen mit der Ruhr-Gas-A.-G. über den Bezug von Ferngas, die auf einen toten Punkt infolge der unseres Erachtens untragbaren Forderungen der Ruhr-Gas-A.-G. angekommen waren, sehr wichtig gewesen. Die Verhandlungen sind dadurch wieder in Fluss gekom­men und haben zu einem für uns tragbaren Ergebnis geführt. Ihr Besitz ist auch jetzt bei den Verschiebungen, die auf dem Gebiete der Elektrizitätswirtschaft im Westen vor sich gehen, für uns wertvoll.

Was die Pressa angeht und die Einweihungsfeierlichkeiten der neuen Köln-Mülheimer Brücke, so erscheinen die dafür aufgewendeten Beträge heute sicher sehr hoch. Man muss aber meines Erachtens auch hier folgendes berücksichti­gen: Für „Essen", das heißt für Speisen und Getränke, sind in dem Pressa-Jahre ausgegeben worden 364.279,68 RM. Wenn man bedenkt, dass 500, darunter 39 internationale Veranstaltungen in dem Jahre stattgefunden haben, wenn man weiter bedenkt, dass damals die Preise erheblich höher waren als jetzt, so glau­be ich, kann man doch über diese Angelegenheit zu einem erheblich milderen Urteil kommen.

Was die Einweihungsfeierlichkeiten der Köln-Mülheimer Brücke angeht, so bitte ich, zunächst folgendes vorausschicken zu können: Mülheim ist im Jahre 1914 eingemeindet worden. Damals war ihm der Bau einer Brücke fest zugesi­chert worden. Die Mülheimer selbst hatten schon Jahrzehnte vorher sich mit dem Plan beschäftigt. Die Brücke wurde erst vollendet am 13.10.29. Für den ganzen Stadtteil Mülheim, der 58.000 Menschen umfasst, war die Eröffnung der Brücke ein Tag von allergrößter Bedeutung. Es kam hinzu, dass die Befreiung der Rheinlande bald bevorstand und dass darum auch die Einweihung der Brücke zu einem wirklichen Volksfest werden sollte. Dass sie ein wirkliches Volksfest war, bitte ich aus dem beiliegenden Bericht der Kölnischen Zeitung zu entnehmen. Zu der Hauptfeier, die auf der Brücke stattfand, waren 3.426 Personen eingeladen - übrigens haben die Kosten für die Einladungskarten ohne Briefumschläge 792 RM betragen.

Zum Schluss wiederhole ich nochmals, dass es sehr schwer ist, die Finanzpo­litik, die während einer Reihe von Jahren geübt wurde, in einer verhältnismäßig kurzen Darlegung auseinanderzusetzen. Ich bin aber zu einer ausführlichen Dar­stellung, wie ich oben bereits schrieb, durchaus bereit. Ich bin der Überzeugung, und zwar nach wie vor, dass in der Hauptsache die von mir befolgte Politik richtig war, weil die Möglichkeiten, die die Entfestigung Kölns boten, ausgenutzt werden mussten und nur in jenen Jahren ausgenutzt werden konnten.

Das Gesamtbild der finanziellen Lage Kölns ist übrigens, wenn man die gegen­wärtige abnorme Arbeitslosigkeit außer Betracht lässt, nicht so ungünstig, wie es erscheint, wenn man immer wieder lediglich die Höhe der Schuldsumme sieht und nicht auch auf das achtet, was an positiven Werten geschaffen worden ist. Der beste Beweis hierfür ist folgender: Im Jahre 1913 genügten die Erträgnisse der Werke und Bahnen nicht, um Zinsen und Tilgungsquoten der gesamten städ­tischen Schulden zu decken; es mussten für einen nicht unerheblichen Teil des Schuldendienstes, etwa für [unleserlich]/4 bis [unleserlich]/5 Steuererträgnisse in Anspruch genommen werden. Jetzt ist trotz der ungünstigen wirtschaftlichen Lage der Ertrag der Werke und Bahnen höher als der gesamte städtische Schuldendienst, dabei hält sich der Preis für Strom und Gas durchaus im Durchschnitt der Preise anderer Städte oder gemischtwirtschaftlicher Unternehmungen.

Hochachtungsvoll

gez. Dr. Adenauer

 

Quelle: HAStK 902/105/3, Bl. 279-285, Kopie, ohne Ort. Abgedruckt in: Konrad Adenauer 1917-1933. Dokumente aus den Kölner Jahren. Hrsg. v. Günther Schulz. Köln 2007, S. 88-92.