5. Mai 1950

Schreiben des Bundeskanzlers Adenauer an den Geschäftsführenden Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland, McCloy

 

Herr Hoher Kommissar!

Die Regierung der Französischen Republik und die Regierung des Saarlandes haben am 3. März d[es] J[ahre]s in Paris eine Anzahl von Abkommen und Protokollen unterzeichnet. Der Bundesregierung sind die in der Anlage beigefügten zehn Abkommen durch das Französische Hohe Kommissariat zur Kenntnis gebracht worden.

Die Bundesregierung gestattet sich, der Alliierten Hohen Kommission die nachfolgende Stellungnahme zu diesen Abkommen zu unterbreiten und sie zu bitten, diese Stellungnahme den Regierungen der Französischen Republik, des Vereinigten Königreiches und der Vereinigten Staaten von Amerika zur Kenntnis bringen zu wollen.

Die Bundesregierung geht davon aus, daß nach den Erklärungen der Alliierten vom 5. Juni 1945 Deutschland nicht aufgehört hat, als Staat nach dem Gebietszustande vom 31. Dezember 1937 zu bestehen.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist zwar nur von dem deutschen Volk in elf Ländern geschaffen worden; das deutsche Volk in den elf Ländern hat dabei aber zugleich auch für die Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Dies ist in der Präambel und in Einzelbestimmungen des Grundgesetzes, das von den drei westlichen Besatzungsmächten genehmigt wurde, unzweideutig zum Ausdruck gebracht worden. Die Bundesregierung, die sich auf freie, demokratische Wahlen stützt, ist daher befugt und verpflichtet, die deutschen Rechte und Interessen insgesamt zu wahren.

Durch das Potsdamer Abkommen und andere alliierte Erklärungen wurde grundsätzlich festgelegt, daß der Gebietsbestand Deutschlands nur durch einen Friedensvertrag geändert werden kann. Daraus ergibt sich, daß bis zu diesem Zeitpunkt keine Tatbestände geschaffen werden dürfen, die der endgültigen Regelung vorgreifen.

Aus dem Schreiben des Britischen Hohen Kommissars vom 9. März 1950 und aus der Erklärung des Stellvertreters des Französischen Hohen Kommissars vom gleichen Tage hat die Bundesregierung mit Genugtuung entnommen, daß die Britische und die Französische Regierung dieser Rechtslage Rechnung zu tragen gewillt sind und die französisch-saarländischen Abkommen als vorläufig und nur bis zum Friedensvertrag gültig betrachten.

Trotzdem kann es nicht zweifelhaft sein, daß in den Saarabkommen der Versuch gemacht wird, die Grundlage für eine endgültige Lösung der Saarfrage zu schaffen. Die Französische Regierung erkennt durch den Abschluß der Abkommen das Saargebiet und seine Regierung als selbständigen und legitimierten Vertragspartner an. In dem Allgemeinen Abkommen wird in Artikel 1 auf die Präambel der Saarverfassung, die übrigens nicht durch den freien Willen der Bevölkerung zustande gekommen ist, Bezug genommen. In ihr wird die politische Unabhängigkeit des Saarlandes vom Deutschen Reich proklamiert. Gemäß Artikel 3 des genannten Abkommens hat der Vertreter Frankreichs im Saarland die politische Unabhängigkeit des Saarlandes durch Ausübung seines Einspruchsrechtes gegen saarländische Gesetze und Verordnungen zu sichern.

Zu dem Inhalt der Abkommen beschränkt sich die Bundesregierung auf folgende Bemerkungen:

Durch die Abkommen wird das Saargebiet von Deutschland völlig unabhängig. Gleichzeitig wird es in allen wesentlichen Beziehungen in eine so weitgehende Abhängigkeit von Frankreich gebracht, daß von einer wahren Autonomie nicht die Rede sein kann. In politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht wird an der Saar eine Ordnung geschaffen, die, wenn der Friedensvertrag nicht in aller Bälde abgeschlossen wird, Anlaß zu der Behauptung geben könnte, der bis dahin geschaffene Zustand sei nicht mehr ohne schwere wirtschaftliche und soziale Störungen zu ändern. Der Ministerpräsident des Saarlandes hat am 3. März d[es] J[ahres] ausdrücklich erklärt, er betrachte die in den Abkommen getroffene Regelung nicht als vorläufig, sondern als endgültig; ihre Bestätigung durch den Friedensvertrag sei selbstverständlich.

Zu besonderen Bedenken gibt das Abkommen über den Betrieb der Saargruben Anlaß.

Die Saargruben waren auf Grund des deutsch-französischen Abkommens vom 1. März 1935 in das Eigentum des Deutschen Reiches übergegangen und wurden später in eine Aktiengesellschaft eingebracht, deren Aktien ausschließlich dem Deutschen Reiche gehörten. An dieser Rechtslage ist auch durch das Gesetz 52 nichts geändert worden, das lediglich eine Sperre und Beaufsichtigung der von ihm erfaßten Vermögenswerte, zu denen auch das Reichseigentum gehört, zum Inhalt hat. Dieses Gesetz ändert nichts an den Eigentumsverhältnissen und gibt auch der Besatzungsmacht kein Recht, solche Veränderungen vorzunehmen. Sie ist auf die treuhänderische Verwaltung, Verwahrung, Erhaltung und Beschützung dieses Eigentums beschränkt. Eine Verfügung zugunsten des Treuhänders selbst, wie sie in der Überlassung des Betriebes der Gruben an den Französischen Staat liegt, ist mit dieser Rechtslage nicht vereinbar.

Die Bundesregierung kann es daher nicht unwidersprochen lassen, wenn in dem Grubenabkommen davon ausgegangen wird, daß das Saarland begründete Rechtsansprüche auf das Eigentum an den Gruben habe, und daß die künftige Friedensregelung diese Rechte nur formell zu bestätigen brauche.

Aus allen diesen Gründen legt die Bundesregierung gegen die französisch-saarländischen Abkommen vom 3. März 1950 Verwahrung ein.

Unabhängig davon steht für die Bundesregierung die Saarfrage in dem Zusammenhang einer gesamteuropäischen Lösung. Sie ist überzeugt, daß sich im Benehmen mit ihr eine Lösung finden ließe, durch die den berechtigten Interessen aller Beteiligten Rechnung getragen wird. Durch eine solche Behandlung der Frage könnten gerade an der Saar die Grundlagen einer positiven Zusammenarbeit im europäischen Geiste gelegt werden.

Genehmigen Sie, Herr Hoher Kommissar, den Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.

Adenauer

 

Quelle: BArch, NL Blankenhorn N 1351/3, Bl. 261-264.