5. September 1954

Grußwort an den 76. Deutschen Katholikentag in Fulda

Von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer

 

Politische Entscheidungen von großer Tragweite nehmen mich in diesen Tagen in Anspruch, so dass es mir zu meinem größten Bedauern nicht möglich ist, am diesjährigen Katholikentag teilzunehmen.

Deshalb entbiete ich auf diesem Wege Ihnen allen in der Stadt Fulda, in der ich zuletzt am 13. Juni zum 1200. Gedenktag des Märtyrertodes des Heiligen Bonifatius weilen und zu vielen von Ihnen auch sprechen durfte, meine herzlichsten Grüße. Sie gelten den zahlreichen Teilnehmern aus der Bundesrepublik, besonders aber unseren lieben Landsleuten aus der sowjetischen Besatzungszone. Fulda ist zu einer Stätte der Zusammengehörigkeit und Begegnung geworden. Mein Gruß gilt auch den vielen Besuchern, die aus dem Ausland zu uns gekommen sind.

Ich grüße die kirchlichen Würdenträger, alle Laien, die in so großer Zahl sich an dieser erinnerungsreichen Stätte versammelt haben. Ich wünsche Ihnen, dass die Beratungen, die Aussprachekreise, die persönlichen Gespräche sowie die großen Kundgebungen dieser Tage Klärung und Anregung, neue Entschlusskraft, vor allem auch den Schwung zur Verwirklichung des Programms gebracht haben, das der Leitgedanke von Fulda "Ihr sollt mir Zeugen sein" zum Ausdruck bringt. Es ist ein sehr zeitgemäßes, aufrüttelndes Programm.

Lassen Sie mich einige Worte über Politik und politische Betätigung sagen. Politik ist ein sehr dehnbarer, vor allem aber auch ein dem Inhalt nach ständig wechselnder Begriff. Politisch ruhigen Zeiten folgen politische Stürme. Unsere Zeit ist durchtobt von einem politischen Orkan, der an den Grundlagen der Freiheit, des Christentums rüttelt. Wenn die Sturmflut aus dem Osten sich über die Bundesrepublik, über Westeuropa ergießt, können wir für lange Zeit nicht mehr von einem christlichen Europa sprechen. Der täuscht sich, der glaubt, die Grundlagen unserer geistigen Existenz seien fest und gesichert. In solchen Zeiten gehört der Christ mitten hinein in das politische Leben. Denn nur so kann er die Grundlagen, die Voraussetzungen des christlichen Lebens retten, sie zu retten, ist er im Gewissen verpflichtet. Sowjetherrschaft bedeutet die Vernichtung aller Werte der abendländischen Kultur, die Vernichtung allen freien Zusammenlebens in der menschlichen Gemeinschaft, die Vernichtung der brüderlichen Gesinnung unter den Menschen und nicht zuletzt die Ausrottung unseres christlichen Glaubens. Wir brauchen als Christen heute in der Politik mehr denn je die Gabe erhöhter Wachsamkeit, um den Weltkommunismus erfolgreich zu bestehen. Leichtgläubigkeit, Kurzsichtigkeit, naive Kritiklosigkeit haben sich schon bitter gerächt. Das Schicksal vieler Glaubensbrüder soll uns eine Warnung sein.

Ein weiteres Anliegen vorzutragen sei mir erlaubt. Die Jahre des Nationalsozialismus, des Krieges, der Vertreibung haben eine große geistige und materielle Not über unser Volk gebracht. Gewiss hat der Wiederaufbau vielen geholfen, aber bei weitem nicht allen. Die geistige und die materielle Not - lassen Sie es mich noch einmal sagen - ist sehr groß. Der Staat, die öffentlichen Organe suchen ihr zu steuern, so gut sie können. Aber wir wollen über der staatlichen Hilfe niemals vergessen der Hilfe, die die christliche Nächstenliebe zu leisten im Stande ist. Der Staat, die öffentlichen Organe sind kühl, wenn nicht kalt, sie können nicht geistig, nicht individuell helfen, das kann nur die christliche Nächstenliebe, ihr Wirken kann durch nichts ersetzt werden, und ihr Wirken ist in unserer Zeit notwendiger als je. Wir alle kennen das erste und höchste Gebot. Lasset uns seiner über der öffentlichen Fürsorge nicht vergessen, lasset uns immer daran denken, dass wir dem Nächsten geistige und leibliche Hilfe schulden.

Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass vom diesjährigen Katholikentag in der Stadt des Heiligen Bonifatius ein starker christlicher und abendländischer Impuls ausgehe. So soll die Tagung von Fulda bekunden, dass wir bereit sind, das gemeinsame Erbe der europäischen Völker zu verteidigen, dass wir entschlossen sind, die Freiheit zu sichern und die christliche Idee überall zur Geltung zu bringen.

 

Quelle: Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 5. September 1954.