6. März 1950

Interview des Bundeskanzlers Adenauer mit dem Journalisten Kingsbury-Smith für die Nachrichtenagentur International News Service, veröffentlicht am 9. März 1950

Übersetzung des englischen Wortlautes des Interviews von Kingsbury-Smith mit Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer

Der westdeutsche Kanzler Konrad Adenauer machte heute Frankreich das Angebot einer vollständigen Union beider Länder als ein Mittel, alle Differenzen über die Saar und andere Probleme beizulegen und einen Grundstein für die Vereinigten Staaten von Europa zu legen.

Dieser historische Vorschlag, die traditionelle Rivalität zwischen Frankreich und Deutschland zu beenden, wurde durch Adenauer in einem ausschließlichen Interview mit International News Service gemacht.

Es wurde zu einem Zeitpunkt gegeben, an dem die politische Spannung in Westdeutschland stieg, weil Frankreich sich auf 50 Jahre besondere Vorrechte im Saarkohlenbecken gesichert hat.

Das Angebot gleicht dem, das Winston Churchill Frankreich für eine Union mit England machte, als die deutschen Armeen die französische Nation 1940 überrannten.

Adenauer erklärte dem Korrespondenten:

"Eine Union zwischen Frankreich und Deutschland würde einem schwerkranken Europa neues Leben und einen kraftvollen Auftrieb geben. Psychologisch und materiell würde es von gewaltigem Einfluß sein und würde Kräfte freisetzen, die Europa sicherlich retten würden."

"Ich glaube, dies ist die einzige Möglichkeit, um Einheit in Europa zu erreichen. Hiermit würde der Rivalitätsgedanke zwischen den beiden Ländern verschwinden."

Adenauer sagte, er wäre äußerst bereit, eine deutsch-französische Union zu unterstützen, vorausgesetzt, daß auch England und den Benelux-Staaten, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, die Teilnahme offenstehe.

"Ich erwähne England und die Benelux-Staaten", so sagte er, "damit nicht der Eindruck entsteht, daß ein deutsch-französischer Block gebildet wird, um anderen seinen Willen aufzuzwingen."

Der Bundeskanzler sagte weiter, daß eine Rückkehr der Saar zu Deutschland eine wesentliche Voraussetzung für eine solche Union sein würde, aber er wies darauf hin, daß er glaube, das Saarproblem würde sich von selber lösen, wenn die Frage der deutsch-französischen Beziehungen auf einer höheren Ebene und unter der kühneren Schau, die mit der Union der beiden Länder gegeben sei, gelöst werden könnte.

Der 74jährige deutsche christlich-demokratische Führer empfing den Korrespondenten in der Bundeskanzlei in Bonn nach Abschluß einer Besprechung über das Saarproblem mit seinen Kabinett-Ministern. Adenauer ist aufs tiefste beunruhigt über, wie er es ansieht, Frankreichs praktische Annexion der Saarkohlengruben auf 50 Jahre. Er brachte seine Befürchtung zum Ausdruck, daß die deutsche Verstimmung gegenüber diesem Schritt den Nationalismus in Deutschland ermutigen werde und die extremen Nationalisten dazu bewegen, den Blick nach Rußland zu wenden.

Auf die Frage, ob er bereit wäre, eine mögliche deutsch-französische Union in Erwägung zu ziehen, die gemeinsame Staatsbürgerschaft, gemeinsame Wirtschaft und ein gemeinsames Parlament einschließen würde, sagte der Kanzler: "Das ist ein Gedanke von solcher Größe (wörtlich: "Kaliber"), daß es keinen anderen gibt, der wichtiger für die Zukunft Europas sein könnte."

"Ich kann aus vollem Herzen ja sagen zu der Frage, ob ich glaube, daß die Einheit zwischen Frankreich und Deutschland, gegründet auf gegenseitiger Achtung und Gleichheit der Rechte, den Interessen und der Wohlfahrt ganz Europas dienen würde."

"Aber wir müssen auch an die Benelux-Länder und England denken und vor allem an letzteres in Anerkennung seiner europäischen Aufgaben."

"Eine deutsch-französische Union sollte für eine Teilnahme Englands und der Benelux-Nationen offen stehen."

Adenauer brachte weiter seine Bereitschaft zum Ausdruck, eine solche Union zu unterstützen, weil sie ein Mittel sei, Frankreich und Deutschland brüderlich zusammenzuführen und ein Fundament für ein vereintes Europa zu schaffen.

Abschließend sagte er:

"Während der letzten Tage war ich sehr pessimistisch gestimmt über die Beziehungen mit Frankreich und die Zukunft Europas. Aber diese Idee einer Union zwischen den beiden Ländern gibt mir neue Hoffnung und neuen Mut. Sie würde ganz bestimmt ein sehr starkes Bollwerk des Friedens sein."

 

Quelle: StBKAH 16.05 (deutscher Text).

Zweites Gespräch mit Howard Kingsbuy-Smith vom 20. März 1950 (International News Service).