7. April 1952

Schreiben an Gerhard Ritter, Freiburg/Breisgau

Gerhard Ritter (1888-1967), Prof. Dr. phil., Historiker, Ordinarius für Moderne Geschichte an den Universitäten Hamburg (1924/25) und Freiburg (1925-1956; 1944/45 in Gestapo-Haft).

 

Sehr geehrter Herr Professor!

Herr Dr. Tillmanns gab mir Abschrift Ihres Briefes an ihn vom 27. März. Herr Bundestagspräsident Ehlers las mir einige Stellen daraus vor, ohne Ihren Namen zu nennen. Da Sie offenbar Ihren Anteil an der weiteren Entwicklung nehmen, möchte ich versuchen, Ihnen kurz zu erwidern:

[...]

Ihre Kritik [an] der Note der Westmächte ist mir völlig un­verständlich. Zunächst stelle ich fest, dass ich dringend gebeten habe, die Note in einem sehr höflichen und ver­söhnlichen Tone zu halten. Von einer von den Russen vor­geschlagenen neuen Deutschland-Politik kann überhaupt nicht die Rede sein. Die Russen haben schon seit zwei Jahren die Pol[itik] der Neutralisierung Deutschlands ver­folgt, und zwar durch Beeinflussung französischer Politiker. Sie sehen jetzt, dass sie auf diesem Wege nicht weiterkommen, und versuchen es nunmehr auf dem Wege der von ihnen vorgeschlagenen Friedensverhandlung. Die entscheidenden Punkte an der von ihnen vorgeschlagenen Friedensregelung sind

a) Neutralisierung Deutschlands,

b) Festlegung der Oder-Neiße-Grenze.

Ich halte [es] geradezu für einen Erfolg der deutschen Politik, dass die Westmächte gegenüber der Frage der Neu­tralisierung Deutschlands eine so klare Haltung einnehmen. Vor zwei Jahren wäre das noch nicht möglich gewe­sen. Dass von einer Verschärfung des Gegensatzes zu Russland nicht die Rede sein kann, geht wohl am besten daraus hervor, dass die Russen fortgesetzt versuchen, Annäherungspolit[ik] zu treiben. Wie Sie zu der Vermutung kommen, dass man sich im „Kreise Ach[eson], Haustein, Adenauer" vorgenommen habe, in einigen Jahren ein Ultimatum zu stellen, ist mir ganz unklar. Es ist so selbst­verständlich, dass Deutschland sich nicht in eine Befreiungspolitik des Ostens begeben kann, dass ich keine Worte darüber zu verlieren brauche.

Wenn Sie schreiben, dass ich unter schärfster Anwendung von Drohungen mit Sprengung meiner Partei gezwungen werden müsse, den jetzigen Kurs einer Politik, die man nicht anders als einfach amerikahörig nennen könne, zu wechseln, so möchte ich Ihnen dazu folgendes bemerken, dabei wiederhole ich das, was ich schon seit Jahr und Tag öffentlich erklärt habe:

Mit Sowjet-Russland kann man nur verhandeln, wenn man mindestens gleich stark ist. Daher begrüße ich den Zusammenschluss der westlichen Welt. Ich bin überzeugt, dass, wenn die westliche Welt so stark ist wie Sowjet-Russland, eine Verständigung mit Sowjet-Russland möglich ist, aber nicht früher. Ich bin weiter überzeugt, dass ein Gespräch zu einem zu frühen Zeitpunkt Sowjet-Russland nur in seiner Haltung bestärkt.

Meine Politik geht dahin, Deutschland in den Westen ein­zubauen, um der Gefahr der Neutralisierung zu entgehen, um den Westen zu stärken, um bei der eines Tages eintre­tenden Möglichkeit der Verhandlung mit Russland mitsprechen zu können, und zwar im Interesse Deutschlands, im Interesse des Friedens.

Ich glaube nicht, dass meine Politik starr und unelastisch ist. Ich bin der Auffassung, dass das Schlechteste, was man tun könnte, ein Schwanken in der pol[itischen] Linie sein würde. Sie glauben nicht, wie stark das Misstrauen im Aus­land noch gegenüber Deutschland ist. Durch ein Schwan­ken würde man dieses Misstrauen in bedrohlicher Weise verstärken. Die Zeiten Bismarcks kann man mit den heu­tigen Zeiten überhaupt nicht vergleichen. Wir können und dürfen nicht auf zwei Klavieren gleichzeitig spielen.

Ich bin gerne bereit, wenn Sie gelegentlich nach Bonn kommen, mich mit Ihnen mündlich über alle diese Fragen zu unterhalten. Sie müssen aber dann schon einige Zeit vorher sich anmelden.

Hochachtungsvoll

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 132-134.