7. Januar 1947

Brief an Adolf Kaschny, Lemgo

Adolf Kaschny (1881-1951), 1924-1933 Oberbürgermeister von Ratibor und Mitglied des Preußischen Staatsrates (Prä­sident: Adenauer), 1946-1948 Abteilungsleiter beim Zentralamt für Arbeit der britischen Zone in Lemgo.

 

Lieber Herr Kaschny!

 

Es hat mich gefreut, von Ihnen zu hören. Ich hoffe, dass Sie sich wenigstens in etwa dort zurechtgefunden haben. Um das Wichtigste Ihres Briefes vorwegzunehmen: Sie fragen mich nach meiner Ansicht über die Zukunft des deutschen Ostens. Es hat den Anschein, als ob zwischen den angelsächsischen Mächten und Russland eine Ver­ständigung dahingehend stattgefunden hat, dass die letzte­ren die Oder-Neiße-Linie anerkennen und dass dafür die Russen in die wirtschaftliche Vereinigung des Restes ihrer Zone mit den übrigen Zonen einwilligen. Ich wiederhole: es hat den Anschein! Man wird ja im März weiter sehen. Bis dahin können noch allerhand unvermutete Dinge ein­treten. Meinen Standpunkt dazu habe ich in einer Neu­jahrsbotschaft an die CDU der britischen Zone bekanntgegeben. Ich habe darin gesagt: Kein Angehöriger der CDU werde m. E. einen Friedensvertrag unterschreiben, der die Oder-Neiße-Linie enthalte. Was die fernere Zukunft bringen wird, das steht ganz dahin. Kein Mensch kann es wissen. Uns bleibt nur eins übrig: alles zu tun, was in unseren Kräften steht, um die gesunden und wertvollen Eigenschaften unseres Volkes zu erhalten und weiter zu entwickeln.

Uns geht es leidlich. Meine Frau war lebensgefährlich er­krankt, ist aber auf dem Wege der Besserung. Hoffentlich sehen wir uns doch in absehbarer Zeit einmal wieder. Ich wünsche Ihnen alles Gute für 1947 und bin mit herzlichen Grüßen

 

Ihr

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 60f.