7. Juli 1945

Aufruf an die Kölner und Kölnerinnen

 

Kölner, Kölnerinnen!

Die Not, die uns drückt, die materielle, geistige und ethische Not, ist furchtbar. Wenn wir aus dem Abgrund, in den wir gestürzt sind, wieder emporsteigen wollen, müssen wir erkennen, was uns in ihn hineingestürzt hat.

„Wer Wind sät, wird Sturm ernten!"

„Wer das Schwert zieht, kommt durch das Schwert um!"

Das sind wahre Worte. Wir tragen Schuld an unserem Unglück; wir müssen uns klar darüber werden. Die einen haben gesündigt durch die Tat, die anderen durch ihr teilnahmsloses Zuschauen, sei es, dass sie blind waren oder dass sie nicht sehen wollten. Wieder andere, die die Macht dazu gehabt hätten, haben nicht eingegriffen und dem Bösen, dem Wahnsinn nicht Einhalt geboten, als es noch möglich war.

Wo sind die Keime des Militarismus und des Nationalsozialismus, dieser entsetzlichen Verirrung des deutschen Geistes? Aus welchem Boden hat das Böse seine Kraft gewonnen? Die tiefsten Wurzeln liegen in dem ungezügelten Materialismus, der seit vielen Jahren unser ganzes Volk ergriffen hat, und in einer aus materialistischem Streben erwachsenen, bis ins äußerste vorgetriebenen Fortbildung des Staatsgedankens, der seit längerer Zeit im ganzen deutschen Volke herrschend geworden war.

Wir wollen nicht verzweifeln, wir wollen zurückschauen auf die wahrhaft große Vergangenheit des deutschen Volkes.

Wir Kölner wollen unsere Stadt neu erstehen lassen aus Schutt und Asche, aus tiefem geistigen Verfall. Es ist eine schwere Arbeit und ein weiter Weg bis zum Ziel. Wir wollen den Weg gehen. Wir wollen das Werk schaffen mit gutem und festem Willen, mit viel Geduld und Ausdauer, mit vereinten Kräften.

Mitbürger! 1950 werden 1900 Jahre vergangen sein seit der Gründung unserer Stadt. Wenn sie in ihr zwanzigstes Säkulum tritt, wird ihr Antlitz noch nicht frei sein von Narben, aber es soll dann doch wieder friedliche und schöne Züge tragen. Die ererbte Heiterkeit ihrer Bewohner soll sich wieder leise regen. Der Geist, der Köln eigen war wie kaum einer anderen Stadt diesseits der Alpen, ihr deutscher und gleichzeitig europäischer Geist, das große Erbe der Römer und der Deutschen, des Christentums und des Humanismus soll dann wieder auferstanden sein.

Helft alle mit, jeder zu seinem Teil, jeder an seinem Platz! Jeder ist wichtig, eines jeden Arbeit ist wertvoll. Wenn wir uns selbst nicht aufgeben, wenn wir mit Mut und Kraft Hand anlegen ans Werk, dann wird Gott uns weiter helfen!

 

[Dr. K. Adenauer]

Oberbürgermeister

 

Quelle: „Kölnischer Kurier" vom 7. Juli 1945; abgedruckt in: E. Taylor/W. Niessen: Frontstadt Köln. Düsseldorf 1980, S. 143.