7. Juli 1957

Rede auf der Schlusskundgebung des Landesparteitags der CSU im Messehaus Nürnberg

 

Meine verehrten Damen und Herren! Meine lieben Freunde!

Der Einladung in die fränkische Metropole bin ich gerne gefolgt. Ich interessiere mich dafür, feststellen zu können, welche Wandlungen hier vor sich gegangen sind, seitdem ich zum letzten Male bei Ihnen weilte. Ich gestehe aufrichtig, der Nürnberger Lebkuchen ist mir lieber als das, was ich damals bekommen habe.

Ich hatte leider wenig Zeit, wie immer, ich hatte mir aber etwas Zeit genommen, um einen Gang durch das Germanische Museum zu machen. Ich beglückwünsche Sie zu dem Aufbau, und ich beglückwünsche Sie von ganzem Herzen zu dem Germanischen Museum, das ein wirkliches Kleinod für Ihre Stadtgeschichte und für die Geschichte ganz Deutschlands ist.

Ich danke der CSU, an ihrer Spitze Herrn Minister Seidel, für die Einladung, hierher zu kommen. Ich bin hierher gekommen - und so fasse ich auch die Einladung auf - zum Zeichen der festen Verbundenheit der CDU/CSU durch die Gemeinsamkeit der christlichen Grundlage, durch die Übereinstimmung in den Zielen und durch das Gemeinschaftsgefühl, das ganz von selbst entsteht, wenn man viele Jahre hindurch, oft in harter, schwerer Arbeit, miteinander gearbeitet hat. Dieser feste Zusammenhalt zwischen CSU und der CDU hat eigentlich mit den Grundstein dazu gelegt, dass wir durch gemeinsame Arbeit Deutschland wieder aufbauen konnten. Darum ist es mir ein herzliches Bedürfnis, der CSU Bayerns auch in ihrer fränkischen Hauptstadt von ganzem Herzen zu danken, dass sie seit über acht Jahren, schon seit dem Parlamentarischen Rat, seit sie ihre Arbeit begann, trotz mancher Gegensätze, die notwendig sind, mit der CDU immer so treu und fest zusammengehalten hat. Ich hoffe bei Gott, dass das auch in Zukunft der Fall sein wird, zum Segen für das ganze deutsche Volk.

Wir haben in den acht Jahren seit 1949 viel und schwer gearbeitet. Ich brauche nur einige Worte zu sagen, dann entsteht vor Ihrem geistigen Auge wieder die ganze Fülle der Arbeit. Wenn ich an den Wiederaufbau unserer Wirtschaft denke, an die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, an die Schaffung einer stabilen Währung, an den Wiederaufbau unserer Städte und Dörfer, an die Hilfe für die Landwirtschaft, die so schwer unter strukturellen Schwierigkeiten leidet, an unsere Sozialreform und, meine Damen und Herren, an die Wiederherstellung des Ansehens und der Ehre des deutschen Volkes, des Vertrauens für das deutsche Volk in den damals uns feindlich gegenüberstehenden Ländern, und wenn ich dann noch hinzufügen darf, an die Wiederherstellung der Freiheit und der Souveränität wenigstens für einen Teil Deutschlands, wenn man rückblickend vor einer Neuwahl das gesamte Arbeitsfeld übersieht, dann, meine Damen und Herren, glaube ich, stimmen Sie mit mir darin überein, dass jeder wird sagen müssen: Es ist eine ungeheure Arbeit geleistet worden und fast durchgehend mit großem Erfolg.

Drei Entscheidungen werden wir als besonders wesentlich bezeichnen müssen. Wenn die Geschichte dieser für die Zukunft Deutschlands, Europas und der Welt so bedeutungsvollen Nachkriegsjahre einmal geschrieben wird, dann werden die Geschichtsschreiber diese drei Entscheidungen als besonders wichtig hervorheben. Die eine war die Überwindung der konfessionellen Gegensätze und die Schaffung einer christlichen Grundlage für unsere gemeinsame Arbeit. Die zweite Entscheidung waren die Grundgedanken unserer beiden Parteien, die wohl darin am besten zum Ausdruck kommen, dass wir aufgrund unserer christlichen Überzeugung immer für die Freiheit der Person und für die Freiheit der Völker eingetreten sind. Diese Grundsätze brachten uns ganz von selbst an die Seite der freien Völker des Westens. Daraus resultierte auch die europäische Politik, die wir gemacht haben, und unser Eintritt in den Bund der freien Völker des Westens, in das Defensivbündnis der NATO gegenüber dem aggressiven russischen Kommunismus. Wir sind entschlossen, nach der Wahl - wenn die Wähler uns das Recht dazu geben, und wir hoffen darauf - unsere Rechte und Pflichten gegenüber den freien Völkern der Welt in vollem Umfange zu erfüllen, wie bisher.

Das dritte wesentliche Kennzeichen dieser Periode nach dem Zusammenbruch ist, dass wir diese ganze Arbeit in ständigem Gegensatz zur Sozialdemokratischen Partei haben leisten müssen. Das hat uns die Arbeit nicht erleichtert, aber es hat uns umso fester gemacht. Dieser Widerstand der Sozialdemokratischen Partei hat vor allem gegenüber dem Ausland unsere Lage ungemein erschwert, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Nach dem Zusammenbruch galt bei den Besatzungsmächten nur der noch als frei denkender Mensch, der entweder Sozialist oder - stellenweise - sogar Kommunist war. Wir haben uns unsere Position gegenüber dem Ausland, gegenüber der sozialistischen Partei, die als Partei des Fortschritts und der Freiheit galt, schwer erkämpfen müssen. Bis in die letzte Zeit hinein haben sich, ehrlich, meine Freunde, Politiker des Auslands gefragt: Wird denn nicht eines Tages diese Partei, die Sozialdemokratische Partei, an die Macht kommen, und ist dann nicht alles das vergebens gewesen, was wir zusammen mit dem deutschen Volke gemacht haben?

(Zuruf: Niemals!)

Wir sind fest entschlossen, dass die SPD niemals an die Macht kommt. Warum sind wir so fest dazu entschlossen? Nicht etwa - glauben Sie mir das - aus parteipolitischem Hass. Das ist nicht der Grund, sondern wir sind dazu so fest und zutiefst entschlossen, weil wir glauben, dass mit einem Sieg der Sozialdemokratischen Partei der Untergang Deutschlands verknüpft ist.

(Lebhafte Zustimmung und anhaltender Beifall.)

Es war nicht so leicht, das Vertrauen des Auslandes zu gewinnen. Sie wissen, was alles in Deutschland gewesen ist, und Sie wissen, was alles angerichtet worden ist. Daher ist das Vertrauen, das wir haben, eines der wertvollsten Besitztümer. Nicht nur im Leben des einzelnen, auch im Leben der Völker ist gegenseitiges Vertrauen die Grundlage aller gemeinsamen Arbeit und aller gemeinsamen Erfolge. Wenn nun plötzlich einmal - Gott, man muss auch das einmal sagen, aber ich glaube nicht daran - die Sozialdemokratie führend würde,

(Erneute Zurufe: Niemals!)

dann, meine Damen und Herren, würde das Ausland sagen: Also das deutsche Volk ist doch nicht zuverlässig! Die heutige Sozialdemokratie kennt bei allem nur das Interesse ihrer Partei. Wer aber in einer Zeit wie der unsrigen, in der sich Deutschland aus der schrecklichsten Situation von unten herauf wieder in die Höhe arbeiten musste, nur an seine Partei denkt, der darf in der Politik niemals maßgebend werden.

(Erneute Zustimmung.)

Lassen Sie mich in dem Zusammenhang ein Wort zu Europa sagen. Eine der grundlegendsten Entscheidungen ist im Winter 1949 gefallen, als der Bundestag das Petersberger Abkommen bejahte. Dieses Petersberger Abkommen hatte nicht nur eine außerordentlich große wirtschaftliche Bedeutung; es hatte, was sogar noch wichtiger war, eine große außenpolitische Bedeutung, weil dieses Petersberger Abkommen eine Hinkehrung zum freien Westen enthielt. Damals ist die Entscheidung gefallen, in jener denkwürdigen Nacht, ob wir, die Deutschen, besiegt, missachtet, verschmäht, uns zurückziehen sollten in uns selbst, in uns selbst verkrampfen, ob wir uns dem Osten zuwenden wollten oder ob wir uns, obwohl wir besiegt waren, obwohl die Besatzung wahrhaftig nicht immer gut gewesen ist, trotzdem den freien Völkern, dem Europarat, dem freien Westen zuwenden sollten. Das war die Wendung, die in jener Nacht gemacht worden ist. Für das deutsche Volk, speziell für die Mehrheit des Bundestages ist es immer ein Lob, dass er damals so frei und so offen erklärt hat: Obwohl wir besiegt sind, wollen wir jetzt zum Westen hin.

Was hat die SPD getan? Sie hat mit allen Mitteln versucht, dagegen anzugehen. Als die Entscheidung dann gegen sie gefallen war, da hat sie - oh Lächerlichkeit der Weltgeschichte! - sich an den Bundesverfassungsgerichtshof gewandt und eine Klage angestrengt mit dem Feststellungsbegehren, dass die Bundesregierung dadurch die Verfassung gebrochen hätte. Da hat sie es nach Jahr und Tag schriftlich bekommen, die Bundesregierung hätte die Verfassung nicht gebrochen. Ja, meine Damen und Herren, rückblickend erscheint es mit Recht lächerlich, wenn man solche weltpolitischen, für unser Volk entscheidenden Beschlüsse beim Bundesverfassungsgericht kaputt zu machen sucht. Sehr demokratisch scheint es übrigens auch nicht zu sein. Aber, meine Freunde, es ist so gewesen. Dann hat die SPD ein bisschen Buße getan. Sie hat vor einigen Tagen dem Gemeinsamen Markt und Euratom zugestimmt. Sicher, meine Damen und Herren, gut, ich erkenne das an, dass sie den Mut gefunden hat, entgegen der öffentlichen Meinung des deutschen Volkes nicht mehr länger standzuhalten, zumal, wenn man vorher von den sozialistischen Parteien der anderen europäischen Länder derartig Prügel bekommen hat. Aber immerhin, sie hat es getan.

Aber, meine Freunde, man darf nicht vergessen; man kann vergeben, ja. Aber in der Politik und insbesondere in der Außenpolitik gibt es doch eine reine Entwicklung, die man beachten muss, um zu sehen, wie denn nun eine Partei, auch abgesehen von einer einzigen Entscheidung, im Grunde genommen denkt. Da möchte ich Ihnen doch einiges vorlesen. Ich habe eben schon gesagt, am 24. November 1949 hat die SPD zum Petersberger Abkommen Nein gesagt. Im Juni 1950 hat sie sich gegen den Europarat ausgesprochen, im Jahre 1952 gegen den Schumanplan, im Jahre 1953 gegen den Vertrag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, im Jahre 1954 gegen den Beschluss über die Schaffung der westeuropäischen Gemeinschaft, und im Jahre 1955 hat sie sich gegen die Pariser Verträge ausgesprochen. Daran muss man denken, und ich habe es mir sehr wohl aufschreiben lassen. Ja, das ist nun unser Fehler; wir von der CSU/CDU sind oft so christlich vergessend. Wie eine Partei, die immer stolz darauf war, dass sie international sei, so kurzsichtig die Augen verschließen konnte vor der Entwicklung in der Welt in allen den Jahren von 1949 bis 1956, das ist und bleibt mir vollkommen rätselhaft. Auch sie musste doch einsehen, dass dieses Europa zertrümmert war, dass es keine europäische Großmacht mehr gab und dass dieses Europa, das doch wirklich wertvolle kulturelle und auch wirtschaftliche Werte in sich birgt, nur dann gegenüber Sowjetrussland und auch im Hinblick auf die Vereinigten Staaten wieder ein Wort mitsprechen konnte in der Geschichte, wenn es sich zu einer Einheit zusammenschließt. Ja, meine Freunde, wer das in allen den Jahren nicht erkannt hat, dem ist nicht zu helfen, auch wenn er einmal vor dieser Wahl plötzlich einen Stoßseufzer von sich geben konnte.

Ich tue es nicht sehr gern, meine Damen und Herren, an einem so sonnigen und schönen Tage so ernst zu Ihnen zu sprechen. Nun meint die Sonne es ja ein bisschen zu gut; aber da denke ich an den Rheinwein und an den Moselwein und an den Saarwein, den wir demnächst bekommen werden. Trotzdem glaube ich aber verpflichtet zu sein, Ihnen zu sagen, wie ernst die Lage in der Welt ist. Das vergisst man, weil es uns jetzt wieder besser geht, nach jeder Richtung hin, wenn auch noch das eine oder andere zu erfüllen übrig bleibt. Aber vergessen wir darüber nicht, dass es in der Welt draußen sehr schlecht aussieht, dass sich die Gegensätze zwischen den Vereinigten Staaten und Sowjetrussland, an deren Entstehen wir völlig unbeteiligt sind, im Laufe der Jahre immer mehr zugespitzt haben. Vergessen wir nicht, dass durch die Erfindung der atomaren Waffen und durch die Raketengeschütze, durch die man auch atomare Waffen viel, viel weiter schießen kann, als man früher schießen konnte, doch die Gefahr in der Welt vor einem großen Zusammenstoß gewachsen ist. Lassen wir uns zunächst nicht abhalten durch die Hoffnung darauf, was augenblicklich in Moskau geschieht. Was augenblicklich geschieht, wissen weder Sie noch ich, meine Damen und Herren. Aber es handelt sich wahrscheinlich um häusliche Zwistigkeiten, die die Herrschaften in etwas milderer Form, als sie das früher gemacht haben, [aber dennoch] in sehr entschiedener Form austragen. Ich glaube erst daran, dass dort wirklich eine Änderung eingetreten ist, wenn in der Londoner Abrüstungskonferenz der russische Vertreter entsprechende Erklärungen abgibt; früher glaube ich nicht daran.

Die Gefahr ist, wie ich eben sagte, groß, und die Weltlage ist ernst. Durch die Entwicklung der atomaren Waffen und durch die Entwicklung des Schießens mit Raketengeschützen ist die Entfernung in der Welt zusammengeschrumpft. Lokale Auseinandersetzungen wird es kaum mehr geben. Wenn es nicht gelingt, zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion - das sind ja die beiden großen Gegner, auf der einen Seite die Vereinigten Staaten, die die Freiheit für alle wollen, auf der anderen Seite die Sowjetunion, die die Knechtschaft für alle will - zu einem Abkommen zu kommen, dann ist es ganz gleichgültig, ob eine sozialdemokratische Regierung vorher gesagt hat: Ich bin neutral. Es nutzt auch nicht, wenn eine sozialistische Regierung vorher gesagt haben sollte: Bei mir wird noch keine atomare Waffe angesammelt. Darum geht der Krieg, ein furchtbarer Krieg, doch erbarmungslos über die ganze Erde hinweg. Aber sehen Sie einmal, zu welchen Heilmitteln die Sozialdemokraten gekommen sind in einer solchen Situation. Sie haben ihre Thesen, nachdem sie sie hier entwickelt haben, auch auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale in Wien entwickelt. Dort ist dann am Freitag eine Resolution zur internationalen Lage und zur deutschen Wiedervereinigung mit 12 Stimmen bei Stimmenthaltung der SPD und der Labourparty angenommen worden. Stimmenthaltung ist nie ein Zeichen von Tatkraft. Ollenhauer konnte sich nach diesem Bericht mit seinem Entwurf trotz Unterstützung der Engländer nicht durchsetzen, da die Mehrheit bei Errichtung des europäischen Sicherheitssystems nicht nur die Bundesrepublik und die Sowjetzone, sondern auch die Satellitenstaaten ihrer militärischen Paktverpflichtungen entbunden sehen will. Nun, meine Damen und Herren, diese Konzeption zu glauben, wenn die Sowjetzone und die Bundesrepublik, wieder vereinigt, sagten: Wir sind aus dem Spiel heraus - eine solche Konzeption kann doch Herr Ollenhauer nicht vor seinen Parteifreunden mit wirklicher Überzeugung vertreten haben; dazu sind die viel zu klug, um das zu glauben. Sie haben es ihm auch nicht geglaubt. In der angenommenen Entschließung wird gesagt, die Entspannung sei abhängig von der Abrüstung und der Wiedervereinigung Deutschlands. Die Wiedervereinigung müsse der Sicherheit der Staaten Rechnung tragen, die Militärbündnissen angehören, also allen Staaten, die der NATO angehören. Dagegen hieß es ursprünglich in der Resolution der SPD-Fraktion, die Bildung eines europäischen Verteidigungssystems, das die Verteidigung Europas zwar in kein militärisches Bündnis einbeziehe - da sehen Sie ja die Idee der Neutralisierung Deutschlands -, stelle die wirkungsvollste Voraussetzung für die deutsche Wiedervereinigung dar. Ollenhauer sagte vor der Abstimmung, mit der neuen - später angenommenen - Formulierung würden die Grundsätze der SPD-Politik in Frage gestellt. Das scheint mir auch, meine Damen und Herren! Es gibt ein bekanntes Sprichwort: Wie man sich bettet, so liegt man. Wenn man so etwas sagt, kriegt man die Quittung. Und dann geht man nach Hause und sagt - nein, das sagt man eben nicht -: Die Nichtsozialisten sind sehr blöde Leute gewesen; denn sonst hätten ja alle andern es abgelehnt.

Nun, meine Damen und Herren, Außenpolitik verlangt vor allem eins: Stetigkeit und Zuverlässigkeit. Das gilt vor allem in bezug auf die deutsche Außenpolitik. Ich wiederhole den Satz noch einmal, den ich eben schon gesagt habe, weil er mir gerade in dem gegenwärtigen Augenblick von der entscheidendsten Bedeutung zu sein scheint für die politische Entscheidung des deutschen Volkes bei der Wahl am 15. September: Wir werden unsere Verpflichtungen erfüllen. Wir bleiben zuverlässig, wir bleiben stetig. Was will die SPD? Sie will aus der NATO heraus, sie will die NATO auflösen, wenn Herr Ollenhauer und die SPD an die Regierung kämen. In einem solchen Falle, wenn sie die allgemeine Wehrpflicht abschaffen würden, dann ist das dasselbe, als wenn sie sagten: Wir lösen die NATO auf. Denn alle anderen haben die allgemeine Wehrpflicht, und sie werden den Deutschen nicht gestatten, den Vorteil zu ziehen von der allgemeinen Wehrpflicht, die die anderen auf sich genommen haben.

(Sehr starker Beifall.)

Wir wissen ja: ab 1951 war es ein mit Emphase und Leidenschaft verkündeter Grundsatz der SPD, dass sie die allgemeine Wehrpflicht verlangte. Sie hat damals gesagt: Wir haben in der Weimarer Republik erkannt, dass die Einführung der Reichswehr dazu geeignet war, einen Staat im Staate zu bilden. Das wollen wir nicht mehr, und deswegen verlangen wir Sozialdemokraten die allgemeine Wehrpflicht. Aber was sind solche Grundsätze vor den Wahlen, wenn man hofft, einige Stimmen mehr zu bekommen! So ist der Wechsel der Auffassungen der SPD geradezu erschütternd, wenn man bedenkt, dass immerhin doch ein sehr erheblicher Prozentsatz des deutschen Volkes diese Partei wählt. Das führt zu ernsten Besorgnissen, auch außerhalb parteipolitischer Erwägungen. Ich darf Ihnen einiges darüber sagen. Über die Wehrpflicht habe ich gesprochen. Herr Mellies kommt jetzt auf die gloriose Idee, dass die Sowjetzone, die SED, meine Wahl als Bundeskanzler wünscht. Ich war sehr erstaunt, als ich das las, denn ich hatte bisher geglaubt, es wäre anders. Herr Mellies hat mich auch nicht überzeugt, denn Herr Mellies weiß genau so gut wie ich, dass die SED den getarnten Kommunistenorganisationen bei uns anbefohlen hat, die SPD zu wählen.

(Pfui-Rufe.)

Als wir Anfang der 50er Jahre, als es sich um die Frage der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft handelte, erklärten, wir wollen uns mit den konventionellen Waffen begnügen, was hat damals die SPD gesagt ? Sie sagte: Konventionelle Waffen? Wir verlangen für unsere Truppen die modernsten aller Waffen. Nun wirbt Herr Ollenhauer sehr eifrig, ob mit Erfolg, ob ohne Erfolg, ob mit einem halben oder mit einem viertel Erfolg - die Zukunft wird es lehren. Wenn man wirbt - das wissen alle Männer hier -, dann muss man doch schon ein Opfer bringen. Deswegen will auf einmal die Sozialdemokratie, insbesondere auch Herr Ollenhauer, von Sozialisierung nichts mehr wissen. Aber Herr Eichler, der anscheinend nicht darüber im Bilde war, ein sehr angesehener Sozialdemokrat, hat nun gerade im selben Augenblick eine Broschüre geschrieben, in der namens der Sozialdemokratie die Sozialisierung verlangt wird. Das ist ausgesprochenes Pech, das darf eigentlich einer Partei nicht passieren.

Herr Carlo Schmid und Herr Wehner und in Wien Herr Ollenhauer haben für das wiedervereinigte Deutschland die Neutralisierung verlangt. Herr Carlo Schmid, der seine Worte sehr gut zu setzen weiß und der sehr genau weiß, dass das deutsche Volk auf den Leim nicht gehen würde, wenn er sagen würde „Neutralisierung", gebraucht statt „Neutralisierung" das Wort Bündnislosigkeit - genau dasselbe, meine Damen und Herren. Und Herr Wehner, der führende Experte für außenpolitische Angelegenheiten in der SPD, ...

(Pfui-Rufe.)

Meine Damen und Herren, sie können nicht leugnen, dass Herr Wehner viele Erfahrungen im Ausland gesammelt hat. Aber er hat in einer Rede in Frankfurt am 17. Juni die sofortige Lösung für Deutschland aus der NATO verlangt, d. h. mit anderen Worten die Neutralisierung Deutschlands. Und Herr Ollenhauer, der, soweit ich das beobachten kann - aber man soll sich eigentlich nicht in die Familienzwistigkeiten hineinmischen - Herr Ollenhauer, der, glaube ich, mit dem einen Ohr mindestens auf Herrn Wehner hört und der mit dem anderen Ohr etwas auf Herrn Carlo Schmid hört - hat in Wien das gleiche verlangt, was Herr Wehner will - und ist damit abgeblitzt. Ich knüpfe an das an, was ich eben gesagt habe. Wenn es wirklich zu einem solchen ungeheuren Weg kommen würde, dann sitzt Deutschland, ob neutralisiert oder nicht neutralisiert, mitten im Brennpunkt des Geschehens. Und wenn man noch so brutal sagt: Ich habe es nicht gewollt - meine Damen und Herren, keiner hat es nachher gewollt! Aber wer dem deutschen Volk nicht die Möglichkeit gibt, sich vor einem solchen Unheil zu schützen, der sündigt gegen das deutsche Volk! Es gibt eine Möglichkeit, einen solchen Krieg zu verhindern. Das ist ein Erfolg der Londoner Abrüstungskonferenz. Darum müssen wir mit ganzer Kraft die Tendenzen dort verstärken, die zu einer allgemeinen, kontrollierten Abrüstung sowohl der atomaren wie der konventionellen Waffen führen. Das ist unsere Aufgabe. Das können wir aber nicht tun, wenn wir sagen: Wir stellen uns in die Ecke, macht, was Ihr wollt! Nein, meine Damen und Herren, wir wollen mitsprechen! Wenn es sich um unser Geschick, um das Geschick unserer Kinder und Kindeskinder handelt, dann sprechen wir mit!

Die Londoner Konferenz ist erst in den Anfängen. Wie Herr Staatssekretär Dulles mir neulich in Washington sagte, wird sie wahrscheinlich ein bis zwei Jahre dauern. Wenn Sie, meine Damen und Herren, nur einmal flüchtig überlegen, welche ungeheuren Komplexe und welche verwickelten Komplexe es dort zu regeln gilt, wenn Sie weiter daran denken, wie meisterhaft der Russe es versteht, Verhandlungen in die Länge zu ziehen, in der Hoffnung, dass der Gegner dann bald auseinandergeht, dann glaube ich, ist diese Schätzung richtig. Aber wir wollen Geduld haben. Unter gar keinen Umständen dürfen wir bei einem solchen Ziel wie diesem, der Menschheit wieder Ruhe zu geben, der Menschheit Frieden zu geben, unseren Kindern und Kindeskindern Freiheit und Frieden zu geben, die Geduld verlieren. Sie kennen die Tendenz der sowjetrussischen Politik. Sie sind nun einmal, trotz allem, was sich ereignet, überzeugt, dass ihre Ansicht der Welt das Evangelium bringe und dass wir allzumal Sünder sind und auf irgendeine Weise abgetan würden, und sie würden der Welt das Heil bringen. Niemals wird der Russe bereit sein, dieser seiner Ansicht dadurch zu entsagen, dass er die Waffen aus der Hand legt, wenn er glaubt, dass der Westen nicht einig und geschlossen und stark ist. Solange Sowjetrussland auch nur etwas Hoffnung hat, dass das Bündnis der freien Völker, die NATO, auseinanderfallen würde, wenn wir Deutschen, wie das die Sozialdemokraten wollen, hinausgehen, solange wird der Russe verhandeln und verhandeln in der Hoffnung, dass letzten Endes nichts herauskommt und er dann derjenige ist, der die Geschicke der Welt und die Geschicke Deutschlands und die Geschicke Europas bestimmt.

Dann möchte ich dem deutschen Volke sagen - und das deutsche Volk schließt ja auch die Sozialdemokraten ein, es gibt auch vernünftig denkende Leute darunter, und an die richte ich jetzt mein Wort -: Keine Partei in Deutschland darf etwas tun, auch nicht in einer Wahlagitation, was den Russen die Hoffnung gibt, die NATO fällt auseinander, wir müssen nur abwarten. Ich bedauere außerordentlich, dass die SPD mit diesem - na, ich muss es sagen - mehr als theoretischen Vorschlag an die Weltöffentlichkeit kommt und so die Hoffnung Sowjetrusslands stärkt. Aber ich bin überzeugt davon, das deutsche Volk hat politisch gelernt durch die Ereignisse der letzten Jahrzehnte. Ich bin überzeugt, das deutsche Volk weiß, was Sowjetrussland ist. Das deutsche Volk weiß, was die freien Völker sind. Das deutsche Volk weiß, dass nur ein Seite-an-Seite-Stehen mit den freien Völkern der Welt unter Führung der Vereinigten Staaten der Welt Sicherheit und Frieden geben. Die Vereinigten Staaten sind weit, weit stärker als Sowjetrussland. Darum bin ich unbesorgt. Das deutsche Volk kriecht der Sozialdemokratie nicht auf diesen Leim, nachdem sogar ihre sozialistischen Freunde in den anderen europäischen Völkern ihnen bescheinigt haben, dass das, was da getan wird, eine oberfaule Sache sei. Wenn wir fest bleiben, wenn wir stark bleiben, wenn wir unsere Pflichten erfüllen und damit auch von unseren Rechten Gebrauch machen, dann wird der furchtbare Krieg nicht kommen, und die Wiedervereinigung Deutschlands ist nichts anderes als eine Funktion der allgemeinen Entspannung und kontrollierten Abrüstung. Ich glaube, dass wir damit das Beste tun, ja das einzige tun, was wir tun können, um die Deutschen jenseits des Eisernen Vorhanges aus der russischen Sklaverei zu befreien. Ich bin fest überzeugt, wenn jetzt in der Sowjetzone frei abgestimmt werden könnte: Wollt ihr das tun, was die Sozialdemokratie sagt - oder wollt ihr das tun, was die CDU sagt: mindestens 95% würden sagen: Was die CDU sagt.

(Sehr starker Beifall.)

Es ist eine Lüge, wenn die SPD sagt, dass wir die Wiedervereinigung nicht wollten, weil wir dann die Mehrheit verlieren würden.

(Pfui-Rufe.)

Im Gegenteil, wir würden eine glänzende Mehrheit bekommen. Ebenso ist es eine bewusste Verleumdung, wenn die SPD in ihrem SPD-Dienst sagt, ich wollte atomare Waffen herstellen. Ich bin derjenige gewesen, der auf der Londoner Konferenz, ohne jemanden zu fragen, aus mir heraus den anderen den Verzicht Deutschlands auf Herstellung atomarer Waffen angeboten hat. Meine Damen und Herren, es ist ja manchmal nahe beieinander, das Ernste und das Heitere. Wir armen Teufel! Wenn jemand wüsste, was es kostet, atomare Waffen herzustellen! Wir können es nicht. Es sei denn, die Sozialdemokraten hätten ein besonderes Patent für billige Herstellung. Wir haben es nicht.

Noch wenige Wochen trennen uns vom 15. September. Ich habe versucht Ihnen klarzumachen, dass das wirklich ein entscheidender Tag ist. Wenn am 15. September die Sozialdemokratie an die Führung der Regierung kommt, kann die Londoner Abrüstungskonferenz schließen. Dann ist es vorbei mit dieser Hoffnung. Aber ich sage Ihnen umgekehrt, und das ist meine feste Überzeugung: Wenn wir auch diesmal wieder in dem Umfange wie bisher die Stimmen der Wähler bekommen, dann wird es in der Arbeit zwischen den freien Völkern, mit den Vereinigten Staaten an der Spitze, und uns doch zu der kontrollierten Abrüstung kommen, dann hat die Atomwaffe ihre Schrecken verloren, und dann werden wir mit unseren deutschen Brüdern in Freiheit und Frieden wieder vereinigt sein!

 

Quelle: StBKAH, maschinenschriftlich, nach einer unkorrigierten stenographischen Nachschrift.