7. November 1949

Artikel des Journalisten Williams von der amerikanischen Zeitung "Baltimore Sun" über Äußerungen des Bundeskanzlers

Bundeskanzler Adenauer gab heute abend bekannt, daß seine Regierung der Auffassung ist, französische Forderungen nach deutschen Sicherheitsmaßnahmen könnten dadurch erfüllt werden, daß die Franzosen in der deutschen Industrie, besonders in Stahlwerken, Investierungen bis zur Höhe von 40% vornehmen.

"Ich weiß, daß die Franzosen die deutsche Stahlproduktion als ein Kriegspotential ansehen", sagte Dr. Adenauer in einem Interview. "Wenn sie sich daher bis zu dieser Höhe beteiligen, so hätten sie damit einen direkten 40%igen Anteil an unserer Stahlproduktion."

Nach diesem Plan würden die Mittel für die französischen Investierungen durch die Vereinigten Staaten zur Verfügung gestellt werden. Ein definitiver Betrag wurde von dem Bundeskanzler nicht genannt. Von der Regierungsseite wurde jedoch später gesagt, es sollte "so viel sein, wie Amerika geben könnte".

Dies war der erste definitive Plan, den Adenauer in bezug auf französische Investierungen in Deutschland mitgeteilt hat. Vor zwei Tagen wurde er in deutschen Zeitungen mit der Äußerung zitiert: "Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn amerikanisches Kapital über Frankreich seinen Weg nach Deutschland findet und wenn Frankreich sich auf diese Weise an deutschen Wirtschaftsunternehmen beteiligt; dies würde auch dazu beitragen, beide Nationen enger zusammenzubringen und auf diese Weise einen guten Teil der Besorgnisse in bezug auf Sicherheit zu beseitigen."

Der Bundeskanzler sagte heute abend, daß er entschlossen sei, "die Verbesserung der französisch-deutschen Beziehungen zum Kernpunkt seiner Politik zu machen. Ich glaube, daß diese Beziehungen der Schlüssel zur europäischen Lage sind. Ohne ein solches grundlegendes Verstehen kann eine europäische Zusammenarbeit nicht erreicht werden."

In dem Interview mit dem Schreiber dieser Zeilen sagte der Chef der westdeutschen Bundesrepublik ferner: "Die Demontage ist nach deutscher Auffassung ein sehr entscheidendes Hindernis für die Entwicklung einer wirklichen europäischen Einheit. Wir glauben daher, daß die Demontage aus wirtschaftlichen und psychologischen Gründen eingestellt werden sollte."

Er sagte ferner: "Wir werden in Bälde bereit sein, in die Ruhrkommission einzutreten." Einen Zeitpunkt dafür wollte er nicht nennen, aber es wurde angedeutet, daß der Eintritt stattfinden würde, wenn die Bedingungen "günstig" sind. Ein Mitglied seines Amtes nannte später als ein Beispiel für einen günstigeren Zeitpunkt "das Ende der Demontage".

Gegenwärtig hat die Bonner Regierung nur einen "Beobachter" bei der internationalen Ruhrbehörde. Es liegen Berichte vor über jüngste britische und amerikanische Kritik an dem Mangel an Interesse, das Adenauers Regierung an der Behörde zeigt.

In der Verfassung der Ruhrbehörde finden sich Bestimmungen für die Teilnahme der westdeutschen Regierung - drei Vertreter - in dieser Organisation, die für die Verteilung des Ruhrstahls, der Kohle und des Kokses und dafür verantwortlich ist, daß Nazis nicht wieder diese Industrie kontrollieren können.

Zu den französisch-deutschen Beziehungen sagte der Bundeskanzler: "Das Problem ist ein psychologisches, Frankreich sucht wirkliche Sicherheit. Ob uns dieses Bedürfnis überholt vorkommt oder ob es tatsächlich überholt ist - das alles ist nicht entscheidend.["]

Nachdem er darauf hinwies, daß dieses Gefühl die französische öffentliche Meinung beherrscht, die ihrerseits einen bedeutsamen Einfluß auf die französische Politik hat, fuhr er fort: "Wir als Deutsche müssen eine Politik machen, die dieses Gefühl der Unsicherheit in Frankreich respektiert. Wir sind daher bereit, dem geschaffenen Sicherheitsausschuß keine Hindernisse in den Weg zu legen."

Dieser Stellungnahme ließ er die Bekanntgabe des Planes für ausländische Investierungen folgen. "Ich würde mich sehr freuen, wenn ausländisches Kapital sich an dem Wiederaufbau Deutschlands beteiligen würde. Eine solche Kapitalbeteiligung würde das Gefühl der Kooperation stärken. Es ist ein Plan vorgelegt worden, demzufolge amerikanisches Kapital durch die Franzosen zur Verfügung gestellt werden könnte, das beim Wiederaufbau mithelfen und zu einem Gefühl der Sicherheit Frankreichs beitragen könnte."

Er sagte ferner, daß seine Regierung mit den Grundzügen der Politik, die Paul Hoffman, der ECA-Verwalter, letzte Woche in Paris dargelegt hat und nach denen eine Liberalisierung und ein Zusammenschluß des europäischen Handels gefordert wird, einverstanden ist.

"Frankreich, Italien und die Benelux-Länder", so sagte Adenauer, "besitzen eine sehr enge wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir möchten gerne, daß Deutschland sofort an dieser Zusammenarbeit sich beteiligt."

"Ich hoffe, daß all diese Pläne und Handlungen den Europäern zeigen, daß die Zeit kleiner nationaler Staaten auf immer vorüber ist."

Der Bundeskanzler erklärte, daß folgende fünf wichtige Punkte auf dem Regierungsprogramm stehen:

1. Vereinheitlichung der verschiedenen Westzonengesetze.

2. Aufstellung eines provisorischen Budgets und Herabsetzung der Einkommenssteuer. Ein endgültiges Budget wird nicht vor dem nächsten Frühjahr aufgestellt werden. Die Einkommenssteuern sind gegenwärtig außerordentlich hoch. Ein Mann, der 100 000 DM verdient - was natürlich in Deutschland ein außerordentliches Einkommen darstellt -, unterliegt einer Steuer in Höhe von 95% seines Einkommens.

3. Die Entwicklungen bei der Pariser Außenministerkonferenz, die am Mittwoch zusammentritt, um die deutschen Probleme zu diskutieren.

4. Der Wohnungsbau.

Dr. Adenauer sagte, daß der Wohnungsbau das wichtigste Problem ist, dem seine Regierung gegenübersteht. Mehr als 200 000 Häuser seien im letzten Jahr gebaut worden, aber viele Tausende mehr seien noch nötig. Er hofft im kommenden Jahr zwei Milliarden DM an Subsidien für den privaten Hausbau ausgeben zu können.

Aus Regierungskreisen wurde heute am späten Abend bekannt, daß die Regierung in Bälde bei der Alliierten Hohen Kommission um die Erlaubnis zum Bau einer deutschen Handelsflotte nachsuchen werde. Die Regierung wird dabei argumentieren, daß der Schiffsbau im Gebiet Hamburgs und Bremens Tausenden Beschäftigung geben und harte Währung ersparen würde. Es wird auch ins Feld geführt werden, daß Deutschland seit 1939 von der übrigen Welt isoliert ist und daß die deutsche Jugend durch eine Handelsmarine die Möglichkeit haben würde, ihren Horizont zu erweitern. Dieselbe Quelle sagte auch, daß die Regierung Adenauer über die zunehmende Zahl der Vorschläge beunruhigt ist, die in der amerikanischen Presse bezüglich einer Neutralisierung Deutschlands gemacht werden.

"Es ist absolut nötig, daß Deutschland ein Teil Westeuropas wird - wirtschaftlich, politisch und geistig." Adenauer sagte: "Wenn wir gezwungen werden, einen großen Teil unseres Handels mit dem Osten abzuwickeln, spielen wir den Russen direkt in die Hände. Sie könnten jeder Zeit die Handelsbeziehung abschneiden, dann würde in Westdeutschland Hungersnot herrschen. Wir glauben fest, daß unser Handel dem Westeuropas angeschlossen werden muß."

 

Quelle: StBKAH 02.05, Bl. 3-6.