8. Januar 1942

Brief an Paul Adenauer (Auszug)

Mein lieber Junge! Langsam muß alles bei Dir eintreffen: 1) Sendung Lang hat Gisela am 6.1. auf den Nachtzug nach Hamburg besorgt enthaltend: lange Pelzweste mit Baumwollfutter versehen, weil der Pelz - die Katzenjacke von Mutter - etwas Haare ließ, Ohrenschützer von Pelz, ein Paar große pelzgefütter­te Fausthandschuhe und ein Paar ungefütterte (die letzteren zum Gebrauch bei der Arbeit). Ich hoffe, daß alles gut ist. Lang* hat sich sehr geeilt; schicke ihm gelegentlich eine Karte [...] Eben kommt Dein Brief vom 6.1. Wir dachten, Ihr bekämt dort Wadenbinden. Wir wollen sehen, ob wir noch etwas aus Wolle machen können. Einen andern Schutz für die Beine wüßte ich nicht. Mehr Sorge machen mir Füße und Stiefel. Was könnte man da noch tun? [...] Deine Gefühle, lieber Paul, verstehe ich sehr gut. Es stürmt zu viel auf Dich ein. Alles muß sich erst setzen. Nimm aus meiner Erfahrung noch das entgegen: Man muß auch mit sich selbst Geduld haben können, und man muß stillhalten können, innerlich wie äußerlich. Die größte Kraftquelle natürliche - des Menschen ist Geduld. - Ihr werdet es nicht leicht haben und viele Anstrengungen und Strapazen harren Eurer. Aber ich glaube nicht, daß man Euch vorne brauchen kann. Dort setzen unsere Truppen sich noch immer vom Feinde ab, um in Winterruhe zu kommen [...] Tue Deine Pflicht, nicht weniger, auch nicht mehr, da Du mit deinen Kräften haushalten mußt. Man soll sich nie zu stark verausgaben. „Eile mit Weile" ist ein kluges Wort. Der Bauer hat nicht umsonst einen bedächtigen Schritt und ein bedächtiges Gehabe. Auf die Dauer kommt er damit am weitesten. Denke auch immer daran, daß die Aufbauarbeit nach dem Kriege für unser Volk das Allerwichtigste ist. Du hast ein starkes Gottvertrauen, das Dich trägt. Gott erhalte es Dir! Es ist eine große Gnade, bete um sie und danke für sie. - Gehe in die Strapazen hinein in der festen Überzeugung, daß hinter dem Krieg der Frieden steht, daß der Krieg ein Durchgangsstadium ist. Sei in vernünftiger Weise auf Deinen Körper bedacht. Wenn Nase und Stirnhöhle es nicht mehr tun: Keine falsche Scheu, jeder kann krank werden. Wenn es der letzte Sonntag in Sylt sein sollte - beim Militär weiß man ja nie etwas Sicheres - so kannst Du ihn hoffentlich friedlich und schön verbringen; ein Rückblick auf die Zeit in Sylt wird Dich zufrieden stimmen. Gott befohlen, lieber Junge. Es gibt Dir einen Kuß Dein Vater.

 

*Adenauers früherer Kölner Schneidermeister

 

Quelle: Paul Adenauer: Briefe Konrad Adenauers an einen Sohn im Reichsarbeitsdienst 1941/42. In: Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. [Bd. I:] Beiträge von Weg- und Zeitgenossen. Hg. von Dieter Blumenwitz u.a. Stuttgart 1976, S. 164f.