8. März 1967

Interview mit Gerhard Löwenthal für die Sendung "10 Jahre EWG" des Zweiten Deutschen Fernsehens

Frage: Herr Dr. Adenauer, Sie sind immer ein überzeugter Europäer gewesen; Sie haben damals die Verträge von Rom mit verhandelt, mit ausarbeiten lassen; Sie haben sie für die Bundesrepublik unterschrieben. Was waren damals Ihre Wünsche, Ihre Hoffnungen, Ihre Vorstellungen?

Antwort: Wenn Sie mir erlauben, Herr Löwenthal, gehe ich etwas früher zurück, damit Sie unsere ganze Situation, wie sie sich nunmehr entwickelt hat, erkennen. Den ersten großen Anwurf hat ja eigentlich Winston Churchill gemacht. In seiner großen Rede in Zürich, die er gehalten hat im September 1946, und in der er auch ausgeführt hat, dass Frankreich und Deutschland die Grundlage sein müssten eines Europas. Dann kam die Montanunion; die Montanunion war ja in erster Linie politisch und nicht wirtschaftlich. Nach der Montanunion, die ja im Jahre 1951 kam, kam die Europäische Verteidigungsgemeinschaft im Jahre 1954. Sie ist gescheitert daran, dass das französische Parlament nicht mitmachte, aber ich darf vorausschicken, dass wir Deutsche auch gesündigt hatten; auch von deutscher Seite war eine Klage beim Bundesverfassungsgericht angestellt worden, und sogar noch eine höhere Instanz hatte da auch anfragen wollen, und alle wurden kopfscheu. Dann kam die Anregung, es doch noch einmal zu versuchen, und es war dann die Zusammenkunft in Messina, die mit einem, die keinen festen Plan hatte, sondern die nun eine Aussprache war, in der besprochen wurde, was alles gemacht werden sollte. Wenn man das jetzt nachliest, dann ist man sehr traurig, dass das nicht Tat geworden ist, denn sie wollten die ganze nukleare Sache in die Hand nehmen für Europa. Und nun kam man dann schließlich ab zu den Verhandlungen in Rom. Ich darf ja wohl ganz offen sagen, dass wir alle nicht geglaubt hatten nach der Leidensstraße, die wir gegangen waren, dass man mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Ziele käme, aber es gelang denn doch. Und das war der erste große Erfolg auf dem Weg zu Europa. Aber wir alle, die wir da beteiligt waren in jenen Jahren, haben immer für das Wichtigste und das Ziel, das nie außer acht gelassen werden dürfte, betrachtet die Politische Union Europas, und ich glaube, die Entwicklung hat uns vollkommen Recht gegeben, dass das richtig gewesen wäre, und wir müssen jetzt wieder da neu anfangen.

Frage: Wenn Sie auf diese zehn Jahre zurückblicken, Herr Dr. Adenauer, würden Sie sagen, dass Sie zufrieden sind mit dem zurückgelegten Weg, oder sind Sie enttäuscht?

Antwort: Das kommt darauf an, wo Sie den Anfang des Weges hinsetzen. Wenn Sie den, was mir vorgeschwebt hat, den Gedanken weiter zurück und weiter nach vorn, würde ich enttäuscht sein [sic!]. Aber wenn Sie auf der anderen Seite bedenken, dass doch Europa gerade einen schrecklichen Krieg hinter sich hatte, dann muß man hoch zufrieden sein.

Frage: Und wie sehen Sie die weitere Entwicklung? Glauben Sie, dass nun aus dieser Wirtschaftsgemeinschaft auch eine Politische Gemeinschaft werden wird?

Antwort: So, Herr Löwenthal, ist die Frage vielleicht - erlauben Sie mir, das zu sagen - nicht richtig gestellt. Die politische Gemeinschaft kann nicht aus der wirtschaftlichen hervorgehen, aber höchstens insofern, als sie nun die Leute daran gewöhnt hat, miteinander brüderlich und anständig zu verkehren, sondern die politische Gemeinschaft ist das höchste, die höchste Stufe, die nicht aus der wirtschaftlichen Gemeinschaft hervorgehen wird, sondern daneben kommen muss.

Frage: Aber auf dem Wege zu diesem vereinten Europa wird eine Politische Union sicher notwendig?

Antwort: Das ist nun wohl, ich würde sagen, das ist identisch. Ich bin nicht der Auffassung, dass sofort, auch wenn wir eine politisch-europäische Union haben, vom ersten Tage an alle Staaten darin sein müssen. Ich stehe auf dem Standpunkt, wer mitgehen will, der soll mitgehen. Übrigens will ich Ihnen doch noch etwas sagen. Der "Fouchet zwei", der Plan für die Politische Union, der liegt nun in den Schubladen, da ist gar nicht drüber abgestimmt worden von den Außenministern; man hat festgestellt, vier waren dafür, zwei waren dagegen, und dann hat man gar nicht abgestimmt, so dass der jederzeit von einem der beteiligten Staaten wieder herausgeholt werden könnte.

Frage: Nun, Sie meinen - eine letzte Frage, Herr Dr. Adenauer -, dass die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auch ein Weg ist, um in Europa voranzukommen?

Antwort: Mit der europäischen Wirtschaft voranzukommen, ja sicher.

Frage: Sie würden also auch sagen, dass der Beitritt Englands, und dann der anderer Staaten womöglich, durchaus zu begrüßen ist?

Antwort: Ich habe immer gewünscht, dass England beitreten möchte, aber England wollte ja nicht. Ich erinnere mich noch sehr gut eines langen Gespräches mit Winston Churchill, den ich bat, England möchte sich doch an der ganzen europäischen Entwicklung beteiligen. Und der mir schließlich sagte, Herr Adenauer, bitte drängen Sie nicht in mich, wir können es einfach nicht. Wir haben so enge Verbindung mit Amerika, dass wir keine europäischen Angelegenheiten noch hinzunehmen können.

Frage: Glauben Sie, dass sich die Einstellung Englands zu Europa heute geändert hat?

Antwort: Ich würde mich sehr freuen, wenn das richtig wäre.

 

Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (unkorrigierte Mitschrift der Fernsehsendung von Ostern 1967).