8. November 1950

Regierungserklärung des Bundeskanzlers Adenauer in der 98. Sitzung des Deutschen Bundestages

 

Meine Damen und meine Herren!

Drei Ereignisse der letzten Zeit sind von solch entscheidender Bedeutung für die deutsche Zukunft, daß das deutsche Volk ein Recht darauf hat, die Stellung der Bundesregierung und, wie ich wohl hinzusetzen darf, auch der Fraktionen zu diesen Ereignissen kennenzulernen. Diese Ereignisse sind

1) die Beratung der Frage eines Beitrages der Bundesrepublik Deutschland zu der Verteidigung des Westens auf der New Yorker Außenministerkonferenz und den Konferenzen, die sich an diese angeschlossen haben,

2) der von Frankreich vorgelegte Pleven-Plan,

3) der Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Mächte - Vereinigte Staaten, England, Frankreich, Sowjetrußland - zwecks Erfüllung der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz hinsichtlich der Demilitarisierung Deutschlands und der Durchführung der Beschlüsse der Prager Konferenz der Außenminister der Sowjetunion, Albaniens, Bulgariens, der Tschechoslowakei, Polens, Rumäniens, Ungarns und der Deutschen Demokratischen Republik - das ist der Wortlaut der Note - vom 20. und 21. Oktober 1950.

Diese drei Ereignisse, meine Damen und Herren, stehen in innerem Zusammenhang; ihre zutreffende Würdigung ist nur möglich, wenn man die von Sowjetrußland seit 1940 und in verstärktem Maße seit 1944/45 verfolgte Politik kennt. Sowjetrußland hat sich in diesen wenigen Jahren ein ungeheures Gebiet unterworfen, zum Teil durch direkte Einverleibung, zum Teil durch Umwandlung der betreffenden Länder in ihm hörige Satellitenstaaten. Rußland ist dabei immer nach dem gleichen Rezept vorgegangen: zunächst Schaffung einer Fünften Kolonne in dem betreffenden Lande von ihm blind gehorchenden, zu jeder Gewalttat fähigen Personen, gleichzeitig Einschüchterung und Lähmung der ihm ablehnend gegenüberstehenden Kreise durch jede Art von Terror, Wahlen auf Grund von Einheitslisten, Bildung einer Sowjetrußland hörigen Regierung durch das auf Grund der sogenannten Einheitswahlen zustandegekommene Parlament. Mit dieser Methode hat sich Sowjetrußland einverleibt: im Jahre 1940 Litauen, Lettland, Estland. Als Satellitenstaaten hat es seiner Herrschaft unterworfen: in den Jahren 1944/45 Albanien, 1944 bis 1949 Bulgarien, 1944/45 Jugoslawien, 1944 bis 1949 Polen; 1944 bis 1948 Rumänien, 1944 bis 1949 Ungarn, 1944 bis 1948 die Tschechoslowakei, 1945 bis 1950 die Mandschurei, 1945 bis 1948 Nordkorea.

In zwei Ländern ist Sowjetrußland bei dem gleichen Vorgehen auf erbitterten Widerstand gestoßen, in Griechenland und in Aserbaidschan. Es hat infolgedessen hier sein Vorgehen nicht weiter verfolgt. In der Sowjetzone Deutschlands versucht es die Schaffung eines Satellitenstaates nach der gleichen Methode. Dort, wo es ihm nötig erschien, hat es nicht einmal den Schein einer gewissen Selbständigkeit des betreffenden Satellitenstaates gewahrt, sondern das Heer des Landes seinem Kommando direkt unterstellt; so insbesondere in Polen und in der Tschechoslowakei.

Die Tendenz der Sowjetischen Republik gegenüber Deutschland und Westeuropa geht aus folgendem hervor: In der Sowjetzone sind erhebliche sowjetrussische Truppen konzentriert. Der englische Verteidigungsminister Shinwell hat in einer Rede, die er im Juli dieses Jahres im britischen Unterhaus gehalten hat, erklärt, daß über 30 russische Divisionen in der Sowjetzone stünden. Diese Divisionen sind völlig ausgerüstet mit Munition, mit Treibstoff und mit feldmarschmäßiger Verpflegung, um nötigenfalls in kürzester Frist marschieren zu können. Es handelt sich um Panzerdivisionen und motorisierte Divisionen. Die Luftwaffe wird in der Sowjetzone ständig verstärkt.

In der Sowjetzone hat man ferner seit Beginn des Jahres 1950 mit der Aufstellung einer aus Deutschen bestehenden Armee begonnen. Die Truppe wird zwar "Polizei" genannt, sie ist aber nach Ausbildung, Bewaffnung und Zielsetzung keine Polizeitruppe, sondern eine Armee. Die Zahl dieser deutschen Truppen beträgt zur Zeit zwischen 70.000 und 80.000. Man hat in der Sowjetzone zwölf Kriegsschulen eingerichtet, auf denen Unteroffiziere und Offiziere herangebildet werden. Die Truppen sind kaserniert. Die Organisation ist so angelegt, daß diese Armee im Jahre 1951 rund 150.000 Mann, im Jahre 1952 rund 300.000 Mann stark sein wird.

Den Truppen dieser Armee wird von Propagandaoffizieren als Ziel die Befreiung der Bundesrepublik Deutschland von den Westalliierten und die Vereinigung mit der Ostzone zu einem russischen Satellitenstaat genannt.

Die Aggressionen Sowjetrußlands haben zwar die Westalliierten mit Protestnoten beantwortet; sie haben sich aber bis zum Sommer dieses Jahres, das heißt bis zu den Vorfällen in Korea, nicht dazu entschließen können, mit Waffengewalt dagegen vorzugehen. Erst die Vorgänge in Korea, der Einfall der nordkoreanischen Truppen in Südkorea, haben dazu geführt, daß zunächst amerikanische Truppen, dann UNO-Truppen gegen die mit russischem Kriegsmaterial versehenen nordkoreanischen Truppen eingesetzt wurden. - Um das Bild vollständig zu machen, muß ich noch hervorheben, daß gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland eine zielbewußte Wühlarbeit durch die Kommunistische Partei und durch die SED stattfindet.

Ich wende mich nun, meine Damen und Herren, zu der Note Sowjetrußlands, in der der Zusammentritt einer Außenministerkonferenz verlangt wird. Bezeichnend ist, daß in dieser Note von der Sowjetzonenarmee keine Rede ist, sondern nur von der sogenannten Remilitarisierung Westdeutschlands. Bezeichnend ist ferner, daß sie in dem Augenblick übergeben wird, in dem die Frage eines deutschen Beitrags zur Verteidigungsfront gegen eine Aggression Sowjetrußlands akut wird. Ebenso bezeichnend ist, daß diese Note übergeben wird, während gleichzeitig Sowjetrußland Nordkorea mit neuem Kriegsmaterial versorgt.

In dieser Note wird als Grundlage der Konferenz die Durchführung der Prager Beschlüsse bezeichnet. In diesen Prager Beschlüssen wird unter anderem verlangt: "Bildung eines gesamtdeutschen konstituierenden Rates unter paritätischer Zusammensetzung aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands, der die Bildung einer gesamtdeutschen souveränen demokratischen und friedliebenden provisorischen Regierung vorzubereiten und der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich die entsprechenden Vorschläge zur gemeinsamen Bestätigung zu unterbreiten hat und der bis zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung zur Konsultation bei der Ausarbeitung des Friedensvertrages hinzuzuziehen ist."

Dieser grundlegende und entscheidende Bestandteil des Prager Abkommens ist für die Bundesrepublik Deutschland nach der Meinung der Bundesregierung völlig unannehmbar.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Es gibt in der Sowjetzone keine auf Grund von freien, gleichen und geheimen Wahlen zustande gekommene Vertretung.

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Es ist ausgeschlossen, daß wir in irgendwelche Verhandlungen mit der Sowjetzone über Bildung eines gemeinsamen Organs treten, ehe das von uns wiederholt gestellte Verlangen auf Durchführung freier Wahlen in der Sowjetzone erfüllt ist.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

Die sowjetrussische Note stößt in den Vereinigten Staaten auf Ablehnung. In England steht man ihr sehr skeptisch gegenüber. Lediglich in Frankreich haben sich Stimmen gefunden, die glaubten, in irgendeiner Form auf diese Note eingehen zu sollen. Beschlüsse einer Außenministerkonferenz, die die Prager Beschlüsse zur Grundlage haben, sind, wie ich eben schon gesagt habe und wie ich nochmals ausdrücklich wiederhole, für uns unannehmbar. Es ist zwar noch keine der westalliierten Regierungen mit der Bundesregierung über deren Meinung zu der sowjetischen Note in Verbindung getreten; ich darf aber wohl die Hoffnung aussprechen, daß eine Stellungnahme zu der Note nicht erfolgen wird, ohne daß unsere Meinung darüber eingeholt und entsprechend beachtet wird,

(Sehr gut! bei der CDU.)

denn es handelt sich dabei um unser Schicksal, um das Geschick des deutschen Volkes. Die Entwicklung ist seit 1945, insbesondere aber seit Schaffung der Bundesrepublik Deutschland so weit fortgeschritten, daß die Stimme der Bundesrepublik gehört und beachtet werden muß. Ich weise in diesem Zusammenhange auch darauf hin, daß nach der ausdrücklichen Erklärung der New Yorker Außenministerkonferenz die Organe der Bundesrepublik Deutschland als die einzigen legitimen Vertreter des deutschen Volkes von den Westalliierten anerkannt worden sind. Nach unserem Dafürhalten ist die sowjetische Note nichts anderes als einer der bekannten Störungsversuche Sowjetrußlands, um jede Konsolidierung einer Abwehrfront gegen die sowjetische Aggression zu verhindern oder wesentlich zu verlangsamen.

(Sehr wahr! bei der CDU. - Zuruf von der KPD: Das ist sehr deutlich!)

Ich komme nun, meine Damen und Herren, zu dem Pleven-Plan. Ich darf zunächst folgendes sagen. Herr Ministerpräsident Pleven hat durch den französischen Hohen Kommissar François-Poncet mir gestern Aufklärungen über gewisse Formulierungen des Pleven-Plans geben lassen. Er hat insbesondere erklären lassen, daß jede Diskriminierung Deutschlands ausgeschlossen sei, daß Deutschland im Pleven-Plan allen anderen Partnern völlig gleichberechtigt und gleichgestellt sein solle.

(Unruhe bei der SPD.)

Wir Deutsche nehmen - das darf ich wohl feststellen - mit Befriedigung und Dank von dieser Mitteilung Kenntnis. Wir freuen uns, daß dadurch gewisse Formulierungen des Pleven-Plans, die bei uns Erstaunen hervorgerufen haben, klargestellt sind. Wir betrachten den Pleven-Plan als einen wesentlichen Beitrag zur Integration Europas. Die Integration Europas ist nach wie vor eines der Hauptziele der deutschen Politik. Wir sind der Auffassung, daß die Schaffung einer europäischen Armee - möglichst unter Teilnahme Englands - einen sehr wesentlichen Fortschritt auf dem Wege zur Erreichung des Endzieles: Integration Europas, bedeuten wird. Wir wollen deswegen gern bei der Beratung des Pleven-Plans mitarbeiten.

Gegen den Pleven-Plan sind auch von nichtdeutscher Seite Bedenken geäußert worden. Diese Bedenken sind verständlich. Es ist klar, daß der Versuch einer Regelung einer so schwierigen und wichtigen Materie nicht sofort und in allen Punkten alle interessierten Staaten befriedigen kann, so daß eine sehr sorgfältige Durchberatung nötig ist. Eine solche Beratung und die Verwirklichung des Ergebnisses erfordert Zeit.

Die Situation in der Welt ist aber derart, daß wir bald zu friedlichen Verhältnissen kommen müssen. Die Fortdauer der jetzigen Spannungen ist nicht weiter tragbar. Man sollte unseres Erachtens unabhängig von der Beratung des Pleven-Plans den auf den Konferenzen der letzten Monate unternommenen Versuch, zu einer Beendigung der jetzigen gefährlichen Periode internationaler Spannungen zu kommen, so schnell wie möglich und so stark wie möglich weiterführen. Die Beratung des Pleven-Plans braucht darunter in keiner Weise zu leiden.

Ich wende mich jetzt, meine Damen und Herren, zu der Frage eines Beitrags der Bundesrepublik Deutschland zu der Verteidigung des Westens, wie sie von der New Yorker Außenministerkonferenz und den Konferenzen, die sich an diese angeschlossen haben, gegen die Stimme Frankreichs verlangt worden ist. Ein solcher Beitrag ist von uns bisher nicht verlangt und von uns auch nicht angeboten worden. Es ist aber nötig, trotzdem über diese Frage hier zu sprechen, weil durch die bereits geführten Diskussionen sehr viel Unklarheit in Deutschland und außerhalb Deutschlands geschaffen worden ist. Wenn wir uns auch nicht anbieten, so dürfen wir es aber auch nicht zulassen, daß durch Reden unverantwortlicher Stellen die Stellung einer Frage an uns verhindert wird.

(Unruhe bei der SPD.)

Nach den Erfahrungen, die wir Deutschen mit dem totalitären Regime der Nazizeit gemacht haben, nach den Erfahrungen, die die Welt mit dem totalitären Sowjetrußland seit 1944 gemacht hat und die ich eben im einzelnen skizziert habe, sollte eines die gemeinsame Überzeugung aller Deutschen sein: Totalitäre Staaten, insbesondere Sowjetrußland, kennen nicht wie die demokratischen Staaten als wesentliche Faktoren des Zusammenlebens der Menschen und der Völker Recht und Freiheit; sie kennen nur einen maßgebenden Faktor: das ist die Macht. Mit einem totalitären Staat können daher Verhandlungen zur Regelung internationaler Fragen mit Aussicht auf Erfolg nur geführt werden, wenn derjenige, der diese Verhandlungen - mit Sowjetrußland - führt, ebenso stark, wenn nicht noch stärker ist als Sowjetrußland.

(Zustimmung rechts. - Zuruf von der KPD: Das ist eine Erpressung!)

Das Verhalten Sowjetrußlands seit 1944, insbesondere in Griechenland und in Aserbaidschan, hat auch gezeigt, daß Sowjetrußland nicht ohne weiteres geneigt ist, Risiken einzugehen. Wir sind der Auffassung, daß die westlichen Mächte unter Führung der Vereinigten Staaten in der Lage sind, eine solche Abwehrfront rechtzeitig zu errichten. Wir begrüßen es, daß die Vereinigten Staaten die große schwere Aufgabe, die ihnen ihre ungeheure wirtschaftliche und politische Macht auferlegt hat, erkannt haben und daß sie bereit sind, diese Aufgabe im Interesse des Friedens und der Freiheit zu erfüllen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. - Abg. Rische: Siehe Korea! - Gegenrufe rechts.)

Die Frage, ob Deutschland, wenn es dazu aufgefordert wird, sich an einer solchen Abwehrfront zu beteiligen, das tun soll, ist lebhaft diskutiert worden. Zunächst möchte ich folgendes vorausschicken. Es ist ganz klar, daß Voraussetzung für jeden Widerstand Deutschlands gegen irgendeine Aggression die Herbeiführung möglichst guter und ausgeglichener sozialer Verhältnisse im Inneren ist.

(Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. - Unruhe bei der SPD.)

Bei der Beantwortung der Frage, ob Deutschland, wenn es darum gefragt wird, sich beteiligen soll, ist davon auszugehen, daß es sich bei dieser Aktion darum handelt, den Frieden zu retten, und daß die Bildung einer solchen Schutzfront für den Frieden

(Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

die einzige Möglichkeit ist, den Krieg zu verhüten.

(Erneute Zustimmung und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das Vorgehen Sowjetrußlands seit 1944 zeigt völlig klar die Tendenz der russischen Politik und die Möglichkeiten, trotz dieser Tendenzen zu einem Frieden mit Rußland zu kommen. Die Deutschen müssen sich darüber klar sein, daß sie unmöglich erwarten können, daß die Vereinigten Staaten, Kanada und die westeuropäischen Länder die Opfer, die mit der Schaffung einer solchen Abwehrfront verbunden sind, auf sich nehmen, während Deutschland selbst nichts dazu beiträgt.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Für jeden Deutschen, meine Damen und Herren, mit gesundem Empfinden muß es auch ein zwingendes Gebot sein, seine Heimat und seine Freiheit zu verteidigen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und um nichts anderes handelt es sich!

(Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zwei Voraussetzungen für eine Beteiligung Deutschlands an der Bildung einer solchen Abwehrfront muß ich besonders hervorheben. Einmal muß diese Abwehrfront so stark sein, daß sie jede russische Aggression unmöglich macht; und ferner muß die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie sich mit einem angemessenen Beitrag beteiligen soll, die gleichen Pflichten, aber auch die gleichen Rechte haben wie alle anderen daran beteiligten Länder.

(Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin der Auffassung, daß auf diesem Wege, auf dem Wege der Bildung einer solchen Abwehrfront, auch die Wiedervereinigung mit unseren deutschen Brüdern und Schwestern in der Sowjetzone zu erreichen ist.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien und rechts. - Zurufe von der KPD.)

Es sind in der Diskussion, insbesondere von sozialdemokratischer Seite, rechtliche Ausführungen im Zusammenhang mit dieser Frage gemacht worden, die ich in meiner Erklärung nicht unerwähnt lassen darf. Die sozialdemokratische Fraktion hat in einem Kommuniqué erklärt, daß jeder deutsche militärische Beitrag zu irgendeinem Verteidigungssystem verfassungsändernden Charakter habe und daher nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden könne.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Sie hat ferner dem gegenwärtigen Bundestag das Recht bestritten, in dieser Frage zustimmend zu entscheiden, weil zur Zeit seiner Wahl das Problem noch nicht sichtbar gewesen sei; eine Entscheidung für einen etwaigen deutschen militärischen Beitrag sei daher nur auf der Grundlage von Neuwahlen zum Bundestag möglich.

Diese Ausführungen, meine Damen und meine Herren, sind rechtlich nicht haltbar. Jeder Bundestag hat für die Zeit seiner Wahl das Recht und, meine Damen und Herren, auch die Pflicht,

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

alle Aufgaben zu erfüllen, die während dieser Zeit an ihn herantreten,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

gleichgültig, ob diese Aufgaben bei der Wahl schon erkennbar waren oder nicht.

(Zustimmung und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nach unserem Grundgesetz hat der Bundestag kein Recht der Selbstauflösung. Man hat nach reiflicher Überlegung und mit Zustimmung der sozialdemokratischen Mitglieder des Parlamentarischen Rats

(Abg. Dr. Wuermeling: Hört! Hört!)

für den Fall, daß politische Notwendigkeiten eine Neuwahl erforderten, nur dem Bundeskanzler das Recht gegeben, durch Stellung eines Vertrauensantrages eventuell eine Neuwahl zu erzwingen. Maßgebend, meine Damen und Herren, war bei all diesen Überlegungen die bittere Erfahrung, die wir in der Weimarer Republik gemacht haben,

(Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Weiß Gott!)

daß sich heterogene politische Faktoren, die zu gemeinsamer politischer Arbeit nicht fähig waren, aus destruktiven Gründen zur Lahmlegung der politischen Arbeit zusammengefunden haben.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Bei den Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat ist auch ausführlich über die Fragen militärischer Natur und der Möglichkeit eines Krieges gesprochen worden. Im Art. 26 Abs. 1 GG ist mit Zustimmung der sozialdemokratischen Vertreter lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges für verfassungswidrig erklärt worden.

(Zustimmung bei der CDU.)

Im Art. 4 Abs. 3 ist bestimmt, daß niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Es heißt dort ferner: "Das Nähere regelt ein Gesetz", und in einem weiteren Artikel ist bestimmt, daß der Bund sich zur Wahrung des Friedens in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen könne. Aus allen diesen Bestimmungen geht ganz unzweideutig hervor, daß die Entscheidung über einen militärischen Beitrag - jetzt nehme ich die Worte auf, die in dem Kommuniqué der sozialdemokratischen Fraktion enthalten sind - das Wesen der Bundesrepublik nicht von Grund auf verändert.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Meine Damen und Herren! Die westliche Welt befindet sich in einer wahrhaft großen Gefahr.

(Zustimmung bei der CDU.)

Die Bundesrepublik Deutschland ist Teil dieser westlichen Welt, ja sie ist infolge ihrer geographischen Lage der Gefahr sogar stärker ausgesetzt als andere Länder.

(Sehr wahr! bei den Regierungsparteien. - Zuruf: Das kann man wohl sagen!)

Diese gemeinsame Gefahr begründet eine Schicksalsgemeinschaft; denn wo auch die Aggression erfolgt, sie trifft diese Gemeinschaft in allen ihren Gliedern.

Diese Gefahr aber ist nicht unabwendbar, und das deutsche Volk, das den Frieden liebt, wird auch niemals die Hoffnung aufgeben, daß der Friede erhalten werden kann.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und rechts.)

Es wird darum auch jede Anstrengung machen, um den Frieden zu bewahren. Aus der Erfahrung folgt aber, daß in einer Lage wie der gegenwärtigen Verhandlungen mit dem Ziel einer Normalisierung der Beziehungen nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn die Sowjetunion weiß, daß der Verhandlungspartner so stark ist, daß mit einer sowjetrussischen Aggression ein wirkliches Risiko für Sowjetrußland verbunden ist.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Diese Stärke ist nur gewährleistet, wenn die westliche Welt ihre Verteidigung als eine einheitliche Verteidigung organisiert. Die westlichen Mächte sind sich ferner darin einig, daß die Kräfte nur dann zur Verteidigung ausreichen, wenn auch Deutschland seinen Beitrag dazu leistet. Das deutsche Volk kann sich davon nicht ausschließen, nicht nur weil dieser Schutz es selbst vor einer tödlichen Gefahr bewahrt, sondern auch weil es selber eine Verpflichtung gegenüber Europa und den Völkern der westlichen Zivilisation zu erfüllen hat.

Deswegen, meine Damen und Herren, darf ich Ihnen im Namen der Bundesregierung folgende Entschließung mitteilen:

Die Bundesregierung erblickt in dem Pleven-Plan einen wertvollen Beitrag zu der Integration Europas, die eines der vornehmsten Ziele ihrer Politik ist.

(Hört! Hört! bei der KPD.)

Sie ist der Meinung, daß die gegenwärtige internationale Spannung einer schnelleren Beilegung bedarf, als dies auf dem Wege der Gestaltung des Pleven-Plans möglich ist.

Sie ist der Auffassung, daß eine allgemeine Befriedung auf dem Wege der Verhandlung mit der Sowjetunion herbeigeführt werden muß, daß diese Verhandlung aber nur dann Erfolg haben wird, wenn gegenüber der sowjetrussischen Bedrohung eine Abwehrfront der westlichen Mächte aufgebaut wird, die mindestens so stark ist wie jene.

Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie von den westlichen Mächten dazu aufgefordert werden wird, bereit sein muß, einen angemessenen Beitrag zu dem Aufbau dieser Abwehrfront zu leisten, und zwar, um ihren Fortbestand, die Freiheit ihrer Bewohner und die Weitergeltung der westlichen Kulturideale zu sichern.

Voraussetzung für die Leistung eines solchen Beitrags ist die völlige Gleichberechtigung Deutschlands in dieser Abwehrfront mit den übrigen an ihr teilnehmenden Mächten und ferner eine Stärke dieser Abwehrfront, die genügt, um jede russische Aggression unmöglich zu machen.

(Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und rechts.)

Meine Damen und meine Herren! Der Verlauf der Debatte ist nicht erfreulich. Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß sich bei Lebensfragen des deutschen Volkes Regierungskoalition, Opposition und Regierung zusammenfinden müssen.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. - Zuruf von der SPD: Die Erkenntnis kommt reichlich spät!)

Ich stelle, wenn Herr Dr. Schumacher hier eben die Methode der Bundesregierung und des Bundeskanzlers kritisiert hat, fest, daß die Bundestagsfraktion zunächst durch ein Kommuniqué ihre Haltung in dieser für das deutsche Volk lebenswichtigen Frage der Öffentlichkeit mitgeteilt hat.

(Sehr gut! bei der CDU. - Zuruf von der CDU: Straßburg!)

Ich möchte die Herren doch bitten, einmal einen Blick in die amerikanischen Zeitungen zu werfen und sich von maßgebenden amerikanischen Politikern sagen zu lassen, welch verheerende Wirkungen gewisse deutsche Äußerungen und Stellungnahmen, auch der SPD, in Amerika ausgelöst haben.

(Abg. Dr. Schumacher: Es ist doch unmöglich, so zu polemisieren! - Zuruf von der SPD: Wo haben Sie sich das bestellt? - Abg. Rische: "Die Stimme seines Herrn"! - Abg. Dr. Schumacher: Nennen Sie die Personen, nennen Sie die Zeitungen!)

Vor allem aber liegt mir folgendes am Herzen, und deswegen habe ich mich noch einmal zu Wort gemeldet. Ich erhalte Nachrichten, daß manche Reden, die hier gehalten worden sind,

(Abg. Dr. Schumacher: Aha, wieder einmal!)

in Berlin und in der Ostzone tiefe Enttäuschung hervorgerufen haben.

(Abg. Dr. Schumacher: Das ist nicht wahr!)

Von dieser Stelle aus möchte ich den Berlinern

(Abg. Dr. Schumacher: Welche Reden?)

und den Deutschen in der Ostzone sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland sie unter keinen Umständen verlassen und alles tun wird, um sie wieder zu uns zurückzubringen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

 

Quelle: Stenogr. Berichte 1. Deutscher Bundestag. Bd. 5, S. 3563-3567.