8. Oktober 1948

Schreiben an Frans van Cauwelaert, Antwerpen

Frans van Cauwelaert (1880-1961), belgischer Politiker der Katholischen Partei bis 1945, der Christlich-Sozialen Partei ab 1945, 1939-1954 Präsident der belgischen Abgeordneten­kammer.

 

Sehr verehrter, lieber Herr van Cauwelaert!

 

Wie Sie wissen werden, tagt in Bonn der Parlamentarische Rat der drei Westzonen. Er hat u. a. die Aufgabe, den Entwurf einer Verfassung für die drei Westzonen fertig­zustellen. Er wird sich daher mit der Frage zu beschäfti­gen haben, welche Stadt Sitz des Bundesparlaments und der Bundesregierung sowie evtl. auch des Bundespräsi­denten werden soll. Frankfurt bewirbt sich sehr intensiv darum. Auf der anderen Seite wünschen das Land Nord­rhein-Westfalen und die Stadt Bonn, dass Bonn Sitz werde. Ich persönlich bin der Auffassung, dass, auch vom Standpunkt der Westmächte aus gesehen, Bonn Frankfurt vorzuziehen ist, weil die alten traditionellen Verbindungen zwischen dem rheinischen Westen und den westlichen Nachbarn Deutschlands stärker sind als die Beziehungen zwischen Frankfurt und den westlichen Nachbarn. Ich bin ferner der Auffassung, dass es für die Arbeit des künftigen Bundesparlaments und der Bundes­regierung besser ist, wenn sie in einer verhältnismäßig kleinen Stadt, wie Bonn es ist, ihren Sitz haben, statt in dem lärmenden Frankfurt. Die Freunde des Planes, Bonn zum Sitz zu machen, befürchten nun, dass durch Dispo­sitionen der belgischen Besatzungstruppen, von denen man spricht, die aber noch nicht endgültig getroffen sind, größere Bauten in Bonn, die für das Bundesparlament und die Bundesregierung, für Gesandtschaften usw. gebraucht würden, beschlagnahmt werden würden.

Ich bitte Sie, sehr verehrter Herr van Cauwelaert, soweit es Ihnen möglich ist, dafür Schritte zu tun, dass die Ver­wirklichung des Gedankens, Bonn zum Sitz zu machen, nicht durch doch immerhin nur vorübergehende Maß­nahmen der belgischen Besatzungsbehörden unmöglich gemacht würde. Ich hoffe, dass wir uns im Laufe des Monats Oktober sehen. Ich möchte Ihnen dann noch eini­ges zu dieser Frage sagen.

 

Mit herzlichen Grüßen wie immer

Ihr sehr ergebener

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 82f.