9. Februar 1955

Schreiben an Nahum Goldmann, New York

Nahum Goldmann (1894-1982), 1949-1977 Präsident des Jüdischen Weltkongresses, ab 1951 zugleich Vorsitzender der von ihm gegründeten Claims Conference, maßgeblich am Zustandekommen des Luxemburger Wiedergutmachungs-Abkommens der Bundesrepublik mit Israel (10. August 1952) beteiligt, 1956-1968 Präsident der Zionistischen Welt­organisation.

 

Sehr verehrter Herr Dr. Goldmann!

Den Brief, den Sie mir am 6. Februar 1955 als Präsident der Conference on Jewish Material Claims against Germany geschrieben haben, habe ich mit lebhafter Anteilnahme gelesen. Mir sind die Klagen be­kannt, zu denen besonders auch im Ausland der schlep­pende Gang der individuellen Wiedergutmachung Anlass gegeben hat. So haben vor allem unsere Vertretungen in den Vereinigten Staaten wiederholt über die Enttäu­schung berichtet, die in den Kreisen der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung herrscht. Ich bedaure die Verzögerungen lebhaft, die sich aus der verwaltungs­mäßigen Belastung der zuständigen Behörden beinahe zwangsläufig ergeben haben. Ich möchte Sie auch bitten, nicht zu übersehen, was auf dem Gebiete der individuellen Wiedergutmachung bereits geleistet worden ist. So sind die Rückerstattungsverfahren gegen Privatpersonen und juristische Personen des bürgerlichen Rechts fast völlig abgeschlossen. Auf dem Gebiet der Rückerstattung müs­sen die gegen das frühere Deutsche Reich gerichteten Geldansprüche, worauf Sie mit Recht hinweisen, noch ge­regelt werden. Bei der Vorbereitung des Gesetzes sollen die Anregungen und Wünsche der Geschädigten so weit wie irgend möglich berücksichtigt werden. Wenn hierdurch auch die Vorarbeiten etwas längere Zeit als bei anderen Gesetzen in Anspruch nehmen, so werde ich doch bemüht sein, auf eine weitere Beschleunigung hinzuwirken.

Auf dem Gebiete der Entschädigung sind bis zum 30. September 1954 zunächst auf Grund der Länder­gesetze, später auf Grund des Bundesergänzungsgesetzes insgesamt 888.192.148 DM gezahlt worden. Dazu kom­men noch die Leistungen auf Grund verschiedener Einzelregelungen wie z. B. Bundesgesetz über die Wiedergut­machung für die Beamten des öffentlichen Dienstes, Rege­lung der Versorgung früherer jüdischer Gemeindebeamter und andere.

Die auch in Ihrem Schreiben behandelten Klagen über das Bundesergänzungsgesetz betreffen einerseits den Kreis der Anspruchsberechtigten und die Höhe der Leistungen, andererseits die schleppende Handhabung des Gesetzes.

Um in beiden Punkten schnelle und wirksame Verbesse­rungen zu schaffen, ist, wie Sie wissen werden, ein neuer Weg beschritten worden. Unter Beteiligung der verant­wortlichen Bundesressorts, der obersten Wiedergutmachungsbehörden der Länder und der Parteien des Bun­destages ist ein Arbeitskreis gebildet worden, der mit aller nur möglichen Beschleunigung eine Novelle zum BEG ausarbeitet. Es wird Ihnen bekannt sein, dass bei diesen Vorarbeiten die Verfolgtenverbände und auch die Vertreter der Claims Conference gehört werden.

Da der Bundestag in dem Arbeitskreis durch Vertreter der Koalition und der Opposition vertreten ist und die Länderregierungen durch ihre obersten Wiedergut­machungsbehörden ebenfalls beteiligt werden, ist sicher­gestellt, dass die Novelle dann in kürzester Zeit und jeden­falls noch vor Beginn der Sommerferien von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden kann.

Mit verbindlichen Grüßen

Ihr ergebener

gez. Adenauer

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 192-196.