9. Juli 1952

Erklärung des Bundeskanzlers in der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages zum Deutschlandvertrag und zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG-Vertrag)

 

Meine Damen, meine Herren!

Die Genehmigungsgesetze zum Deutschlandvertrag und zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit ihren Annexen sind dem Hohen Hause zugegangen. Aus den Ihnen weiter zugegangenen Abmachungen hebe ich besonders hervor den Bündnisvertrag mit Großbritannien, die Vereinbarungen mit der NATO, die Sicherheitserklärungen der Vereinigten Staaten. Die Entscheidung, die Sie, meine Damen und Herren, zu treffen haben, ist von wahrhaft geschichtlicher Bedeutung. Ihr Ja wie Ihr Nein wird entscheidend sein für das Schicksal Deutschlands und Europas. Ich werde, um nicht die Hauptprobleme in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen oder gar zu verdunkeln, in diesem Stadium der Beratungen nicht eingehen auf die Auffassung des Bundesrates, daß sämtliche Genehmigungsgesetze Zustimmungsgesetze seien. Ich werde aus dem gleichen Grunde in diesem Stadium nicht eingehen auf die Frage, ob das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft verfassungsändernd ist oder nicht. Auf diese Frage möchte ich im gegenwärtigen Augenblick auch deshalb nicht eingehen, weil sich das Bundesverfassungsgericht, wie Sie wissen, mit ihr beschäftigt.

Im gegenwärtigen Augenblick sind wir dem deutschen Volke und der Weltöffentlichkeit eine klare Stellungnahme zu den grundlegenden Prinzipien des Vertragswerks selbst schuldig. Das deutsche Volk soll selbst sehen und soll klar sehen, worum es im Grunde geht. Es sollen nicht die Wucht der Tatsachen, die gefahrvolle Lage Deutschlands und Europas verschleiert und unklar gemacht werden durch juristische Ausführungen,

Abg. Reimann: Durch Ihre Geheimverhandlungen aber!

die zur gegebenen Zeit ihre Bedeutung haben werden. Dem Volke selbst muß durch diese Bundestagsverhandlungen Klarheit gegeben werden über die Grundprobleme, damit es sich ein Urteil bilden kann über die Stellungnahme des Bundestages und der Bundesregierung. Sein Urteil, meine Damen und Herren, wird es zum Ausdruck bringen bei den Bundestagswahlen des kommenden Jahres. Ich sehe diesem Urteil nicht nur mit Ruhe, ich sehe ihm mit Zuversicht entgegen, weil ich weiß, daß das deutsche Volk in seiner großen Mehrheit den Weg bejaht, den wir gehen.

Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. - Unruhe links.

Bei der Frage, ob Genehmigung der Verträge oder nicht, handelt es sich - in wenigen Worten kurz zusammengefaßt - darum, ob sich die Bundesrepublik Deutschland an den Westen anschließen soll oder nicht; ob sie sich den Schutz des atlantischen Verteidigungssystems sichern soll oder nicht; ob sie die Integration Europas einschließlich Deutschlands will oder nicht; ob sie die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit in einem freien Europa will, oder ob sie bereit ist, eine Teilung Deutschlands oder eine Wiedervereinigung Deutschlands in Unfreiheit hinzunehmen.

Die Einzelheiten der Verträge sind natürlich nicht gleichgültig, und sie müssen studiert und geprüft werden. Aber diese Prüfung muß sich in der Hauptsache meines Erachtens darauf erstrecken, ob die Verträge eine geeignete Grundlage für die Erhaltung des Friedens und der Freiheit, die Schaffung Europas und die Wiedervereinigung Deutschlands sind und ob sie der Bundesrepublik die Basis dafür geben, als gleichberechtigter Partner an diesem Werk teilzunehmen. Diese Verträge müssen als Ganzes gesehen, als Ganzes geprüft, als Ganzes genehmigt oder verworfen werden.

Ich sagte schon: sicher haben auch die einzelnen Bestimmungen ihre Bedeutung. Es wird Aufgabe der Ausschüsse sein, sie zu prüfen, Aufgabe der Bundesregierung, in den Ausschüssen die verlangten Aufklärungen zu geben. Bei der Prüfung der Einzelbestimmungen wird man sich meines Erachtens vor Augen halten müssen, wie das Werk zustande gekommen ist: daß es sich in sehr vielen und naturgemäß in den verwickeltsten Fällen darum handelt, einen Kompromiß - manchmal unter Vieren, wie beim Deutschlandvertrag; manchmal unter Sechsen, wie beim Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft - zu finden. Kompromisse haben es nun einmal ihrer Natur nach an sich, daß niemand dabei hundertprozentig mit seiner Ansicht durchdringt. Aber zum Schluß der Beratungen in den Ausschüssen werden die Fragen, die Sie sich stellen werden, nicht Fragen über die Abänderung dieser oder jener Einzelbestimmung sein. Ich versichere Ihnen, meine Damen und Herren, daß auch ich bei manchen Bestimmungen eine andere Fassung lieber gesehen hätte als diejenige, auf die man schließlich im Wege des Kompromisses abgekommen ist. Aber ich kann nur nochmals betonen: die Entscheidung wird nur über die Vertragswerke als Ganzes getroffen werden können. Das liegt bei internationalen Vereinbarungen von solchem Umfang und bei der Vielzahl der Vertragspartner in der Natur der Sache. Die Fragestellung bei der endgültigen Beschlußfassung wird meines Erachtens folgende sein müssen:

Gestatten diese Abmachungen die Erreichung der eingangs von mir skizzierten Ziele und bringen sie die Bundesrepublik ihnen näher, oder aber, meine Damen und Herren, gibt es einen anderen, einen besseren. Weg, der diese Ziele schneller und sicherer erreichen läßt? Wenn man einen solchen anderen Weg nicht sieht und wenn die Prüfung ergibt, daß man auf dem mit diesen Verträgen eingeschlagenen Wege unseren Zielen näherkommt, dann muß man den Mut haben, diese Entscheidungen zu treffen und ja zu ihnen zu sagen!

Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.

Lassen Sie mich nunmehr einige Ausführungen über den Zusammenhang zwischen Deutschlandvertrag und EVG-Vertrag machen. Keine Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist möglich mit einem Staat, der unter Besatzungsstatut steht. Daher ist die Aufhebung des Besatzungsstatuts Voraussetzung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Umgekehrt gilt aber auch: Aufhebung des Besatzungsstatuts durch die Westmächte kann diesen vernünftigerweise bei der zwischen Ost und West nun einmal bestehenden Spannung nicht zugemutet werden; es kann ihnen nicht zugemutet werden, auf Rechtspositionen, die sich für sie aus der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands ergeben haben, zu verzichten, solange die Bundesrepublik sich nicht in den Westen eingliedert. Es besteht, meine Damen und Herren, ein innerer Zusammenhang zwischen den beiden Verträgen. Es handelt sich nicht etwa um eine äußere, künstlich konstruierte Verkoppelung. Man kann sie beide nur im Zusammenhang betrachten, nicht das eine bejahen und das andere ablehnen.

Lassen Sie mich hier einschieben, daß, wenn Deutschland und Frankreich zugestimmt haben, die Ratifizierung des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft durch die anderen Teilnehmerstaaten sich aber aus irgendwelchen Gründen zu lange hinausziehen sollte, zwischen den Teilnehmern des Deutschlandvertrages überlegt werden soll, welche Bestimmungen des Deutschlandvertrages schon vorzeitig in Kraft gesetzt werden sollen.

Um nicht zu viele und damit verwirrende Einzelheiten zu bringen, unterlasse ich es, alle Abmachungen einzeln aufzuzählen; sie sind ja in ihren Händen. Ich werde mich damit begnügen, die wichtigsten Abmachungen und Bestimmungen hervorzuheben und zu erläutern.

Ich beginne bei meinen Darlegungen mit dem Deutschlandvertrag, weil er, wie ich eben schon ausführte, die Grundlage für die Schaffung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist.

Aus der Präambel des Deutschlandvertrages ist zunächst folgendes hervorzuheben. Es wird vereinbart, daß das gemeinsame Ziel der Unterzeichnerstaaten - also Englands, Frankreichs, der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland - ist, "die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der Gleichberechtigung in die europäische Gemeinschaft zu integrieren". Weiter wird in der Präambel erklärt, "daß die Wiederherstellung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands auf friedlichem Wege und die Herbeiführung einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung (...) ein grundlegendes und gemeinsames Ziel der Unterzeichnerstaaten bleibt".

Abg. Fisch: Papier ist ja geduldig!

Im Art. 1 ist die grundlegende Bestimmung enthalten, daß die Bundesrepublik volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten hat, vorbehaltlich der Bestimmungen des Vertrages.

Zuruf von der KPD.

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, meine Damen und Herren, ergibt sich, daß im Zweifelsfall die Vermutung für die Souveränität der Bundesrepublik spricht.

Die Ausnahmen, die sogenannten Vorbehaltsrechte, sind im Art. 2 enthalten. In Art. 2 ist festgelegt, daß sich die Drei Mächte im Hinblick auf die internationale Lage die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte in Bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den Schutz von deren Sicherheit, auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands in einer friedensvertraglichen Regelung vorbehalten.

Abg. Fisch: Das ist die wahre "Gleichberechtigung"!

Der Vorbehalt dieser Rechte, meine Damen und Herren, liegt auch in unserem Interesse.

Aha-Rufe links. - Zuruf von der KPD: Wer ist denn das, "wir"?!

Der Hauptgrund dieses Vorbehaltsrechts ist, Sowjetrußland

Erneute Aha-Rufe links.

nicht den Vorwand zu geben, bei seiner Politik gegenüber der Sowjetzone den Standpunkt einzunehmen, die Drei Mächte hätten sich ja selbst von allen vertraglichen Bindungen, die sie mit Sowjetrußland in Bezug auf diese Fragen eingegangen seien, gelöst, daher sei auch Sowjetrußland völlig frei in der Verfügung über die Sowjetzone. Insbesondere das Vorbehaltsrecht bezüglich Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung geht davon aus, daß eine Wiedervereinigung nur im Wege der Verhandlungen - auch mit Sowjetrußland - möglich ist und daß sich daher die drei Mächte in unserem Interesse das Recht vorbehalten, in diesem Sinne - aber mit uns gemeinsam - mit Sowjetrußland zu verhandeln. Im Art. 3 des Deutschlandvertrages ist die Aufnahme der Bundesrepublik in die UNO vorgesehen.

Der Art. 5 behandelt einen etwa auftretenden Notstand bezüglich der Sicherheit der im Bundesgebiet stationierten Streitkräfte.

Abg. Paul (Düsseldorf): Militärdiktatur!

Die Drei Mächte haben in einem solchen Fall nur dann die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen und die Sicherheit ihrer Streitkräfte zu gewährleisten, wenn die Bundesrepublik und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft außerstande sind, der Lage Herr zu werden.

Abg. Frau Thiele: Das ist doch dehnbar! - Lachen in der Mitte und rechts.

Die Ziffer 6 des Art. 5 gibt der Bundesrepublik das Recht, den Rat der Nordatlantik-Organisation zu ersuchen, die Lage zu überprüfen und zu erwägen, ob der Notstand beendet werden soll. Wenn der Rat zu dem Ergebnis kommt, daß die Aufrechterhaltung des Notstands nicht länger gerechtfertigt ist, so haben die Drei Mächte den Normalzustand so schnell wie möglich wiederherzustellen.

Abg. Niebergall: Das glauben Sie! - Gegenrufe rechts: Ruhig!

Dieser Notstandsartikel gibt den Drei Mächten nicht das Recht, die volle Gewalt wieder an sich zu nehmen, wie sie das nach dem Besatzungsstatut getan haben. Er schafft weiter eine Instanz zur Nachprüfung der etwa getroffen Maßnahmen mit dem Ziel, den Normalzustand wiederherzustellen.

Der Art. 6 dient dem besonderen Schutze Berlins. Der Art. 7 ist von so großer Bedeutung, daß ich ihn wenigstens teilweise wörtlich vorlesen möchte:

Die Bundesrepublik - so heißt es - und die Drei Mächte sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll.

Zuruf rechts: Theorie!

Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß.

Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Bundesrepublik und die Drei Mächte zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.

Im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands (...) werden die Drei Mächte die Rechte, welche der Bundesrepublik auf Grund dieses Vertrages und der Zusatzverträge zustehen, auf ein wiedervereinigtes Deutschland erstrecken und werden ihrerseits darin einwilligen, daß die Rechte auf Grund der Verträge über die Bildung einer integrierten europäischen Gemeinschaft in gleicher Weise erstreckt werden, wenn ein wiedervereinigtes Deutschland die Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber den Drei Mächten oder einer von ihnen auf Grund der genannten Verträge übernimmt.

Abg. Fisch: So sieht der Ausverkauf aus, den Sie unterschrieben haben!

Meine Damen und Herren, ich bitte, daraus zu entnehmen, daß das wiedervereinigte Deutschland die Freiheit hat, sich zu entscheiden, was es tut.

Abg. Fisch: Amerikanisch zu werden, nach Ihrer Meinung!

Präsident Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Fisch, ich bitte Sie, nicht ständig zu unterbrechen. Ich habe nicht die Absicht, dauernde Zwischenrufe, die nur störenden Sinn haben können, zuzulassen.

Beifall bei den Regierungsparteien. - Abg. Frau Strohbach: Das stört uns auch, was der Herr Bundeskanzler sagt! - Lachen bei den Regierungsparteien. - Abg. Fisch: Wenn Sie erst einmal Divisionspfarrer wären, dann könnten Sie so verfahren! Soweit sind wir noch nicht!

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und Herren, ich mache weiter aufmerksam auf den Art. 9, der ein Schiedsgericht einsetzt, und endlich auf den Art. 10, der eine Revision des Deutschlandvertrages vorsieht, insbesondere für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands oder der Bildung einer europäischen Föderation. Es bedarf wohl keiner näheren Erläuterungen, warum in einem solchen Falle z. B. der Wiedervereinigung Deutschlands eine Revision nötig ist. Die ganzen Vorbehaltsrechte werden dann überflüssig geworden sein.

Zuruf von der KPD: Ja, ja, ja!

Was die Zusatzverträge zu dem Deutschlandvertrag angeht, so darf ich aus dem Truppenvertrag hervorheben, daß er im großen und ganzen den Verträgen nachgebildet ist, die mit den einzelnen NATO-Staaten hinsichtlich des Aufenthalts von fremden Truppen in ihrem Lande abgeschlossen sind. Es ist wohl ohne weiteres einleuchtend, daß der Aufenthalt fremder Truppen in einem Lande eine Fülle von Tatbeständen mit sich bringt, die vertraglich geregelt werden müssen.

Abg. Fisch: Es gibt auch andere, die nicht vertraglich sind!

Für die der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft angehörenden Truppen ist eine besondere Regelung in dem Truppenvertrag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vorgesehen. Die französischen Truppen in unserem Gebiet werden für eine kurze Übergangszeit, nämlich für die Zeit bis zum 30. Juni 1953, nach den Bestimmungen des Truppenvertrags zum Deutschlandvertrag behandelt werden. Von da an unterliegen sie den Bestimmungen des Truppenvertrags der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.

Da die ganze Materie des Truppenvertrags außerordentlich kompliziert ist und man erst Erfahrungen sammeln muß, ist für den Truppenvertrag eine Überprüfung nach zwei Jahren vorgesehen.

Abg. Frau Strohbach: Die sind ja schon sieben Jahre da!

Über den Finanzvertrag wird Herr Bundesfinanzminister Schäffer im Laufe der Debatte sprechen.

Abg. Niebergall: O weh, o weh!

Was den Überleitungsvertrag angeht, so muß ich auch hier zunächst auf die in den Ausschüssen stattfindenden Beratungen verweisen. Ich möchte hier nur eins hervorheben. Das Problem des Auslandsvermögens ist nicht etwa durch den Abschluß dieser Verträge aufgeworfen. Das Auslandsvermögen ist leider schon, wie nach 1918, seit geraumer Zeit beschlagnahmt und wird zur Tilgung der Auslandsschulden verwendet.

Abg. Niebergall: Dank Ihrer Politik ist es möglich!

Es ist aber gelungen, hinsichtlich des in neutralen Staaten beschlagnahmten deutschen Vermögens nunmehr Verhandlungsmöglichkeiten zu seiner Freigabe zu schaffen. Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist nach meinem Dafürhalten der wichtigere der beiden Verträge, die Ihnen vorgelegt worden sind. Er ist deswegen der wichtigere,

Zuruf von der KPD.

weil er ganz losgelöst von den Problemen, die die Niederlage Deutschlands und die bedingungslose Kapitulation mit sich gebracht haben, in allererster Linie dazu bestimmt ist, für 50 Jahre in Westeuropa einen Krieg unter den europäischen Völkern unmöglich zu machen.

Beifall bei den Regierungsparteien.

Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird viel zu sehr nur unter dem Gesichtspunkt der Abwehr einer etwaigen sowjetrussischen Aggressionsabsicht angesehen. Er dient bei weitem, in erster Linie

Abg. Frau Thiele: Der Aggression!

und in der Hauptsache dem eben von mir gekennzeichneten Zweck der Befriedung Europas.

Abg. Fisch: Sagen Sie doch mal was über die Grenzen Europas!

Er ist ein Instrument des Friedens von denkbar größter Bedeutung.

Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft sieht den Verzicht der Teilnehmerstaaten auf ihr wichtigstes Souveränitätsrecht, nämlich die Aufstellung eigener Streitkräfte vor. Er sieht weiter die Übertragung dieses Rechts auf eine supranationale Stelle vor.

Abg. Frau Thiele: Auf Ridgway!

Er wird von weittragendsten Konsequenzen für die Schaffung eines vereinten Europas sein. Durch ihn wird gleichsam automatisch eine Angleichung der Teilnehmerstaaten in außenpolitischen und in wirtschaftlichen Fragen herbeigeführt, die zusammen mit dem Schumanplan und anderen im Stadium der Beratung befindlichen Projekten sehr bald zu einer europäischen Föderation oder Konföderation führen wird. Dieser Vertrag über den Abschluß der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist ein Akt, der einzig ist in der langen Geschichte Europas,

Sehr richtig! bei der KPD. - Abg. Niebergall: Und von kurzer Dauer!

dieses Europas, das immer wieder von kriegerischen Wirren erschüttert wurde, dem aber jetzt, nachdem es durch die beiden letzten Kriege an den Rand des Abgrunds gebracht worden ist, ein dauernder Friede und ein neues Leben gegeben werden soll.

Beifall bei den Regierungsparteien.

Lassen Sie mich aus der Präambel dieses Vertrags zwei Abschnitte im Wortlaut vorlesen:

Sie - das sind die Unterzeichnerstaaten - werden es sich dabei angelegen sein lassen, die geistigen und sittlichen Werte zu wahren, die das gemeinsame Erbe ihrer Völker sind, und sie sind überzeugt, daß in der gemeinsamen Streitmacht, die ohne unterschiedliche Behandlung der beteiligten Staaten gebildet wird, die Vaterlandsliebe der Völker nicht an Kraft verlieren, sondern sich vielmehr festigen und in erweitertem Rahmen neue Gestalt finden wird.

Sie tun diesen Schritt in dem Bewußtsein, hiermit einen weiteren und bedeutsamen Schritt auf dem Wege der Schaffung eines geeinten Europas zurückzulegen.

Es gibt, meine Damen und Herren - lassen Sie mich das nochmals nachdrücklich aussprechen -, in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft keine Diskriminierung eines Teilnehmerstaats. Im Art. 38 des Vertrags sind der Versammlung und dem Rat der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie den Regierungen der Mitgliedstaaten bestimmte befristete Verpflichtungen auferlegt, Vorschläge zur Bildung eines vereinigten Europas auszuarbeiten. Alle diejenigen, meine Damen und Herren, die für den europäischen Gedanken, für die Bildung einer europäischen Gemeinschaft sind, müssen der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in herzlicher Freude zustimmen.

Lachen und Zurufe links. - Unruhe. - Glocke des Präsidenten.

Wie ich bereits ausgeführt habe, handelt es sich für Sie um eine politische Entscheidung, die zu treffen ist. Lassen Sie mich die theoretischen Möglichkeiten klarlegen. Wir können zwischen folgenden Möglichkeiten wählen: erstens Bejahung der Verträge und damit Anschluß an den Westen, zweitens Ablehnung der Verträge, um damit den Anschluß an den Osten oder die Neutralisierung Deutschlands zu erreichen,

Zuruf von der SPD: Billiger geht's nicht!

und drittens: Herauszögern einer Entscheidung, um eventuell neu zu verhandeln.

Um eine richtige Entscheidung treffen zu können, muß man zuerst versuchen, die zur Zeit bestehende Lage bei uns, in der Sowjetzone, in Europa und in der ganzen Welt klar zu sehen; denn alle Entwicklungen, die zur gegenwärtigen Lage geführt haben, und die zur Zeit bestehenden Spannungen in der Welt hängen eng miteinander zusammen. Man sieht die Probleme nicht richtig und kann daher nicht zu ihrer richtigen Beurteilung kommen, wenn man diesen Zusammenhang nicht berücksichtigt. Auch das Problem Deutschland darf man nicht als ein für sich allein stehendes betrachten; es ist ein sehr wichtiger Teilabschnitt in der großen Spannungslinie Ost-West.

Man muß ferner untersuchen, wie es zur gegenwärtigen Situation gekommen ist, ob und welche Richtungs- und Entwicklungstendenzen zu erkennen sind, um aus ihnen auf die kommende Entwicklung zu schließen. Man muß untersuchen, ob nach Annahme des Vertragswerks eine Lage eintritt, die eine friedliche Weiterentwicklung und schließlich eine für uns annehmbare Lösung des Deutschlandproblems verspricht. Man muß sich endlich über die Folgen einer Ablehnung der Verträge klarwerden, sei es, daß man damit eine Neutralisierung oder eine Option für den Osten will.

Schließlich muß man sich gewissenhaft prüfen, ob ein Hinauszögern der Entscheidung zum Zwecke von neuen Verhandlungen möglich und mit den deutschen Interessen vereinbar ist. Dazu möchte ich eines schon jetzt sagen. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Verschiebung einer Entscheidung kommt immer einem Ausweichen gleich.

Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!

Sie ist bei der allgemeinen politischen Lage in der Welt nicht möglich. Man kann nicht erwarten, daß, nachdem nunmehr zwischen den Regierungen von acht Staaten in mühsamster Arbeit eine Einigung erzielt ist, einzelne Teilnehmerstaaten die Ratifizierung auf die lange Bank schieben können. Das gilt verstärkt, nachdem inzwischen der amerikanische Senat seine Zustimmung fast mit Einstimmigkeit beschlossen hat.

Zurufe von der KPD. - Glocke des Präsidenten.

Die Welt geht weiter; wir können ihren Gang nicht aufhalten.

Abg. Fisch: Sie bestimmt nicht, das war mal die Wahrheit!

Sachlich, unbegründete Verzögerung ist nichts anderes als eine in eine andere Form gekleidete Ablehnung, und sie wird auch dementsprechend empfunden werden.

Sehr richtig! in der Mitte.

Ich werde nunmehr versuchen, die Entwicklung, die seit 1945 eingetreten ist und die zu der gegenwärtigen Lage geführt hat, durch Wiedergabe der markanten und entscheidenden Tatsachen zu zeichnen. Wir alle haben zwar diese Entwicklung miterlebt; aber sie ist in so stürmischem Tempo erfolgt, daß es sich empfiehlt, sie sich noch einmal vor Augen zu führen, um dann die nötigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Abg. Niebergall: Wie ist das mit dem Omnibus?

Die wirtschaftliche und politische Entwicklung in der Bundesrepublik sind nicht voneinander zu trennen. Die wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands war zuerst von den Alliierten geplant als ein politisches Instrument. Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 wurde bestimmt:

(...) bei der Organisierung der deutschen Wirtschaft das Hauptgewicht auf die Entwicklung der Landwirtschaft und der einheimischen für friedliche Zwecke arbeitenden Industrien zu legen.

Als Richtschnur sollte dienen, daß der Lebensstandard in Deutschland nicht höher sein dürfte als in dem Durchschnitt aller europäischen Länder ausschließlich Großbritannien und der Sowjetunion,

Lachen bei den Regierungsparteien.

aber einschließlich der südeuropäischen und osteuropäischen Länder. Deutschland sollte die Produktion aller seetüchtigen Schiffe verboten werden. Die Produktion von Metallen, Chemikalien, Maschinen und anderen Gütern, die für eine Kriegswirtschaft unmittelbar notwendig sind, sollte einer strengen Kontrolle unterworfen, die Produktionsstätten sollten zum großen Teil demontiert oder zerstört werden. Eine derartige Umänderung und Niederhaltung der deutschen Wirtschaft war und ist natürlich nur möglich durch ein vorgesehenes ausgedehntes und strenges Kontrollsystem. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Sowjetunion in dem zur Zeit laufenden Notenwechsel zwischen ihr und den Westmächten verlangt, daß das Potsdamer Abkommen zur Grundlage des Friedensvertrages mit Deutschland gemacht wird.

Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien: Hört! Hört!

Die Beschlüsse von Potsdam wurden zunächst in dem Industrieplan vom März 1946 im Einzelnen ausgearbeitet, und dieser Industrieplan fand die Zustimmung des Viermächtekontrollrats. Nach diesem Plan sollte die Höhe der Industrieproduktion Deutschlands etwa 50 bis 55 % der Produktionshöhe von 1938 betragen. Alle darüber hinausgehenden Produktionskapazitäten sollten demontiert und entweder als Reparationsgüter ins Ausland gebracht oder an Ort und Stelle zerstört werden.

Die wichtigsten Industriebeschränkungen wurden in folgenden Ziffern festgelegt: Stahlkapazität 7,5 Millionen Tonnen jährlich, chemische Grundstoffe 40 % der Kapazität von 1936,

Hört! Hört! rechts.

Werkzeugmaschinenindustrie 11,4 % der Kapazität von 1938,

Hört! Hört! bei den Regierungsparteien - Zuruf rechts: Wahnsinn ist das!

Elektrofabrikation 50 % von 1938. Es war eine bis in die kleinsten Einzelheiten gehende Beschränkung in der Produktion von Transportmitteln vorgesehen. Ja, meine Damen und Herren, sogar die Zahl der Telefone in Deutschland war genau festgelegt und in den engsten Grenzen gehalten.

Nach dem Scheitern der Moskauer Friedenskonferenz im März 1947 begannen die drei westlichen Besatzungsmächte - jetzt für sich allein handelnd -, einen neuen und etwas liberaleren Industrieplan für ihre Besatzungszonen auszuarbeiten. Dieser Plan wurde am 27. August 1947 veröffentlicht. Nach diesem Plan sollte die deutsche Industrieproduktion in den Westzonen auf 90 bis 95 % des Standes von 1936 gehoben werden. Im Einzelnen wurde festgelegt: Stahlproduktion 10,7 Millionen Tonnen jährlich, schwere Maschinen 80 % der Vorkriegserzeugung, wovon aber 35 % als Reparationen abgeführt werden sollten. Trotzdem sollten nach diesem Plan noch 918 Industriewerke demontiert werden, und zwar 338 als sogenannte Kriegsindustrien und 580 Werke als sogenannte überschüssige Betriebe. Der größte Teil der zu demontierenden Werke - nämlich 496 - lag in der britischen Zone, darunter Walzwerke, Eisenbahnzulieferungswerke, Röhrenwerke, Bergbauzulieferungswerke.

Im Juli 1947 kam eine Wendung. Damals machte der amerikanische Außenminister General Marshall in einer Rede in Harvard den Vorschlag, daß die Völker Europas sich zu einem gegenseitigen wirtschaftlichen Hilfs- und Wiederaufbauprogramm zusammenschließen müßten. Die Vereinigten Staaten seien bereit, die hierzu nötige Wirtschaftshilfe zu leisten. Deutschland sollte in das Programm eingeschlossen sein.

Auf der bald darauf in Paris zusammengetretenen Konferenz der europäischen Länder versagte der damalige sowjetische Außenminister Molotow schon nach den ersten Verhandlungstagen die Mitarbeit der Sowjetunion und verließ Paris.

Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.

Die Satellitenstaaten Polen und Tschechoslowakei wurden gezwungen, ebenfalls ihre Mitarbeit zu versagen.

Abg. Reimann: Wie der kleine Moritz das sieht!

Der Marshallplan wurde dadurch praktisch auf Westeuropa begrenzt.

Präsident Dr. Ehlers: Darf ich unterbrechen, Herr Bundeskanzler! - Stammt der Zuruf "der kleine Moritz" von Ihnen, Herr Abgeordneter Niebergall?

Abg. Niebergall: Nein! Das hätte ich genau so gerufen! - Abg. Reimann: Von mir!

Herr Abgeordneter Reimann, ich rufe Sie zur Ordnung.

Weitere Zurufe von der KPD.

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Im Frühsommer 1948 waren die Vorbereitungen soweit gediehen, daß die Marshallplanorganisation in Paris ins Leben gerufen werden konnte.

Deutschland hat bis jetzt unter dem Marshallplanprogramm insgesamt 1 Milliarde 372 Millionen Dollar, das sind 5,7 Milliarden DM an wirtschaftlicher Hilfe erhalten. Hierzu kommen 1,6 Milliarden Dollar - das sind 6,8 Milliarden DM - Wirtschaftshilfe durch die GARIOA. Zusammen hat Deutschland an Wirtschaftshilfe 12,5 Milliarden DM erhalten.

Zuruf von der KPD: Und wieviel Kohle und Stahl wurde gestohlen?

Das Washingtoner Abkommen vom 8. April 1949, durch das das Besatzungsstatut und die Vereinigung der drei Westzonen gebilligt wurde, enthielt gleichzeitig eine Revision des bisherigen Demontageprogramms. Von der Demontageliste wurden 159 Fabriken in den Westzonen ganz oder zum größten Teil abgesetzt, darunter 32 Stahlwerke, 88 Metallaufbereitungsfabriken, 32 chemische Werke. Die deutsche Stahlkapazität sollte auf 13,3 Millionen Tonnen pro Jahr, die Produktion auf 11,1 Millionen Tonnen pro Jahr erhöht werden.

Zuruf von der KPD: Für die amerikanische Rüstung! - Abg. Niebergall: "Kanonen statt Butter"!

Gleichzeitig wurde die Liste der verbotenen und beschränkten Industrien nicht unwesentlich revidiert. Zum Beispiel wurde das Verbot der Aluminiumerzeugung aufgehoben, die Produktion jedoch auf 88.000 Tonnen im Jahr beschränkt.

Abg. Niebergall: Für Flugzeuge!

Die Fabrikation von Kugellagern wurde bis zur Höhe von 33 Millionen Einheiten zugelassen, der Bau von Seeschiffen bis zu einer Größenordnung von 7200 BRT mit nicht mehr als 12 Knoten Schnelligkeit. Erleichterungen wurden auch für die Maschinenindustrie eingeführt.

Durch das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949

Abg. Niebergall: Ja, Präambel!

wurde erreicht, daß der Bau von Schiffen in der im Washingtoner Abkommen vorgesehenen Größenordnung nunmehr tatsächlich genehmigt wurde. Außerdem wurden zusätzliche Erleichterungen für den Schiffsbau gewährt, insbesondere der Bau von Seeschiffen für Exportzwecke, allerdings innerhalb der der deutschen Schifffahrt auferlegten Grenzen, genehmigt.

Abg Fisch: Wie war es mit der Vereinbarung, daß es keine Remilitarisierung geben darf?

Eine größere Anzahl von Stahlwerken und synthetischen Treibstoff- und Gummiwerken

Abg. Reimann: Herr Dr. Adenauer, ich denke Sie sprechen über den Generalvertrag?

wurden mit sofortiger Wirkung von der Demontageliste gestrichen.

Abg. Reimann: Sprechen Sie über den Generalvertrag?

Präsident Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Reimann, ich rufe Sie zur Ordnung wegen dauernder Störung.

Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. - Abg. Reimann: Wieso? Ich störe doch nicht! Ist das eine Störung? - Abg. Niebergall: Unerhört! - Abg. Niebergall klappt mit dem Pultdeckel.

Herr Abgeordneter Niebergall, ich rufe Sie wegen des Zurufs "Unerhört" gegenüber meiner Maßnahme zur Ordnung.

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Die Demontagen in Berlin wurden völlig eingestellt. Durch das Petersberger Abkommen ist es gelungen,

Unruhe. - Glocke des Präsidenten.

den größten Teil der wichtigsten deutschen Werke

Abg. Reimann: Es ist allerhand, daß jemand einen Ordnungsruf bekommt, der einen Zwischenruf macht! - Glocke des Präsidenten. - Abg. Niebergall: Wie auf dem Kasernenhof! - Erneutes Glockenzeichen. - Abg. Frau Thiele: Wir wollen etwas über den Generalvertrag hören! - Weitere Zurufe von der KPD.

vor der Demontage zu retten.

Beifall bei den Regierungsparteien. - Abg. Dr. Wuermeling: Schumacher war dagegen!

Es gelang dann, noch weitere Erleichterungen zu erreichen,

Zurufe von der KPD.

insbesondere wurden die Werke Watenstedt-Salzgitter fast ganz gerettet.

Zuruf von der KPD: Das ist auch nicht die ganze Wahrheit!

Und nun, meine Damen und Herren, durch den am 26. Mai 1952 unterzeichneten Deutschlandvertrag fallen sämtliche Begrenzungen und Einschränkungen der deutschen Produktion und des deutschen Handels fort.

Beifall bei den Regierungsparteien.

Es handelt sich nur noch um zwei Ausnahmen: den Bau von Flugzeugen und die Herstellung von Atomwaffen. Die Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Atomenergie ist nicht mehr verboten.

Hört! Hört! bei der KPD. - Zuruf von der KPD: Bakterienkrieg! - Lachen bei den Regierungsparteien. - Abg. Niebergall: Lacht ihr nur, es geht ja weiter! - Abg. Strauß: Hört! Hört!

Es ist nämlich nötig, meine Damen und Herren, daß man sich die ganze Situation und die ganze Entwicklung an diesem Scheidewege der deutschen Geschichte, an dem wir stehen, einmal vor Augen hält.

Beifall bei den Regierungsparteien.

Es handelt sich bei der Entscheidung, die der Bundestag zu treffen hat, nicht um eine Entscheidung wie über irgendein anderes Gesetz, sondern - ich wiederhole nochmals - die deutsche Geschichte steht an einer Wende. Es ist nötig, daß man sich klarmacht, welchen Weg wir zurückgelegt haben, damit man dadurch in die Lage versetzt wird, zu sehen, ob der Weg, den wir eingeschlagen haben, richtig ist und ob es richtig ist, diesen Weg auch fortzusetzen.

Sehr gut! bei den Regierungsparteien. - Abg. Niebergall: Das ist der Weg in die Katastrophe! - Abg. Strauß: Für euch! - Gegenruf von der KPD: Für Sie steht der Omnibus schon bereit! - Unruhe. - Glocke des Präsidenten.

Ich glaube, meine Damen und Herren, auch einige Ausführungen machen zu sollen über die politische Entwicklung bei uns und später über die politische Entwicklung in der Sowjetzone.

Aha-Rufe bei der KPD.

Auf politischem Gebiet war der Zustand in der Bundesrepublik bei der bedingungslosen Kapitulation doch so, daß nur noch Gemeindebehörden wenigstens einigermaßen funktionierten. Der ganze übrige staatliche Apparat war zerschlagen. Am 5. Juni 1945 übernahmen die Alliierten die oberste Regierungsgewalt in Deutschland. Der Wiederaufbau der Verwaltungs- und staatlichen Organisationen erfolgte in den drei Zonen in verschiedenem Tempo, aber im wesentlichen nach dem gleichen Schema. Sowohl in den Gemeinden wie in den neugeschaffenen Ländern wurden Parlamente eingesetzt, in die ernannte Mitglieder berufen wurden. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit wurden freie Wahlen sowohl für die Gemeindeverwaltungen wie für die Landtage gestattet. Die zunächst ziemlich schroffe Überwachung der Gemeinde- und Länderverwaltungen wurde fortschreitend gelockert.

Im Dezember 1946 vereinbarten die amerikanischen und britischen Behörden die Zusammenlegung ihrer Besatzungszonen in wirtschaftspolitischer Hinsicht. In Frankfurt wurde der Zweizonenwirtschaftsrat gebildet.

Abg. Frau Thiele: Was soll denn das? Das wissen wir doch alles viel besser!

Gleichzeitig erfolgte die Errichtung des deutschen Obergerichts. Auf Grund des Londoner Deutschlandkommuniqués wurde am 1. Juli 1948

Zuruf von der KPD: Erzählen Sie doch etwas über die Verträge! - Zuruf rechts: Mund halten!

die Bildung einer verfassunggebenden Versammlung und einer zentralen Regierung vorgeschlagen. Die elf Regierungschefs der Länder des westlichen Besatzungsgebiets arbeiteten Gegenvorschläge aus, in denen zum ersten Mal vom Parlamentarischen Rat und vom Grundgesetz gesprochen wurde. Dann trat der Ausschuß in Herrenchiemsee zusammen. Der Parlamentarische Rat konstituierte sich, das Grundgesetz wurde beschlossen, und am 14. August 1949 fanden die Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag statt.

Zuruf von der KPD.

Nach der Bildung der Bundesregierung erfolgte der erste Besuch des Bundeskanzlers und von Mitgliedern des Kabinetts auf dem Petersberg

Aha-Rufe von der KPD.

am 21. September 1949. 2 3/4 Jahre später wurde der Petersberg geräumt,

Beifall bei den Regierungsparteien - Zurufe von der KPD.

und am 26. Mai 1952 wurde hier bei uns in Bonn der Deutschlandvertrag unterzeichnet, der die Aufhebung aller politischen Beschränkungen vorsieht.

Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nun einen Blick werfen auf die Entwicklung in der Sowjetzone.

Sehr gut! in der Mitte. - Zurufe von der KPD.

Im Juli 1945 wurde dort der Antifaschistische Block gebildet.

Lachen in der Mitte. - Abg. Strauß: Wer lacht da?

Im April 1946 bildete sich die Sozialistische Einheitspartei. Im September 1946 gab der sowjetrussische Außenminister Molotow eine Erklärung über die deutsche Ostgrenze ab.

Hört! Hört! bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der KPD.

Die einzige Konferenz aller deutschen Ministerpräsidenten in München scheiterte im Juni 1947 infolge Abreise der Sowjetzonenvertreter.

Hört! Hört! in der Mitte. - Zuruf von der KPD: Ach, wie schön!

Im März 1948 verließ die sowjetische Delegation den Alliierten Kontrollrat. Im April 1948 begann die Abschnürung Berlins, und im November 1948 wurde die Spaltung der Stadt durch die Einsetzung eines Ost-Magistrats vollzogen.

Hört! Hört! bei den Regierungsparteien. Zuruf von der Mitte: Hört! Hört!, Herr Reimann!

Im Oktober 1949 konstituierte sich die provisorische Volkskammer. Im Juni 1950 erkannte die Sowjetzonenregierung in einem Abkommen mit Polen die Oder-Neiße-Linie als endgültige Grenze an,

Lebhafte Pfui-Rufe von den Regierungsparteien. - Abg. Niebergall: Was ist mit dem Saargebiet, Herr Adenauer? Wie ist es im Westen?

und im Oktober 1950 fanden die Wahlen zur Volkskammer statt.

Im Gegensatz zu den finanziellen Hilfeleistungen an die Bundesrepublik im Rahmen des Marshallplans wurden in der sowjetischen Zone an die Besatzungsmacht in verschiedenster Gestalt in der Zeit von 1945 bis 1951 Werte in Höhe von insgesamt 31 Milliarden DM abgeführt.

Hört! Hört! bei den Regierungsparteien. - Abg. Frau Strohbach: Was ist bei uns herausgeschleppt worden? Das möchten wir auch gern hören! - Abg. Fisch: Machen Sie mal die Rechnung hierfür auf!

Das wirtschaftliche Leben ist in der Sowjetzone aufs schwerste beeinträchtigt. Die Bevölkerung leidet Not.

Zuruf von der KPD: Das ist die alte Walze!

Sie muß schwerste Arbeit leisten.

Erneuter Zuruf von der KPD: Das glauben Sie doch selber nicht!

Freie Wahlen gibt es nicht, ebenso wenig freie Parteien,

Zuruf von der KPD: Sie machen Agitation!

Freiheit der Meinung, der Presse, der Versammlungen. Es gibt dort keine Grundrechte, wie wir sie besitzen.

Abg. Dr. Wuermeling: Dafür Menschenraub! - Abg. Fisch: Die haben große Sehnsucht nach der "Ordnung" des Herrn Lehr! Glocke des Präsidenten.

Präsident Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Fisch, ich rufe Sie wegen dauernder Störung zur Ordnung.

Beifall bei den Regierungsparteien.

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Die Entwicklung der politischen Lage in der Welt, meine Damen und Herren, wird bestimmt durch den allmählich immer stärker werdenden Gegensatz zwischen Sowjetrußland einerseits und den Westmächten andererseits. Nach 1945 rüsteten die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich ab, und zwar in einem geradezu überhasteten Tempo. Im Gegensatz zu ihnen behielt die Sowjetunion nicht nur ihre Rüstung bei, sondern sie baute sie fortgesetzt aus. Sie schritt schon 1945 zu aggressiven Handlungen gegenüber Griechenland. Die Kämpfe in Griechenland dauerten bis 1947. Sie wurden beendet zugunsten Griechenlands durch die Unterstützung der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Die Sowjetunion versuchte ferner im Jahre 1946 in Persien einen Aufstand zu erregen. Hier wurde sie durch die UNO zum Rückzug gezwungen. Dann versuchte sie, durch die Berlin-Blockade Berlin auszuhungern,

Hört! Hört! rechts.

um die Übergabe Berlins an Sowjetrußland herbeizuführen. In den gleichen Jahren vernichtete Sowjetrußland die Selbständigkeit der jetzt zu Satellitenstaaten gewordenen Länder. Unter Bruch der zwischen den Alliierten und diesen Staaten geschlossenen Friedensverträge ging die Sowjetunion überall nach der gleichen Methode des Kalten Krieges vor.

Zuruf von der KPD: Das ist doch nur Hetze!

Am Ende der Aktion stehen überall sogenannte freie Wahlen, die unter dem Gebrauch demokratischer Nomenklatur den Völkern den letzten Rest von Freiheit nahmen.

Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. Zuruf von der KPD: "Völkischer Beobachter"!

Von den Vorgängen, die im Ostblock als "freie Wahlen" bezeichnet werden, geben die Zahlen, die ich Ihnen jetzt mitteilen werde, ein überzeugendes Bild. In Albanien siegte im Dezember 1945 die Einheitsliste der Nationalen Demokratischen Front mit 95 Prozent.

Lachen bei den Regierungsparteien. - Zuruf rechts: Waren es nicht 99,9 Prozent? - Abg. Strauß: "Völkischer Beobachter"!

In Bulgarien siegte die Vaterländische Front im November 1945 mit 80 Prozent, im Dezember 1949 mit 97 Prozent.

Lachen bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der KPD.

In Polen siegte der Block der Nationalen Einheit im Januar 1949 mit 89 Prozent. In Rumänien siegte der Regierungsblock im März 1948 mit 97 Prozent.

Erneutes Gelächter. - Zuruf rechts: Anna Pauker!

In der Tschechoslowakei siegte die Einheitsliste der Nationalen Front im Mai 1948 mit 90 Prozent.

Zuruf von der KPD: Das tut weh! - Abg. Dr. von Brentano: Nirgends über hundert Prozent?

In Ungarn siegte die Unabhängigkeitsfront im Mai 1949 mit 98 Prozent. Und Sie wissen alle, meine Damen und Herren, wie die Einheitsliste in der Sowjetzone bei den "freiesten aller Wahlen", wie sie dort genannt wurden, mit fast 100 Prozent gesiegt hat.

Abg. Fisch: Und Sie wollen ein Wahlgesetz, das Ihnen 65 Prozent sichert!

Überall, meine Damen und Herren, dieselbe Methode: Einheitsliste, Terror, Zwang zur Wahl - und dann diese glänzenden, für eine "freie demokratische Wahl" sprechenden Wahlergebnisse.

Sehr richtig!

Der Krieg in Korea im Sommer 1950 führte einen neuen Abschnitt in dem Verhältnis der Westmächte gegenüber der Sowjetunion herauf. Während vorher die Westmächte, insbesondere die Vereinigten Staaten, geglaubt hatten, sich gegenüber dem Vordringen des Kommunismus unter Sowjetrußlands Führung lediglich durch wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen zur Wehr setzen zu können, während sie sich bis dahin mit papierenen Protesten gegenüber der Unterwerfung der Satellitenstaaten begnügt hatten, schritten die Westalliierten nach Beginn des Korea-Krieges zur Wiederaufrüstung. In Kenntnis der Gefahren, die ihnen aus der von Sowjetrußland verfolgten Politik drohten, schlossen sich nunmehr eine Reihe von Mächten im April 1949 im Atlantikpakt zusammen. Im Februar 1952 traten Griechenland und die Türkei bei, so daß jetzt im Nordatlantikpakt 14 Staaten vereinigt sind. Der Nordatlantikpakt - und wir haben deswegen ein solches Interesse an ihm, weil wir nach Genehmigung der Verträge über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in ihn eingegliedert werden -,

Zuruf: Korporativ oder einzeln?

der Nordatlantikpakt ist in seinen wesentlichen Bestimmungen ein in den Rahmen der Vereinten Nationen eingebauter Konsultativ- und Beistandspakt, der vor allem auf dem in Art. 51 der Charta bestätigten natürlichen Recht der Staaten auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegen jeden bewaffneten Angriff beruht. Ein Angriff auf ein Mitglied gilt als Angriff gegen alle. Der Pakt ist aber nicht rein militärischer Art, sondern er verpflichtet die Mitglieder auch zur Förderung der Voraussetzungen für Stabilität und Wohlfahrt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und zur Beseitigung von Konflikten in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik.

Das Ergebnis dieser Entwicklung seit 1945 fasse ich in folgenden Feststellungen zusammen: Es haben sich zwei gewaltige Machtsysteme aufgebaut: das von Sowjetrußland geführte und das westliche, in dem als stärkste Macht die Vereinigten Staaten hervortreten.

Zuruf von der KPD: Klingt wie ein großer Politiker!

In dem von Sowjetrußland geführten Machtsystem

Zuruf von der KPD: Das ist aber eine schöne Wahlrede!

sind, wie zahlreiche Vorkommnisse klar erkennen lassen, starke Expansions- und Aggressionskräfte wirksam. Die Auswirkung dieser Kräfte erstreckt sich im Wege des Kalten Krieges weit über die Grenzen des Ostblocks hinaus, insbesondere auch in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und Italiens, und zwar getarnt und ungetarnt. Das westliche Machtsystem hat seinen Ausdruck gefunden im Atlantikpakt

Zuruf von der KPD: Nehmen Sie doch Herrn Lehr nicht alles vorweg!

und in einer Reihe von ausgesprochen defensiven Bündnissen und Abmachungen.

Zuruf von der KPD: Wer's glaubt!

Ich betone nochmals: alle diese Pakte und Bündnisse sind nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Konstruktion

Abg. Niebergall: Angriffsverträge!

rein defensiver Natur!

Zuruf von der KPD: Kriegspakte!

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier feststellen, daß in keinem einzigen Falle seit 1945 die Westmächte sich irgendeinen Akt des Angriffs haben zuschulden kommen lassen!

Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. - Lachen bei der KPD. - Abg. Frau Strohbach: Überfall auf Korea! - Gelächter bei den Regierungsparteien.

Wenn wir das Wirken dieser beiden Machtsysteme in Deutschland betrachten, dann ergibt sich folgendes. In dem im Bereich des Ostblocks liegenden Teil Deutschlands gibt es keine persönliche, keine wirtschaftliche, keine politische Freiheit;

Zuruf von der KPD: Das ist doch unwahr! Abg. Harig: Hör schon auf!

die Bevölkerung ist verelendet, die Wirtschaft ausgeplündert.

Abg. Harig: Da kennst du nichts von! - Glocke des Präsidenten.

Präsident Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Harig, wir haben das allgemeine Du für den Bundestag noch nicht eingeführt!

Sehr gut! in der Mitte.

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: In dem Teile Deutschlands, meine Damen und Herren, der in der Sphäre des westlichen Machtsystems liegt, herrscht persönliche, wirtschaftliche und politische Freiheit.

Zuruf von der KPD: Herrscht Militärdiktatur und Terror! - Lachen und Gegenrufe bei den Regierungsparteien. - Zuruf von der Mitte: Dann würden wir hier nicht so ruhig sitzen!

Nun, meine Damen und Herren, die kommunistischen Zwischenrufer allein von heute beweisen zur Genüge, daß hier persönliche und politische Freiheit herrscht.

Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und rechts. - Gegenrufe von der KPD. - Glocke des Präsidenten. - Zuruf von der KPD: Und die Ordnungsrufe?!

Können Sie sich etwa vorstellen, meine Damen und Herren, daß in der Volkskammer ein Nichtkommunist solche Zwischenrufe machen dürfte?

Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. - Abg. Frau Thiele: Dort redet auch niemand so dumm! - Glocke des Präsidenten.

Präsident Dr. Ehlers: Darf ich unterbrechen, Herr Bundeskanzler. Frau Abgeordnete Thiele, Ihre Beurteilungen sind natürlich höchst interessant; aber der Vorwurf der Dummheit geht über den Rahmen der parlamentarischen Ordnung hinaus. Ich rufe Sie zur Ordnung.

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Die wirtschaftliche Kraft im Westteil Deutschlands ist schnell gestiegen. Sie ist gestiegen auch dank der finanziellen Hilfe, die wir in starkem Maße bekommen haben, so daß es möglich war, die Kriegsschäden weitgehend zu beseitigen und den wirtschaftlichen, den politischen und den sozialen Wiederaufbau zu fördern. Die dem Hohen Hause vorliegenden Verträge führen die bisher von den Westmächten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland angewandte Politik fort und führen die Bundesrepublik als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis der freien Völker zurück. Dadurch wird auch die soziale Lage der Bevölkerung erneut gefördert.

Zurufe von der KPD: Erschwert!

Wie schnell, meine Damen und Herren, die Entwicklung infolge der Einsicht der Westmächte und infolge des Drucks, der von Osten her auf sie ausgeübt wurde,

Zuruf von der KPD: Ja, der Schwarze Mann!

wie schnell die Entwicklung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu den Mächten Westeuropas und die Entwicklung in Westeuropa selbst sich geändert haben, ergibt sich aus folgendem. Am 10. Dezember 1944 schloß die französische Regierung mit der Sowjetunion einen auf 20 Jahre berechneten Bündnisvertrag, der sich ausdrücklich und ausschließlich gegen Deutschland richtete. Am 4. März 1947 schlossen Frankreich und das Vereinigte Königreich in Dünkirchen ein 50jähriges Bündnis, das ausdrücklich gegen Deutschland gerichtet war. Am 12. März 1948 schlossen Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg in Brüssel ein 50jähriges Bündnis, das laut seiner Präambel für den Fall der Erneuerung einer deutschen Aggressionspolitik gedacht war.

Zuruf von der KPD.

Und, meine Damen und Herren, am 26. Mai 1952 wurde in Bonn der Deutschlandvertrag und am 27. Mai in Paris der EVG-Vertrag unterzeichnet, Verträge, durch die nach ihrer Genehmigung Deutschland zum Verbündeten der Westmächte wird.

Zurufe von der KPD.

Auch die Integration Westeuropas, meine Damen und Herren, schreitet fort. Sie begann mit dem Europarat, sie erhielt den ersten kräftigen Anstoß durch den Abschluß des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, den Schumanplan. Dieser Vertrag ist von den beteiligten sechs Staaten in der Zwischenzeit ratifiziert worden. Die Hinterlegung der Ratifizierungsurkunden wird in diesem Monat in Paris erfolgen; der Vertrag tritt damit in Kraft. Er wird die Integration Europas in kräftiger Weise fördern. Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird, wie ich schon ausführte, die Integration Westeuropas ein großes Stück vorwärts bringen. Leider können wir infolge der gesamten internationalen Lage zur Zeit immer nur von der Integration Westeuropas sprechen. Aber alle diese Pakte, die die Integration fördern, und diejenigen, die noch zu schließen sind, um sie zu vollenden, sehen den Beitrag auch der anderen europäischen Länder vor und werden ihn vorsehen, so daß wir mit Bestimmtheit hoffen können, im Laufe der Zeit zu einer Integration ganz Europas zu kommen.

Sehr gut! in der Mitte. - Zurufe von der KPD: Bis zum Ural! - Ja, ja! - Monaco!

Lassen Sie mich jetzt noch die Lage der Bundesrepublik infolge der seit 1945 eingetretenen Entwicklung skizzieren. Die Bundesrepublik steht noch unter Besatzungsstatut. Sie ist unbewaffnet. Sie ist nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Sie ist - und darauf lassen Sie mich besonders hinweisen - zur Zeit rechtlich gesehen nur Objekt politischer und strategischer Überlegungen. Ich habe gesagt: "rechtlich gesehen", weil sie bei Genehmigung der Verträge vom Objekt zum Mithandelnden würde und weil die Westmächte in der Annahme, daß diese Verträge in Kraft treten werden, uns jetzt schon nicht mehr lediglich als Objekt politischer und strategischer Überlegungen betrachten. Deutschland ist zudem noch geteilt. So liegt es zwischen den beiden großen Machtsystemen, die ich eben geschildert habe. Es liegt mitten in einem Spannungsfeld zwischen Ost und West, und zwar an einer besonders gefährdeten Stelle.

Welche Fortschritte werden nun die Verträge nach ihrem Inkrafttreten bringen? Das Besatzungsstatut fällt fort. Alle wirtschaftlichen Beschränkungen hören auf. Wir erhalten die Unterstützung der Vereinigten Staaten. Wir erhalten ein Defensivbündnis mit Großbritannien. Die europäische Föderation beginnt auf dem neuralgischsten Gebiet, nämlich dem militärischen. Europäische Kriege sind in Zukunft ausgeschlossen.

Lachen bei der KPD. - Abg. Gundelach: Glaubt Ihr das?

Durch den Einbau in das größte Verteidigungssystem der Geschichte erhalten wir die denkbar größte Sicherheit, und, meine Damen und Herren, wir sind nicht mehr Objekt politischer und strategischer Überlegungen, sondern wir werden Mithandelnde.

Beifall bei den Regierungsparteien. - Abg. Frau Thiele: Und bleiben Protektorat!

Ich glaube, gerade dieser letzte Punkt verdient noch einige Ausführungen. Die Spannungen zwischen Ost und West kennt jeder von uns. Wenn es auch in hohem Grade unwahrscheinlich ist, daß es zu einem heißen Krieg zwischen Ost und West kommt, so muß man doch bei seinen Überlegungen auch entfernte Möglichkeiten mit in den Kreis seiner Betrachtungen ziehen. Solange wir besetztes Land sind, solange wir uns nicht in das westliche Verteidigungssystem eingefügt haben, sind wir ein Niemandsland zwischen zwei großen Mächtegruppen.

Zustimmung in der Mitte. - Abg. Niebergall: Und morgen Kriegsschauplatz!

Wie wir in den diplomatischen Auseinandersetzungen Objekt sind, so würden wir auch bei ernsten Auseinandersetzungen Objekt sein. Mit anderen Worten: Wir würden Schauplatz dieser Auseinandersetzungen werden mit all den furchtbaren Folgen, die sich daraus für unser Volk ergeben würden.

Abg. Frau Strohbach: Dazu dient der Generalvertrag! - Abg. Niebergall: Ihre Politik führt dahin!

Ich bin der Auffassung, meine Damen und Herren, daß diese die Weltlage beherrschenden Spannungen, die wir nicht aus der Welt schaffen können, dringend von uns verlangen, aus dem Zustand der Schwebe, in dem wir uns jetzt befinden, herauszukommen.

Abg. Frau Strohbach: Ein einiges Deutschland aufbauen!

Wenn wir Mithandelnde werden, können wir auch unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß die bestehenden Spannungen zwischen Ost und West auf friedlichem Wege gelöst werden.

Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der KPD.

Bleiben wir Objekt, so haben wir diese Möglichkeit nicht.

Sehr richtig! in der Mitte.

Und welches würden nun die Folgen der Ablehnung der Verträge sein?

Zuruf von der KPD.

Zunächst ist eines sicher. Es werden keine neuen Verhandlungen auf der gleichen Basis erfolgen,

Sehr richtig! in der Mitte. - Abg. Frau Strohbach: Das wäre gut!

um Änderungen in dieser oder jener Hinsicht an diesem oder jenem Artikel zu erreichen. Darauf habe ich bereits hingewiesen. Aber, meine Damen und Herren, eine Folge der Ablehnung der Verträge durch die Bundesrepublik würde ein Fiasko der bisherigen Politik

Abg. Frau Strohbach: Adenauers sein!

der Westmächte gegenüber der Bundesrepublik bedeuten,

Zuruf von der KPD: Nee, nee, nee!

und dieses Fiasko würde in sich schließen einen diplomatischen Erfolg für Sowjetrußland,

Sehr richtig! in der Mitte.

der die sowjetische Selbsteinschätzung in unerträglicher Weise erhöhen würde.

Beifall bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der KPD.

Die diplomatische Lage in der Welt würde sich in starker Weise zugunsten Sowjetrußlands verschieben. Das Scheitern der bisherigen Politik der Westmächte bezüglich Deutschlands in Verbindung mit dem dadurch verursachten diplomatischen Gewinn Sowjetrußlands würde die Westmächte höchstwahrscheinlich zu einer grundlegenden Überprüfung ihrer Politik gegenüber Deutschland, Europa und Sowjetrußland veranlassen.

Abg. Strauß: Sehr richtig!

Ich halte es für sehr wohl möglich, daß als Ergebnis einer solchen Verschiebung der diplomatischen Lage das Verlangen Sowjetrußlands auf Neutralisierung Deutschlands, das es in seinen Noten gestellt hat, Aussicht auf Erfolg bekommen würde.

Abg. Reimann: Das ist besser als Krieg!

Das Besatzungsstatut würde bestehen bleiben. Wegen der unsicheren Haltung der Bundesrepublik würde das Vertrauen, das wir uns bisher bei den Westmächten und in der ganzen Welt erworben haben, verlorengehen.

Sehr gut! in der Mitte. - Zurufe von der KPD.

Die Handhabung des Besatzungsstatuts würde gegenüber dem jetzigen Zustand eine Wendung zur verschärften Kontrolle nehmen.

Sehr richtig! in der Mitte.

Ich habe schon erwähnt, daß eine Ablehnung der Verträge die Möglichkeit heraufbeschwört, daß Sowjetrußland mit seiner Forderung auf Neutralisierung Deutschlands durchdringen würde. Die Integration Europas, meine Damen und Herren, würde in einem solchen Falle ausgeschlossen sein,

Zuruf von der KPD: Das ist nur ein Kleineuropa!

da ein Westeuropa sich ohne Deutschland nicht schaffen läßt.

Sehr richtig! in der Mitte.

Die Bundesrepublik würde dank der dann in Westeuropa entstehenden Situation und mit Hilfe der jetzt schon in großer Zahl bestehenden sowjetrussischen Tarnorganisationen in die sowjetische Machtsphäre in der einen oder in der anderen Form hineingeraten.

Sehr richtig! in der Mitte.

Dann würde bei uns die gleiche Entwicklung einsetzen, wie sie sich in den nunmehrigen Satellitenstaaten vollzogen hat,

Zustimmung in der Mitte.

d. h. ganz Deutschland würde ein Satellitenstaat werden,

Abg. Schröder (Düsseldorf): Sehr richtig!

und die Hoffnung der Ostzone, daß sie durch unsere politische Arbeit zur Wiedervereinigung mit uns in Freiheit kommen würde, würde sich nicht erfüllen.

Sehr richtig! in der Mitte.

Ich möchte noch einige in der Öffentlichkeit aufgeworfene Fragen besprechen, die von besonderer Bedeutung sind. Es ist behauptet worden, die Genehmigung der beiden Verträge mache die Wiedervereinigung mit der Sowjetzone unmöglich.

Abg. Niebergall: Das stimmt auch! - Weiterer Zuruf von der KPD: Das stimmt ganz genau!

Ich halte diese Behauptung für falsch.

Abg. Reimann: Das steht doch im Vertrag, Herr Dr. Adenauer!

Ich, meine Damen und Herren, bin gerade der umgekehrten Ansicht,

Abg. Reimann: Aber Sie haben das doch unterschrieben!

daß wir mit dem Abschluß dieser Verträge einen bedeutenden Schritt vorwärts tun auf das Ziel, das seinerzeit der Bundestag fast einstimmig so formuliert hat: Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit in einem freien Europa.

Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. - Abg. Reimann: Herr Dr. Adenauer, lesen Sie vor, was in § 7 Abs. 2 steht! - Weitere Zurufe und Unruhe bei der KPD.

Es ist richtig, daß die Wiedervereinigung in Freiheit nur mit Zustimmung der vier Alliierten, also auch mit Zustimmung Sowjetrußlands, erfolgen kann.

Abg. Frau Strohbach: Aha! Das hat sich einmal ganz anders angehört!

Ich bin der Auffassung, daß es klug ist, wenn man sich für diese Politik die Hilfe von wenigstens drei von den vieren zunächst sichert, wie wir das im Deutschlandvertrag tun.

Zustimmung bei den Regierungsparteien. - Abg. Niebergall: Das ist auch eine Argumentation.

Ich glaube, daß es möglich sein wird, im richtigen Augenblick mit Sowjetrußland an den Verhandlungstisch zu kommen,

Abg. Niebergall: Das soll nun ein Argument sein!

wenn wir die Hilfe dieser drei Mächte dabeihaben.

Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Fisch: Das ist doch kein Argument!

Aber keiner - nicht einmal meine Freunde von der äußersten Linken -

Heiterkeit.

glauben, daß die Sowjetunion aus sich heraus die Sowjetzone freigeben wird.

Abg. Niebergall: Jawohl! Das tut sie! - Lachen in der Mitte. - Gegenrufe von der Mitte: Anfragen! - Abg. Dr. Wuermeling: Dann tut es doch! - Abg. Fisch: Lachen ist auch eine Gabe Gottes! - Anhaltende Zurufe von der KPD.

Ich kann deswegen in keiner Weise einsehen, daß wir die Aussichten für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit dadurch, daß wir diese Verträge schließen, verschlechtern.

Abg. Frau Strohbach: Doch, das tut ihr!

Ein Gesamtdeutschland, wie es bis jetzt Sowjetrußland in seinen Noten fordert, also ein neutralisiertes Deutschland, ein auf dem Boden des Potsdamer Abkommens errichtetes Gesamtdeutschland ist für uns nicht möglich.

Beifall bei den Regierungsparteien.

Wir werden mit Hilfe der drei Westalliierten versuchen müssen,

Zuruf von der KPD.

Sowjetrußland von dieser seiner Forderung im Wege der Verhandlungen abzubringen. Ich bin überzeugt davon, daß Sowjetrußland, wenn es sieht, daß infolge des Abschlusses der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft seine Politik, im Wege des Kalten Krieges im vorliegenden Fall zur Neutralisierung der Bundesrepublik zu kommen, keinen Erfolg mehr verspricht, daß dann Sowjetrußland diese neugeschaffene politische Situation beachten und seine Politik dementsprechend einstellen wird.

Abg. Niebergall: Säbelrasseln! - Abg. Paul (Düsseldorf): Das ist Abenteuerpolitik!

Das eine ist sicher, meine Damen und Herren: Wenn wir die Verträge nicht unterzeichnen, verbessern wir die Aussicht auf Wiedervereinigung Deutschlands in keiner Weise.

Beifall bei den Regierungsparteien.

Ich weiß, daß die Männer und die Frauen in der Ostzone diese Ansicht teilen.

Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien und rechts.

Ich weiß, meine Damen und Herren, daß sie eine Ablehnung der beiden Verträge nicht verstehen würden,

Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.

und ich weiß, daß auch sie den von uns eingeschlagenen Weg als den einzigen Weg betrachten, der auch sie aus ihrer Not herausführen wird.

Zustimmung bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der KPD.

Erklärung des Bundeskanzlers in der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages zum Deutschlandvertrag und zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG-Vertrag) Teil 2

Es ist weiter die Frage aufgeworfen worden, ob nicht die militärische Stärkung des Westens, die das Vertragswerk zur Folge haben wird, Sowjetrußland dazu reizen würde, zum heißen Krieg überzugehen. Auch hier glaube ich, meine Damen und Herren, daß das Gegenteil richtig ist. Ich bin der Überzeugung, daß man einen hochgerüsteten totalitären Staat nicht dadurch von einer Aggression abhält, daß man möglichst schwach bleibt.

Lebhafte Zustimmung und Beifall bei den Regierungsparteien. - Abg. Reimann: Wie Adolf Hitler! Der hat das auch gesagt!

Die Geschichte der letzten zwanzig Jahre bietet zwei ausgezeichnete und schlagende Beispiele für die Richtigkeit dieser meiner Auffassung.

Abg. Fisch: Sehr richtig! Jawohl, mit Drohungen hat's der Hitler auch versucht! - Unruhe. Glocke des Präsidenten.

Als Hitler aufrüstete, ist zunächst von Seiten der anderen europäischen Staaten und von Seiten der Vereinigten Staaten von Amerika nichts geschehen.

Abg. Reimann: Jetzt verteidigt er sogar Hitler!

Weil Hitler wußte,

Abg. Reimann: Aha!

daß diese Länder militärisch schwach waren, hat er in dem Augenblick, als er glaubte,

Abg. Reimann: Na also!

er sei stark genug, um einen schnellen Sieg zu erlangen, losgeschlagen.

Abg. Reimann: Verteidigung für Hitler! - Unruhe.

Hätte man damals, als Hitler aufzurüsten begann, in den anderen Ländern auch die Verteidigungskräfte vermehrt, so würde Hitler niemals den Krieg gewagt haben.

Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der KPD. - Unruhe.

Etwas Ähnliches, meine Damen und Herren, gilt auch für die Zeit nach 1945. Da Sowjetrußland stark gerüstet blieb, während die anderen Länder abrüsteten,

Zuruf von der KPD: Wer denn?

machte es von seiner militärischen Überlegenheit durch die Unterwerfung der jetzigen Satellitenstaaten rücksichtslosen Gebrauch.

Sehr richtig! in der Mitte.

Ich bin überzeugt, daß Sowjetrußland das nicht getan hätte, wenn es hätte befürchten müssen, daß die anderen ihm in den Arm fallen würden.

Zustimmung in der Mitte.

Mit jeder Stärkung der westlichen Verteidigungskraft wächst die Wahrscheinlichkeit, daß Sowjetrußland nicht zum heißen Krieg übergehen wird, und die westliche Verteidigungskraft ist jetzt schon so stark, daß Sowjetrußland in einem heißen Kriege kaum etwas zu gewinnen, aber sehr viel zu verlieren hat.

Abg. Niebergall: Das ist nicht das Problem! Wir haben alle zu verlieren! - Gegenruf von der Mitte: Ihr, ja!

Meine Damen und Herren, ich darf nochmals darauf hinweisen, daß keines der an den Vertragswerken beteiligten Länder in der Lage war, seine Meinung in allen Punkten zur Annahme zu bringen. Ich darf darauf hinweisen, daß in jedem Land Regierung und Parlament auf die öffentliche Meinung ihres Landes Rücksicht nehmen müssen und die öffentliche Meinung in den einzelnen Ländern verschieden ist. Ich habe unlängst an anderer Stelle ausgeführt, daß wir Deutschen doch etwas sehr dazu neigen, nur die Meinung im eigenen Lande, nur den eigenen Standpunkt zu berücksichtigen, und daß wir ferner dazu neigen, schnell zu vergessen, namentlich wenn es uns angenehm ist, zu vergessen.

Lebhafte Zustimmung in der Mitte.

Ich glaube, wir müssen klar erkennen, daß die Siegerländer in diesem Vertragswerk dem besiegten Deutschland ein großes Entgegenkommen zeigen.

Sehr gut! in der Mitte.

Es ist charakteristisch, daß als erstes Parlament der amerikanische Senat

Zuruf von der KPD: Allerdings!

den Deutschlandvertrag genehmigt hat.

Zuruf von der KPD: Die haben's doch gemacht! - Weitere Zurufe von der KPD.

Ich meine, die europäischen Teilnehmerstaaten und insbesondere auch wir Deutschen müssen dem amerikanischen Senat und der amerikanischen Regierung von Herzen dankbar sein für dieses mutige Vorangehen.

Beifall bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der KPD.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ja schon mehrmals gesagt, daß auch ich mir manchen Artikel und manchen Paragraphen lieber anders gewünscht hätte. Aber wenn erst einmal auf Grund der Verträge die Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmerstaaten enger geworden ist, werden auch manche Bestimmungen, die uns jetzt nicht befriedigen, eine Auslegung erfahren, die uns befriedigen kann. Das gilt meines Erachtens auch von der Kriegsverbrecherfrage. Die britische Regierung hat jetzt schon eine Nachprüfung aller Fälle angeordnet. Der Französische Hohe Kommissar wird aus Anlaß des französischen Nationalfeiertages am 14. Juli eine große Zahl von Begnadigungen aussprechen. Ich glaube, daß auch die Vereinigten Staaten schon vor Inkrafttreten der Verträge so handeln werden wie diese beiden Länder.

Bravo! bei den Regierungsparteien und rechts. - Zuruf rechts: Und die Gefangenen in Frankreich?!

Die Antwortnote auf die Sowjetnote muß ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen. Sie wird in diesen Tagen in Moskau überreicht werden.

Abg. Reimann: Morgen!

Morgen!

Heiterkeit. - Abg. Reimann: Nach der Debatte! Das haben Sie organisiert!

Nein, Sie sind falsch unterrichtet, Herr Reimann! Sie sind zu selten hier bei uns; daher sind Sie nicht mehr im Bilde.

Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien. - Abg. Dr. Mende: Aber er erhält fleißig seine Aufwandsentschädigung für Nichtarbeit!

Sie wissen, meine Damen und Herren, daß der Entwurf dieser Note mit mir erörtert worden ist. Ich bin durchaus einverstanden mit dem Abhalten einer Viererkonferenz.

Abg. Niebergall: Bloß kein Resultat darf sie haben!

Das hängt von Ihren Freunden ab!

Beifall bei den Regierungsparteien.

Allerdings gehe ich davon aus, daß auf dieser Konferenz keine Verschleppungstaktik geduldet werden darf,

Zustimmung bei den Regierungsparteien.

weil dadurch vielleicht in dem einen oder andern Lande Verzögerungen hinsichtlich der Genehmigung der Verträge eintreten können. Ich halte eine solche Verzögerung der Genehmigung der Verträge nicht nur im deutschen Interesse, sondern im Interesse der gesamten politischen Entwicklung für gefährlich. Ich glaube, es ist daher richtig, wenn der Gegenstand der Verhandlungen auf einer solchen Viererkonferenz vorher so festgelegt wird, daß Verschleppungsmanöver unmöglich werden.

Sehr richtig! in der Mitte. - Zuruf von der KPD: Ja und Nein!

Die Bundesrepublik Deutschland kann nicht ohne Anlehnung an andere Staaten bestehen. Deutschlands geographische Lage ist politisch betrachtet besonders ungünstig. Deutschland liegt in der Mitte Europas, und es hat keine geschützten Grenzen.

Zuruf von der KPD: Ach, ist das neu!

Deutschland hat deswegen, gezwungen durch diese seine geographische Lage, schon seit den 70er Jahren nach Verbündeten gesucht. Es glaubte, zunächst durch den Drei-Kaiser-Bund - Deutschland, Österreich, Rußland - im Jahre 1872 sich Bundesgenossen und Sicherheit verschaffen zu können. Aber Bismarck hat damals schon bald erkannt, daß ein lediglich auf dem monarchistischen Gedanken beruhendes Bündnis auf die Dauer keinen genügenden Halt haben würde. In der Folge bildeten sich zwei Bündnissysteme heraus: der Dreibund zwischen Deutschland, Österreich und Italien im Jahre 1882, die Triple-Alliance zwischen England, Frankreich und Rußland.

Abg. Frau Thiele: Geschichtsunterricht, achte Klasse Volksschule! - Gegenruf von der Mitte: Ganz gut für Sie, wenn das wiederholt wird! - Heiterkeit.

Unter Delcassé bildete sich zwischen 1900 und 1904 die Entente cordiale und endlich das französisch-russische Bündnis.

Abg. Reimann: Das ist das Format eines Kanzlers! - Glocke des Präsidenten.

1911 wurde eine Defensivallianz zwischen Großbritannien, Frankreich und Rußland gebildet, nachdem in den Jahren 1901 bis 1911 England dreimal versucht hatte - leider vergeblich -, mit Deutschland zu einer Verständigung zu kommen.

Abg. Fisch: Und wann fuhr die erste Eisenbahn? - Heiterkeit bei der KPD.

Durch diese Entwicklung waren die dann kommenden Katastrophen vorbereitet. Es ist auch hier nötig, daß wir uns den Ablauf der Geschichte vergegenwärtigen, um in einem solchen historischen Zeitpunkt wie dem jetzigen zur richtigen Entscheidung zu kommen.

Abg. Reimann: Was hat das mit dem Generalvertrag zu tun?

Wir sind jetzt, meine Damen und Herren, mehr denn je auf Bundesgenossen angewiesen, um unsere Freiheit zu bewahren.

Beifall bei den Regierungsparteien.

Durch den Eintritt in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die ihrerseits wieder mit dem Atlantikpakt verknüpft ist, durch den Abschluß des Defensivbündnisses mit Großbritannien und durch das Sicherheitsversprechen der Vereinigten Staaten bekommt unser Land die denkbar größte Sicherheit. Alle diese Bündnisse - ich betone es nochmals - haben einen rein defensiven Charakter. Dieser defensive Charakter ist nicht nur ausdrücklich in den Satzungen, Statuten und Artikeln ausgesprochen, er ist auch durch die innere Struktur des ganzen Systems gewährleistet. Das westliche Verteidigungssystem kann und wird - das ist meine feste Überzeugung - Europa und uns Frieden und Freiheit sichern. Die Spannung zwischen Ost und West ist zur Zeit da. Die Kräfte der europäischen Länder sind gelähmt; sie sollen zusammengefaßt werden für den Frieden, auch für den Frieden mit Sowjetrußland! Die Vereinigten Staaten und Großbritannien unterstützen mit ganzer Kraft diese Bestrebungen. Wir werden durch die Genehmigung der Verträge der Sache der Freiheit, der Schaffung eines neuen Europas, der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Höchsten, dem Frieden und der Freiheit dienen.

Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.

 

Quelle: Konrad Adenauer, Bundestagsreden. Hg. von Josef Selbach. Bonn 1967, S. 131-160.