Herr Botschafter,
in der 278. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 1. Juli 1953 habe ich aus Anlass des Aufstandes der deutschen Bevölkerung in Ost-Berlin und der sowjetischen Zone eine Regierungserklärung abgegeben. Darin forderte ich unter Hinweis auf das machtvolle Freiheitsbekenntnis der Deutschen Ost-Berlins und der Sowjetzone und unter Bezugnahme auf die der Alliierten Hohen Kommission mit Schreiben vom 12. Juni 1953 - 202-03 MB 1449/53 - notifizierte Entschließung des Bundestages vom 10. Juni zur Wiedervereinigung des ganzen Deutschland auf friedlichem Wege erneut die Abhaltung freier Wahlen. Zur Vorbereitung solcher Wahlen, die nur in geordneten freiheitlichen Verhältnissen durchgeführt werden können, hat die Bundesregierung ein Sofortprogramm aufgestellt, dessen Verwirklichung die unerlässliche Vorbedingung für die Abhaltung wirklich freier Wahlen darstellt.
a) Öffnung aller Zonenübergänge.
b) Aufhebung des Sperrstreifens und der evakuierten Zone.
c) Freizügigkeit aller Deutschen in ganz Deutschland.
d) Presse- und Versammlungsfreiheit.
e) Zulassung der Parteien.
f) Schaffung demokratischer Rechtsformen zum Schutz des Menschen gegen Willkür und Terror.
Dieses Programm beruht auf der Überzeugung, dass ohne die Wiederherstellung der allgemeinen und der persönlichen Freiheit in der sowjetischen Besatzungszone freie Wahlen nicht durchgeführt werden können.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Euere Exzellenz Ihrer Regierung diese Forderungen zur Kenntnis bringen und sie bitten würden, dieses Sofortprogramm den Beratungen über die Wiedervereinigungsfrage auf der bevorstehenden Konferenz der Außenminister in Washington zu Grunde zu legen.
Genehmigen Sie, Herr Botschafter, den Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.
gez. Adenauer
Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 155f.