9. Mai 1950

Pressekonferenz des Bundeskanzlers Adenauer in Bonn (Auszug)

 

Dr. Adenauer: Meine Damen und Herren!

Ich bin heute in der Lage, Ihnen zwei sehr wesentliche Mitteilungen zu machen, Mitteilungen von ganz außerordentlich großer Bedeutung für Deutschland und für Europa, und ich bitte Sie auch, aus der Anwesenheit meiner Kollegen im Kabinett zu dieser späten Stunde schließen zu wollen, daß wir die Bedeutung dieser Angelegenheit, die ich Ihnen vorzutragen habe, dadurch unterstreichen wollen. Ich habe Ihnen zunächst mitzuteilen einen Kabinettsbeschluß unserer Bundesregierung, der heute mittag gefaßt worden ist über den Beitritt in den Europarat, und ich habe Ihnen dann mitzuteilen einen Beschluß des französischen Kabinetts von heute, den Sie durch Agenturmeldungen wohl zum großen Teil schon kennen, aber ich weiß nicht, ob Sie den vollständigen Wortlaut haben. Der vollständige Wortlaut ist so wesentlich, daß ich mir doch erlaube, ihn im zweiten Teil meiner Ausführungen trotz seiner Länge mitzuteilen.

Diese beiden Beschlüsse, einmal der des französischen Kabinetts und dann der Beschluß des deutschen Kabinetts, treffen zufällig zeitlich zusammen. Es sind keine Verhandlungen vorausgegangen, insbesondere ist der Beschluß des französischen Kabinetts nicht für uns die Veranlassung gewesen, dem Bundestag zu empfehlen, der Einladung in den Europarat Folge zu leisten. Aber Sie werden im Laufe meiner Ausführungen doch entnehmen können aus dem Wortlaut des französischen Kabinettsbeschlusses, daß dieser Kabinettsbeschluß und das, was er vorschlägt, basiert auf der Mitgliedschaft zum Europarat, so daß man doch diese beiden Beschlüsse in ihren Zusammenhängen betrachten und untersuchen muß.

Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, sind wir vor längerer Zeit eingeladen worden durch den Ministerausschuß des Europarates, als assoziiertes Mitglied einzutreten.

Die Frage unserer Mitgliedschaft zum Europarat ist im Bundestag oder, ich will mich genau ausdrücken, unter den politischen Parteien nicht irgendwie strittig gewesen bis zu dem Augenblick, als die Behandlung der Saarfrage uns Deutsche doch ganz außerordentlich verstimmt hat. Die Saarfrage - ich will sie nicht im einzelnen hier in Ihr Gedächtnis zurückrufen - hat doch zur Folge gehabt, daß insbesondere von der Sozialdemokratischen Partei erklärt worden ist, daß ein Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in den Europarat unter gleichzeitigem Eintritt des Saargebiets für uns Deutsche untunlich sei. Ich habe dann im Verlaufe der vergangenen Wochen mich, wie Sie wissen, mehrfach bemüht, irgendwelche Erleichterungen von den alliierten Regierungen für uns zu bekommen, nicht etwa, weil ich das als eine Bedingung - ich möchte das nochmals betonen - zu unserem Eintritt in den Europarat angesehen habe, sondern weil ich hoffte, durch eine solche Geste des Entgegenkommens doch im Bundestag für die Annahme der Einladung eine möglichst große Mehrheit zu erzielen. Ich hatte dann die Absicht, mit der Vorlage an den Bundestag zu warten bis etwa Juni, weil ich hoffte, daß durch den Zeitablauf oder durch den Eintritt irgendeines nicht vorgesehenen Ereignisses die Annahme der Einladung in den Europarat allgemeine Zustimmung in Deutschland finden würde. Ich bin glücklich, meine Damen und Herren, Ihnen mitteilen zu können, daß dieses unerwartete Ereignis eingetreten ist, und das bildet nun den zweiten Teil meiner Mitteilungen.

In der Zwischenzeit aber, noch ehe wir im Kabinett von dieser Entwicklung in Frankreich etwas gewußt haben, hatten sich ja die Verhältnisse in der internationalen Lage so verändert und so zugespitzt, daß die Westalliierten zur Einberufung der Londoner Konferenz geschritten sind. Auf dieser Londoner Konferenz werden die Einzelheiten der Deutschlandfrage, soweit ich darüber unterrichtet bin, keine Rolle spielen. Es wird erst, wie ich annehme, dann darüber gesprochen werden, nachdem diese Konferenz zu Ende gegangen ist, denn die Londoner Konferenz hat ein sehr großes und sehr wichtiges Programm zu erledigen.

Aber immerhin: Die Frage Deutschland wird trotzdem auch auf der Londoner Konferenz implizite eine sehr große Rolle spielen. Ich glaube, daß auf dieser Konferenz es sich sehr wesentlich darum handeln wird, in dem Kalten Kriege, in dem sich die beiden großen Mächtegruppen befinden, die gesamte Weltlage zu überprüfen, und daß es sich weiter darum handelt, die Front des Westens in diesem Kalten Krieg standfest zu machen. Die europäische Entwicklung ist natürlich nur ein Teil bei den Überlegungen, die in London angestellt werden, aber die Entwicklung Europas wird eine sehr große Rolle bei diesen Überlegungen spielen. Der Europarat, meine Damen und Herren, darüber sind, glaube ich, sich alle einig, ist noch nichts Vollkommenes. Es ist der Anfang einer hoffentlich guten Entwicklung. Über ein Weiteres sind sich alle einig, daß der Europarat eine günstige Entwicklung nicht nehmen kann, ohne daß Deutschland Mitglied des Europarates ist.

Und nun muß man, so glauben wir im Kabinett, meine Damen und Herren, bei der Betrachtung der Frage, ob wir der Einladung, in den Europarat einzutreten, Folge leisten, einmal absehen von den Unstimmigkeiten, die vorangegangen sind, ehe die Einladung kam. Wir glauben auch, man muß davon absehen, nun zu prüfen, bekommen wir dies, bekommen wir das, wenn wir in den Europarat eintreten. - Wir glauben, daß man die Frage des Europarates, unseres Eintritts in den Europarat, unter einem viel größeren und entscheidenderen Aspekt betrachten muß.

Nach unserer Auffassung kann das Ziel der Entwicklung des Europarates nur eins sein: Ein föderatives Europa zu schaffen, das ein eminent friedlicher Faktor in der Welt sein muß. Sie wissen, wie die Weltlage ist, Sie wissen, daß sich diese beiden großen Mächte, Sowjetrußland auf der einen Seite, die Vereinigten Staaten von Nordamerika auf der anderen Seite, durch ideologische Gründe, durch ihre Entwicklung, durch ihre ganzen Auffassungen getrennt gegenüberstehen im Kalten Kriege, der, wie wir alle hoffen, niemals in einen anderen Krieg umschlagen wird, aber sie stehen sich gegenüber. Kein anderer Staat in der Welt ist stark genug, nach den beiden Kriegen, die wir erlebt haben, um mit diesen beiden Staaten konkurrieren zu können. Wenn diese akute Spannung des Kalten Krieges, die wir ja jetzt erleben, vorüber sein wird, so wird doch eine latente Spannung immer so lange vorhanden sein, als die Welt in Wirklichkeit nur regiert wird von diesen beiden ganz großen Mächten.

Nun muß es das Ziel sein, in dem Vereinigten Europa eine dritte Kraft zu schaffen, eine Kraft, die bei weitem nicht so groß ist, wie diese beiden großen Mächte, auch niemals so groß sein kann, die aber doch immerhin so stark, wirtschaftlich und politisch so stark ist, daß sie, wenn latente Beziehungen sich in akute Spannungen zu entwickeln drohen, ihr Gewicht für die Erhaltung des Friedens in die Waagschale legen kann. Das ist nach unserer Auffassung das Ziel, das man, wenn man europäische Politik treibt, im Auge halten und verfolgen muß, also ein eminent friedliches Ziel, durch dessen Verfolgung erreicht werden soll, den Völkern der Welt einen dauernden Frieden zu geben.

Ich habe eben gesagt, meine Damen und Herren, daß sich alle darin einig sind, daß ohne Deutschland dieser Europarat nicht sich weiterentwickeln kann, und nun müssen wir Deutsche die Frage stellen: Können wir, ich will zunächst einmal negativ mich ausdrücken, können wir es vor unserem Gewissen und vor unserem Volk verantworten und vor Europa verantworten, dadurch, daß wir nicht in den Europarat eintreten, von vorneherein die Entwicklung zum föderativen Europa zunichte zu machen, oder, nun lassen Sie es mich positiv sagen: Haben nicht wir Deutsche die Verpflichtung, nachdem wir in der Vergangenheit - wesentliche Teile unseres Volkes - durch diesen Krieg große Schuld auf sich geladen haben, nunmehr unsere ganzen geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Kräfte dafür einzusetzen, daß dieses Europa wird und daß dieses Europa ein Element des Friedens auf der Welt wird? Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn man sich so die Frage stellt, dann gibt es nur eine Antwort darauf. Und die ganze Sachlage ist so durch die Entwicklung der letzten Monate geworden, daß demgegenüber, so sehr wir es bedauern, daß diese Konventionen zwischen Frankreich und der Saarregierung geschlossen worden sind, doch der Eintritt des Saargebietes in den Europarat für uns unter keinen Umständen ein Hindernis sein kann, in den Europarat einzutreten.

Naturgemäß, meine Damen und Herren, haben wir uns auch die Frage vorgelegt bei der Erörterung dieser Angelegenheit: Bedeutet der Eintritt in den Europarat nicht eine Entschließung zugunsten der Remilitarisierung Deutschlands? Sie werden morgen, meine Damen und Herren - lassen Sie mich das einschieben -, eine Denkschrift der Bundesregierung bekommen, in der alles Material enthalten ist, auch was über den Europarat und über den Atlantikpakt gesagt werden muß, und Sie werden darin auch finden die Gründe, die für den Eintritt sprechen, und die Gründe, die gegen den Eintritt Deutschlands sprechen, so daß ich mich hier beschränken kann auf die Hervorhebung der wesentlichen Gesichtspunkte. Ich möchte Ihnen doch mit aller Deutlichkeit sagen, daß der Atlantikpakt und der Europarat ganz verschiedene Zwecke verfolgen, einen anderen Mitgliederkreis umschließen, und daß der Europarat einen eminent friedlichen Zweck verfolgt und kein Defensivbündnis ist.

Ich darf auch wohl darauf hinweisen, daß der französische Staatspräsident Auriol und gestern und vorgestern der Minister Schuman ausdrücklich erklärt haben, daß Frankreich absolut gegen eine Wiederaufrüstung Deutschlands und gegen die Wiederherstellung der Kriegsproduktionsmöglichkeiten in Deutschland ist, daß die englische Regierung ähnliche Erklärungen vor einiger Zeit abgegeben hat und daß demgegenüber Äußerungen von Privatpersonen in verschiedenen Ländern keine Bedeutung haben.

Ich bitte Sie also, daran festzuhalten, an dem, was ich gesagt habe, daß die Remilitarisierung Deutschlands durch den Eintritt in den Europarat in keiner Weise beschlossen ist. Wir haben uns naturgemäß weiter die Frage vorlegen müssen: Wie wird der Eintritt in den Europarat auf Berlin, auf die Sowjetzone, auf Sowjetrußland wirken?

Wenn Sowjetrußland den Europarat in Ruhe betrachtet, dann wird Sowjetrußland, wenn es den Frieden will, darin ein Element des Friedens sehen müssen -, erkennen müssen, meine Damen und Herren. Es kann sein, daß die sowjetrussische Regierung irgendwie anders reagiert darauf, und es wurde nun eine Überlegung angestellt und eine Diskussion, die hin und her gegangen ist, die sehr lebhaft mich erinnert an die Diskussion, die wir gehabt haben vor etwa zwei Jahren, als es sich darum handelte, den Parlamentarischen Rat einzuberufen, das Grundgesetz zu beschließen und im Anschluß daran die Bundesrepublik Deutschland ins Leben zu rufen. Auch damals sind Betrachtungen darüber angestellt worden, ob man nicht durch ein solches Vorgehen den deutschen Osten entmutige, ob man nicht den Eisernen Vorhang dadurch fester mache, ob man Berlin nicht dadurch preisgebe. Nun, die Verfechter des Gedankens damals, daß die Rettung Berlins und die Rettung des deutschen Ostens zur Voraussetzung hat, daß der deutsche Westen wirtschaftlich und politisch erstarkt, haben hundertprozentig Recht behalten. Wir wären, weder das Vereinigte Wirtschaftsgebiet, das das zuerst getan hat und der Vorläufer der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist, noch wir in der Bundesrepublik Deutschland wären in der Lage gewesen, Berlin die Hilfe zu gewähren, die es in den Stand gesetzt hat, auszuhalten, wenn damals das Grundgesetz nicht geschaffen worden wäre.

Und so glaube ich, meine Damen und Herren, daß man auch auf diese neue Sachlage auf Grund der Erfahrungen, die wir in diesen Jahren gehabt haben, dasselbe anwenden kann, denselben Grundsatz, daß, je stärker die Bundesrepublik Deutschland wird, wirtschaftlich und politisch, politisch jetzt auch international betrachtet, meine Damen und Herren, desto besser ist es für Berlin und für den deutschen Osten, und wir glauben, daß wir auf diesem Wege gerade auch für den deutschen Osten das Beste tun, was wir tun können.

Nun, meine Damen und Herren, glaube ich weiter Ihnen noch darlegen zu müssen, was wir uns für Deutschland nun im einzelnen im Laufe der nächsten Monate erhoffen:

Ich möchte hier nicht einen großen Wunschzettel aufstellen. Ich möchte die ganze Frage unter den großen politischen Gesichtspunkten betrachtet wissen, die ich Ihnen eben dargelegt habe. Aber ich bin überzeugt, und ich sage das nicht ohne Grund, meine Damen und Herren, daß, wenn wir Mitglied des Europarates sind, wir in Bälde auch ordentliches Mitglied des Europarates werden, wie die anderen, und daß wir auf dem gesamten Gebiete der Überwachung, des Besatzungsregimes, wesentliche Erleichterungen schon in Bälde werden erwarten können. Ich glaube, daß die Revision des Besatzungsstatuts, wenn sie demnächst kommt, viel weitherziger und viel großzügiger sein wird, wenn wir Mitglied des Europarates sind, als wenn wir die Einladung nicht annehmen würden oder sie nicht beachten würden. Wir glauben im Kabinett, meine Damen und Herren, da die politische Entwicklung in den letzten Wochen, fast kann man sagen, in den letzten 8 Tagen, sehr schnell vor sich gegangen ist, es sei richtig, wenn wir vor Beginn der Londoner Konferenz den Kabinettsbeschluß faßten, den wir heute mittag gefaßt haben, und ihn der Öffentlichkeit mitteilen würden.

Er lautet folgendermaßen:

"Der Zusammenschluß Europas unter Einbeziehung der Bundesrepublik Deutschland ist ein notwendiger Weg zur Erhaltung des Friedens und zur Wiederherstellung der deutschen Einheit. In der Absicht, diesen Zielen zu dienen, empfiehlt die Bundesregierung, die an die Bundesrepublik ergangene Einladung zum Eintritt in den Europarat anzunehmen."

Der weitere Gang der Dinge wird nun der sein, daß eine Gesetzesvorlage dem Bundesrat und dem Bundestag zugeht, denn nach dem Artikel 49 des GG muß dieser Beitritt in den Europarat im Wege des Gesetzes beschlossen werden. Aber es ist doch wohl richtig, wenn dieser Beschluß des Kabinetts jetzt schon der Öffentlichkeit mitgeteilt wird.

Und nun, meine Damen und Herren, komme ich zu dem zweiten Teil meiner Ausführungen, das ist der Beschluß des französischen Ministerrates, den der französische Ministerrat heute vormittag gefaßt hat.

Dieser Beschluß, meine Damen und Herren, das möchte ich doch sehr nachdrücklich sagen, ist ein großherziger Schritt Frankreichs und seines Außenministers gegenüber Deutschland und gegenüber der europäischen Frage. Er ist zweifellos von der denkbar größten Bedeutung für die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich und für die ganze europäische Entwicklung. Dieser Beschluß, meine Damen und Herren, enthält nicht allgemeine Redensarten, sondern er enthält ganz konkrete und ganz präzise Vorschläge über eine Zusammenfassung der Produktionen von Kohle, Eisen und Stahl Frankreichs und Deutschlands unter ausdrücklicher Hervorhebung, daß alle anderen Staaten diesem Abkommen beitreten können.

Meine Damen und Herren! Ich möchte auch noch ausdrücklich hervorheben, daß dieser Vorschlag auf der Basis der Gleichberechtigung beruht, so daß sogar, wenn die Deutschen und die Franzosen sich in dem vorgesehenen Gremium nicht einigen können, ein Schiedsrichter, der von beiden Teilen gewählt ist, die Entscheidung fällen soll.

Das ist, meine Damen und Herren, ein so eminent wichtiger Fortschritt in den deutsch-französischen Beziehungen, der dadurch eingeleitet wird, daß man ihn nicht nachdrücklich genug unterstreichen kann.

Lassen Sie mich nun das Dokument Ihnen vorlesen, es sei denn, daß Sie es alle schon haben, ich glaube es aber nicht.

(Zwischenrufe: Nein!)

"Der Weltfriede kann nicht gerettet werden ohne schöpferische Maßnahmen, die den bestehenden Gefahren begegnen können. Zur Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen ist der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa der Zivilisation leisten kann, unentbehrlich. Indem es sich seit über 20 Jahren zum Vorkämpfer eines Vereinigten Europas machte, war Frankreich immer dem Frieden zu dienen bestrebt. Europa kam nicht zustande. Es kam zum Krieg.

Europa wird nicht mit einem Schlag geschaffen, auch nicht durch eine Gesamtlösung. Es wird erst zustandekommen, wenn konkrete Maßnahmen eine tatsächliche Solidarität geschaffen haben. Der Zusammenschluß der europäischen Nationen verlangt, daß der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland verschwindet. Das in die Wege geleitete Unternehmen soll vor allem Frankreich und Deutschland umfassen.

Zu diesem Zweck beabsichtigt die französische Regierung, die Initiative sofort auf einen bestimmten und entscheidenden Punkt zu verlegen. Die französische Regierung schlägt vor, „die gesamte deutsche und französische Produktion von Kohle und Stahl unter eine gemeinsame Behörde zu stellen, eine Organisation, die der Beteiligung anderer europäischer Länder zugänglich wäre."

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier einfügen, daß auch die Saarproduktion damit betroffen ist und daß dadurch ein ganz wesentliches Moment der Entfremdung zwischen Frankreich und uns aus der Welt geschaffen worden ist.

"Das Zusammenlegen der Kohle- und Stahlproduktion wird als erste Etappe der europäischen Föderation die Schaffung gemeinsamer Grundlagen der wirtschaftlichen Entwicklung sofort sichern und das Schicksal derjenigen Länder ändern, die lange zur Waffenfabrikation bestimmt waren und deren ständige Opfer sie waren. Die Zusammenfassung der Produktionskräfte, die auf diese Weise zustandekommen wird, wird klar herausstellen, daß jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur nicht denkbar, sondern auch materiell unmöglich wird. Die Bildung dieser gewaltigen Produktionseinheit, die allen Ländern offenstehen wird, die sich daran beteiligen wollen, wird dahin führen, daß alle Länder, die darin vereint sind, die Grundelemente der industriellen Produktion zu denselben Bedingungen erhalten werden und daß die wirklichen Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Vereinigung gelegt sein wird. Diese Produktion wird der ganzen Welt ohne Unterschied und ohne Diskriminierung angeboten werden und wird dadurch zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung eines friedlichen Schaffens beitragen."

Der folgende Satz ist besonders wichtig:

"Europa wird dann imstande sein, mit vermehrten Mitteln die Verwirklichung einer seiner Hauptaufgaben vorwärtszutreiben, nämlich die Erschließung des afrikanischen Kontinents. Auf diese Weise wird der Zusammenschluß der Interessen, der zur Bildung einer wirtschaftlichen Einheit notwendig ist, schnell und mit einfachen Mitteln verwirklicht und der Ansatz zu einer erweiterten vertieften Gemeinschaft zwischen Völkern, die lange Zeit in blutigen Streitigkeiten gegeneinander standen, geschaffen werden.

Durch die Zusammenlegung von Grundproduktionen und durch Bildung einer neuen hohen Behörde, deren Beschlüsse für Frankreich, Deutschland und für die beteiligten Länder bindend sein werden, wird dieser Vorschlag die ersten tatsächlichen Grundlagen einer europäischen Föderation schaffen, die zur Erhaltung des Friedens unumgänglich nötig sind. Um die angeführten Ziele zu erreichen, ist die französische Regierung bereit, Verhandlungen auf folgender Grundlage zu eröffnen:

Es wird die Aufgabe der gemeinsamen Hohen Behörde sein, in kürzester Frist folgendes zu erreichen:

Die Modernisierung der Produktion und die Verbesserung ihrer Qualität, die Lieferung zu gleichen Bedingungen von Kohle und Stahl an den französischen und deutschen Markt, ebenso an die Märkte der Mitgliedstaaten, den Ausbau der gemeinsamen Ausfuhr nach den anderen Staaten, eine im Sinne des Fortschritts durchgeführte Gleichschaltung der Lebensbedingungen der Arbeitnehmer dieser Industrien. Zur Erreichung dieser Ziele, ausgehend von den sehr verschiedenartigen Zuständen, in welchen die Produktion der Mitgliedstaaten momentan arbeitet, müssen vorübergehend einige Vorkehrungen getroffen werden wie Durchführung eines Produktions- und Kapitalanlageplans, die Errichtung von Preisangleichungssystemen und die Bildung eines Ausgleichsfonds zur besseren Rationalisierung der Produktion. Der Ausbau von Kohle und Stahl zwischen den Mitgliedstaaten wird von jeder Zollabgabe sofort befreit und durch keine Vorzugstarife belastet werden.

Nach und nach wird sich daraus die Lage ergeben, unter der die rationellste Verteilung der Produktion im Rahmen der bestmöglichsten Herstellungsbedingungen verwirklicht werden kann.

Im Gegensatz zu einem internationalen Kartell, dessen Ziel die Verteilung und Ausbeutung der nationalen Märkte durch restriktive Maßnahmen und Sicherstellung hoher Profite ist, wird die vorgeschlagene Organisation die Fusion der Märkte und die Ausweitung der Erzeugung sichern.

Die obenerwähnten Grundsätze und Verpflichtungen sollen in einem von den Parlamenten genehmigten Staatsvertrag festgelegt werden, die Ausführungsbestimmungen in Verhandlungen debattiert werden. An diesen Besprechungen nimmt ein gemeinsam ernannter Schiedsrichter teil. Dessen Aufgabe ist es, zu wachen, daß die Verträge den Grundsätzen entsprechen.

Im Falle unlösbarer Gegensätze wird eher die folgende Lösung bestimmt: Die gemeinsame Hohe Behörde ist mit dem Funktionieren dieses Systems betraut. Sie wird von unabhängigen, von ihren gleichberechtigten Regierungen ernannten Persönlichkeiten gebildet. Der Präsident wird gemeinsam von den Regierungen ernannt. Seine Anordnungen müssen in Frankreich, in Deutschland und den anderen Mitgliedsländern ausgeführt werden. Entsprechende Bestimmungen [sorgen] für die Möglichkeit einer Berufung gegen die Anordnung der Hohen Behörde. Ein bei dieser Behörde akkreditierter Vertreter der Vereinten Nationen wird zweimal jährlich einen öffentlichen Bericht an die UNO richten. Hierin wird er Rechenschaft ablegen von den Arbeiten der neuen Organisation, besonders betreffs der Maßnahmen ihrer Friedensziele. Die Einsetzung der Hohen Behörde präjudiziert in keinem Falle die Eigentumsverhältnisse der Unternehmen. In der Ausübung ihrer Aufgaben wird die gemeinsame Hohe Behörde Rücksicht nehmen auf die Vollmachten der Internationalen Ruhrbehörde und auf die Deutschland auferlegten Verpflichtungen aller Art, solange sie bestehen."

Es ist ein sehr langes Dokument, und es ist gewiß auf den ersten Blick nicht in seinen ganzen Konsequenzen zu überschauen. Aber es ist ein Vorschlag, der konkret ist, der nicht nur allgemeine Redensarten enthält, und es ist ein weitgehender Vorschlag, und es scheint mir - und seit mehr als 25 Jahren hat mir dieses Ziel vorgeschwebt -, es scheint mir die Zusammenlegung dieser Grundproduktion wirklich eine echte Voraussetzung dafür zu schaffen, daß zwischen Frankreich und Deutschland in Zukunft jeder Konflikt ausgeschaltet ist.

Darin erblicke ich die sehr große Bedeutung dieses Beschlusses der französischen Regierung.

Unser Kabinett hat sich noch nicht damit beschäftigen können, weil ja erst in den Abendstunden dieser Beschluß des französischen Kabinetts, der heute vormittag gefaßt worden ist, der Öffentlichkeit mitgeteilt worden ist. Ich habe diese amtliche Mitteilung bekommen vor stark einer Stunde. Aber unser Kabinett wird sich in Bälde damit befassen und, meine Damen und Herren, ich glaube bestimmt, es wird sich aus den Verhandlungen, die vorgeschlagen sind von seiten der französischen Regierung mit uns, ein großer Fortschritt entwickeln für die Zukunft unserer beiden Länder und für die Zukunft Europas, und insbesondere darf ich noch einmal hinweisen auf die große Bedeutung, die die Erwähnung des afrikanischen Kontinents in diesem Vorschlage hat. Da bietet sich die Möglichkeit, neue Märkte, auf denen wir niemandem - jetzt meine ich Frankreich und Deutschland, wenn ich sage "wir" -, auf denen wir niemand zur Last fallen.

Ich darf nochmals betonen, was ich eingangs sagte, daß wir bei unserem Vorschlag an den Bundestag nichts hiervon gewußt haben, so daß also nicht etwa wir durch diesen Vorschlag der französischen Regierung dazu bewogen worden sind, diese Empfehlung zu beschließen. Aber, meine Damen und Herren, insbesondere, wenn Sie das Dokument noch einmal in Ruhe durchlesen, werden Sie daraus ersehen, daß an sehr vielen Stellen Bezug genommen ist auf das zu schaffende Europa und auf die europäische Föderation und daß daher diese beiden Beschlüsse, die heute gefaßt worden sind in Bonn und Paris, doch in einem inneren, in einem organischen Zusammenhang stehen. [...]

Frage: Sehen Sie diesen Vorschlag der französischen Regierung als einen ersten Schritt möglicherweise an zur Vereinigung der beiden Länder, wie Sie seinerzeit es vorgeschlagen haben?

Adenauer: Ich habe von einer Union gesprochen und habe gesprochen dabei von einer wirtschaftlichen Union und von einer möglichst weiten Annäherung. Sie sehen ja daraus, daß in dem Dokument steht, daß diese Produkte von Zöllen befreit werden sollen in den Ländern, daß eine wirklich sehr große Annäherung der beiden Länder damit eingeleitet wird, die hoffentlich noch zu weiteren Ergebnissen führen wird.

Frage: Beabsichtigt die Bundesregierung, die Frage des Eintritts in den Europarat zusammen mit diesem französischen Vorschlag dem Bundestag zuzuleiten?

Adenauer: Darüber müssen wir ja natürlich uns noch in der Bundesregierung zu Rate setzen. An sich sind es ja getrennte Angelegenheiten, und es besteht keine Notwendigkeit, zusammen die beiden Vorschläge gleichzeitig dem Bundestag zuzuleiten. Wir werden die Frage des Eintritts in den Europarat möglichst beschleunigen, möglichst schnell den Gesetzentwurf dem Bundesrat zuleiten und den Bundesrat auch bitten, zu verzichten auf die 21 Tage Frist, die ihm zustehen, und hoffen, auch im Bundestag die drei Lesungen ziemlich schnell hintereinander zu bekommen, während ja diese Frage, die zweifellos auch sachliche Schwierigkeiten noch in sich enthält, geprüft und überlegt werden muß, damit man dann dem Bundestag zu gegebener Zeit einen Staatsvertrag vorlegen kann, der nun wirklich so gut ist, wie er nur sein kann.

Frage: Haben Sie Anhaltspunkte dafür, daß dieser französische Vorschlag zu einem anderen Abstimmungsergebnis führen wird, als es bisher den Anschein hatte?

Adenauer: Darf ich Ihnen die Frage zurückgeben.

Frage: Glauben Sie, daß zur Zeit, als der Außenpolitische Ausschuß tagte, diese französische Erklärung schon vorlag?

Adenauer: Es wurde im Verlaufe der Beratungen bekannt, daß UP zuerst die Mitteilung von Paris erhalten hatte.

 

Quelle: Mitteilung an die Presse. Nr. 466/50 vom 10. Mai 1950. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Pressearchiv F 1/25.