27. Januar 1950

Bericht der Bundesregierung zur Kriegsgefangenenfrage in der 32. Sitzung des Deutschen Bundestages

 

Meine Damen und meine Herren!

Die Bundesregierung hat von der Aufnahme ihrer Tätigkeit an dem Problem der noch nicht zurückgekehrten deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie hat die französische Regierung, obgleich es sich nach Erklärung der französischen Regierung nicht mehr um Kriegsgefangene handelt, durch ihren Hohen Kommissar gebeten, die noch schwebenden Untersuchungsverfahren gegen deutsche Staatsangehörige zu beschleunigen. Die gleiche Bitte ist durch Vermittlung der Alliierten Hohen Kommission der belgischen und der niederländischen Regierung unterbreitet worden. Der französische Hohe Kommissar hat inzwischen mitgeteilt, daß der größte Teil der noch schwebenden Fälle in der ersten Hälfte des Jahres 1950, der Rest im Jahre 1950 abgeschlossen werde. Außerdem hat er zugesagt, daß die deutschen Verteidiger ihren Klienten auch schon während der Voruntersuchung zur Seite stehen dürfen. Die Rechtsschutzstelle des Bundesjustizministeriums trägt dafür Sorge, daß jedem Angeklagten ein geeigneter deutscher Verteidiger zur Verfügung gestellt wird.

Vorbereitende Schritte zur Heimschaffung der noch in Italien und auch in Spanien in verschiedenen Internierungslagern beherbergten deutschen Staatsangehörigen sind eingeleitet. Es ist zu hoffen, daß die Heimschaffung in den nächsten Monaten durchgeführt werden kann.

Das Schicksal der großen Anzahl deutscher Kriegsgefangener und Verschleppter in den osteuropäischen Staaten ist Gegenstand der besonderen Sorge der Bundesregierung. Sie hat der Alliierten Hohen Kommission Anfang Dezember 1949 das dringende Ersuchen unterbreitet, alle geeignet erscheinenden Schritte zu unternehmen, damit die von den osteuropäischen Staaten zurückgehaltenen deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten möglichst umgehend in ihre Heimat zurückgeführt werden. Gleichzeitig wurde der Alliierten Hohen Kommission eine Aufzeichnung übersandt, in der ihre Aufmerksamkeit auf die besonderen Probleme in den verschiedenen osteuropäischen Staaten gelenkt wurde. Inzwischen haben Besprechungen mit den alliierten Sachverständigen stattgefunden, in denen diesen das der Bundesregierung vorliegende Material zum Kriegsgefangenen- und Verschlepptenproblem im Einzelnen unterbreitet worden ist.

In den letzten Wochen sind der Bundesregierung zahlreiche Berichte über Massenverurteilungen deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion zugegangen. Auch ist bekannt geworden, daß bei Auflösung der Gefangenenlager ein wechselnder Prozentsatz von deutschen Kriegsgefangenen vom Heimtransport ausgeschlossen und angeblich zu Vernehmungen mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden ist. Es sind weiterhin zahlreiche Nachrichten darüber eingegangen, daß in großem Maße versucht wird, durch schlimmsten körperlichen und seelischen Druck falsche Geständnisse und Bezichtigungen von Kameraden zu erpressen. Die Bundesregierung hat angeordnet, daß die Angaben dieser Art gesammelt, gesichtet und überprüft werden. Außerdem wird eine Zentralkartei aller ermittelten Verurteilten und Untersuchungsgefangenen eingerichtet werden. Die Bundesregierung behält sich vor, dieses Material zu gegebener Zeit der Alliierten Hohen Kommission und der Öffentlichkeit zu unterbreiten.

Die Alliierte Hohe Kommission ist ferner von uns darauf hingewiesen worden, daß Hunderttausende deutscher Zivilpersonen, darunter viele Frauen und Kinder, aus allen von den sowjetischen Truppen im Verlauf des Krieges besetzten Gebieten nach der Sowjetunion verschleppt worden sind. Die Beschaffung von Einzelunterlagen, insbesondere auch über die Frauenlager in der Sowjetunion, ist ebenfalls in die Wege geleitet.

In Polen sind trotz der Erklärung der polnischen Regierung, daß die Heimführung der deutschen Kriegsgefangenen im Dezember 1949 beendet sei, noch immer einige Tausend Kriegsgefangene zurückgehalten. Ferner befinden sich in Polen wie in der Tschechoslowakei noch Tausende deutscher Zivilpersonen in Haft. Über die Gründe für diese Internierungen und über die Anschuldigungen, die gegen die Betroffenen erhoben werden, ist der Bundesregierung trotz vielfältiger Bemühungen - von wenigen Einzelfällen abgesehen - nichts Authentisches bekanntgeworden.

Besonders erschütternd sind die neuesten Nachrichten über das Schicksal der Kriegsgefangenen, die in Jugoslawien unter dem Vorwand von Untersuchungen über Kriegsverbrechen zurückgehalten worden sind. Diese Gefangenen sind bis zum Dezember 1949 in einem besonderen Lager interniert gewesen. Wie aus einwandfreien Berichten hervorgeht, erfolgten Voruntersuchungen und Verhandlungen gegen diese Deutschen ohne Beachtung auch nur der elementarsten Rechtsgrundsätze. Es fanden Verhöre unter verschärften Bedingungen, verbunden mit Schlägen, Folterungen, Einzelhaft und Nahrungsentzug statt. Von Gewährung irgendeines Rechtsschutzes kann keine Rede sein. Nach den neuesten der Bundesregierung vorliegenden Nachrichten wurde die große Mehrheit der Gefangenen im Dezember vorigen Jahres in das Staatsgefängnis Mitrowica übergeführt. Es besteht aber Grund zu der Annahme, daß fast alle deutschen Gefangenen inzwischen im Schnellverfahren zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind, wenn nicht in vielen Fällen sogar die Todesstrafe ausgesprochen worden ist.

Die Bundesregierung hat bereits Anfang Dezember 1949 die Aufmerksamkeit der Alliierten Hohen Kommission auf die Lage der deutschen Kriegsgefangenen in Jugoslawien gelenkt. Die Nachrichten über die summarische Verurteilung der Deutschen in der zweiten Dezemberhälfte haben die Bundesregierung sodann veranlaßt, die in der Alliierten Hohen Kommission vertretenen Mächte ausdrücklich zu bitten, von der jugoslawischen Regierung die Freilassung und Heimsendung dieser Kriegsgefangenen zu fordern. Dabei wurde ausdrücklich erklärt, daß ein Antrag auf Überprüfung der bereits ergangenen Urteile zwecklos erscheine, da die Erfahrung gezeigt hat, daß unter den gegebenen Verhältnissen mit der Durchführung ordnungsgemäßer Verfahren nicht zu rechnen ist. Als Sofortmaßnahme wurde die Alliierte Hohe Kommission gebeten, die Aufschiebung der Vollstreckung etwa ergangener Todesurteile und die Aushändigung einer Namensliste sämtlicher Verurteilter mit den erkannten Strafen und der Untersuchungsgefangenen mit Angabe der Anklagepunkte zu erwirken. Auf die besondere Eilbedürftigkeit der erbetenen Schritte ist die Alliierte Hohe Kommission ausdrücklich hingewiesen worden. Im Übrigen ist der jugoslawischen Regierung auch auf anderem Wege das dringende Verlangen der Bundesregierung nach Freilassung dieser Kriegsgefangenen unterbreitet worden.

Sie werden verstehen, meine Damen und Herren, daß diese Vorgänge uns nicht zum Abschluß eines Handelsvertrages mit Jugoslawien ermutigen.

Sehr richtig! rechts.

Es liegt mir noch daran, festzustellen, daß die Hohe Kommission der Angelegenheit ihr größtes Interesse zuwendet. Lassen Sie mich noch folgendes Wort an die Angehörigen der Kriegsgefangenen und Verschleppten hinzufügen. Ich glaube, alle Deutschen sind sich darin einig, daß wir den Schmerz dieser Anverwandten teilen, und das gesamte deutsche Volk ist sich mit uns darin einig, daß wir alles tun müssen, damit die Leiden dieser unserer deutschen Brüder und dieser unserer deutschen Schwestern baldmöglichst abgekürzt werden.

Lassen Sie mich weiter ein Wort an die gesamte Weltöffentlichkeit richten. Hier handelt es sich um solche Vergehen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, daß die gesamte Öffentlichkeit auf der ganzen Welt sich dagegen empören muß.

Lebhafter Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts.

 

Quelle: Konrad Adenauer, Bundestagsreden. Hg. von Josef Selbach. Bonn 1967, S. 45-47.