Vom 21. bis 23. Januar 1924 war ich in Berlin. Ich habe zunächst dem Reichsarbeitsminister Brauns Mitteilung gemacht von den Angaben des Herrn Tirard und weiter von den Äußerungen, die Minister Stresemann Herrn Weyl gegenüber bezüglich der Ablehnung der Herren Stinnes und Vögler als Verhandler von deutscher Seite gemacht hatte. Herr Brauns erklärte, daß ihn die Stellungnahme des Herrn Stresemann gar nicht wundere; wenn man mit Herrn Stresemann zu tun habe, müsse man Nägel mit Köpfen machen. Herr Stinnes würde für weite Kreise der Bevölkerung als Verhandler wenig erträglich sein, eher schon Herr Vögler. Wir kamen überein, Herrn Stinnes herbeizurufen, um mit ihm darüber zu sprechen, was jetzt zu geschehen habe.
In der Zwischenzeit hatte ich eine Besprechung mit Herrn Reichskanzler Marx, dem ich ebenfalls kurz Mitteilung gemacht habe, sowohl über das Verhalten des Herrn Stresemann gegenüber Herrn Weyl als auch die von Herrn Tirard mir gegenüber gemachten Ausführungen vom 19.1. Ich habe mit ihm verabredet, daß am selben Tage um 4 Uhr nachmittags zwischen den beteiligten Kabinettsmitgliedern, insbesondere dem Reichsaußenminister und den rheinisch-westfälischen Herren, soweit sie in Berlin anwesend seien, eine Besprechung stattfinden sollte, um die Angelegenheit Stresemann-Weyl zu klären. Woher ich die Mitteilung über die Angaben des Herrn Stresemann gegenüber Herrn Weyl bekommen habe, habe ich weder Herrn Brauns noch Herrn Marx gesagt. Vor der auf 4 Uhr angesetzten Besprechung hat eine Aussprache zwischen den Herren Brauns, Stinnes und mir stattgefunden. Herr Brauns hat im wesentlichen das wiederholt, was er mir auch schon gesagt hatte. Wir kamen zu der Ansicht, daß es zweckmäßig sei, wenn Herr Schacht von der Reichsbank gleichzeitig mit den Herren Stinnes und Vögler verhandle. Herr Stinnes schlug vor, noch Herrn Dr. Silverberg und mich zuzuziehen. Wir kamen weiter dahin überein, daß wohl zweckmäßig die für 4 Uhr nachmittags in Aussicht genommene Auseinandersetzung mit Herrn Stresemann unterbleiben solle und daß man die Rückkehr des Herrn Schacht aus Paris abwarten müsse. Herr Stinnes erzählte weiter, daß Herr Stresemann vergangenen Samstag, den 19.1., die Herren von Hoesch und Ministerialdirektor Ritter aus dem Auswärtigen Amt zu ihm geschickt hätte. Die Herren hätten ihn dann zwei Stunden darüber ausgefragt, wie er sich die Lösung der Reparationsfrage denke. Herr Stinnes teilte auch mit, daß er aus Paris eine im wesentlichen gleiche Mitteilung über die Ansicht Poincarés bezüglich der Verhandlungen von Stinnes und Vögler bekommen habe, wie sie mir Herr Tirard gemacht hätte.
Am Nachmittag fand eine reifliche Aussprache statt zwischen den Herren Hagen, Vögler, Silverberg und mir. Auf Grund dieser Aussprache sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß, solange Herr Stresemann etwaige Verhandlungen unsererseits durchkreuze, zweckmäßig überhaupt keine Verhandlungen stattfänden. Herrn Stinnes ist von dieser Ansicht Mitteilung gemacht worden durch Herrn Silverberg; er hat sie auch als richtig anerkannt. In Verfolg dessen habe ich dann am 23.1. beiliegenden Brief geschrieben und ihn durch besonderen Boten dem Herrn Reichskanzler überbringen lassen. Vom Herrn Reichskanzler habe ich dann erst in Köln am 26.1. beiliegenden Brief, vom 24.1. datiert, erhalten, auf den ich dem Herrn Reichskanzler mitgeteilt habe, daß ich mich wieder in Köln befände.
Nach meiner Rückkehr von Berlin am 24.1. habe ich Herrn Justizrat Mönnig von allem unterrichtet. Herr Justizrat Mönnig hat unsere Stellungnahme als richtig anerkannt, nur noch hinzugefügt, er würde in dem Briefe an den Reichskanzler nochmals auf die Eilbedürftigkeit einer Einigung zwischen Deutschland und Frankreich hingewiesen haben.
Quelle: HAStK 2/253/4. Aufzeichnung o.D. Erstschrift. Abgedruckt in: Erdmann, Karl Dietrich: Adenauer in der Rheinlandpolitik nach dem Ersten Weltkrieg. Stuttgart 1966, S. 370f.