1949 (ohne Datum)

Aufzeichnung des stellvertretenden Leiters des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Böx

Das Interview des Bundeskanzlers mit dem Cleveland Plain Dealer (veröffentlicht am 4. Dezember 1949)

Das Interview mit dem Cleveland Plain Dealer begann mit der Erörterung der deutschen Einheit. Dabei wurde die Frage besprochen, wie das Gefühl einer deutschen Einheit bei den Einwohnern der Sowjetzone wachzuhalten sei. Der Bundeskanzler betonte die Notwendigkeit, Berlin als Bastion des Westens zu halten, die Handels- und Verkehrsbeziehungen nicht abbrechen zu lassen und im übrigen die Bundesrepublik wirtschaftlich und politisch so auszugestalten, daß sie anziehend wirke. Der Korrespondent ging dann auf die Frage der deutschen Sicherheit und die Bedeutung des Atlantik-Paktes ein. Alsdann stellte der Vertreter der Zeitung die Frage nach einem deutschen Beitrag zur Verteidigung des europäischen Kontinents. Der Korrespondent wies mit Nachdruck darauf hin, daß von sehr beachtlichen außerd[eu]t[schen] Stellen die Notwendigkeit eines Beitrages Deutscher, evtl. in der Form des Eintritts von Deutschen in andere Armeen, erörtert würde. Der Bundeskanzler seinerseits betonte nachdrücklich, daß unter keinen Umständen geduldet werden könne, daß Deutsche als Söldner oder Landsknechte in fremden Armeen auftreten. Auch wenn das Verlangen nach einen deutschen Beitrag zur Sicherheit Europas in einer unabdingbaren Weise von den Alliierten gestellt würde, käme die Aufstellung einer deutschen Wehrmacht nicht in Frage, im äußersten Falle sei alsdann die Frage eines deutschen Kontingents im Rahmen der Armee einer europäischen Föderation zu überlegen. Der Bundeskanzler lehnte eine deutsche Wiederaufrüstung aufs entschiedenste ab und wies dabei auf die schweren Blutverluste im letzten Weltkriege hin. Diese Frage bildete nur einen kleinen Teil des ganzen Interviews, das sich auch um Besatzungsstatut, Ruhrstatut, das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter, die deutsch-französische Verständigung u.a. drehte.

Die Erörterung drehte sich dann um das Besatzungsstatut und das Ruhrstatut. Der Korrespondent stellte die Frage, ob die deutsche Regierung bereits jetzt für beide Revisionen anmelden wolle. Der Bundeskanzler äußerte sich in diesem Zusammenhange zu den Grundsätzen seiner Regierungspolitik. Der wichtigste [Grundsatz] sei der, das Vertrauen der anderen Völker zu gewinnen. Das könne nur Schritt um Schritt erfolgen. Nur so könne eine feste Grundlage für gute politische Beziehungen gefunden werden. Darum sei die Bundesregierung gegen frühzeitige und unzeitige Revisionsbestrebungen. Jede Revision des Besatzungsstatuts und des Ruhrstatuts könne sich darum nur organisch und im vollen gegenseitigen Einverständnis vollziehen. Der Bundeskanzler lehnte es darum ab, zu den einzelnen Punkten des Besatzungs- und Ruhrstatuts, die von dem Korrespondenten angeschnitten wurden, Stellung zu nehmen. Zur Frage des Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter führte der Bundeskanzler aus, daß dieser Komplex bereits grundsätzlich in Angriff genommen worden sei und die Hoffnung bestünde, zu einer allseits befriedigenden Lösung zu kommen. Im übrigen beabsichtige die Regierung, an die Gewerkschaften heranzutreten, sich an der Wahrnehmung der deutschen Interessen der Ruhrbehörde zu beteiligen.

Der Korrespondent sprach zum Schluß des Interviews sehr ausführlich über die Kartellbefürchtungen der amerikanischen Öffentlichkeit, die durch Ausführungen von Zeitungen und Politikern zum Teil mit der deutsch-französischen Verständigung in eine innere Verbindung gebracht worden seien. Der Kanzler betonte, daß es sich bei seinen politischen und wirtschaftlichen Bemühungen um den Versuch handele, eine echte Verständigung zwischen den Völkern herbeizuführen. Dieser Weg könne durch eine Liberalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen erleichtert werden. Dabei betonte der Bundeskanzler grundsätzlich, daß er selbst sich für ein Mindestmaß an staatlicher Macht einsetze, um die freie Entwicklung des Menschen in jeder Hinsicht zu ermöglichen. Von einem Kartell könne in bezug auf die deutsch-französische Verständigung überhaupt keine Rede sein. Der Bundeskanzler begrüßte den Gedanken, die Ausdehnung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Frankreich in den Rahmen der OEEC einzufügen. Im übrigen würde die Neugestaltung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter alle Befürchtungen verschwinden lassen, daß es sich bei der deutsch-französischen Verständigung und Zusammenarbeit um ein Kartellsystem handeln könne.

Dr. H. Böx

 

Quelle: StBKAH 06.08, Bl. 181, 183, 185f.