Geheimplan für die Wiedervereinigung

Adenauers Ziel war es, das ganze freie Deutschland im Kreis der westlichen Demokratien zu verankern und nicht die Wiedervereinigung um ihrer selbst willen anzustreben. Vorrang vor einer Einheit um jeden Preis hatte für ihn die Wahrung der Freiheit; ihrer Sicherung sollte der militärische Verteidigungsbeitrag dienen. Freie Selbstbestimmung aller Deutschen in einem friedlichen Europa sollte die Einheit bringen. Er nahm in Kauf, dass es damit lange dauern könne. Für ihn stand jedoch nur die Dauer des Prozesses in Frage, nicht das Ziel als solches.

Der Entwurf seines Pressesprechers Felix von Eckardt vom 11. Januar 1957, der die Wiedervereinigung im Rahmen eines Stufenplans vorsah, geht auf erste Kontakte mit der Sowjetregierung zurück. Der Versuch, zu einem Modus Vivendi zu gelangen, den Druck auf die Bundesrepublik zu vermindern und einen Weg zur Wiedervereinigung zu eröffnen, schlossen sich in den darauffolgenden Jahren an: der Vorschlag der so genannten Österreich-Lösung (1958), die für die DDR eine autonome Entwicklung unter der Voraussetzung menschlicher Erleichterungen ermöglichen sollte, sowie schließlich die interne Diskussion um den Globke-Plan (1959 und 1960), der die Anerkennung der DDR und die Freistadt-Lösung für Berlin verband mit freien Wahlen in der DDR und einer Volksabstimmung über die Wiedervereinigung und Wahlen für eine gesamtdeutsche Volksvertretung innerhalb von fünf Jahren.

1959: Globke-Plan

I. Abschnitt

Wiedervereinigung

Artikel 1

Innerhalb von 5 Jahren nach. Inkrafttreten dieses Vertrages findet in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik eine Volksabstimmung über die Wieder­vereinigung statt. Deutschland wird wiedervereinigt, wenn sich sowohl in der Bundesrepublik Deutschland wie in der Deutschen Demokratischen Republik die Mehrheit der Abstimmenden für die Wiedervereinigung ausspricht. Wird diese Mehrheit in einem der beiden Staaten nicht erreicht, so v/erden sie getrennte souveräne Staaten.

Artikel 2

(1) Gleichzeitig mit der Volksabstimmung über die Wieder­vereinigung finden Wahlen zu einer Volksvertretung für das wiedervereinigte Deutschland statt. Die Volksvertreter werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl nach den Grundsätzen des Verhältnis-Wahlrechts gewählt.

(2) Parteien bedürfen keiner Zulassung. Die National­sozialistische Deutsche Arbeiterpartei bleibt verboten; soweit andere Parteien verboten sind, tritt das Verbot mit dem In­krafttreten dieses Vertrages außer Kraft. Parteien, die nicht 5% der abgegebenen Stimmen erhalten, werden bei der Zuteilung von Mandaten nicht berücksichtigt.

Artikel 3

Die Volksvertretung tritt spätestens 30 Tage nach der Wahl zusammen. Sie wählt Innerhalb einer Woche nach dem Zusammentritt den Regierungschef, der die Minister ernennt.

Artikel 4

(1) Das wiedervereinigte Deutschland ist ein souveräner Staat.

(2) Im wiedervereinigten Deutschland werden alle Rechte gewährleistet, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 bezeichnet sind.

(3) Im übrigen regelt das wiedervereinigte Deutschland seine inneren Angelegenheiten selbständig.

Artikel 5

Das wiedervereinigte Deutschland entscheidet, ob es der NATO oder dem Warschauer Pakt angehören will. Entscheidet es sich für die Zugehörigkeit zur NATO, so bleibt das Gebiet der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik von allen militärischen Verbänden, Einrichtungen und Anlagen frei; entscheidet es sich für die Zugehörigkeit zum Warschauer Pakt, so bleibt das Gebiet der bisherigen Bundesrepublik Deutschland von allen militärischen Verbänden, Einrichtungen und Anlagen frei.

Artikel 6

Soweit allgemeine Abkommen über Abrüstung oder Sicherheit geschlossen werden, tritt das wiedervereinigte Deutschland diesen Abkommen bei.

Artikel 7

Das wiedervereinigte Deutschland leistet einen feierlichen Verzicht auf jede Anwendung von Gewalt, es sei denn zur Ver­teidigung gegen einen unprovozierten Angriff.

Artikel 8

Deutschland versichert insbesondere feierlich, daß es niemals zur Änderung seiner Grenzen Gewalt anwenden wird.

Artikel 9

Personen, die gegen die Bundesrepublik Deutschland oder die Deutsche Demokratische Republik tätig geworden sind, werden nicht verfolgt, auch wenn sie sich nach dem geltenden allgemeinen Strafrecht strafbar gemacht haben sollten. Sind sie bereits verurteilt, so sind diese Urteile mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages hinfällig. Die Straf­vollstreckung wird eingestellt.

II. Abschnitt

Zwischenstatus

Artikel 10

Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik nehmen innerhalb von 6 Monaten amtliche Beziehungen zueinander auf.

Artikel 11

In der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik sind die in Artikel 4 Absatz (2) bezeichneten Menschenrechte gewährleistet.

Artikel 12

Der Verkehr innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sowie zwischen diesen beiden Staaten ist von jeder Beschränkung frei.

Artikel 13

Innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten dieses Vertrages finden in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik Wahlen zu einer Volksvertretung statt. Für diese Wahlen gelten die Vorschriften in Artikel 2.

Artikel 14

Die Volksvertretungen treten in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik spätestens 30 Tage nach der Wahl zusammen; sie wählen innerhalb einer Woche nach dem Zusammentritt die Regierungs­chefs.

Artikel 15

Die Bundesrepublik Deutschland bleibt Mitglied der NATO, die Deutsche Demokratische Republik des Warschauer Pakts.

III. Abschnitt

Berlin

Artikel 16

Das Gebiet von Berlin (West-Berlin und Ost-Berlin) wird mit Inkrafttreten dieses Vertrages Freie Stadt unter Garantie der Vereinten Nationen.

Artikel 17

Die in Artikel 4 Absatz (2) gewährleisteten Menschen­rechte gelten auch im Gebiet der Freien Stadt Berlin.

Artikel 18

Die Freie Stadt Berlin leitet unter einem Senat ihre sämtlichen Angelegenheiten selbständig.

Artikel 19

Der ungehinderte Verkehr der Freien Stadt Berlin mit der Außenwelt sowohl in östlicher als auch in westlicher Richtung, insbesondere die Freizügigkeit der Bewohner und Besucher und die Beförderung der Waren, wird gewährleistet.

Artikel 20

Die Freie Stadt Berlin darf ungehindert Handel treiben. Die Beförderung von Waren durch die Deutsche Demokratische Republik wird sowohl in östlicher als auch in westlicher Richtung gewährleistet. Die Erhebung von Zöllen im Transit­verkehr bleibt vorbehalten. Die Zugangswege für den Waren­verkehr aus den Nachbarländern der Deutschen Demokratischen Republik sind frei.

Artikel 21

Das Recht der Freien Stadt Berlin, zur Deckung von Haushaltsdefiziten finanzielle Zuschüsse anzunehmen oder Darlehen aufzunehmen, wird gewährleistet.

Artikel 22

Im Gebiet der Freien Stadt Berlin dürfen vorbehaltlich der Regelung in Artikel 31 keine militärischen Verbände, Einrichtungen und Anlagen unterhalten werden. Die Aufstellung einer ausreichenden Polizei ist zugelassen.

Artikel 23

Kein Land darf in der Freien Stadt Berlin einen politischen oder militärischen Nachrichtendienst unterhalten. Ebensowenig darf die Freie Stadt Berlin einen Nachrichtendienst dieser Art schaffen.

Artikel 24

Innerhalb von 3 Monaten nach Inkrafttreten dieses Vertrages finden in der Freien Stadt Berlin Wahlen zur Volksvertretung statt. Für die Wahlen gelten die Vorschriften in Artikel 2.

Artikel 25

Die Volksvertretung tritt spätestens 30 Tage nach, der Wahl zusammen. Sie wählt innerhalb einer Woche den Senat der Freien Stadt.

Artikel 26

Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik ziehen innerhalb von 3 Monaten nach Inkrafttreten dieses Vertrages alle Dienststellen in der Freien Stadt Berlin zurück. Sie unterhalten lediglich eine Vertretung bei dem Senat der Freien Stadt Berlin.

Artikel 27

(1) Die Bevölkerung der Freien Stadt Berlin nimmt an der in Artikel 1 vorgesehenen Volksabstimmung über die Wiedervereinigung teil. Führt die Volksabstimmung zur Wiedervereinigung, so wird die Freie Stadt Berlin Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands. Für den Fall, daß das Ergebnis der Volksabstimmung nicht zur Wiedervereinigung führt, hat die Bevölkerung der Freien Stadt Berlin darüber zu entscheiden, ob sie

(a) den bisherigen Status der Freien Stadt beibehalten, oder

(b) zur Deutschen Demokratischen Republik gehören, oder

(c) zur Bundesrepublik Deutschland gehören will.

(2) Die Abstimmung über die Wiedervereinigung und die Entscheidung über den Status für den Fall, daß die Wieder­vereinigung nicht zustande kommt, finden gleichzeitig statt.

IV. Abschnitt

Mitwirkung der Vereinten Nationen

Artikel 28

(1) Die in den Artikeln 1 bis 3 bezeichneten Volksab­stimmungen und Wahlen sowie die darin der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und der Freien Stadt Berlin gewährleisteten Rechte stehen unter der Aufsicht und Garantie der Vereinten Nationen.

(2) Die Vorbereitung, Durchführung und Überwachung der Volksabstimmungen und der Wahlen obliegt der in Artikel 29 bezeichneten Hohen Kommission der Vereinten Nationen.

Artikel 29

(1) Die Vereinten Nationen setzen eine ständige Kommission zur Wahrnehmung der den Vereinten Nationen obliegenden Aufsichts- und Garantieverpflichtungen ein, an deren Spitze ein Hoher Kommissar der Vereinten Nationen steht.

(2) Die Entscheidungen der Kommission sind unmittelbar wirksam. Sie gehen den Entscheidungen der deutschen Behörden vor.

Artikel 30

Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen ist für die Beziehungen der Stadt Berlin zu ausländischen Staaten zuständig. Zu diesen Beziehungen zählen nicht die Beziehungen der Stadt Berlin zu den Regierungen und den Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik.

Artikel 31

Die Vereinten Nationen unterhalten in Berlin eine militärische Streitmacht von 5000 Mann.

V. Abschnitt

Wirtschaftliche Bestimmungen

Artikel 32

(1) Deutschland verzichtet auf die Rückgabe des beschlagnahmten deutschen Auslandsvermögens. Dies gilt nicht, soweit das beschlagnahmte Vermögen einer Privatperson gehört und den Wert von 250 000 DM zur Zeit der Beschlagnahme nicht übersteigt. Das freigegebene Vermögen wird innerhalb eines Jahres den Eigentümern zurückgegeben.

(2) Hiervon abweichende Regelungen, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland oder der Deutschen Demokratischen Republik und anderen Staaten getroffen sind, bleiben in Kraft.

Artikel 33

Deutschland stellt einem von den Vereinten Nationen einzurichtenden Wiedergutmachungsamt 10 Milliarden DM in zehn gleichen Jahresraten zur Begleichung privater Wieder­gutmachungsansprüche zur Verfügung. Im übrigen wird Deutschland von der Bezahlung von Separationen irgendwelcher Art befreit.

Quelle: ACDP, NL Globke 01-070-025/2.


Weitere Artikel zum Thema:


Das politische Ziel der deutschen Wiedervereinigung gibt Adenauer niemals auf. Fest im Westen verankert geht er aber ab Mitte der 1950er Jahre auch auf den Osten zu.

Für Adenauer sollte freie Selbstbestimmung aller Deutschen in einem friedlichen Europa die Einheit bringen.