Wiedervereinigung

Günter Buchstab

Adenauers Ziel war es, das ganze freie Deutschland im Kreis der westlichen Demokratien zu verankern und nicht die Wiedervereinigung um ihrer selbst willen anzustreben. Vorrang vor einer Einheit um jeden Preis hatte für ihn die Wahrung der Freiheit; ihrer Sicherung sollte der militärische Verteidigungsbeitrag dienen. Freie Selbstbestimmung aller Deutschen in einem friedlichen Europa sollte die Einheit bringen. Er nahm in Kauf, dass es damit lange dauern könne. Für ihn stand jedoch nur die Dauer des Prozesses in Frage, nicht das Ziel als solches. 23 Jahre nach seinem Tod kam der Erfolg: Sein Lösungsweg, der nationale, europäische und atlantische Momente vereinigte, gelangte 1990 ans Ziel.

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Realistische Lageeinschätzung 1945

Früh und realistisch hat Adenauer die mit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges entstandene Lage richtig eingeschätzt und den Ost-West-Gegensatz in seinen weltpolitischen und geistesgeschichtlichen Konsequenzen erkannt. Weitsichtig ging er schon 1945 von der Teilung Deutschlands und Europas aus. Als er Kanzler wurde, war diese Teilung bereits Tatsache. 1949 stellte er fest, dass es "leider einstweilen" keine Möglichkeit für eine "Wiedervereinigung aller Zonen" geben werde.

Geringer Handlungsspielraum

Bundeskanzler Konrad Adenauer und Franz Amrehn, Bürgermeister von Berlin, stehen mit Vertretern der Presse an der Mauer
Bundeskanzler Konrad Adenauer (r.) und Franz Amrehn, Bürgermeister von Berlin (l.), an der Mauer am...

Tatsächlich war der Spielraum westdeutscher Außenpolitik in den fünfziger und sechziger Jahren relativ bescheiden angesichts der historischen Belastungen und Ängste, die in der kollektiven Psyche des Westens wie des Ostens vorhanden und zu berücksichtigen waren. Sein analytischer Ausgangspunkt, von dem er bis zu seinem Tod 1967 nicht abgerückt ist, war das Faktum, dass das überkommene europäische Staatensystem nicht mehr fortbestand: Ost- und Südosteuropa sowie ein großer Teil Mitteleuropas gingen hinter dem Eisernen Vorhang an die neue sowjetische Weltmacht verloren. Für den demokratischen Westen drohte die Gefahr einer atheistischen, kommunistischen Diktatur, die Adenauer als "mindestens so gefährlich" beurteilte wie die überwundene nationalsozialistische. Gewaltsam vollzog sich die sukzessive kommunistische Gleichschaltungspolitik in der sowjetischen Besatzungszone mit immer stärker um sich greifender Rechtsunsicherheit und zielbewusster, durch keine demokratischen Regeln gehemmter Ausdehnung der SED-Macht auf Kosten der ursprünglich zugelassenen demokratischen Parteien. Parallel dazu erfolgte die Gleichschaltung sämtlicher Regierungen im gesamten von der Sowjetunion kontrollierten Gebiet, die kommunistische Machtübernahme in Polen und in der Tschechoslowakei 1948, der Versuch der Einverleibung Berlins und schließlich der Angriff auf Korea. Während der Monate des siegreichen Vormarsches der kommunistischen Armeen drohte die Presse der DDR nach Westen, bald werde man auch in Deutschland "koreanisch reden".

Wurzeln sowjetischer Aggressionsgefahr

Die Aggressionsgefahr, die Adenauer von der Sowjetunion ausgehen sah, hatte für ihn zwei Wurzeln: das traditionelle russisch-nationalistische Expansionsbestreben und die Ideologie des atheistischen Kommunismus mit universalem Anspruch. Das Zusammentreffen beider Faktoren, des machtpolitischen Anspruchs Russlands mit den ideologischen Zielen des Kommunismus, der Verbindung also von staatlicher Macht und gesellschaftlicher Revolution, von Adenauer im Begriff "Sowjetrussland" zusammengefasst, führte zur Konstellation eines weltpolitischen Dauerkonflikts zwischen Ost und West mit Deutschland als brisantem Krisenherd. Mitten in Deutschland offenbarte sich in aller Schärfe die grundsätzliche Gegnerschaft der sowjetischen Herrschaft zur freiheitlich-demokratischen Position des Westens.

Außenpolitisches Konzept

Von dieser "bipolar-dualistischen Grundstruktur" (Hans-Peter Schwarz) ging das außenpolitische Konzept Adenauers aus, das von vornherein mittel- und langfristig angelegt war: Aus einer zunächst defensiven, antikommunistischen und antirussischen Position heraus entwickelte er eine offensive Strategie, die durch den Willen zur Selbstbehauptung der deutschen Nation und durch Eingliederung in eine westliche Sicherheitsallianz mit enger Kooperation zwischen USA und Europa, das als eigenständiges "Kraftfeld" in der Lage sein sollte, "dem Vordringen des Kommunismus Einhalt zu gebieten", und schließlich die Wiedervereinigung bringen sollte. Eine Option zwischen kommunistischem Osten und freiheitlichem Westen, eine Schaukelpolitik oder Brückenfunktion Deutschlands, lehnte er sowohl aus außenpolitischen Grundsätzen als auch aufgrund allgemeiner Wertvorstellungen kategorisch ab. Die Westintegration war für ihn aber weder das politische Endziel noch die Alternative zur Wiedervereinigung. Sie sollte vielmehr die Wiedervereinigung ohne Aufgabe der Freiheit und des Friedens in Europa ermöglichen.

Kernstaat Bundesrepublik

Die Bundesrepublik sollte als deutscher Kernstaat mit ihrer freiheitlich-demokratischen Verfassung und wirtschaftlichen und sozialen Stabilität eine Magnetwirkung auf die Deutschen im kommunistischen Machtbereich ausüben. Der Handlungsspielraum der 1949 gegründeten Bundesrepublik war zu begrenzt, um diese Anziehungskraft zu entfalten. Sie verfügte weder über wesentliche Souveränitätsrechte noch über das Vertrauen der Westmächte. Die Neuorientierung der "Westbindung" glich der Durchschlagung des Gordischen Knotens: Sie bedeutete Sicherheit vor dem Expansionsdrang der Sowjetunion, Sicherheit der Westmächte vor einem unkalkulierbaren Deutschland und seiner traditionellen Option zwischen Ost und West, Schaffen von Vertrauen im Westen, Erlangung eines gleichberechtigten Status im Verbund der westlichen Staatengemeinschaft und schließlich Souveränität. Adenauers konsequente Politik wurde von der sozialdemokratischen Opposition 1959/60 schließlich akzeptiert. Die "historische Achsendrehung der Bundesrepublik nach Westen" (Rudolf Morsey) war für ihn eine Notwendigkeit. Denn ohne Unterstützung von westlicher Seite war eine Wiedervereinigung praktisch nicht vorstellbar.

Langfristig angelegtes Konzept

Plakat mit dem Adenauerportrait und -zitat: Die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit
Plakat zur Bundestagswahl 1961

Sein Kalkül ging dahin, Deutschland zunächst vom politischen Objekt zum mithandelnden Subjekt zu machen und gleichzeitig die Lösung der deutschen Frage in Freiheit offen zu halten. Der "Damm gegen die rote Flut" konnte aber nach seiner Überzeugung nur halten bei konsolidierten und stabilen inneren Verhältnissen in Deutschland wie in Europa. Hier kommen seine innenpolitischen Konzeptionen in den Blick. Er war sich sicher, "wenn die innere Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, ist auch die äußere Sicherheit infrage gestellt".

Sein langfristig angelegtes Wiedervereinigungskonzept umfasste also nicht nur außen-, sondern auch innenpolitische Komponenten. Die Bundesrepublik sollte sich mit der Sozialen Marktwirtschaft zum Schaufenster des Westens nach Osten entwickeln und eine starke Sogwirkung auf die von der Sowjetunion beherrschten Länder, insbesondere die DDR, ausüben. Es sollte dahin gewirkt werden, dass sie bei entsprechenden politischen Umständen von selbst den Anschluss an den Westen suchen oder aber von der Sowjetunion als Ballast abgestoßen würden, wenn ökonomische Zwänge diese veranlasste, neue Prioritäten zu setzen. Verschiedentlich führte Adenauer auch aus, man solle nicht nur den politischen oder wirtschaftlichen Machtkampf mit "Sowjetrussland" sehen. "Wir müssen auch darin sehen einen geistigen Kampf, den wir unbedingt bestehen müssen."

Auseinandersetzung mit dem Kommunismus

Die spätestens seit Mitte der fünfziger Jahre einsetzende ideologische Auflockerung und nachlassende Wachsamkeit gegenüber Moskau bereitete ihm zunehmend Sorge. Die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus könne, so meinte er, Jahrzehnte dauern und nur erfolgreich bestanden werden unter der Voraussetzung "möglichst guter und ausgeglichener sozialer Verhältnisse im Innern". Bei anderer Gelegenheit wurde er noch deutlicher: "Unkraut gedeiht auf schlechtem Boden. Das gilt auch vom Kommunismus. Daher müssen wir uns bemühen, in unserem Lande Arbeit und Sicherheit, eine gerechte soziale Ordnung zu schaffen."

Neue deutsche Identität

Wohnungsbau, Lastenausgleich, Montanmitbestimmung, Betriebsverfassungsgesetz, Rentenreform und Reform der Krankenversicherung, um nur das Wichtigste zu nennen, bilden die Gelenke der Sozialpolitik in der Ära Adenauer. Anfang der sechziger Jahre hatte er nicht nur den Wiederaufbau nach dem Krieg und wirtschaftlichen Wohlstand erreicht, sondern auch eine neue deutsche Identität mitgeschaffen, die konservative, liberale, soziale und freiheitlich-demokratische Elemente in sich vereint.

Offensivere Deutschlandpolitik

Diese Leistung war der Ausgangspunkt für eine offensivere Deutschland- und Ostpolitik in den folgenden Jahren und Jahrzehnten. Adenauers Gegnerschaft zu kommunistischer Ideologie und "politischem Kommunismus" bedeutete zu keinem Zeitpunkt, dass er die machtpolitischen Gegebenheiten und die Änderungen der weltpolitischen Konstellation verkannte. Ein "blinder Antikommunist", dessen Grundsatzfestigkeit und strategisches Zielbewusstsein ihn über die realen politischen Gegebenheiten getäuscht hätten, war er nicht.

Ablehnung der Stalin-Note 1952

Dass die Westintegration nicht automatisch zur Überwindung der Teilung führen werde, war Adenauer klar, aber sie war dazu die Voraussetzung. Die Bindungsklausel in Artikel VII Absatz 2 des Deutschlandvertrages von 1952, in dem die Westmächte wie die Bundesrepublik sich verpflichteten, im Rahmen einer gemeinsamen Politik auf die Wiedervereinigung mit friedlichen Mitteln und auf den Abschluss eines Friedensvertrages für das ganze Deutschland hinzuarbeiten, „das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist", war der Angelpunkt künftiger Deutschlandpolitik. Adenauer war sich auch bewusst, dass ein Forcieren der Frage möglicherweise die Stabilisierung der europäischen Integrationspolitik gefährdet hätte. Erst nach der unauflöslichen Einbindung in die westliche Staatengemeinschaft schien ihm eine Wiedervereinigung verantwortbar. Ein vereintes neutrales Deutschland, das in den Sog Moskaus geraten könnte, kam für ihn nicht in Betracht. Deshalb lehnte er auch die Stalinnote vom 10. März 1952 ab, da sich das Angebot auf einen Friedensvertrag mit einem neutralisierten und "demokratisierten" Deutschland im Sinne Moskaus richtete. Diese Ablehnung hat ihm bei politischen Gegnern wie Vertretern einer "Tendenzwissenschaft" (Peter Siebenmorgen) den Vorwurf eingetragen, eine historische Chance verpasst zu haben: Er habe die Wiedervereinigung im Grunde gar nicht gewollt, er sei ein westdeutscher Separatist gewesen.

Stalin-Note 1952: Keine verpasste Gelegenheit

Inzwischen ist unstrittig, dass es dem Kreml damals weniger um demokratische Zugeständnisse zur Lösung der deutschen Frage ging. Adressat dieser "scheindiplomatischen Initiative" (Gerhard Wettig) war vielmehr die westdeutsche Öffentlichkeit, die für einen politischen Kampf zum Sturz Adenauers und damit zur innerwestlichen Konfliktverschärfung mobilisiert werden sollte. Ohnehin hätten die Westmächte keiner Lösung zugestimmt, die die Westintegration der Bundesrepublik verhindert hätte. An der Wertetrias Freiheit, Friede, Einheit - und zwar in dieser Reihenfolge - hat er in der Erkenntnis festgehalten, dass es unter den gegebenen Umständen keine Chance für eine Wiedervereinigung in Freiheit gab und eine Neutralisierung eines wieder vereinigten Deutschlands den "politischen Selbstmord" (Arnulf Baring) bedeutet hätte. Das schloss nicht aus, dass die Sowjetunion eines Tages durch wirtschaftliche Schwierigkeiten, durch die Selbstständigkeitsbestrebungen in den Satellitenstaaten oder durch einen Konflikt mit Rotchina zur Veränderung ihrer Position gezwungen sein würde.

Ziele der allgemeinen Entspannungspolitik

Spätestens seit Mitte der fünfziger Jahre, als sich die Konfrontation und der Kalte Krieg abzuschwächen begannen, erkannte Adenauer, dass die Wiedervereinigung nur im Zuge einer allgemeinen Entspannung zwischen Ost und West zu erreichen sei: „Wir müssen deshalb bestrebt sein, eine allgemeine Entspannung herbeizuführen", führte er 1955 vor dem Bundesvorstand seiner Partei aus. Da er aber nie bereit war - übrigens auch die Opposition nicht -, den Forderungen Moskaus nachzugeben, das heißt auf den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik für ganz Deutschland und das Selbstbestimmungsrecht zu verzichten und die Oder-Neiße-Linie als deutsche Ostgrenze vor einer friedensvertraglichen Regelung anzuerkennen, blieben seine Pläne und Vorstöße, zu Fortschritten in der Deutschlandfrage zu kommen, ohne Erfolg. Die Akzeptanz seiner Politik ging zurück, zumal die Konkretisierung eines Zeitplans fehlte. Seine Ausführungen dazu blieben vage, wenn er auch immer wieder meinte, in fünf bis zehn Jahren oder "eines Tages" werde das Ziel erreicht werden. 1958 gab er vor dem Bundesvorstand der CDU zu, "dass wir uns alle miteinander in der Schätzung des Zeitpunktes, an dem die Wiedervereinigung stattfinden kann, getäuscht haben". Angesichts der unverkennbaren Stagnation in der Deutschlandpolitik suchte er nach Zwischenlösungen.

Politik der Stärke

Die „Politik der Stärke”, die er vertrat, bedeutete für ihn nicht, in politischem Immobilismus zu erstarren, zumal sie sowieso immer mehr auf die Geschlossenheit des Westens in ideologischer und politischer Hinsicht als auf militärisches Potenzial zielte. Schon 1955 hatte er bei seinem Moskaubesuch - gegen westliche Vorbehalte - diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion aufgenommen. Der Wiedervereinigung war er damit aber nicht näher gekommen. Als die amerikanische Politik von der Containment- und Roll-back-Konzeption abrückte, passte er seine bisherige Deutschlandpolitik dem veränderten internationalen Kontext an. Mit unkonventionellen Schritten und auf diplomatischem Wege versuchte er gleichwohl in direkten Kontakten mit dem sowjetischen Botschafter in Bonn, Smirnow, die Haltung Moskaus in der Deutschlandfrage auszuloten und eigene Überlegungen auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts vorzulegen. Seinen Finanzminister Schäffer ließ er 1955 in der DDR Konföderationsmöglichkeiten sondieren. Tatsächlich war er, wie Willy Brandt in seinen Erinnerungen urteilte, "in vielem" flexibler, "als er den meisten erschien", und habe auf seine "Weise versucht, die Beziehungen zur Sowjetunion und zu Osteuropa zu entlasten".

Österreich-Lösung, Globke-Plan, Burgfriedensplan

Der Entwurf seines Pressesprechers Felix von Eckardt vom 11. Januar 1957, der die Wiedervereinigung im Rahmen eines Stufenplans vorsah, geht offenkundig diesen ersten Geheimkontakten voraus. Versuche, in direkten Fühlungnahmen mit der Sowjetregierung zu einem Modus Vivendi zu gelangen, den Druck auf die Bundesrepublik zu vermindern und einen Weg zur Wiedervereinigung zu eröffnen, schlossen sich in den darauffolgenden Jahren an: der Vorschlag der so genannten Österreich-Lösung (1958), die für die DDR eine autonome Entwicklung unter der Voraussetzung menschlicher Erleichterungen ermöglichen sollte, oder die interne Diskussion um den Globke-Plan (1959/60), der die Anerkennung der DDR und die Freistadt-Lösung für Berlin verband mit freien Wahlen in der DDR und einer Volksabstimmung über die Wiedervereinigung und Wahlen für eine gesamtdeutsche Volksvertretung innerhalb von fünf Jahren, oder der "Burgfriedensplan" von 1962, ein zehnjähriger Ruhezustand zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion mit der Zusage menschlicher Erleichterungen für die DDR-Bevölkerung.

Menschlichkeit

Für humanitäre Zugeständnisse an die Menschen in der DDR war er bereit, einen politischen Preis zu bezahlen, und erklärte, "über vieles mit sich reden zu lassen, wenn unseren Brüdern und Schwestern in der Zone die Möglichkeit gegeben würde, ihr Leben so einzurichten, wie sie es wollen. Überlegungen der Menschlichkeit spielen für uns eine größere Rolle als nationale Überlegungen."

Eintreten für Berlin

In diesem Zusammenhang ist auch an sein fast vergessenes Eintreten für das freie Berlin zu erinnern, das seit dem Ultimatum Chruschtschows von 1958 unter permanenter Bedrohung stand. Chruschtschows Absicht war es, die Westmächte aus der Stadt zu verdrängen und die Berlinfrage von der deutschen Frage abzukoppeln. Tatsächlich waren die USA gegen Ende der Kanzlerzeit Adenauers bereit, dem sowjetischen Druck nachzugeben und eine internationale Zugangsbehörde für Berlin zu schaffen, die aus fünf östlichen, fünf westlichen und drei aus dem Lager der Neutralen bestehen sollte. Gegen diesen Plan, der das Ende Berlins als freier, zur Bundesrepublik zu rechnenden Stadt bedeutet hätte, stemmte er sich erfolgreich.

Ausgeprägtes Nationalgefühl

Obwohl er nationalem Denken nicht die oberste Priorität einräumte, besaß er doch ein ausgeprägtes Nationalgefühl. Nicht ohne Grund widmete er seine Memoiren "Meinem Vaterland". "Ohne Nationalgefühl [...] kann ein Volk auch in der heutigen Welt, in der die kleinen europäischen Länder und Völker sich zusammenschließen, einfach nicht bestehen. Sonst erscheint der Staat - und der Staat ist schließlich der Vertreter des Volkes - namentlich den jungen Leuten als irgendeine Konstruktion oberhalb der Wolken, die sie weiter nichts angeht." (1960). Seine Vorstellungen galten allerdings nicht der Wiederherstellung des traditionellen Nationalstaates. Sein Patriotismus umschloss die Vision eines geeinten Europas.

Vorstellungen zur Wiedervereinigung

Die Wiedervereinigung Deutschlands konnte er sich nur im Zusammenhang mit dem Ende des Antagonismus und einer Wiedervereinigung des Kontinents vorstellen. Die weltpolitische Konstellation erlaubte zu seinen Lebzeiten nicht, die deutsche Frage im europäischen Zusammenhang zu lösen, was er 1966 als "sehr schmerzlich" bezeichnete. Eine Wiederherstellung der Einheit zu westlichen Bedingungen war für die Sowjetunion nicht akzeptabel, denn das hätte für sie bedeutet, ihre Macht zur Disposition zu stellen und aus dem Zentrum Europas verdrängt zu werden. Ebenso inakzeptabel war aber auch umgekehrt eine Wiedervereinigung zu sowjetischen Konditionen für die Bundesrepublik und die Westmächte. Erst nachdem die Sowjetunion durch den finanziellen und wirtschaftlichen Ruin im Rüstungswettlauf mit dem Westen ins Wanken geriet und die DDR politisch und wirtschaftlich am Ende war, trat ein, worauf Adenauer gesetzt hatte. Sein Kalkül, dass die prosperierende Bundesrepublik eine Sogwirkung auf die unter kommunistischer Diktatur lebenden Deutschen in der DDR ausüben und ihren Freiheitsdrang stärken werde und Moskau eines Tages einsehen müsste, dass die "Trennung Deutschlands und damit die Trennung Europas nicht zu seinem Vorteil ist", erwies sich als richtig. Die "Magnettheorie" bestätigte sich in der Praxis. Westintegration und der Aufbau des europäischen Hauses ermöglichten am historischen Wendepunkt 1989/90 die Wiedervereinigung in Freiheit. "Realist und Visionär - das war Konrad Adenauer als Staatsmann" (Theo M. Loch 1967).


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