Rhöndorfer Ausgabe Online
An Professor Dr. George N. Shuster
, Headquarter der United States Forces, European Theater (USFET), Frankfurt/MainKopie (aus NL Shuster) im Besitz von Prof. Rudolf Morsey; o.D., Datierung aufgrund des inhaltlichen. Bezuges zum Brief vom 1. September 1945 (Köln): An Major J. Alan Prior, Militär-Regierung (Detachment 622), Köln
Sehr verherhter Herr von Schuster1[!]
Anliegend übersende ich Ihnen einen Bericht, den ich der hiesigen britischen Militär-Regierung eingereicht habe mit der Bitte um vertrauliche Kenntnisnahme2. Diese Kohlensperre sowohl für Heizzwecke wie für Kochzwecke für die gesamte zivile Bevölkerung ist vorgesehen für die ganze Dauer des Winters. Soweit ich habe feststellen können, wird sie sich auf die ganze britische Zone erstrecken. Meine Ansicht über diese Maßnahme, die die britische Militär-Regierung ebenfalls für falsch hält, geht aus der Anlage hervor. Ich füge hinzu, daß sie den Tod von ungezählten Menschen bedeutet, daß sie in politischer Beziehung katastrophal wirken wird und daß sie keinesfalls den gewünschten Erfolg d.h. Mehrablieferung von Kohlen an die Alliierten zur Folge haben wird. Es ist absolut sicher, daß die Förderung sowohl im Braunkohlengebiet wie im Ruhrkohlengebiet stark zurückgehen wird, wenn die Bergarbeiter sehen, daß ihre Landsleute nun auch gar nichts von dem Produkte ihrer Arbeit bekommen, im Gegenteil schweren Erkrankungen und in vielen Fällen dem sicheren Tode überantwortet werden. Soviel ich weiß, ist die Stelle, die endgültig zu entscheiden hat, nicht in Essen, sondern in Frankfurt. Ich bitte Sie dringend, im Interesse der Menschlichkeit und im Interesse einer verständigen Politik, doch Ihren ganzen Einfluß dahingehend geltend zu machen, daß so bald wie möglich die Verfügung aufgehoben wird. Die Erregung in der Bevölkerung ist schon jetzt groß.
Haben Sie vielen Dank für Ihre Bemühungen um meinen Sohn Max. Er ist inzwischen aus dem Lager St. Avold entlassen worden und bei uns zu Hause. Nochmals herzlichen Dank.
Ich komme nun mit einer neuen Bitte wegen eines anderen Sohnes von mir zu Ihnen. Mein ältester Sohn, Dr. juris. Konrad Adenauer, verheiratet, Vater von zwei Kindern, ist im Lager Heistadmoen der Reservation 44 bei Kongsberg in Norwegen. Dieses Lager – ein Entlassungslager – steht unter amerikanischer Leitung. Er ist dort als Schreiber beschäftigt, und es ist zu befürchten, daß er, weil er gut eingearbeitet ist, doch noch sehr lange, bis über den Winter, festgehalten wird. Würden Sie die große Liebenswürdigkeit haben, sich bei dem amerikanischen Lagerkommandanten dafür einzusetzen, daß mein Sohn baldigst entlassen wird? Die Rheinische Braunkohle A.G. in Köln verlangt ihn dringend für eine leitende Stellung. Das ist wohl ein genügender sachlicher Grund.
In persönlicher Beziehung bemerke ich noch, daß er niemals in der Partei oder einer ihrer Gliederungen gewesen ist. Er ist, da er mein Sohn war, von der Partei sehr verfolgt worden. Insbesondere hat der frühere Kreisleiter Schmeer in Aachen durchgesetzt, daß er aus seiner dortigen Stellung als kaufmännischer Direktor der Waggonfabrik Talbot ausscheiden mußte und, obwohl er nicht mehr jung war und eine Stellung bekleidete, deren Inhaber normalerweise unabkömmlich war, zur Wehrmacht eingezogen wurde. Ich bitte Sie sehr, zu helfen.
Mir scheint, daß auf der jetzt stattfindenden Konferenz in London3 für uns hier im Westen sehr wichtige Beschlüsse gefaßt werden. Wenn ich Sie nochmals vor Ihrer Abreise sprechen könnte, würde ich Ihnen sehr dankbar sein.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr ergebener
Adenauer
(Dr. Adenauer)
Oberbürgermeister
Über Besuche in Deutschland und dabei mit Adenauer geführte Gespräche (Anfang der 30er Jahre, 1938, 1945) hat Shuster in seinen ›Erinnerungen eines amerikanischen College-Präsidenten‹ selbst berichtet (In Amerika und Deutschland, S. 163-168), über seine Beziehungen zu deutschen Emigranten in den USA (vor allem Brüning) informieren Claire Nix (Hg.), Brüning-Briefe Bd. 1, unter anderem S. 97 und Werner Link (Bearb.), Mit dem Gesicht, S. 166, 658f.; vgl. auch Klaus Oldenhage, Ansichten Heinrich Brünings, S. 410f.
Die in der Anschrift enthaltene Angabe USFET verweist auf die in Frankfurt/Main geschaffene Zentrale der amerikanischen Besatzungsmacht, die nach der Auflösung des Supreme Headquarters oft he Allied Expeditionary Force (SHAEF) aus deren Psychological Warfare Division (PWD) geschaffen worden war.
Hinweis auf den Empfang dieses Schreibens und des beiliegenden Berichtes bei George N. Shuster, In Amerika und Deutschland, S.168.
Der »Bericht« selbst ist offensichtlich identisch mit einer von Adenauer in der Kölner Verwaltungskonferenz vom 31.8.1945 angekündigten, darauf von Ernst Schwering angefertigten »ziemlich umfangreiche[n] Denkschrift« zur soeben von der Militärregierung verfügten Brennmaterialsperre; vgl. hierzu Toni Diederich, Adenauer als Oberbürgermeister, S. 512. Zum weiteren Verlauf der Diskussion vgl. Bernhard Hilgermann, Kölsches Mosaik, S. 84f.; Heribert Treiß, Britische Besatzungspolitik, S. 80f. und – für die überregionale Erörterung der Kohlenfrage in der britischen Zone – Carl Severing, Lebensweg Bd. 2, S. 469 f.
Londoner Außenministerkonferenz vom 11.9.-2.10.1945.