Rhöndorfer Ausgabe Online

10. April 1945

An Prof. Dr. Hertha Kraus

, Bryn Mawr/Pennsylvanien

StBKAH 07.01


Liebes Fräulein Kraus

Meine Frau und ich benutzen die erste Gelegenheit, die sich uns seit Jahren bietet, um Ihnen einen recht herzlichen Gruß zu senden1. – Wir hoffen, daß es Ihnen nach wie vor gut geht. –

Wir haben schwere Zeiten hinter uns. Meine Frau war im September 44 einige Zeit im Gefängnis, ich war bis Ende November 1944 über drei Monate im Conztr. Lager2 und dann im Gestapogefängnis in Brauweiler3. Wenn der Vormarsch der amerikanischen Armee nicht so überraschend hier in unserer Nähe erfolgt wäre, würde ich wohl von der Gestapo verschleppt und umgebracht worden sein. Unsere drei Söhne sind leider noch im Felde, und wir sind ihretwegen in großer Sorge. 

Ich habe eine sehr große Bitte an Sie: Kommen Sie doch wenigstens für einige Zeit, sobald als eben möglich, herüber! - Ich könnte mir denken, daß das ein großes Opfer für Sie bedeuten würde. Aber ich kenne ja Ihre Hilfsbereitschaft und Ihre Arbeitsfreudigkeit; Sie kennen unser Land, und Sie kennen USA. Ich glaube, Sie könnten sowohl der Stadt Köln wie Deutschland und unsern gemeinsamen Idealen sehr wertvolle Dienste leisten. Also kommen Sie bitte recht bald! 
Vielleicht ist es Ihnen möglich, auf demselben Wege, auf dem dieser Brief hoffentlich in Ihre Hände gelangt, mir eine Antwort zukommen zu lassen4.

Meine Frau und ich grüßen Sie recht herzlich.
Wie immer Ihr
K. Adenauer
 


  1. ^

    Zu den besonderen persönlichen Beziehungen zwischen Hertha Kraus (und ihrem Vater, Prof. Dr. Alois Kraus [1863-1953]) und Adenauer um 1933 vgl. Konrad Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 157f.; vgl. auch Klaus Pabst, Adenauers Personalpolitik, S. 267.

  2. ^

    Mit diesem »Konzentrationslager« ist das 1944 geschaffene »Arbeitserziehungslager« der Gestapo auf dem Kölner Messegelände gemeint, in das Adenauer am 23.8.1944 – im Rahmen der Verhaftungsaktion »Gewitter« gegen führende Vertreter der 1933 verbotenen demokratischen Parteien – verbracht worden war; vgl. Paul Weymar, Adenauer, S. 201-212; Rudolf Morsey, Adenauer und der Nationalsozialismus, S. 492f. und – speziell zu diesem Lager – Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), Widerstand und Verfolgung, S. 388-390.

  3. ^

    Nähere Angaben zur Inhaftierung im Gestapogefängnis Brauweiler bei Köln (25.9.-26.11.1944) bei Paul Weymar, Adenauer, S. 242-252; vgl. auch Konrad Adenauer. Dokumente aus vier Epochen, S. 76f. und die Angaben in der Bescheinigung für Hauptwachtmeister Jakob Dahmen vom 26.7.1946. Zu den ›Stätten nationalsozialistischer Verfolgung in Köln‹ vgl. auch Manfred Huiskes (Bearb.), Die Wandinschriften, S. 9-13.

  4. ^

    Vgl. Schreiben an Albert C. Schweizer vom 23.7.1945 sowie Werner Bornheim gen. Schilling, Der rheinische Phönix T. 1, S. 53 f.