Rhöndorfer Ausgabe Online

12. November 1945 (Rhöndorf)

An Oberbürgermeister a.D. Dr. Arthur Menge

, Hannover

StBKAH 07.02


Sehr geehrter Herr Menge!

Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief vom 30.10.45 nebst Anlage1. – Über die Gründe meiner Entlassung weiß ich auch jetzt noch nichts Sicheres. Es ist mir zunächst jede politische Tätigkeit und jede Teilnahme am öffentlichen Leben untersagt worden. Dann wurde dies Verbot auf die Teilnahme am politischen Leben des Regierungsbezirks Köln beschränkt. Wie ich höre, soll meine Kritik, die ich gegenüber ausländischen Journalisten geübt habe, sehr verstimmt haben. Nun, die ganze Angelegenheit hat mich nicht sehr berührt. Angriffe von linker Seite haben sicher sehr mitgespielt. Geredet wird auch hier alles Mögliche, ich sei in Frankreich, ich habe mit de Gaulle in M[aria] Laach eine Zusammenkunft gehabt usw. Natürlich ist kein wahres Wort daran2.

Mit den Gedanken Ihres Exposés bin ich weitgehend einverstanden3. Die deutsche Centralstelle scheint ja unter Severing geschaffen zu sein4. Sehr besorgt bin ich allerdings auf Grund der außenpolitischen Rede Bevins und einer Mitteilung des französischen Senders hinsichtlich der Entwicklung für uns5. Nach der Mitteilung des französischen Senders habe sich England mit den Vorschlägen Frankreichs hinsichtlich des Rheinlands und des Ruhrgebietes einverstanden erklärt, Frankreich verhandele jetzt in Moskau und Washington, falls diese sich wie London einstellten, sei schon bald mit entsprechenden Beschlüssen zu rechnen6. Die Vorschläge Frankreichs sind in ihren Einzelheiten nicht mitgeteilt worden, aber das, was gesagt worden ist, erfüllt mit großer Besorgnis. Ich glaube, man wird die Entwicklung der nächsten Wochen abwarten und mit Aufmerksamkeit verfolgen müssen, ehe zu Ihren Vorschlägen wird Stellung genommen werden können.

Ich stimme mit Ihnen auch darin überein, daß man die Stellungnahme der Sozialdemokratie in der nächsten Zeit um so mehr wird abwarten müssen, als sie augenscheinlich von der Militärregierung als Regierungspartei in der britischen Zone betrachtet wird.

Mit vielen Grüßen Ihr sehr ergebener
Adenauer


  1. ^

    »…nach den diffamierenden Zeitungsnotizen in hiesigen Zeitungen« (auf die sich zuvor schon Hagemann gestützt hatte; vgl. Schreiben an Eberhard Hagemann vom Brief vom 24.10.1945 an Landeshauptmann i.R. Dr. Eberhard Hagemann) hatte Menge (vgl. Schreiben vom 18.7.1945) den Eindruck gewonnen, »daß Ihr Rücktritt vornehmlich auf eine Hetze in Linkskreisen gegen Sie zurückzuführen ist.«

  2. ^

    Ergänzend hierzu in StBKAH 08.02: Abschrift eines Schreibens von Pater Emmanuel v. Severus, Maria Laach, an Dr. Paul Egon Hübinger, Niederlützingen, vom 3.12.1945: Adenauer sei nach seiner Ernennung zum Kölner Oberbürgermeister nur einmal zu einem privaten Besuch in Maria Laach gewesen, dabei »fand keine Begegnung mit Politikern, geschweige denn mit französischen Offizieren statt … General de Gaulle ist selbstverständlich nicht in Laach gewesen«; zu diesem Vorgang nähere Angaben bei Toni Diederich, Adenauer als Oberbürgermeister, S. 814.

  3. ^

    Dieses Exposé ist nicht erhalten. Hinweise auf die politischen Vorstellungen Menges bei Hans Georg Wieck, Die Entstehung, S. 202f., 238.

  4. ^

    Severig war am 29.10.1945 in Hamburg zum Vorsitzenden der Konferenz der Länderchefs der britisch besetzten Zone gewählt worden, nahm aber, nachdem Anfang November 1945 vom britischen Hauptquartier ein ständiger Vorsitzender der Konferenz abgelehnt worden war, an den nachfolgenden Zusammenkünften dieses Gremiums nicht mehr teil; vgl. Carl Severing, Lebensweg Bd. 2, S. 471-473 und Horst Lademacher, Carl Severing, in: Walter Först (Hg.), Aus dreißig Jahren, S. 10-19.

  5. ^

    Der britische Außenminister Ernest Bevin (1881-1951) hatte sich am 26.10. 1945 vor dem Unterhaus zur deutschen Zoneneinteilung und zur Stellung Frankreichs gegenüber einem wiedervereinigten Zukunftsdeutschland geäußert: »Für die Franzosen sei ein Deutsches Reich ein wahrer Alpdruck… Er müsse seine Stellungnahme hinsichtlich des Ruhrgebiets und des Rheinlandes sich vorbehalten. Er glaube aber nicht, daß einem so kriegsliebenden Volk wie den Deutschen eine neue Chance gegeben werden dürfe«; vgl. AdG Jg. 15 (1945), S. 498.

  6. ^

    Zu den »Intentionen der französischen Deutschlandpolitik im Herbst 1945« (u. a. Internationalisierung des Ruhrgebietes, Errichtung eines separaten Rheinland-Staates etc.) vgl. Ernst Deuerlein, Frankreichs Obstruktion deutscher Zentralverwaltungen 1945, in: Deutschland Archiv Jg. 4 (1971), S. 482f. und Hans-Jürgen Wünschel, Die Teilungspläne der Alliierten und die Forderung Frankreichs nach Abtrennung des linken Rheinufers 1943-1947, in :Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte Jg. 5 (1979), S. 366f.