Rhöndorfer Ausgabe Online
An Dr. Karl Ludwig Schmitz
, Düsseldorf-OberkasselHAStK Acc. 2, A 367
Sehr geehrter Herr Doktor!
Es hat mich gefreut, aus Ihrem Briefe vom 15. Mai, der vor einigen Tagen in meine Hände kam, zu ersehen, daß es Ihnen leidlich geht1. Auch ich bin Ihrer Ansicht, daß der Materialismus, der seit über 100 Jahren immer mehr in Deutschland zur Herrschaft gekommen ist, an unserem ganzen Unglück die Hauptschuld trägt2. — Ob ich in der Lage sein werde, Ihnen die Möglichkeit zur Betätigung zu geben, weiß ich noch nicht; ich bitte aber, nicht damit zu rechnen. Unsere ganze Zukunft ist zur Zeit für irgendwelche Pläne zu unklar.
Mit ergebenem Gruße
(Dr. Adenauer)
Oberbürgermeister
Mit seinem Anschreiben vom 5. (nicht 15.) 5.1945 hatte sich Karl Ludwig Schmitz, Internist und Psychologe, als langjähriger Vorkriegsbekannter Adenauers in Erinnerung gebracht (erster Kontakt bei einer Hochzeit 1899 in Köln).
Hierzu Adenauer am 3.7.1945 im ›Kölnischen Kurier‹ in seinem Aufruf »Kölner, Kölnerinnen!«: »Wo sind die Keime des Militarismus und des Nationalsozialismus …? Die tiefsten Wurzeln liegen in dem ungezügelten Materialismus … und in einer aus materialistischem Streben erwachsenen, bis ins äußerste vorgetriebenen Fortbildung des Staatsgedankens …« Diese von Adenauer in zahlreichen Reden der unmittelbaren Nachkriegszeit vertretene Auffassung enthält im Kern bereits ein Grundelement seiner Geschichtsanalyse, mit der er in seinen Erinnerungen die Voraussetzung des Nationalsozialismus erläutert; vgl. Konrad Adenauer, Erinnerungen Bd. 1, S. 45. Zum Materialismus-Begriff Adenauers (der sich in ähnlicher Form bereits in seiner Eröffnungsrede beim 62. Deutschen Katholikentag in München am 28.8.1922 findet; vgl. Adenauer-Reden, S. 43 f.) Hinweise bei Anneliese Poppinga, Geschichtsverständnis, S. 57f.