Rhöndorfer Ausgabe Online
An Lucy Millowitsch
, KölnStBKAH 07.02
Liebe Frau Lucy!
Ihre reizenden Novelle habe ich zwei mal gelesen1. Sie enthält viele Einzelheiten, die bei jedem, der in ähnlicher Lage war, ernste Erinnerungen wachrufen. Aber trotzdem glaube ich, alles in allem genommen, empfehlen zu sollen, die Novelle nicht zu veröffentlichen. Vor einem halben Jahre wäre der richtige Zeitpunkt gewesen. Jetzt, glaube ich, ist dieser Zeitpunkt nicht mehr gegeben. Es hat sich in der Zwischenzeit so viel ereignet, und es hat sich auch die Lage in Deutschland so verschlechtert, hauptsächlich infolge der Uneinigkeit der Alliierten, die Hoffnungslosigkeit in Deutschland hat so um sich gegriffen, daß Ihre Novelle nicht verstanden werden würde. Ich glaube, Sie würden sich durch ihre Veröffentlichung sehr schaden.
Ich bitte, seien Sie nicht böse, daß ich Ihnen diesen, wahrscheinlich nicht willkommenen Rat gebe, aber ich schätze Sie zu hoch, um Ihnen aus Liebenswürdigkeit einen falschen Rat zu geben.
Ich habe sehr bedauert, daß unsere Absprache vor einigen Wochen nicht innegehalten werden konnte. Aber infolge meiner jetzigen Tätigkeit kann ich kaum über einige Tage im voraus disponieren. Trotzdem hoffe ich, daß wir das Versäumte recht bald nachholen können.
Ich wünsche Ihnen und Ihrem Bruder ein recht frohes Osterfest und bin mit vielen Grüßen und auf baldiges Wiedersehen
Ihr sehr ergebener
(Adenauer)
Das Anschreiben wie auch die Adenauer vorgelegte Novelle sind in StBKAH nicht erhalten. Der Antwort von Lucy Millowitsch vom 29.4.1946 zufolge, hatte die Verfasserin unter anderem der Ansicht Ausdruck verliehen, daß »unendlich viele Deutsche am Untergang … [des nationalsozialistischen] Regimes geholfen« hätten: » … wer weiß, wenn sie es nicht getan hätten, wenn die Zeit die Nationalsozialisten durchgehalten hätten und die schrecklichste aller Waffen, die Atombombe doch noch zum Einsatz in diese gewissenlosen Hände gekommen wäre – ob dann noch der Sieg dort gelegen hätte«; vgl. das Schreiben an Lucy Millowitsch vom 4.5.1946.