Rhöndorfer Ausgabe Online

20. April 1946 (Rhöndorf)

An Oberbürgermeister Karl Arnold

, Düsseldorf

StBKAH 08.07


Sehr geehrter Herr Arnold!

Die Entwicklung der Gewerkschaftsfrage macht mir immer größere Sorge1. Nach den Nachrichten, die ich aus dem Kölner Bezirk erhalte, kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß die Einheitsgewerkschaft zu einem Machtinstrument der sozialdemokratischen Partei erster Ordnung ausgebaut wird.

Auch die Frage der Betriebsratswahlen ist sehr ernst. Auch hier scheint es mir an einer einheitlichen Leitung auf unserer Seite völlig zu fehlen. Ich brauche Ihnen gegenüber nicht hervorzuheben, von welch großer Bedeutung diese beiden Fragen für unsere Partei und für unsere gesamte Wirtschaft sind.

Ich bitte Sie sehr, mir sobald wie möglich Vorschläge zu machen, wie man die Dinge in das richtige Gleis bringen kann. Herrn Albers hatte ich vorgeschlagen, eine besondere Abteilung für Betriebsratswahlen innerhalb der britischen Zone seitens der CDU zu gründen, deren Leitung er übernehmen sollte. Er scheint aber wenig Freude an dem Gedanken gefunden zu haben2. Vielleicht spielt die innere Unsicherheit herein, die auch in einer Aussprache, die ich mit ihm gehabt habe, klar zu Tage getreten ist. Mir scheint der Gedanke, eine solche Abteilung zu gründen, sehr verfolgenswert. Wenn Albers ihre Leitung nicht übernehmen will, muß sie ein anderer übernehmen. Sie können vielleicht Vorschläge machen. Diese Abteilung muß eine Zentrale und eine Reihe von Unterabteilungen in den hauptsächlichsten Industriezentren haben.

Was die Frage der Gewerkschaften angeht, so kann nur Abhilfe geschaffen werden, wenn seitens der früheren christlichen Gewerkschaftler mit aller Energie verlangt und durchgesetzt wird, daß sie an der Zentrale durch tüchtige Leute vertreten wird. Die Gründung einer solchen neuen christlichen Gewerkschaft ist ja wohl infolge der Haltung der britischen Militärregierung ausgeschlossen3.

Ich weiß, wie sehr Sie mit Arbeit überhäuft sind. Es handelt sich aber hier um eine Angelegenheit von solcher Bedeutung, daß ich Sie sehr bitte, Ihre ganze Kraft für eine Lösung dieser brennenden Frage einzusetzen.

Mit vielen Grüßen
Ihr ergebener
(Adenauer)


  1. ^

    Korrespondenz zur Gewerkschaftsfrage, die über den konkreten Informationsstand und die Beweggründe Adenauers bei diesem Vorstoß Aufschluss geben könnte, ist für den Zeitraum vor dem 20.4.1946 in StBKAH nicht erhalten. Auch konnte eine diesbezügliche Antwort Arnolds nicht nachgewiesen werden. Erst das zweite Adenauer-Schreiben an Arnold in dieser Angelegenheit vom 29.4.1946 macht die Zusammenhänge deutlicher. Zum Aufbau der (Kölner) Gewerkschaften in dieser Phase, besonders zum Verhältnis der Linksparteien zur Einheitsgewerkschaft kurz vor dem 1. Mai 1946 vgl. Ulrich Lamsfuß, Gewerkschaftlicher Neubeginn, S. 390f., 396f. Eine übersichtliche Darstellung der überregionalen Vorgänge (März 1946: erste gewerkschaftliche Zonenkonferenz in Hannover als wichtige Etappe auf dem Weg zur DGB-Gründung im April 1947) gibt Walther L. Bernecker, Die Neugründung der Gewerkschaften in den Westzonen, in: Josef Becker /Theo Stammen /Peter Waldmann (Hg.), Vorgeschichte, S. 269 f.

  2. ^

    Auf Differenzen zwischen Adenauer und Albers (kurz bevor dieser am 1.5. 1946 seine ›Grundgedanken zum Thema: Christlicher Sozialismus‹ veröffentlichte; vgl. Rudolf Uertz, Christentum, S. 92f.) lässt ein unbeantwortet gebliebenes Schreiben Albers' vom 30.4.1946 schließen: »Ich wußte von vorneherein, daß meine Überlegungen nicht Ihre Zustimmung fanden, und trotzdem müßte, wenn schon etwas Ordentliches geschaffen werden soll, meinem Vorschlag entsprechend verfahren werden. Es steht mehr auf dem Spiele als die Parteiarbeit. Entweder wird durch ein Glied der Partei oder durch eine ganz neue Organisation die Voraussetzung geschaffen, daß die breiten Schichten der Arbeiter und Angestellten nicht in den politischen Sozialismus herabgedrückt werden« (StBKAH 08.51).

  3. ^

    Der ›Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands‹ wurde unter Abtrennung von der gewerkschaftlichen Dachorganisation DGB erst 1956 gegründet.